das Kirchenjahr

16. Sonntag nach Trinitatis

Der Herr über den Tod

Predigtbeispiele

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Zu den Perikopen

Predigtvorschläge zu Reihe I - Joh 11, 1(2)3.17-27(28-38a)38b-45

Liebe Gemeinde!
„Es lag aber einer krank...“
So beginnt Johannes diese Erzählung. Und dieser Anfang scheint zunächst ganz unspektakulär. Es liegen viele krank, auch hier, in diesem Haus, aber auch außerhalb dieses Hauses, in vielen Häusern in Königslutter, in Braunschweig, in Helmstedt, in Wolfsburg, in Spanien, in Brasilien, in Indien... ja, überall liegt einer krank.
Erst dadurch, dass Johannes einen Namen nennt, beginnt es, interessant zu werden.
„Lazarus“. Der Name bedeutet: Gott hat geholfen. Manche Wissenschaftler werden meinen, dass dieser Lazarus eine fiktive Person ist, denn sein Name verrät schon, dass es hier nur darum geht, zu zeigen, wie Gott helfen kann.
Und vielleicht sind nicht nur Wissenschaftler skeptisch, sondern auch diejenigen, für die Johannes sein Evangelium schrieb. „Gott hat geholfen“ - ok, es geht also darum, dass Gott Kranke wieder gesund machen kann – so werden sie denken und vielleicht schon auf Durchzug schalten wollen, denn das wissen sie ja längst. Und sie wissen auch, dass es nicht immer so ist. Dass manche krank bleiben und schließlich sterben. Und sie erinnern sich an die vielen Gräber, die gegraben und in die Angehörige oder Freunde gelegt wurden. Ja, Gott kann helfen, aber er tut es nicht immer – meistens sogar tut er es nicht.
Doch der Evangelist Johannes ahnt schon, dass seine Leser solche Gedanken haben könnten, und lässt es darum nicht bei der Nennung des Namens.
Er macht klar: Lazarus ist keine fiktive Person. Er ist der Bruder der Maria und Marta aus Betanien.
An dieser Stelle machte es zumindest damals bei den meisten Lesern „klick“. Denn Marta und Maria aus Betanien waren in der frühen christlichen Gemeinde bekannt, sie gehörten zur Urgemeinde. Und natürlich auch Lazarus, ihr Bruder. Von ihnen wurde erzählt, sie waren Persönlichkeiten, vor allem auch, weil sie Jesus persönlich gekannt hatten, wohl sogar aus der Zeit, bevor er begonnen hatte, öffentlich zu wirken.
Lazarus. Warum hatte er nicht gleich gesagt, dass es der Bruder von Maria und Marta ist.
Jesus aber verhält sich merkwürdig. Nicht alles haben wir gerade gehört, aber vielleicht wissen Sie, was da passiert:
Die Schwestern schicken zu Jesus und bitten ihn, Lazarus zu heilen. Soviel trauten sie ihm zu. Aber dazu ist seine persönliche Gegenwart nötig.
Und Jesus? Er kümmert sich nicht – oder anders: es kümmert ihn nicht. Aber für Maria und Marta muss es so gewesen sein: er kümmert sich nicht um unser Leid, wir sind ihm egal.
Und es scheint tatsächlich so: Jesus wartet, bis Lazarus tot ist. Er mutet den beiden Schwestern dieses Leid zu, dass sie um ihren Bruder trauern müssen. Da spüren wir nichts von der Liebe Gottes oder von seiner Barmherzigkeit. Es ist unbarmherzig, wie er mit den beiden Schwestern umgeht.
Aber natürlich wusste Jesus, was geschehen würde. Er ist schließlich der Sohn Gottes. Und darum hatte er zuvor ja auch schon gesagt: Diese Krankheit ist nicht zum Tod, sondern zur Verherrlichung Gottes.
Aber nun ist Lazarus tot, die Trauer währte schon vier Tage. Vier Tage lang war kein Heil in Sicht, und ich denke mir, dass eine tiefe Enttäuschung auf Marias und Martas Herzen lag. War Jesus nicht ihr Freund? Warum mutete er ihnen solches Leid zu?
Gewiss, sie hatten die Hoffnung der Auferstehung – am Jüngsten Tage. Aber sie hätten ihren Bruder nur zu gerne noch bei sich gehabt. „Wärst du hier gewesen, unser Bruder wäre nicht gestorben.“
Aus diesen Worten klingt einerseits das große Vertrauen auf die heilende Kraft Jesu und andererseits die Enttäuschung darüber, dass diese Kraft nun nichts mehr ausrichten kann, die Enttäuschung über das „zu spät“.
Wer die ganze Geschichte liest und nachrechnet, weiß, dass Jesus gar nicht rechtzeitig hätte kommen können. Er hatte nur zwei Tage gewartet, bevor er sich aufmachte, aber als sie in Betanien ankamen, war Lazarus schon vier Tage lang tot. Also selbst wenn er gleich aufgebrochen wäre, wäre Lazarus doch gestorben, während sie auf dem Weg waren.
Und da spielt noch etwas mit hinein, was in dem Abschnitt, den wir gehört haben, nicht sichtbar wird: die Verbindung der Jünger zu Jesus und wie er sie lehrt, dass Krankheit und Tod in seiner Gegenwart nicht das letzte Wort haben.
Das sagt er dann auch zu Marta, indem er ihr zuruft: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt. Und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.“
Diese Worte hören wir genauso wie den Anfang der Geschichte. Wir wissen, dass es so ist, und wissen aber auch, dass es eigentlich ganz anders ist. Kein Mensch kann dem Tod entrinnen. Natürlich sterben wir alle.
Und doch: wir werden leben. Denn Jesus ist die Auferstehung und das Leben. Und das gilt nun nicht nur für die Zukunft, irgendwann einmal am Jüngsten Tage, sondern es gilt heute und jetzt.
Wer an Jesus Christus glaubt, hat das Leben. Daran gibt es nichts zu rütteln, das kann einem kein Mensch nehmen.
Sicher werden wir gefragt und fragen wir uns auch selbst, was mit diesem Leben gemeint ist. Und ich gestehe, dass ich darauf keine Antwort weiß. Ich weiß nur, dass der Glaube an den Sohn Gottes mich befreit von aller Angst vor dem Tod. Durch den Glauben hat der Tod keine Macht über mich, das weiß ich. Ich mag zwar sterben, aber ich werde dennoch leben, weil Gott mir durch Jesus Christus das Leben schenkt.
So wie er es an Lazarus zeichenhaft sichtbar machte, ist der Tod ihm gegenüber machtlos.
Und so können wir getrost jede Krankheit und auch den Tod annehmen, weil wir wissen: das ist nicht das Ende.
Wir sind Kinder Gottes, seine Liebe zu uns ist endlos, und so sind wir auch ewig in ihm geborgen.
„Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist.“ Diese Worte spricht Marta, und dies sind auch unsere Worte, durch die wir die Gewissheit erlangen: Jesus Christus hat die Welt und damit auch den Tod überwunden.
Und wenn wir dann doch einmal zweifeln sollten, dann bleibt uns das Gebet, so wie der Vater des besessenen Jungen rief: Ich glaube, Herr, hilf meinem Unglauben.
Wir wissen, dass diese Worte genug waren, damit das Leben siegen konnte.
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
O Tod, wo ist dein Stachel nun (EG 113)
Jesus lebt, mit ihm auch ich (EG 115 - Wochenlied!)
Was mein Gott will, gescheh allzeit (EG 364)
Ich steh in meines Herren Hand (EG 374)
Bei dir, Jesu, will ich bleiben (EG 406)
Morgenglanz der Ewigkeit (EG 450)
Mitten wir im Leben sind (EG 518)
Wenn mein Stündlein vorhanden ist (EG 522)
Jesus, meine Zuversicht (EG 526)
Du kannst nicht tiefer fallen (EG 533)


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Predigtvorschläge zu Reihe II - 2. Tim 1, 7-10

Die nachfolgende Predigt steigt mit Bezug auf ein konkretes Ereignis ein. Hier sollte man natürlich ein anderes Ereignis heranziehen, das aktueller ist.
Liebe Gemeinde!

Was war am 5. November 2015, also vor rd. 10 Monaten, los?
Uns beschäftigte unter anderem
• die VW-Abgasaffäre
• der Absturz eines russischen Passagierflugzeugs über der Sinai-Halbinsel
• Man arbeitet an einer Lösung für die Flüchtlingskrise
• Ärzte beklagen sich über Arbeitsbelastung
• Griechenland bietet Stoff für Spekulationen
Vermutlich fragen Sie sich, warum ich mir ausgerechnet den 5. November rausgesucht habe. Nun, am 5. November 2015 ist etwas geschehen, das für sehr viele Menschen tragisch war und im Grunde unmittelbar mit uns zu tun hat:
In Brasilien brachen die Dämme zweier Rückhaltebecken, in denen die Abwasser eines Eisenerzbergwerks gesammelt wurden.
In diesem Abwasser befanden sich große Mengen von hochgiftigen Schwermetallen. Rund 60 Millionen Kubikmeter ergossen sich über das angrenzende Dorf Bento Rodriguez und dann in den Rio Doce, wodurch auf lange Zeit hunderttausende Menschen entlang des Flusslaufs von der Trinkwasserversorgung abgeschnitten wurden bzw. nur noch vergiftetes Wasser zur Verfügung haben.
16 Menschen kamen bei dem Dammbruch ums Leben, rd. 500 wurden obdachlos, weil ihre Häuser zerstört wurden.
Der Betreiber wurde zur Zahlung von Schadensersatz in Millionenhöhe aufgefordert und kündigte postwendend an, die Arbeiter nicht mehr zu bezahlen, damit er das dafür nötige Geld aufbringen könne. Der größte Teil der Menschen, die in Bento Rodriguez leben, arbeiten in der Mine.
Acht Monate später, also von uns aus vor zwei Monaten, hat die Betreiberfirma Samarco keine einzige der geforderten Maßnahmen zur Minimierung der Folgeschäden umgesetzt.
Nun werden Sie sich vermutlich fragen, was das mit uns zu tun hat.
Nun, die Mine fördert Eisenerz, das wir in großen Mengen importieren. Die deutsche Industrie importiert mehr als 50% ihres Bedarfs aus Brasilien, also zumindest damals auch von dieser Mine.
Die Dämme der Rückhaltebecken brachen nicht aufgrund eines kleinen Erdbebens, wie der Betreiber der Mine behauptete, sondern weil aus wirtschaftlichen Gründen in den Monaten davor die Fördermenge um fast 40% angehoben wurde, was zu einem starken Mehraufkommen an Klärschwamm und damit einer Überbelastung der Staudämme führte. Schon zwei Jahre vorher hatten Sicherheitskontrolleure auf Mängel an den Staudämmen hingewiesen, was den Betreiber aber nicht weiter störte. Korruption machte es möglich, dass nichts an der Sicherheit der Dämme getan wurde.
Und nun werden Sie sich vermutlich die dritte Frage stellen: Was hat das mit unserem Predigttext zu tun?
Nun, in dem Predigttext heißt es: Gott hat uns einen Geist gegeben.
Es ist ein Geist der Kraft. Ein Geist, der nicht gleich klein bei gibt. Ein Geist, der sich durchzusetzen vermag. Ein starker Geist, der von uns in Anspruch genommen werden will. Dieser Geist ist in uns.
Es ist auch der Geist der Liebe, die den Nächsten sucht, den, dem es noch schlechter geht als uns, der Geist, der bereit ist, für die zu sprechen, die sich selbst nicht wehren können.
Und es ist der Geist der Besonnenheit, der durchaus darüber nachdenkt, ob das, was man erreichen möchte, maßlos ist oder nicht, und dazu anleitet, nur das zu fordern und zu erwarten, was angemessen und richtig ist.

Wenn wir im Zusammenhang mit jener menschengemachten Katastrophe von diesem Geist reden, merken wir, dass beides eng miteinander verbunden ist.
Denn es geht darum, einzutreten für die Rechte der Menschen, die keine Lobby haben – das wären in diesem Fall die vielen indigenen Stammesvölker, die von der Katastrophe entlang des Rio Doce betroffen sind.
Es geht darum, sich erneut bewusst zu werden, dass wir in einem maßlosen Wohlstand leben, den wir weder verdient noch auf den wir einen Anspruch haben.
Die Katastrophe in Brasilien hat direkt damit zu tun, dass unser Land solche Mengen Eisenerz benötigt – und eigentlich doch nicht. Denn es dient nur der weiteren Anhebung unseres Lebensstandards und hat offensichtlich die Lebensgrundlage vieler Menschen in Brasilien zerstört.
Die Tatsache, dass fast alle Nachrichtenquellen zu diesem Unglück inzwischen versiegt sind, bedeutet nicht, dass alles wieder gut ist, sondern dass sich Politiker und Betreiberfirma darüber geeinigt haben, wie sie mit der Öffentlichkeit umgehen.
Alles wird schön geredet, die Giftstoffe, die sich im Fluss und im Trinkwasser befinden, werden von offizieller Seite her nicht mehr mit dem Unglück in Verbindung gebracht.
Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
Ich möchte diese drei Eigenschaften des Geistes Gottes einmal mit dem Wort „Wachsamkeit“ zusammenfassen. Denn das ist es, worum es im Grunde geht: dass wir wachsam sind für die Nöte unserer Mitmenschen und genau darauf achten, inwieweit wir durch unsere Ansprüche damit verbunden sind.
Wir leben in einer Welt, die sich selbst global sieht.
Wir können kaum mehr etwas kaufen, das ausschließlich in Deutschland hergestellt wurde. Am ehesten hat man da wohl auf dem Wochenmarkt Chancen, aber Vorsicht: zumindest Teile der Futter- und Düngemittel und anderer Chemikalien, die benutzt werden, damit Fleisch, Gemüse und andere landwirtschaftliche Erzeugnisse auf unserem Tisch landen können, werden oft nicht in Deutschland produziert.
Und genau darauf kommt es an: wachsam zu sein, hinzuschauen, nicht einfach nur zu konsumieren, sondern sich bewusst zu machen: wo leiden andere Menschen, damit ich ein leichtes Leben haben kann?

Doch will ich jetzt noch ein bisschen tiefer in unseren Predittext eintauchen.
Man mag sich fragen, wo der Geist her kommt, von dem hier die Rede ist. Sicher, es ist Gottes Geist, er kommt also von Gott, aber Paulus beschreibt in seinem Brief kurz vor unserem Predigttext den Weg, den dieser Geist gewissermaßen gegangen ist.
Er kommt demnach nämlich nicht vom Himmel herab, nicht in einer plötzlichen Erleuchtung. Vielmehr ist er durch den Glauben, den Timotheus' Mutter Eunike und seine Großmutter Lois bereits hatten, auch zu ihm, Timotheus, gekommen. Es sind seine Vorfahren, die ihm den Glauben und damit den Geist Gottes vermittelt haben.
Es sind die Vorfahren, die Eltern und Großeltern, die die Kinder im Glauben einüben, ihnen die Grundlagen ins Herz legen, die sich dann entfalten können und den Menschen zu einem Kind Gottes machen, das vom Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit erfüllt ist.
Darum fährt Paulus auch fort und sagt: „Schäme dich nicht des Evangeliums.“ Sage es weiter an deine Kinder, deine Familie, deine Mitmenschen, denn dieser Glaube kann Leben retten und bewahren, auch wenn es so aussieht, als sei das Gegenteil der Fall. Gib diese Kraft weiter, die Kraft Gottes, die in dir ist durch seinen Geist.
Paulus war ein Gefangener, weil er mit seinem Glauben nicht hinter dem Berg gehalten hatte. Er hatte verkündigt, was er glaubte, durch den Geist der Kraft, und war darum ins Gefängnis geworfen worden. Was aus ihm werden würde, das wusste er nicht, aber er sah hier die Möglichkeit, das Evangelium auch an die Oberen, die Richter, weiter zu sagen, und verzagte nicht vor Angst, er könne womöglich zu Tode verurteilt werden. In allem, was ihm widerfuhr, sah er das Wirken Gottes und war bereit, für das Evangelium sein Leben zu geben.
Darum schäme dich nicht des Evangeliums, sondern sei bereit, dafür zu leiden, Rückschläge hinzunehmen oder verachtet zu werden.
Denn in dir lebt der Geist der Kraft, der dich stark macht. Er lässt dich durchhalten, er lässt dich hoffen, wo die Lage hoffnungslos zu sein scheint.
Sicher, heute müssen wir kein Gefängnis fürchten, nur, weil wir von Gott erzählen, von Jesus Christus, von dem, der uns frei gemacht hat zur Liebe für einander. Wir dürfen unseren Glauben frei ausüben. Niemand kann uns daran hindern. Und doch haben wir Angst, es weiter zu sagen, ja, wir schämen uns des Evangeliums.
Es fällt uns schwer, es weiter zu sagen, weiter zu geben an unsere Kinder und Kindeskinder, ihnen deutlich zu machen, was sie damit aufgeben. Denn wir fürchten, belächelt zu werden, oder auch beschimpft, weil der Glaube doch eine Privatsache sei, und jeder nach seiner Facon selig werden soll.
Aber nein, der Glaube ist keine Privatsache, die man irgendwo im Stübchen oder beim Spaziergang im Wald zwischen sich und Gott aushandelt. Der Glaube, der christliche Glaube, ist eine Sache, die zutiefst auf Gemeinschaft ausgelegt ist. Was wäre das für ein Glaube, der niemanden hat, dem er sich in Liebe zuwenden kann? Der also nicht in Taten sichtbar wird? Und der nicht bereit ist, sich von anderen lieben zu lassen?
Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Gott hat uns berufen, sein Sprachrohr zu sein für die Menschen, die ein Spielball der Mächte sind, indem er uns seine Gnade offenbart und geschenkt hat. Kann man da still sein?
Paulus kann so mutig sein und sein Leben riskieren, weil er weiß, dass der Tod nicht das letzte Wort hat. Durch die Auferstehung von Jesus Christus ist unvergängliches Wesen an das Licht gebracht worden. Der Tod ist überwunden. Diese Gewissheit haben auch wir durch den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.
Durch den Geist Gottes werden wir gerufen, Verantwortung zu übernehmen für unser Reden und Handeln. Wir werden gerufen, wachsam zu sein für die Menschen, mit denen wir wie durch ein unsichtbares Band verbunden sind, also auch die Menschen z.B. in Brasilien, viele tausend Kilometer von hier entfernt.
Das ist der Geist der Liebe und der Besonnenheit, der uns lehrt, dass Leben weit über das hinaus geht, was wir für erstrebenswert halten und meist mit dem Wort „Wohlstand“ bezeichnen.
Amen
oder

Die folgende Predigt nimmt Bezug auf Ereignisse, die nicht mehr aktuell sind. Allerdings gibt es auch heute ähnliche Ereignisse, die ohne Weiteres an ihre Stelle treten können.

Liebe Gemeinde!
„Alles wird schlechter!“ Oder: „Früher war alles besser“. Und: „Man ist ja machtlos.“ „Die Politiker hören doch nicht auf uns.“
Diese Aussagen spiegeln so ein bisschen das Gefühl wider, das sich wohl in vielen von uns breit macht. Es herrscht eine gewisse Unzufriedenheit, denn die bereits begonnenen Reformen bedeuten für viele von uns deutliche und tiefe Einschnitte.
Dabei wissen wir wohl alle in unserem Inneren, dass wir es heute so gut haben wie nie zuvor. Und vielleicht ist es gerade das, was uns daran hindert, laut auf zu schreien und unser Recht ein zu fordern.
Denn: welches Recht könnte das denn sein, das wir einfordern wollen? Es gibt auch unter uns Menschen, die Hilfe brauchen, denen es noch schlechter geht als uns, die weniger haben, die größere Not leiden als wir.
Da ist es nur recht, wenn der Staat, die Politiker, nach Wegen suchen, die es möglich machen, dass alle einigermaßen brauchbar leben können. Da muss man auch bereit sein, ab zu geben, auch wenn es erzwungen wird, auch wenn es eine Verschlechterung der eigenen Lebenssituation darstellt. Solange die Mittel dadurch gerechter verteilt werden und es denen, denen es jetzt schlechter geht, dadurch etwas besser geht, können wir es sicher hinnehmen. Denn noch geht es uns ja gut.
Nur, was ich dabei nicht verstehe, ist folgende Tatsache: auch in Deutschland, nicht nur in den USA, werden die Reichen immer reicher. Auch jetzt, in dieser Zeit, in der es heißt, alle müssten den Gürtel enger schnallen, alle müssten Verzicht leisten. Irgendwie scheint da doch etwas schief zu laufen.
Ein Beispiel: Im MAN Werk in Salzgitter hat man vergangenes Jahr begonnen, zahlreiche Mitarbeiter auf die Straße zu setzen. Betriebsbedingte Kündigungen nannte man das dann. Betriebsbedingt, das heißt, es geht einem Betrieb so schlecht, dass die Existenz bedroht ist. Oder mit anderen Worten: es gibt nicht genug Aufträge, dafür gibt es zu viele Arbeiter. Also entlässt man in so einer Situation einen Teil von ihnen.
Vor wenigen Tagen stand dann in der Zeitung, dass die Auftragslage der Firma MAN so gut ist wie nie zuvor, das Auftragsvolumen in der Sparte der Nutzfahrzeuge, also auch der Busse, die in Salzgitter gebaut werden, um über 20% gewachsen ist.
Wie geht das zusammen? Der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens wird den Aktionären, die nicht einen Finger krumm gemacht haben, volle Taschen bescheren, während die, die jahrelang, ja, jahrzehntelang im Betrieb gearbeitet und dafür gesorgt haben, dass das Unternehmen so erfolgreich sein kann, wie es das heute ist, jetzt auf der Straße stehen und bald nur noch Sozialhilfe empfangen werden. Das hat nichts mit gerechter Verteilung zu tun.
Und dann gibt es auch noch Menschen, die eine Lockerung des Kündigungsschutzes fordern.
Das kann nicht richtig sein, da ist etwas in unserem Land, in der Politik, gewaltig schief gelaufen.
Doch was hat das mit unserem Predigttext zu tun? Ich möchte ihn noch einmal vorlesen:
Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener bin, sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes. Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt, jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium.

Auf den ersten Blick besteht da wirklich keine Verbindung. Was hat MAN oder Auftragslage oder Entlassung mit dem Geist Gottes zu tun? Oder mit dem ewigen Leben? Aber lassen Sie uns etwas genauer hinschauen.
Gott hat uns einen Geist gegeben. Es ist ein Geist der Kraft. Ein Geist, der nicht gleich klein bei gibt. Ein Geist, der sich durchzusetzen vermag. Ein starker Geist, der von uns in Anspruch genommen werden will. Dieser Geist ist in uns.
Es ist auch der Geist der Liebe, die den Nächsten sucht, den, dem es noch schlechter geht als uns, der Geist, der bereit ist, für die zu sprechen, die sich selbst nicht wehren können. Und es ist der Geist der Besonnenheit, der durchaus darüber nachdenkt, ob das, was man erreichen möchte, maßlos ist oder nicht, und dazu anleitet, nur dies zu fordern, was angemessen und richtig ist.
Eins gehört sicher zu dem, was angemessen und richtig ist: Gerechtigkeit für alle Menschen. Das schließt die gerechte Verteilung der Güter, die uns in dieser Welt von Gott geschenkt sind, mit ein.
Gerechtigkeit, das bedeutet ja, dass jeder gleiche Chancen hat, gleiche Lebensmöglichkeiten. Es bedeutet auch, dass keiner, der seine Chancen verpasst hat oder nicht wahrnehmen konnte, in der Gosse enden muss. Gerechtigkeit, das bedeutet, dass jeder gut und angemessen leben kann, dass der, der im Überfluss hat, abgeben muss, damit andere, die Not leiden, endlich aus ihrer Not heraus kommen.
Da hat unser Predigttext also schon mit dem zu tun, was ich anfangs geschildert habe. Wir haben eine Verantwortung, weil in unser der Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit steckt, der Geist, der für andere eintritt und sie in Liebe vertritt.
Aber wo kommt dieser Geist her? Sicher, es ist Gottes Geist, er kommt also von Gott, aber Paulus beschreibt in seinem Brief kurz vor unserem Predigttext einen wichtigen Weg, den dieser Geist gehen kann.
Er kommt nicht vom Himmel herab, nicht in einer plötzlichen Erleuchtung. Vielmehr ist er durch Timotheus' Mutter Eunike und die Großmutter Lois auch zu ihm, Timotheus, gekommen. Es sind seine Vorfahren, die ihm den Glauben vermittelt haben. Es sind die Vorfahren, die Eltern und Großeltern, die die Kinder im Glauben einüben, ihnen die Grundlagen ins Herz legen, die sich dann entfalten können und den Menschen zu einem Kind Gottes machen.
Darum fährt Paulus auch fort und sagt: „Schäme dich nicht des Evangeliums.“ Sage es weiter an deine Kinder, deine Familie, deine Mitmenschen, denn nur dieser Glaube kann Leben retten und bewahren, auch wenn es so aussieht, als sei das Gegenteil der Fall. Gib diese Kraft weiter, die Kraft Gottes, die in dir ist durch seinen Geist.
Paulus war ein Gefangener, weil er mit seinem Glauben nicht hinter dem Berg gehalten hatte. Er hatte verkündigt, was er glaubte, durch den Geist der Kraft, und war darum ins Gefängnis geworfen worden. Was aus ihm werden würde, das wusste er nicht, aber er sah hier die Möglichkeit, das Evangelium auch an die Oberen, die Richter, zu verkünden.
Darum schäme dich nicht des Evangeliums, sondern sei bereit, dafür zu leiden, Rückschläge hinzunehmen. Denn in dir lebt der Geist der Kraft, der dich stark macht. Er lässt dich durchhalten, er lässt dich hoffen, wo die Lage hoffnungslos zu sein scheint.
Sicher, heute müssen wir kein Gefängnis fürchten, nur, weil wir von Gott erzählen, von Jesus Christus, von dem, der uns frei gemacht hat zur Liebe für einander. Wir dürfen unseren Glauben frei ausüben. Niemand kann uns daran hindern. Und doch haben wir Angst, es weiter zu sagen, ja, wir schämen uns des Evangeliums.
Es fällt uns schwer, es weiter zu sagen, weiter zu geben an unsere Kinder und Kindeskinder, ihnen deutlich zu machen, was sie damit aufgeben. Denn wir fürchten, belächelt zu werden, oder auch beschimpft, weil der Glaube doch eine Privatsache sei, und jeder nach seiner Facon selig werden soll.
Aber nein, der Glaube ist keine Privatsache, die man irgendwo im Stübchen oder beim Spaziergang im Wald zwischen sich und Gott aushandelt. Der Glaube, der christliche Glaube, ist eine Sache, die zutiefst auf Gemeinschaft ausgelegt ist. Was wäre das für ein Glaube, der niemanden hat, dem er sich in Liebe zuwenden kann? Der also nicht in Taten sichtbar wird? Und der nicht bereit ist, sich von anderen lieben zu lassen?
Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Gott hat uns berufen, sein Sprachrohr zu sein, indem er uns seine Gnade offenbart und geschenkt hat. Kann man da still sein?
Paulus kann so mutig sein und sein Leben riskieren, weil er weiß, dass der Tod nicht das letzte Wort hat. Durch die Auferstehung von Jesus Christus ist unvergängliches Wesen an das Licht gebracht worden. Der Tod ist überwunden. Diese Gewissheit haben auch wir durch den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.
Der Predigttext ist also durchaus relevant auch für die Situation, die ich anfangs geschildert habe. Sollten wir uns nicht wehren und protestieren dagegen, dass unsere Mitmenschen arbeitslos werden, während sich die Aktionäre ihre Taschen füllen? Es ist ein Gebot der Liebe, dass wir das tun. Es kann nicht angehen, dass Gewinnmaximierung der Maßstab dafür ist, wie mit Menschen umgegangen wird. Und da sind wir gefragt.
Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
Jesus ist kommen, Grund ewiger Freuden (EG 66)
Gelobt sei Gott im höchsten Thron (EG 103)
Er ist erstanden, Halleluja (EG 116)
O Heilger Geist, kehr bei uns ein (EG 130)
In dir ist Freude (EG 398)
Christus spricht: Ich bin die Auferstehung (EG 652)


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Predigtvorschläge zu Reihe III - Klgl 3, 22-26.31-32

Die nachfolgende Predigt wurde in einem Gottesdienst anlässlich des Konfirmationsjubiläums gehalten.
Liebe Gemeinde!
Die Güte des Herrn ist's, dass wir nicht gar aus sind – ich bin sicher, manche von Ihnen können diese Worte mit ganzem Herzen bejahen. Diejenigen, die heute das eiserne Jubiläum ihrer Konfirmation feiern, werden sich noch an die Kriegsjahre erinnern, die sie in iher Kindheit erlebten. Aber auch die Jahre danach, die den meisten von Ihnen wohl noch in Erinnerung sind, waren geprägt von Entbehrungen. Allein diese Zeit der Jugend, die Zeit der 40er und 50er Jahre, kann einen heute dazu bringen, zu sagen: Die Güte des Herrn ist's, dass wir nicht gar aus sind.
Aber nicht jedem fällt es leicht, diese Worte zu bejahen. Denn man kann wohl die Frage stellen: warum hat Gott überhaupt zugelassen, dass es zu dem Krieg kam? Warum lässt er heute noch Kriege zu? Und warum gibt es noch immer keine einfache, wirksame Methode, den Krebs zu besiegen? Warum müssen Menschen verhungern? Warum gibt es Erdbeben, die viele Menschen obdachlos machen? Man könnte damit wohl ewig weiter machen. Die Kernfrage ist: Wo wird die Güte Gottes sichtbar?
Es ist wohl die Lieblingsfrage des Menschen, und jede einzelne Person wird auch ihre ganz persönliche Frage an Gott stellen wollen: Warum ist es so, und nicht anders?
Wenn wir von Gott reden, denken wir schnell an diese ominöse Macht, die alles weiß und alles beherrscht. So reden wir Gott ja auch an, als den Allmächtigen, der den Naturgewalten genauso wie den Menschen Einhalt gebieten kann.
Warum nutzt er diese Macht nicht, um endlich Frieden durchzusetzen in unserer Welt?
Das war wohl auch die Frage des Jeremia in seinen Klageliedern. Das Reich Juda lag verwüstet, die Oberschicht war nach Babylonien deportiert worden, die Rufe des Propheten waren ungehört verhallt. Für den Propheten ist es die Hölle auf Erden. Hätte Gott sich nicht erbarmen können?
Gut 2000 Jahre ist es her, da sangen die Engel den Hirten auf dem Feld die Hymne:
Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden.“ Was ist daraus geworden?
Jesus wurde gekreuzigt, er starb, wurde begraben.
Die Kirche bezeugt seither seine Auferstehung, den Sieg Gottes über den Tod, bis auf den heutigen Tag. Und doch schmecken wir den Tod nach wie vor. Er reißt schmerzliche Wunden, macht uns hilflos.
Es hat sich im Grunde nichts geändert, so scheint es uns jedenfalls.
Und doch: Jeremia weiß um die Tiefen menschlicher Existenz, denn er selbst steckt ja mitten drin in diesem Chaos; aber er weiß auch um die Tiefe Gottes.
„O, welch eine Tiefe des Reichtums, beides der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!“ (Röm 11, 33), schreibt der Apostel Paulus im Römerbrief und lässt uns erneut bewusst werden:
Gottes Ratschluss, seine Wege sind unerforschlich für uns. Sie entziehen sich unserem Verstand. Sie scheinen oft auch unvernünftig. Aber wer sind wir, über Gottes Handeln zu urteilen?
Eins haben die meisten von uns wohl schon beobachtet: was uns anfangs wie eine Katastrophe erscheint, wird später, wenn diese Katastrophe hinter uns liegt, gar nicht mehr so schlimm erscheinen. Irgendwie ist man da durchgekommen, und nun kann es doch weiter gehen, aber anders als vorher. Die Katastrophe hat einen verändert, sie hat den Blickwinkel verändert, hat alles in einem anderen Licht erscheinen lassen.
Und dann kann man auch dahin kommen, zu sagen: „Die Güte des Herrn ist's, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende.“
Solche Erfahrungen mit Gott haben auch ihren Niederschlag in den biblischen Erzählungen gefunden.
Jeremia nimmt diese Erkenntnisse auf und verarbeitet sie.
„Die Güte des Herrn ist's, dass wir nicht gar aus sind.“ So schafft er es, noch in dem schlimmsten Leid einen Funken Hoffnung zu erkennen.
Nehmen wir z.B. den Lebensweg des Josef. Vom verachteten zweitjüngsten Bruder wird er trotz aller Widerstände, die ihn auch hätten verzweifeln lassen können, die rechte Hand des Pharaos – durch die Güte Gottes.
Oder nehmen wir den Weg des Volkes Israel: aus der verzweifelten Situation der Knechtschaft und Unterdrückung in Ägypten wird es schließlich herausgeführt durch einen Mann, dessen Leben schon als Säugling äußerst gefährdet war, der aber gerade durch diese Gefährdung eine Position erlangt, die es ihm schließlich ermöglicht, den Willen Gottes dem Pharao gegenüber durchzusetzen.
Oder nehmen wir den Weg Jesu, der trotz aller Güte und Liebe zu seinen Mitmenschen doch zum Tode verurteilt wird, aber nicht etwa, um der Bewegung der Jesuaner, wie man die ersten Christen damals nannte, ein Ende zu machen, sondern um den Tod zu besiegen und Hoffnung für die ganze Menschheit zu erwirken.
Und wie sieht es in unserem Leben aus? Gab es nicht auch in unserem Leben Situationen, wo wir meinten, in einer Sackgasse gelandet zu sein, aus der es kein Heraus mehr gab? Und hat es dann nicht doch einen Weg heraus gegeben, der uns jetzt dankbar hier sein lässt?
Was für Gefühle bewegen einen, wenn man da so feststeckt und nicht weiter weiß? Ich kann mir vorstellen, dass man da ganz schön sauer auf Gott sein kann – wenn man sich an ihn erinnert. Aber es ist ja so eine Eigenart des Menschen, dass er sich gerade dann an Gott erinnert, wenn alles schief zu gehen scheint. Wenn es einem gut geht, dann ist das eher selbstverständlich, und man ist stolz auf seine eigenen Errungenschaften.
Dass auch da Gott seine Hand im Spiel haben könnte, wird einem, solange es einem gut geht, nicht so schnell bewusst.
Und darum ist es gut, sich zu erinnern, wenn plötzlich ein Ereignis in unsere Lebenswirklichkeit einbricht, das alles zunichte zu machen scheint.
Jeremia hat das getan. „Gottes Barmherzigkeit hat noch kein Ende,“ sagt er, „sie ist alle Morgen neu.“ Er weiß es, auch wenn er es in diesem Moment gerade nicht sieht. Er weiß es, weil er die Geschichte kennt, die Vergangenheit. Und er hat ja Recht. Das Volk Israel durfte wieder zurückkehren, rund 60 Jahre später, und noch einmal von vorne beginnen.
Jeremia selbst hat es nicht mehr erlebt, aber deswegen hat er die Hoffnung nicht aufgegeben. „Der Herr ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen.
Und in dieser Hoffnung kann er sogar sagen: „Der Herr betrübt wohl“, aber „er erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte.
Jeremia kann in dieser Situation der Not und des Elends so weit gehen, alles, auch das Böse, aus Gottes Hand zu empfangen.
Das ist etwas, womit viele Menschen große Schwierigkeiten haben. Kann von Gott wirklich auch das Böse kommen? In einer Hinsicht ist es wohl so: denn er hat den Menschen ja mit der Fähigkeit ausgestattet, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Und er hat den Menschen mit der Freiheit ausgestattet, sich für das eine oder andere zu entscheiden. Und so kann man mit Jeremia auch sagen: Gott betrübt wohl. Er tut dies durch die Menschen, die sich dazu entscheiden, Böses zu tun.
Aber es ist nicht das Ende. Denn am Ende siegt vielmehr die Barmherzigkeit Gottes. Denn die Hilfe Gottes kommt – darauf kann Jeremia ganz fest vertrauen, und darauf können wir ganz fest vertrauen.
Manche Rückschläge, die wir erlitten haben, scheinen uns längst nicht mehr so schlimm, wenn wir auf sie zurück blicken können, weil wir erkennen, dass uns dieser Rückschlag einen neuen Weg eröffnet hat.
Da wurde die Barmherzigkeit und Güte Gottes sichtbar.
Und diese Barmherzigkeit ist durch Jesus Christus noch fester, noch sicherer, noch greifbarer geworden. Wir können uns darauf verlassen, dass Gott dazu steht. Seine Liebe zu uns kann nicht gebrochen werden. Es kann nur sein, dass wir sie vergessen.
Damit das nicht geschieht, sind wir heute hier. Wir erbitten den Segen Gottes. Wir erinnern uns an das Gute, das er an uns getan hat. Und wir wissen: was immer geschieht, wir dürfen darauf vertrauen, dass Gott treu ist, dass er uns nicht verlässt.
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
Du meine Seele, singe (EG 302)
Mir ist Erbarmung widerfahren (EG 355)
Befiehl du deine Wege (EG 361)
Was mein Gott will, gescheh allzeit (EG 364)
So nimm denn meine Hände (EG 376)
Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr (EG 382)
Freunde, dass der Mandelzweig (EG 613)


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Predigtvorschläge zu Reihe V - Hebr 10, 35-36(37-38)39

Liebe Gemeinde!
Jeden Morgen saß er am Bahnsteig auf einer Bank. Er sah die Menschen, die den Zug bestiegen, um damit zur Arbeit zu fahren. Kaum jemand stieg aus, wenn man's genau nimmt, niemand, wenigstens die meisten Tage nicht. Denn es gab wenig Arbeit im Ort, die Fabriken waren alle schon lange geschlossen, und viel Sehenswertes gab es auch nicht. Wer sollte schon hierher kommen? Wer schon im Zug saß, wollte nur zur Arbeit in die große Stadt, die von hier etwa 15 Minuten entfernt war.
So saß der alte Mann dort jeden Morgen, Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Es spielte keine Rolle, wie das Wetter war. Der Bahnsteig war überdacht, und man musste sich ja nur richtig anziehen.
Einer jungen Frau fiel dieser alte Mann auf, wie wohl auch allen anderen, die morgens herkamen und ihn schon sitzen sahen, während sie auf den Zug warteten.
Aber kaum einer von ihnen bemerkte, wie der alte Mann den Bahnsteig suchend hinabblickte, wenn der Zug eingetroffen war. Man sah ihn nur durch's Fenster noch auf der Bank sitzen, während der Zug losfuhr.
Und niemand sah ihn fortgehen, nachdem der Zug abgefahren war.
Auch wusste niemand, dass er mittags und nachmittags ebenfalls am Bahnsteig saß, immer dann, wenn ein Zug aus der gleichen Richtung am Bahnhof hielt. Es hielten ja nicht viele Züge in dem kleinen Ort.
Viele vermuteten, dass er ein Stadtstreicher sei, der nichts Besseres zu tun hätte und es sich am Bahnhof bequem gemacht hatte. Aber irgendwie passte seine Kleidung nicht dazu, und überhaupt machte der alte Mann einen gepflegten Eindruck, ganz anders, als Stadtstreicher es tun.
Und so entschloss sich eines Morgens die junge Frau, ihn anzusprechen.
„Was machen Sie hier?“, fragte sie neugierig. Der alte Mann schaute sie etwas verwundert an, so als wollte er sagen: „was willst du denn!“
Aber er konnte ihr wohl ansehen, dass sie es ehrlich meinte. Und so antwortete er:
„Ich warte.“
„Worauf?“, fragte neugierig die junge Frau.
„Auf meine Frau“, sagte der alte Mann.
Bevor die junge Frau weiter fragen konnte, rutschte er etwas zur Seite und lud sie ein, sich neben ihn zu setzen. Dann begann er zu erzählen:
„Vor sechs Jahren bin ich mit meiner Frau hierher gegangen, um sie zu verabschieden. Sie wollte ihre Mutter besuchen, hatte sie gesagt. Und: 'Ich komme bald wieder.' Das hatte sie auch gesagt. Ich höre es noch, als wäre es gestern gewesen. Ich komme bald wieder.
Sie stieg in den Zug, der dorthin fährt.“ Er deutete in die Richtung, aus der der Zug gleich kommen würde. Dann fuhr er fort:
„Ich habe seither nichts von ihr gehört. Sie ist nie bei ihrer Mutter, die im Übrigen inzwischen gestorben ist, angekommen, hat jedenfalls ihre Mutter gesagt. Ich habe eine Vermisstenanzeige aufgegeben, aber niemand hat sie gesehen, die Polizei konnte mir nicht helfen.
Ihre Schwester meinte, ich solle sie für tot erklären lassen. Aber das kann ich nicht tun. Ich weiß, dass sie lebt und wiederkommen wird. Denn wir haben uns geliebt.“
In dem Moment kam der Zug. Die junge Frau verabschiedete sich nachdenklich und stieg in den Zug.
Und der alte Mann sah, wie jedes Mal, wenn der Zug am Bahnsteig hielt, den Zug entlang, ob nicht doch seine Frau aussteigen würde. Und insgeheim freute er sich schon auf das Wiedersehen.

Können Sie sich in den alten Mann hinein versetzen? Würden Sie es so wie er machen und wochen-, monate- oder gar jahrelang auf die geliebte Person warten? Nicht nur bei sich zu Hause, sondern dort, wo Sie diese Person das letzte Mal gesehen haben?
Vermutlich würde jeder irgendwann, und sicher nicht erst nach sechs Jahren, aufgeben und sich wieder dem Alltag zuwenden. Und dem alten Mann würde man vermutlich auch schon erklärt haben, dass das, was er tut, unvernünftig ist. Aber er würde es wohl kaum akzeptieren.

(Darum) Werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat. Geduld aber habt ihr nötig, damit ihr den Willen Gottes tut und das Verheißene empfangt. »Denn nur noch eine kleine Weile, so wird kommen, der da kommen soll, und wird nicht lange ausbleiben. Mein Gerechter aber wird aus Glauben leben. Wenn er aber zurückweicht, hat meine Seele kein Gefallen an ihm« (Habakuk 2,3.4). Wir aber sind nicht von denen, die zurückweichen und verdammt werden, sondern von denen, die glauben und die Seele erretten. (Hebr 10, 35-39)
So lautet unser Predigttext für den heutigen Sonntag.
Werft euer Vertrauen nicht weg...
Genau darum ging es auch in der Geschichte, die ich gerade erzählt habe. Der alte Mann vertraute dem Versprechen seiner Frau. Sie hatten sich so sehr geliebt, dass er nicht glauben konnte, dass sie ihn belügen würde. Und darum hörte er nicht auf, auf sie zu warten.

In unserem Predigttext geht es allerdings nicht um das Verhältnis zwischen Mann und Frau, sondern um unser Verhältnis zu Gott. Es geht darum, dass wir Gottes Zusagen Vertrauen schenken, auch dann, wenn alles dem zu widersprechen scheint.
Niemand kann uns sagen, ob und wann Gott kommen wird. Es bleibt immer eine Frage des Vertrauens. Und man kann schon ganz gut verstehen, wenn Menschen nach einer Weile – immerhin sind es ja schon nahezu 2000 Jahre – ins Grübeln kommen und sich denken, dass Gott sein Versprechen wohl doch nicht einhält.

Seit rd. 2000 Jahren wartet die christliche Gemeinde auf das Kommen des Herrn.
Wir warten darauf, dass er der Ungerechtigkeit, dem Neid, dem Hass, der Missgunst ein Ende setzt.
Wir warten darauf, dass sein Reich Alles in Allem ist, dass es alles fortnimmt, was unser Leben belastet: kein Leid mehr, keinen Kummer, ja, auch den Tod nicht mehr.
Wir warten darauf, dass Gott sich in all seiner Herrlichkeit offenbart. Tun wir das wirklich?
Wenn wir das tun, dann sind wir jedenfalls so unvernünftig wie der alte Mann, der sich tagaus, tagein zum Bahnsteig begab und auf seine Frau wartete, von der er seit Jahren kein Lebenszeichen mehr empfangen hatte.
Was ihn dazu trieb war die Liebe, die er für sie empfand, auch nach so vielen Jahren der Trennung. Er gab nicht auf.
Und was treibt uns?
Ist es das Verlangen nach einer besseren Welt?
Ist es die Hoffnung auf ein Jenseits, in dem wir nichts entbehren müssen? Ist es die Sehnsucht nach der Liebe, mit der Gott uns begegnet ist? „Wir sind von denen, die glauben und die Seele erretten“ (Hebr 10, 39b), so sagt es der Verfasser des Hebräerbriefes. Mit diesem „Wir“ meint er uns.
„Wir sind von denen, die glauben.“ Ob unser Glaube nun klein oder groß ist, spielt dabei gar keine Rolle, zumal wir dafür ja auch keinen Maßstab haben. Es genügt zu glauben, dass Gott zu seinen Versprechen steht, dass er sie einhält.
Gott kommt, das ist gewiss, das hat er uns zugesagt. Was durch Jesus Christus zeichenhaft sichtbar wurde, wird zuletzt allen Menschen offenbar werden.
Und doch scheint es mir oft, dass wir eher zu denen gehören, die schon längst alle Hoffnung aufgegeben haben, die ihr Vertrauen wegwarfen schon vor langer Zeit.
Aber müssten wir dann nicht ganz aufgeben, wenn es nichts gäbe, auf das es sich zu hoffen lohnt? Müssten wir dann nicht aufhören, Gottesdienst zu feiern? Müssten wir nicht aufhören, uns für die Schwachen in unserer Gesellschaft und in der Welt einzusetzen?
Denn ganz offensichtlich ist der Mensch ja sowieso nicht in der Lage, alles zum Guten zu wenden. Zigtausende Flüchtlinge, vor denen man ängstlich die Grenzen, die jahrzehntelang offenstanden, wieder versperrt, anstatt ihnen hier Raum zu geben, sprechen eine Sprache, die deutlicher nicht sein kann.
Tausende von Menschen, die täglich verhungern oder an durchaus heilbaren Krankheiten sterben, nur weil die Pharmaindustrie nicht bereit ist, ihre Medikamente diesen Menschen zugänglich zu machen, zeigen, dass der Mensch es nicht kann.

Gottes Liebe zu uns ist unermesslich. Nur neigen wir dazu, an ihr zu zweifeln, weil wir meinen, Gott müsse unsere Arbeit tun. Wir erwarten von ihm, was wir zu tun schuldig sind, weil er uns doch zuerst geliebt hat.
Aber das wird nicht funktionieren. Es liegt an uns, die Liebe Gottes allen Menschen zu offenbaren, in unserem Handeln, mit unseren Worten. Und so hören wir nicht auf, wir werfen unser Vertrauen nicht weg.
Wir stellen uns denen in den Weg, die Angst schüren, und stehen denen zur Seite, die in Not sind.
Dazu treibt uns die Liebe Gottes, die allen Menschen gilt. Wir tragen sie in unseren Herzen.
Amen
oder
Liebe Gemeinde, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden!
»Ihr habt die Wahl«, sage ich zu einer Gruppe Konfirmandinnen und Konfirmanden. »Ihr könnt entweder Gemeindebriefe austragen, oder wir machen ganz normalen Konfirmandenunterricht.« Alle rufen aufgeregt durcheinander: »Ich will Gemeindebriefe austragen!« »Ich auch!« »Ich auch!« und so weiter. Die Hefte sind schon so in Stapel aufgeteilt, dass jede Zweiergruppe nach etwa eineinhalb Stunden fertig sein dürfte. Die Paare haben sich schnell gefunden und nehmen ihre Stapel in Empfang. Dann schwärmen sie in alle Richtungen aus.
Am nächsten Morgen bekomme ich einen Anruf: »Wissen Sie was, ich habe heute doch tatsächlich zwischen den Büschen in meinem Garten einen ganzen Haufen Gemeindebriefe gefunden! Wer macht denn so etwas und wirft die einfach weg, und dann auch noch in meinen Garten?« Ich wüsste die Antwort schon, aber ich verkneife sie mir. Nach einigem Hin und Her mache ich mich auf, um die Briefe wieder abzuholen, soweit sie noch brauchbar sind.
Durch einen zweiten Anruf erfahre ich, dass ein kompletter Stapel Gemeindebriefe in einer Mülltonne gelandet ist. Und einige Tage später mehren sich die Anrufe von Menschen, die den Gemeindebrief nicht bekommen haben, obwohl mittlerweile manche andere ihn in Händen halten. Ist da vielleicht jemand von den Austeilern krank geworden?
Ich weiß schon, was passiert ist. Natürlich ist niemand krank geworden. Einige der Konfirmandinnen und Konfirmanden hatten die Gemeindebriefe einfach nicht ausgetragen. Darüber bin ich natürlich sehr enttäuscht. Ich hatte den Konfirmandinnen und Konfirmanden vertraut, dass sie ihre Aufgabe ausführen würden. Immerhin hatten Sie dafür die Zeit bekommen, die sie sonst im Konfirmandenunterricht gewesen wären. Es war also kein Verlust für sie gewesen, wenn sie diese Aufgabe erfüllt hätten. Aber ein Teil der Konfirmanden hatte es wohl für eine willkommene Gelegenheit gehalten, blau zu machen. Sie dachten nur an ihre eigene Freizeit, die sie auf diese Weise gewinnen konnten, und vergaßen dabei völlig, dass ich natürlich davon erfahren würde, wenn sie die Gemeindebriefe nicht austeilten, sondern einfach wegwarfen.
Für mich ist eines klar: ich kann den Konfirmandinnen und Konfirmanden nicht mehr vertrauen. Der Versuch, in der nächsten Konfirmandenstunde durch Befragung herauszubekommen, wer alles die Gemeindebriefe nicht ausgetragen hat, schlug fehl. Keiner wollte es zugeben. Dabei war es für mich recht einfach, rauszubekommen, wer die Briefe nicht ausgetragen hatte. Aber die Enttäuschung war doppelt: zum einen hatten sie versprochen, dass sie die Gemeindebriefe austeilen würden, und zum andern hatten sie mich nun auch noch angelogen.
Im Konfirmandenunterricht entsteht eine lange Diskussion. Am Ende, so habe ich den Eindruck, haben sie erkannt, dass ich enttäuscht bin, und auch, dass sie ihre Verantwortung nicht wahrgenommen haben.
Ich weiß nicht, ob ich es noch mal probieren soll, denn immerhin sind die Gemeindebriefe ein wichtiges Mittel, mit den Mitgliedern der Gemeinde zu kommunizieren. Sie erhalten dadurch wichtige Informationen aus dem Gemeindeleben.
Aber ich gebe nicht auf. Drei Monate später, als der nächste Gemeindebrief fertig ist, wird ein neuer Versuch gestartet. Und diesmal klappt es. Mein Vertrauen wird belohnt. Ich freue mich, und in der nächsten Konfirmandenstunde findet eine kleine Feier statt.

Vertrauen ist wichtig. Es ist die Grundlage zum Leben. Denn nur wenn wir Vertrauen haben, können wir auch Risiken eingehen. Und nur, wenn wir Risiken eingehen, kommen wir weiter. Ohne Vertrauen könnte jeder nur für sich allein leben. Denn wenn ich niemandem mehr vertrauen kann, muss ich vor jedem Angst haben. Und Angst frisst die Seele auf - so hat es einmal ein kluger Afrikaner formuliert.
In der Bibel wird oft von Vertrauen gesprochen, denn das Wort, das wir mit Glauben übersetzen, kann genauso gut auch mit Vertrauen übersetzt werden.
Eine Stelle, in der dieses Vertrauen im Mittelpunkt steht, finden wir im Brief an die Hebräer. Es ist unser Predigttext. Dort heißt es:
Werft euer Vertrauen nicht weg! Denn wenn ihr Vertrauen habt, werdet ihr eine große Belohnung empfangen.
Das hört sich schon mal gut an. Eine Belohnung will doch wohl jeder haben. Und wenn man dafür nichts anderes tun muss als Vertrauen...
Aber das ist eben das Problem. Ich kann nicht jedem Menschen vertrauen. Niemand kann das. Zu oft wird man enttäuscht. Und in diesem Fall ist es mit dem Vertrauen ja noch besonders schwierig. Denn wem soll ich vertrauen? Gott natürlich! Und Gott, naja, an den glauben kleine Kinder und alte Omas, aber alles, was dazwischen liegt, weiß doch Bescheid: Gott gibt es gar nicht.
Aber so einfach wollen wir es uns mal nicht machen. Immerhin winkt ja eine Belohnung. Also sollten wir vielleicht doch mal schauen, ob es einen Grund gibt, Gott zu vertrauen, mit anderen Worten: an ihn zu glauben.
Aber da fallen mir erstmal all die Sachen ein, die nun wirklich nicht zum Vertrauen einladen: Gott hat z.B. nichts gegen die Flut unternommen, die tausende von Menschen obdachlos gemacht hat. Er unternimmt nichts dagegen, dass täglich tausende von Kindern verhungern. Er hat nichts dagegen unternommen, dass die Flugzeuge in das World Trade Center rasten. Den einen hat er bei der Mathe-Arbeit im Stich gelassen - wieder eine 5. Und er könnte doch eigentlich auch dafür sorgen, dass man mal ein paar nettere Lehrer bekommt, die alles nicht so verbissen sehen.
Aber nein, Gott kümmert sich nicht. Es scheint ihm ganz egal, was mit uns passiert.
Aber ich frage mal anders rum: was wäre denn, wenn Gott sich kümmern würde? Wenn er alle unsere Probleme lösen würde? Es wäre toll - auf den ersten Blick zumindest. Aber es würde alles nicht so glatt gehen, wie wir es uns vorstellen. Denn ich bin ja nicht der einzige, der Wünsche hat.
Während ich mir etwa wünsche, dass ihr Konfirmandinnen und Konfirmanden das, was wir mit Euch erarbeiten, auch in die Tat umsetzt, wünscht Ihr Euch sicher, dass die Konfirmation ganz ohne Unterricht möglich wäre. Während Ihr Euch z.B. den Mathe- Lehrer wegwünscht, wünscht sich dieser Mathe-Lehrer, Euch mehr für das Fach Mathe begeistern zu können. Während wir möglichst billig einkaufen wollen, möchten die Menschen in den Ländern, von denen wir unsere Rohstoffe und Nahrungsmittel beziehen, mehr Geld für ihre Prdoukte haben. Und so geht die Liste weiter und weiter. Es gibt immer zwei Seiten. Wessen Wünsche soll Gott nun erfüllen?
Ich denke, es ist offensichtlich, dass es so einfach nicht ist. Gott hält sich da raus, weil die meisten Probleme, mit denen wir zu tun haben, ja erst von uns selbst verursacht. Selbst die Flutwelle, die so viele Häuser zerstörte, ist zurückzuführen auf unsere fortwährenden Bemühungen , die Natur unseren Wünschen und Bedürfnissen anzupassen. Warum soll Gott diese Suppe auslöffeln? Ist das nicht unsere Aufgabe?
Natürlich ist es das. Wir müssen schon selber zusehen, unsere Probleme in den Griff zu kriegen. Das heißt nun nicht, nach Mitteln zu suchen, wie man z.B. unliebsame Lehrer aus dem Weg räumen kann, sondern es heißt, Wege zu suchen, wie man ein besseres Verhältnis zu diesem Lehrer bekommen kann.
Die Probleme in den Griff zu kriegen heißt nicht, die Augen zu schließen und zu sagen: ich kann sowieso nichts ändern, sondern zu sagen: ich will es wenigstens versuchen, z.B. die Situation der Menschen in den armen Ländern zu verbessern. Ich will mich besser informieren, ich will nach Gleichgesinnten Ausschau halten, mit denen zusammen ich dann auch mehr erreichen kann.
Das ist nicht einfach, das erfordert Mut, und es erfordert Durchhaltevermögen. Werft euer Vertrauen nicht weg... diese Worte haben wir vorhin gehört, und diese Worte bekommen jetzt erst einen richtigen Sinn:
Wenn wir versuchen, unsere Probleme selbst anzupacken und zu beseitigen, dann kommt es schon vor, dass es uns zu viel wird. Wir schaffen es nicht und wollen aufgeben, vielleicht auch gerade darum, weil wir keine Hilfe erfahren. Es ist, als ob wir ganz allein wären.
Aber das sind wir nicht. Gott ist da, um uns zu helfen, wenn es nicht mehr weitergeht. Er macht uns neuen Mut, so dass wir nicht aufgeben müssen. Die einzige Bedingung: vertrauen. Vertrauen, dass Gott uns beisteht, dass er da ist, auch wenn wir ihn weder sehen noch fühlen können. Auf Gott vertrauen, auch und gerade dann, wenn alle anderen sagen: Gott? Den gibt es doch gar nicht!
Wenn wir so an Gott festhalten, dann werden wir auch bald unsere Mitmenschen mit ganz anderen Augen sehen. Der gemeine Lehrer wird zum Menschen, der genauso von Gott geliebt ist, wie ich es bin. Darum ist er dann nicht mehr mein Feind, sondern kann zum Freund werden - und plötzlich fällt das Lernen viel leichter. Der Konfirmandenunterricht ist nicht mehr eine nervtötende Begleiterscheinung der ansonsten ja recht lukrativen Konfirmation, sondern eine wichtige und hilfreiche Möglichkeit, mehr über Gott zu erfahren und Wege zu erlernen, wie ich besser mit meinen Mitmenschen umgehen kann.
Und es macht Freude, zu sehen, wenn andere Menschen nicht mehr ihre Augen schließen und sagen: da kann ich doch sowieso nichts ändern, sondern beginnen, mitzuhelfen, wenn wir uns für Menschen in anderen Ländern einsetzen.
Darum: Werft euer Vertrauen nicht weg! Denn wenn ihr Vertrauen habt, werdet ihr eine große Belohnung empfangen.
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
Ich möcht', dass einer mit mir geht (EG 209)
Lob Gott getrost mit Singen (EG 243)
Was mein Gott will gescheh allzeit (EG 364)
Ich steh in meines Herren Hand (EG 374)
Ja, ich will euch tragen (EG 380)
Herr, du hast mich angerührt (EG 383)
Bei dir, Jesu, will ich bleiben (EG 406)
Vertrauen wagen (NB-EG 607)


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Predigtvorschläge zu Reihe M - 2. Kön 4, 18-37 i.A.
Apg 12, 1-11
früher:
Jes 38, 9-20
Röm 4, 18-25

Zu Jesaja 38, 9-20:

Die Krankheit des Königs Hiskia war keine Strafe. Hiskia war vielmehr ein König, der auf die Worte Gottes hörte und der darum von Gott reich belohnt werden müsste.
Andererseits war er natürlich auch Politiker, der in einer unruhigen Zeit lebte und darum immer wieder politisch kluge Entscheidungen treffen musste – meist waren es Kompromisse, denn das kleine Volk Juda war nicht mehr stark genug, um sich gegen die großen Mächte der Umgebung durchzusetzen. Aber es blieb das Volk Gottes, und daran hielt dieser König fest.
Die Assyrer hatten weite Teile des Nahen Ostens erobert, manche ehemals unabhängige Staaten waren Vasallen geworden, andere erkannten die Macht der Assyrer durch die Zahlung von Tributen an. Dazu gehörte auch das Volk Juda, das sich anfangs nicht an dem Aufstand der umliegenden Völker gegen die Assyrer beteiligt hatte. Es war aber zu erwarten, dass Sanherhib, der König der Assyrer, sich das ganze Gebiet unterwerfen würde, sollte es zu weiteren Aufständen kommen. Im Jahre 701 machte sich Sanherib zu einem Feldzug auf, in dem er die Stadt Jerusalem lange belagerte. Wie einen Vogel in einen Käfig habe man den König Hiskia eingeschlossen, so berichten die Geschichtsschreiber der Assyrer und beschreiben damit die lange Belagerung der Königsstadt Jerusalem.
Der Rabschake, der der Feldherr der Assyrer war, verhöhnte den Gott Israels. Hiskia wandte sich an den Propheten Jesaja und zu Gott. Er betete:
„Herr, neige deine Ohren und höre doch, Herr, tu deine Augen auf und sieh doch! Höre doch alle die Worte Sanheribs, die er gesandt hat, um den lebendigen Gott zu schmähen.”
Gott verheißt daraufhin die Errettung Judas und verspricht durch den Propheten Jesaja, dass die Assyrer die Stadt Jerusalem nicht erobern werden.
Als die Bedrohung dann tatsächlich vorüber ist, wird Hiskia todkrank (Jes 38,1). Jesaja sagt ihm dazu noch: „Bestelle dein Haus, denn du wirst sterben und nicht am Leben bleiben.” Wenn der Prophet Gottes so überzeugt ist vom kommenden Ende, was bleibt dann noch zu tun als sein Haus zu bestellen?
Aber Hiskia wollte dieses Schicksal nicht einfach so hinnehmen. Er betete weinend auf seinem Lager: „Gedenke doch, Herr, wie ich vor dir in Treue und ungeteilten Herzens gewandelt bin und habe getan, was dir gefallen hat.”
Daraufhin sagt Gott ihm durch den Propheten Jesaja noch fünfzehn weitere Lebensjahre zu.
Hiskia wird wieder gesund und singt das Lied, das wir eben gehört haben.
Er stellt in diesem Gebet dar, was er erfahren hatte. In der Mitte seines Lebens sollte er sterben, und er deutet dies aus der Sicht dessen, der in seinem Leben immer auf Gott vertraut hat:
Ich werde den Herrn nicht schauen im Lande der Lebendigen.
Mit vielen Worten malt er diese Tatsache aus:
„meine Hütte ist abgebrochen” - dabei ist natürlich nicht der königliche Palast gemeint, sondern Hiskias Leben. Es ist schon beachtlich, dass er sein Leben nur als eine Hütte bezeichnet – denn was ist das Werk eines Menschen vor Gott? Was man in seinem Leben geschaffen, ja, gebaut hat – es kann nicht mehr als eine Hütte sein in den Augen des Allmächtigen. Aber er als König: hat er nicht viel erreicht? Demütige dich vor deinem Gott
„Zu Ende gewebt habe ich mein Leben wie ein Weber; er schneidet mich ab wie ein Faden.” So banal, so einfach, so bedeutungslos ist das Ende. Es ist für den Weber ein alltäglicher Handgriff, nichts Außergewöhnliches. Aber: nicht der Faden ist das Leben, sondern das Tuch, das daraus gewebt wurde. Wer weiß, wozu es gut ist?
Doch Hiskia sieht es nicht so – denn er kann nicht auf ein vollendetes Lebenswerk zurückschauen. Er sieht nur Fragmente, Bruchstücke, die letztlich bedeutungslos zu sein scheinen.
„Ich zwitschere wie eine Schwalbe und gurre wie eine Taube”. Diese Töne sind in seinen Ohren ein Lob Gottes. Wozu sollen die Geschöpfe denn sonst Stimmen haben, wenn nicht, um ihren Schöpfer damit zu loben?
So hatte auch Hiskia seine Stimme erhoben – wie das Zwitschern einer Schwalbe oder das Gurren einer Taube. Nichts anderes als das Lob des Schöpfers wollte er damit singen, und nun bettete er darin eine Bitte ein: Herr, ich leide Not, tritt für mich ein! Herr, lass mich wieder genesen und leben!
Zwischen diesen beiden Rufen erklingt das scheinbar Unwiderrufliche: „Er hat's getan!” Gott hat es getan. Wer kann sich dem in den Weg stellen? Ist es nicht doch richtig, sich dem Schicksal zu ergeben?
Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobt – diese Worte, die wir aus Hiob's Mund kennen, könnten auch die Worte des Hiskia sein. Es ist die Hingabe zu Gott im tiefen Leid, die hier spürbar wird. Alles aus seiner Hand nehmen, Gutes wie Böses. Denn wir können ja doch nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.
Aber etwas anderes klang an, am Anfang, als Hiskia vom Lande der Lebendigen sprach. Können die Toten überhaupt noch Gott loben? Die meisten Menschen glaubten damals, dass die Toten nur von Finsternis umgeben wären.
„Im Tode gedenkt man deiner nicht; wer wird dir bei den Toten danken?”, (Ps 6, 6) heißt es im 6. Psalm. Wie können Tote mit Gott in Verbindung treten?
Konnte Hiskia also eine solche Hoffnung haben, wie wir sie haben können durch die Auferstehung Jesu Christi?
Wohl kaum. Wenig später wird er selbst ganz ähnliche Gedanken äußern: „die Toten loben dich nicht.”
Und darum nimmt er sein Schicksal ja auch nicht widerstandslos hin. Er akzeptiert nicht die Endgültigkeit der Worte des Propheten. Und so wie wir daran glauben, dass wir auch im Tode noch in den Händen Gottes geborgen sind, so glaubte Hiskia, dass die Hand Gottes ihn vom Tod erretten könnte.
Und dennoch hören wir noch die verzweifelte Feststellung:
„Siehe, um Trost war mir sehr bange.”
Kein Wunder eigentlich, nachdem der Prophet Jesaja so kühl und distanziert den Willen Gottes offenbart hatte. „Bestelle dein Haus, denn du wirst sterben und nicht am Leben bleiben.” Daran ist nichts Trostvolles. Und Jesaja scheint auch keinen Trost zu haben. Er ist ja auch nur der Überbringer, er ist der Prophet, der Bote Gottes – er ist kein Seelsorger.
In dieser Situation, da es dem Hiskia um Trost so sehr bange war, da wendete er sich Gott zu. Denn woher sonst konnte er Trost erwarten, wo selbst der Prophet Gottes kein Wort des Trostes mehr für ihn hatte? Von Gott erhoffte und erbat er nun Barmherzigkeit. Und er bekam sie.
Das Lied wendet sich:
„Du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen” - herzlich angenommen. Da spürt man plötzlich eine Nähe und Wärme, die so ganz anders ist als das „Bestelle dein Haus.”
„Herzlich”, das heißt von Herzen, und man könnte auch sagen: aus Liebe, zumindest aber: in liebevoller Hinwendung hat sich Gott seiner Seele angenommen.
So wenig wie die Krankheit als Strafe verstanden wurde, so wenig wurde die Genesung als Belohnung empfunden – denn wofür?
Hiskia sieht sich als einen Menschen, der vor Gott nicht bestehen kann, und stellt fest: „du wirfst alle meine Sünden hinter dich zurück.” Das hätte er selbst nie schaffen können.
Gott macht uns rein, er lässt uns in seinem Licht stehen. Hiskia ist sich bewusst, dass er ein sündiger Mensch ist, auch wenn er sich stets zu Gott gehalten hat. Kein Mensch kann „nur gut” sein. Und selbst wenn er es zu sein scheint, dann kann auch in diesem Gutsein noch Falsches liegen, das wir nur im Moment nicht erkennen.
Wir brauchen nur ein wenig nachforschen, unter welchen Bedingungen viele der Dinge, die wir kaufen und täglich benutzen, hergestellt wurden, dann werden wir erkennen, dass wir schon im Alltäglichen schuldig werden an unseren Mitmenschen, seien sie nun nah oder fern. Niemand ist ohne Schuld.
Noch einmal erinnert Hiskia an das, was er vielleicht doch im Geheimen als ein gutes Argument gebraucht hat: „Die Toten loben dich nicht, der Tod rühmt dich nicht, und die in die Grube fahren, warten nicht auf deine Treue; sondern allein, die da leben, loben dich so wie ich heute.” (Jes 38, 18)
Wir sehen das etwas anders. Im 1. Petrusbrief heißt es: Christus „ist hingegangen, zu predigen den Geistern im Gefängnis” (1. Petr 3, 19), und etwas weiter lesen wir: „Dazu ist auch den Toten das Evangelium verkündigt, dass sie zwar nach Menschenweise gerichtet werden im Fleisch, aber nach Gottes Weise das Leben haben im Geist.” (1. Petr 4, 6)
Die Toten haben das Leben im Geist und können darum auch Gott loben. Sie bleiben nicht stumm, sondern wenden sich Gott zu und bitten, dass er komme, um sein Reich zu vollenden.
Hiskia lebt, und so bleibt für ihn nur, alle Menschen aufzufordern, mit ihm zu singen und zu spielen im Hause des Herrn!
Wie schnell neigt der Mensch dazu, die Güte Gottes zu vergessen. Für Hiskia war die Genesung ein Wunder. Denn am Anfang stand das Wort des Propheten: bestelle dein Haus, du wirst sterben. Und am Ende stand das Wort: du wirst noch fünfzehn Jahre leben.
Abgesehen davon, dass wohl niemand gerne so genau wissen möchte, wann sein Tod kommt, war diese Botschaft Grund zur Freude, und diese Freude wollte Hiskia Gott gegenüber zum Ausdruck bringen. Denn die Ursache der Freude kam von Gott her.
Wir leben unser Leben nicht nur für uns. In allem, was wir tun, haben wir ein Gegenüber, und das ist der lebendige Gott. Auf seine Gnade dürfen wir vertrauen.
Amen

Zu Apg 12, 1-11:
Als er die Augen aufschlug, sah er um sich eine fremde Umgebung. Das war nicht sein Schlafzimmer; das war nicht die geblümte Tapete, die er Jahr für Jahr jeden morgen nach dem Aufwachen angesehen hatte, sondern die Wände waren mit Pastellfarben gestrichen, die beruhigend wirkten, und das Bett, in dem er lag, war viel höher als sein eigenes. An dem typischen rollenden Bettschränkchen erkannte er schließlich, dass er in einem Krankenhaus liegen musste. Aber er konnte sich nicht daran erinnern, wie er dorthin gekommen war. Während er noch versuchte, die Erinnerung wieder zu erlangen, trat der Arzt in das Krankenzimmer. "Guten Tag, Herr Schulze!" sagte er. "Gut, dass Sie wieder aufgewacht sind. 4 Tage waren Sie ohne Bewusstsein!"
"Was, 4 Tage? Aber was ist denn passiert?", wollte Herr Schulze jetzt wissen. "Nun," antwortete der Arzt, "Sie sind eine Treppe hinuntergestürzt. Sie wollten wohl gerade den Müll rausbringen, da sind Sie an der obersten Stufe ausgerutscht und die Treppe runtergefallen. Dabei wurde ihre Wirbelsäule verletzt." Herr Schulze horchte auf. Langsam kroch Angst in ihm hoch. Er hatte also einen Unfall gehabt! Und ganz harmlos kann es nicht gewesen sein, sonst würde er sich doch daran erinnern! Schließlich fragte er zaghaft: "Wie schlimm ist es denn, Herr Doktor?"
"Tja, wir haben Ihre Wirbelsäule stabilisiert, aber der Nerv ist verletzt. Sehr wahrscheinlich werden Sie in Zukunft einen Rollstuhl brauchen."
Wie ein Todesurteil polterten die Worte auf ihn herab. Herr Schulze wollte nicht mehr leben. Er war 60 Jahre alt, aber er hatte sich nie richtig alt gefühlt. Er war ein vitaler Mann gewesen, der viele Dinge im Haus selbst repariert hatte und selten von anderen abhängig war. Als seine Frau vor zwei Jahren gestorben war, hatte ihn das schwer getroffen, aber er hatte sich damit getröstet, dass sie bestimmt gewollt hätte, dass er so weiterlebt wie bisher. Das hatte er auch getan. Aber jetzt? Was für einen Sinn hatte sein Leben noch?
Unser heutiger Predigttext erzählt von einer ähnlichen Situation:
Um diese Zeit legte der König Herodes Hand an einige von der Gemeinde, sie zu mißhandeln. Er tötete aber Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert. Und als er sah, dass es den Juden gefiel, fuhr er fort und nahm auch Petrus gefangen. Es waren aber eben die Tage der Ungesäuerten Brote. Als er ihn nun ergriffen hatte, warf er ihn ins Gefängnis und überantwortete ihn vier Wachen von je vier Soldaten, ihn zu bewachen. Denn er gedachte, ihn nach dem Fest vor das Volk zu stellen. So wurde nun Petrus im Gefängnis festgehalten; aber die Gemeinde betete ohne Aufhören für ihn zu Gott. Und in jener Nacht, als ihn Herodes vorführen lassen wollte, schlief Petrus zwischen zwei Soldaten, mit zwei Ketten gefesselt, und die Wachen vor der Tür bewachten das Gefängnis. Und siehe, der Engel des Herrn kam herein, und Licht leuchtete auf in dem Raum; und er stieß Petrus in die Seite und weckte ihn und sprach: Steh schnell auf! Und die Ketten fielen ihm von seinen Händen. Und der Engel sprach zu ihm: Gürte dich und zieh deine Schuhe an! Und er tat es. Und er sprach zu ihm: Wirf deinen Mantel um und folge mir! Und er ging hinaus und folgte ihm und wußte nicht, dass ihm das wahrhaftig geschehe durch den Engel, sondern meinte, eine Erscheinung zu sehen. Sie gingen aber durch die erste und zweite Wache und kamen zu dem eisernen Tor, das zur Stadt führt; das tat sich ihnen von selber auf. Und sie traten hinaus und gingen eine Straße weit, und alsbald verließ ihn der Engel. Und als Petrus zu sich gekommen war, sprach er: Nun weiß ich wahrhaftig, dass der Herr seinen Engel gesandt und mich aus der Hand des Herodes errettet hat und von allem, was das jüdische Volk erwartete.
Für Petrus sah es nicht gut aus. Jakobus war einer der Führer gewesen der christlichen Gemeinde in Jerusalem, Petrus war die andere herausragende Person. Offenbar wollte Herodes die Führer umbringen, um so zum einen die Gunst des Volkes zu gewinnen, zum anderen aber sich selbst eine lästige Plage vom Hals zu schaffen. Aus irgendeinem Grunde hielt Herodes den Petrus für eine so wichtige Person, dass er ihm rund um die Uhr 4 Wachen zugesellte, im Ganzen also 16, so dass jede Wache nur 6 Stunden Dienst tun musste - so war gewährleistet, dass sie immer wach und auf der Hut waren. Zudem wurde er mit 2 schweren Ketten festgebunden. Eine aussichtslose Situation für Petrus, und er hat sich wohl auch in sein Schicksal gefügt. Gott hatte Jakobus nicht geholfen, warum sollte er ihm jetzt helfen?
Mit diesem Gedanken schlief Petrus ein, in Ketten gelegt, nahezu unbeweglich, umgeben von zwei Wachen, und weitere zwei Wachen draußen vor der Tür der Gefängniszelle.
Dann taucht plötzlich der Engel Gottes auf, löst die Ketten und fordert ihn auf, die Schuhe und den Mantel anzuziehen, das Leben wieder in Angriff zu nehmen, nicht aufzugeben. Der Engel führt ihn heraus aus der Enge des Gefängnisses durch das Tor der Burg, in der Petrus gefangen lag, in die Stadt hinaus. Sie gingen noch ein Stück, und dann verschwand der Engel. Bis dahin war Petrus nicht bewusst geworden, was ihm widerfuhr. Er hielt es für einen Traum. Nun aber begriff er: er war befreit worden! Sein Tod war doch nicht unvermeidlich gewesen!
Es leuchtet wohl ein, dass wir diese Geschichte nicht einfach auf uns übertragen können. Denn natürlich stehen wir nicht in einer ähnlichen Situation. Wir werden nicht verfolgt, wir sind keine Gefangenen, wir sehen dem Tod nicht derart ins Auge, dass wir wüssten, dass wir am nächsten Tag sterben müssten. Darum habe ich nach Ansatzpunkten gesucht, diese Geschichte auf ähnliche Situationen zu übertragen, und bin dabei auf Schicksale gestoßen wie das von Herrn Schulze. Auch er geriet unversehens in eine ausweglose Situation, der Tod war ihm plötzlich unmittelbar vor Augen gerückt, denn ein Leben im Rollstuhl konnte er sich einfach nicht vorstellen.
Was mich an der Geschichte von der Befreiung des Petrus besonders beeindruckt hat, ist die Liebe zum Detail. Es hätte ja genügt, zu sagen, dass der Engel kam und ihn befreite, vielleicht auch noch, dass er ihn in die Stadt hinausführte. Aber es wird genau beschrieben, was geschah: der Engel weckt Petrus, indem er ihn in die Seite stößt, die Ketten fallen von ihm ab, der Engel fordert Petrus auf, zuerst die Schuhe und dann den Mantel anzuziehen, und dann gehen sie an den Wachen vorbei hinaus.
Es ist eine Geschichte der Befreiung, aber nicht nur: es ist auch eine Geschichte der Fürsorge Gottes. Gott ruft uns heraus aus der Enge, die uns gefangen hält, aber er tut es nicht, ohne uns auch auszurüsten mit den Dingen, die wir brauchen, um hinauszugehen. Die Befreiung ist trotz allem ein schrittweiser Prozess.
Gefangene sind wir im Grunde schon alle: Angst veranlasst uns, Dinge zu tun, die wir eigentlich nicht tun wollen. Körperliche Beschwerden zwingen uns, unsere Aktivitäten zu reduzieren - wir werden Gefangene unserer eigenen Schwachheit. Misstrauen verkleinert den Kreis derer, die unser Vertrauen genießen, und damit unserer Freunde. Wir werden zu Gefangenen unserer eigenen Ängste.
Und nun taucht der Engel Gottes auf. Er löst die Ketten, fordert uns auf, uns anzuziehen, zuzurüsten für das, was vor uns liegt. Wie kann das konkret aussehen? Wenn wir Angst haben, bedeutet dies ja, die Angst zu überwinden, Mut zu fassen und vorwärts zu schreiten, dem ins Gesicht zu sehen, was uns Angst macht. Der Engel Gottes ist bei uns, er führt uns hindurch.
Am schwersten aber ist es sicher für viele von uns, mit den zunehmenden körperlichen Gebrechen fertig zu werden. Ungerne nehmen wir die Hilfe anderer in Anspruch. Immer wieder erfahre ich das, wenn ich Glieder unserer Gemeinde besuche, die eigentlich gerne aktiver am Gemeindeleben teilnehmen möchten, aber aus eigener Kraft nicht mehr können und sich nicht trauen, um Hilfe zu bitten. Der Engel Gottes fordert uns auf, die Gemeinde in Anspruch zu nehmen. Darum versammeln wir uns ja als Gemeinde, weil wir bereit sind, füreinander da zu sein und füreinander einzustehen. Diese Bereitschaft, einander zu helfen, müssen wir aber auch immer wieder deutlich machen, sonst weiß niemand, wen er in Anspruch nehmen kann.
Dadurch dass unser Vertrauen oft missbraucht wurde, wächst das Misstrauen. Man möchte sich ungerne anderen Menschen anvertrauen, weil man fürchten muss, dass das Anvertraute weitergetragen wird. Am Ende kommt es dadurch zu Missverständnissen, vielleicht sogar zu handfestem Krach. Das möchten wir vermeiden. Der Engel Gottes fordert uns auf, einander zu vertrauen. Dadurch können wir andere Menschen gewinnen, mit uns und für uns zu beten.
Es tut gut, sich anderen Menschen anvertrauen zu können. Es ist wichtig, dass wir immer wieder beweisen, dass man uns vertrauen kann. Das Anvertraute vor Gott bringen: Ja, aber vor andere Menschen: Nein. Nur so können wir zu einer tragfähigen Gemeinschaft werden.
Viele Ketten binden uns. Wenn der Engel Gottes herantritt und die Fesseln löst: stehen wir dann auf, gehen wir mit ihm aus unserer Gefangenschaft heraus, oder sagen wir lieber: ich will hier bleiben, denn ich fürchte mich vor dem, was da draußen ist?
Herr Schulzes Leben ist noch nicht zu Ende. Er hat noch viele Jahre vor sich, in denen er trotz seiner Behinderung sehr aktiv sein kann. Das hat er erkannt, als der Engel Gottes ihn in die Seite stieß und zu ihm sagte: Zieh dich an und folge mir!
Amen.

Liedvorschläge zur Predigt:
zu Jes 38, 9-20:
Nun lob, mein Seel, den Herren (EG 289)
Morgenglanz der Ewigkeit (EG 450)
Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen (EG 518)
Ach wie flüchtig, ach wie nichtig (EG 528)
Wer weiß, wie nahe mir mein Ende (EG 530)
Zu Apg 12, 1-11:
Von Gott will ich nicht lassen (EG 365)
In dir ist Freude (EG 398)
Welcher Engel wird uns sagen (HN-/KHW-EG 559)
Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe (HN-/KHW-EG 638; NB-EG 585;

LPfGLieder und Psalmen für den Gottesdienst - Ergänzungsheft zum EG 2018
17)
Fürchte dich nicht (NB-EG 595)


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