das Kirchenjahr

Vorletzter Sonntag im Kirchenjahr

Weltgericht

Predigtbeispiele

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Zu den Perikopen

Predigtvorschläge zu Reihe I - Hiob 14, 1-6(7-12)13(14)15-17

Liebe Gemeinde!
Hiob geht es extrem schlecht. Wir alle kennen seine Geschichte: als frommer Mann war er von Gott gesegnet mit Reichtum und einer großen Familie. Aber dann wollte ein Engel Gottes, Satan, ihn auf die Probe stellen, um zu beweisen, dass er nur deswegen fromm war, weil es ihm so gut ging. Hiob verlor seine 10 Kinder, seinen Besitz, zuletzt auch seine Gesundheit. Drei Freunde suchen ihn auf, um ihm beizustehen. Das Gespräch zwischen den dreien ist interessant, aber es bleibt unbefriedigend. Hiob beharrt darauf, dass er sich nichts hat zuschulden kommen lassen und darum eine solche Strafe nicht verdient. Seine Freunde wollen ihm deutlich machen, dass es möglich ist, unbewusst und unwillentlich schuldig zu werden, und dass Hiob vielleicht in seiner Vergangenheit doch Dinge getan hat, die sein jetziges Schicksal rechtfertigen. Hiob lehnt diesen Vorwurf kategorisch ab, und es scheint, als ob er dazu auch das Recht hat. Sein Lebenswandel war, so schreibt es die Bibel, rechtschaffen, es gab also nichts an ihm auszusetzen, er hat die Gebote Gottes genau befolgt.
Der Text, den wir gerade aus dem Buch Hiob gehört haben, ist weniger eine Klage als eine verzweifelte Bitte. Hiob stellt fest, was wir alle schon wissen: unser Leben ist begrenzt, Gott allein weiß, wann es zu seinem Ende kommt, und Gott selbst bestimmt auch, wann es zu Ende sein wird. Das Leben, die Spanne zwischen Geburt und Tod, ist für Hiob kein Zuckerschlecken, und auch hier können wir ihm sicher zustimmen. Es ist voller Unruhe, man macht sich Sorgen, immer wieder liegen plötzlich Hindernisse auf dem Weg, die man nicht erwartet hat. Viel Mühe macht einem das Leben, und sicher ist es so, dass man nicht immer verhindern kann, etwas falsch zu machen. Aber ist das denn meine Schuld? Sind es nicht die Umstände, die mich manchmal dazu zwingen? Und wenn ich etwas falsch gemacht habe, dann gehe ich doch auch hin und bitte den, dem ich Unrecht tat, um Vergebung. Ich bemühe mich also, alles richtig zu machen. Ist es dann gerecht, dass Gott jede Minute meines Lebens bis ins Detail unter die Lupe nimmt und mir meine Fehler vorhält, ja, mich womöglich sogar noch dafür bestraft? Reicht es nicht, dass ich immer wieder vor neuen Hindernissen stehe, die zu überwinden mich immer viel Mühe kosten? Habe ich so nicht schon genug Strafe erlitten?
In diesen Gedanken Hiobs, die wir leicht nachvollziehen können, kommt ein Gefühl zum Ausdruck, das, so denke ich, in allen Menschen existiert, teilweise wohl nur unterbewusst, teilweise ist dieses Gefühl aber überaus stark und macht manchem das Leben schwer. Es ist schlicht und ergreifend Angst, Angst vor Gott, Angst vor der Allmacht Gottes, Angst vor seiner Allgegenwart.
Wer möchte schon gerne seine geheimsten Geheimnisse preisgeben? Ich bin sicher, dass es in eines jeden Leben Dinge gibt, die sie oder er noch nie einer anderen Person erzählt hat, selbst dem eigenen Ehepartner nicht. Es sind Dinge, die wir lieber mit in unser Grab nehmen, wie es so schön heißt. Wir möchten von diesen Dingen nicht erzählen, weil wir wissen, dass wir da etwas falsch gemacht haben, und wir wissen auch, dass wir diesen Fehler nie wieder begehen werden, soweit es in unserer Macht steht, weil wir ja wissen, dass es falsch war. Wir lernen ja aus unseren Fehlern. Darum: weg damit, Schwamm drüber, vergessen, begraben.
Aber es gibt eben doch einen, dem wir nichts vormachen können und vor dem wir diese Dinge nicht verbergen können: Gott sieht in die dunkelsten Ecken unseres Lebens. Wir sind ihm ausgeliefert, denn er deckt auf, wessen wir uns schämen, er zeigt mit dem Finger drauf. Da kann man sich schon mal wünschen, so wie Hiob, dass Gott einen in Ruhe lässt. Haben wir nicht schon genug Sorgen? Muss er da noch alte Wunden aufreißen und, so scheint es, genussvoll darin wühlen, dass der Schmerz einen zum Wahnsinn treibt?
Ja, er muss es tun. Denn wenn wir diese dunklen Seiten aus unserem Leben verdrängen, werden wir früher oder später glauben, dass wir perfekt sind, dass wir in der Lage sind, alles aus eigener Kraft zu vollbringen und vor allem richtig zu machen. Und das stimmt einfach nicht, denn das Vergangene bleibt ja, es ist Bestandteil unseres Lebens.
Gott deckt die dunklen Seiten auf. Er will, dass wir uns dieser finsteren Ecken unseres Lebens bewusst werden. All die Dinge, deren wir uns jetzt wohl schämen, die wir ungeschehen machen würden, wenn wir es könnten - aber sie bleiben ja - sollen wir nicht vergessen. Wir können sie nicht aus der Welt schaffen. Dazu kommt, dass wir immer wieder mal ungewollt etwas falsch machen, oder dass dann doch einmal das andere ich, das »alter ego«, durchbricht und Dinge tut, die wir später bereuen, in dem Moment aber durchaus willentlich tun. Und schon haben wir anderen Menschen oder der Schöpfung Gottes Schaden zugefügt.
Gott deckt unsere dunklen Seiten auf, aber gerne sehen wir das nicht unbedingt. Mir macht jedenfalls der Gedanke schon Angst, denn wenn Gott dann, für alle hörbar, von all den Dingen redet, die ich lieber ganz hinter mir lassen möchte, vielleicht sogar sie vor den Augen der anderen, die mit mir vor dem Richterstuhl versammelt sind, sichtbar werden lässt... das möchte ich nicht, dagegen sträubt sich alles in mir. Die Vorstellung davon ist schon grausam, ja brutal. Warum also kann Gott mich nicht in Ruhe lassen?
Er lässt uns nicht in Ruhe, weil er will, dass wir erkennen, dass wir Hilfe brauchen. Er will, dass wir uns nicht auf uns selbst verlassen, dass wir uns nicht dem Trugschluss hingeben, wir könnten uns selbst retten. Aber Gott drängt dazu nicht sich uns auf, sondern er drängt uns selbst uns auf. Er hält uns den Spiegel vor, damit wir erkennen: all das bin ich, nicht nur die guten Seiten, die ich gerne von mir in Erinnerung behalte, sondern auch die schlechten Seiten, die ich lieber verdränge, gehören dazu, alles zusammen macht mich zu der Person, die ich bin. Wenn Gott mir diesen Spiegel vorhält, dann tut er es aber nicht in der Öffentlichkeit. Es ist eine Sache zwischen ihm und mir. Und wenn er auf meine Schwachstellen gezeigt hat, dann bietet er mir auch seine Hilfe an. Es ist so einfach, und doch bin ich so oft zu stolz, diese Hilfe anzunehmen: er ist da, Jesus Christus, Gottes Sohn, für alle unsere Schuld ans Kreuz geschlagen, der kommt, zu richten die Lebenden und die Toten, aber nicht so, wie wir es oft erwarten, sondern so, als wäre er selbst schuldig und nicht wir. Denn er ist es, der unsere Schuld auf sich genommen hat. Wenn ich die Hilfe dieses Richters annehmen, dann kann ich getrost sagen: Ja, lass Gott mein Sündenregister hervorholen, all die kleinen und vielleicht auch großen Sünden; denn Jesus Christus nimmt dieses Register und lädt es sich selbst auf. Er nimmt es mir ab. Ich brauche davor keine Angst mehr haben.
Meist geht es uns nicht so wie Hiob. Ein so großes Leid wird selten einem Menschen zugemutet. Auch sichern wir uns nach allen Ecken hin ab, materielle Verluste werden meist durch Versicherungen aufgefangen. Für viele ist es so, dass Gott erst dann die alten Dinge aufdeckt, wenn wir vor seinen Richterstuhl treten. Um zu verhindern, dass wir unser Leben darum, weil es uns gut geht, in Selbstsicherheit verbringen, hatte die alte Kirche die Praxis der regelmäßigen Beichte eingeführt. Durch die Beichte konnte man sich seine eigene Schuld wieder bewusst machen, und man konnte sich der Vergebung durch Jesus Christus versichern. Weil die Praxis der Beichte missbraucht wurde, hat sie die lutherische Kirche zwar übernommen, aber nicht mehr so weiter praktiziert, wie es zur Zeit der Reformation üblich war. In unserer Zeit, in der das Gefühl, alles selbst schaffen zu können und auch schaffen zu müssen, immer stärker wird, halte ich die Beichte für wert, neu entdeckt zu werden. Ich möchte Ihnen Mut machen, diese Möglichkeit zu nutzen; nichts, was der Pfarrer im seelsorgerlichen Gespräch hört, darf an die Öffentlichkeit gelangen, er ist darum die Person Ihres Vertrauens. Natürlich kann man auch im stillen Kämmerlein vor Gott seine Beichte ablegen, aber die Vergebung kann man, so denke ich, leichter annehmen, wenn sie von einer anderen Person zugesprochen wird.
Wenn wir einmal einen Versuch wagen, werden wir erkennen, dass es unendlich erleichtert, sich diese Lasten von der Seele reden zu können.
Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist die Zeit des Heils.
Amen

Die nachfolgende Predigt wurde im Jahr 2012 gehalten zu der Perikope Hiob 14, 1-6 (am Drittletzten Sonntag des Kirchenjahres):
Liebe Gemeinde!
Meine Mutter starb, als ich 12 Jahre alt war. Ihr Grab war auf einem Friedhof etwa 200 km von hier. Vor rund 20 Jahren wurde das Grab eingeebnet. Nachdem wir von dort weggezogen waren – wenige Jahre nach ihrem Tod – war ich nur noch einmal an ihrem Grab gewesen. Es war ordentlich gepflegt, was wir Freunden zu verdanken hatten, die noch an dem Ort lebten. Inzwischen sind auch sie gestorben.
Nun gibt es nur noch wenig, das an meine Mutter erinnert. Ein paar Fotos, die unseren Kindern nichts sagen, weil sie sie nie kennen gelernt haben. Ein paar Briefe und Aufzeichnungen sind unter meinen Geschwistern verteilt.
Mein Gedächtnis bringt manche Bilder hervor und manche Momente, die ich mit ihr geteilt habe. Aber diese Erinnerungen verblassen nach und nach. Wenn ich sterbe, wird es auch diese Erinnerungen nicht mehr geben. Es ist, als stürbe sie mit mir ein zweites, ein letztes Mal.
Es ist ganz so, wie Hiob es mit wenigen Worten beschreibt:
Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht.
Flieht wie ein Schatten – ein dunkles, beängstigendes Bild.
Aber eigentlich ist das noch nicht alles, denn mit diesem Los wäre Hiob ja noch ganz zufrieden gewesen. Nein, selbst dieses kurze Leben, dieses so unbedeutende Leben, das wie ein Schatten dahin flieht, wird von Gott noch malträtiert, indem er vor Gericht gezogen und erbarmungslos verurteilt wird. Muss das sein?
Wir kennen das Schicksal des Hiob. Der Begriff Hiobsbotschaft vermittelt uns etwas von dem, was er erlebt hat. Zuerst wurde seine Rinder und Esel geraubt und die Knechte erschlagen, dann fiel Feuer vom Himmel, wie es heißt, und vernichtete seine Schafe und deren Hüter. Dann wurden die Kamele geraubt, und wieder wurden die Knechte, die sich um die Tiere kümmerten, getötet. Schließlich erfährt Hiob, dass alle seine Kinder umkamen, als ein Sturm das Haus, in dem sie feierten, zum Einsturz brachte.
Hiob antwortete auf diese Botschaften mit den Worten: „Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobt.“ (Hiob 1, 21b) Schließlich wird Hiob krank, Geschwüre bedecken seinen Körper. Alles, was kommen kann, war gekommen. Nur der Tod nicht. Doch den sehnt sich Hiob herbei. Denn was hat er noch zu erwarten? Woran kann er sich noch freuen?
Seine Frau ist ihm keine echte Hilfe. Sie fordert ihn auf, Gott abzusagen und zu sterben; aber so einfach ist das nicht. Vielmehr bekräftigt Hiob noch einmal seinen Glauben, sein Vertrauen in Gott: „Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?“ (Hiob 2, 10b) antwortet er seiner Frau.
Drei Freunde suchen ihn auf und versuchen, das Unheil, das über Hiob gekommen ist, zu erklären. 'Du hast dich gegen Gott versündigt', meinen sie, und darum wirst du jetzt bestraft. Aber Hiob ist sich keiner Schuld bewusst, und so antwortet er mit den Worten unseres Predigttextes, aus denen eine tiefe Todessehnsucht spricht. Denn was ist schon das Leben eines Menschen? Was bleibt von ihm? Wie eine Blume, deren Blüte bald wieder abfällt, so ist der Mensch. Er vergeht, es bleibt nichts.
Manches Mal gehen mir ähnliche Gedanken durch den Kopf: Welchen Wert hat mein Leben überhaupt? Vor allem: was bleibt davon? Kann ich vielleicht nicht doch irgendwo ein Denkmal setzen – kein steinernes Denkmal, keine Bronzestatue oder so, sondern etwas, das in Erinnerung bleibt nicht nur bei denen, die ihr Leben mit mir geteilt haben, sondern darüber hinaus? Etwas, das über viele Generationen hinweg eine Bedeutung hat für viele Menschen?
Aber wozu, frage ich mich dann. Warum kann ich nicht zufrieden sein mit dem, was mir geschenkt ist? Es ist doch gar nicht so wichtig, dass sich Menschen lange an mich erinnern. Auch sie werden sterben. Es würde nur etwas länger dauern, bis mein Name, wie der unzähliger anderer, in Vergessenheit gerät.
Unsere Kirche ist angefüllt mit Epitaphien. Die meisten sind in Stein gehauen. Sie dienten dem Zweck der Erinnerung für lange Zeit. Mühsam kramen wir heute in den Chroniken, wenn wir etwas über die Menschen, an die sie erinnern, erfahren wollen. Aber kennen tun sie wir dann noch lange nicht. Wer weiß etwas über August Adolph von Heimburg? Oder über Anna Sophia Overlack?
Die Geschichte der „zärtlichsten Gemahlin und liebreichsten Mutter“, der Charlotte Wilhelmine von Rohd (geb. Wallenrodt), deren Epitaph lange Zeit hinter der Kanzelwand hing und nun wieder seinen Platz in der Nähe ihres Grabes gefunden hat, ist zwar bewegend. Aber sie hat nichts davon, wenn wir uns mit ihrer Geschichte vertraut machen.
Wozu also die Mühe? Ist es nicht sogar besser, einfach vergessen zu werden? Denn wenn es nichts gibt, was an einen erinnert, dann werden auch nicht die Dinge, die man eigentlich selbst schon lieber vergessen möchten, ans Licht kommen können.
Nun hat Hiob nicht mit Menschen zu tun, sondern mit Gott. Das versuchen auch seine Freunde, ihm klar zu machen. Und dazu kann Hiob nur sagen, dass Gott ihn doch lieber vergessen soll, weil das Leben, das er lebt, ja doch nichts wert ist.
Andererseits ist Hiob der festen Überzeugung, dass er von Gott ungerecht behandelt wird. Immer wieder entgegnet er seinen Freunden, dass sie mit ihrer Vermutung, er sei selbst schuld, falsch liegen. Er hat sich nichts zuschulden kommen lassen. Es gibt kaum einen frommeren Mann als ihn.
Das stellt in der Einleitung des Buches Hiob Gott selbst fest, als er Satan fragt: „Hast du Acht gehabt auf meinen Knecht Hiob? Denn es ist seinesgleichen nicht auf Erden, fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und meidet das Böse.“
Ein besseres Zeugnis kann einem Menschen doch nicht ausgestellt werden – und dazu auch noch von Gott!
Aber Hiob weiß nichts davon, denn er ist irdisch, und was sich da zwischen Satan und Gott abspielt, das ist himmlisch, weit entfernt. Es spielt letztlich ja auch keine Rolle. Gott lässt das Böse zu, es gehört zu unserer menschlichen Existenz, es ist so irdisch wie das Gute, das wir tun, und damit muss Hiob, damit müssen wir fertig werden.
Letztlich geht es nur um Eines: wie wir uns in solch einer Situation zu Gott stellen.
Hiobs Frau will, dass er sich von Gott lossagt und stirbt. Tolle Aussichten sind das – so als ob die Frau wüsste, dass Gott alles Übel zulässt, nur nicht den Tod Hiobs. Wenn er sich von Gott lossagte, dann würde er auch endlich sterben können.
Obwohl aus Hiobs Worten eine tiefe Todessehnsucht spricht, will er sich doch nicht so einfach aus der Affäre ziehen. Er will viel lieber Recht bekommen. Und darum streitet er mit seinen Freunden. In Wahrheit ist es ein Streit mit Gott.
Er sieht es nicht ein, dass er für etwas bestraft wird, was er nicht getan hat, und verlangt letztlich von Gott, dass er diesem Spuk ein Ende macht, indem er die Karten offen auf den Tisch legt.
„Der Allmächtige antworte mir!“ (Hiob 31, 35) ruft er aus; er will wissen, wessen er angeklagt wird, dass er solch schwere Strafe zu ertragen hat, damit er sich verteidigen kann. Ich glaube, dass wir alle ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Eine Zeit lang geht es uns gut, es gibt keinen Grund zur Klage. Doch dann stürzt ein Ereignis über uns herein, das allen Mut schwinden lässt. Wir fragen: warum muss das mir geschehen? Und dann auch: Warum lässt Gott das zu? Kann er mich nicht in Ruhe lassen?
Manche Menschen tun das, was die Frau Hiobs von ihrem Mann verlangt: sie sagen Gott ab, sie wollen von ihm nichts mehr wissen. Wenn er so etwas zulässt, kann ich nicht mehr an ihn glauben.
Man glaubt, es dadurch leichter zu haben, denn man muss sich nicht mehr mit dieser ominösen Richterinstanz auseinandersetzen. Sterben, und gut ist es.
Aber so wirklich gut wird es dadurch dann doch nicht. Denn was ist das Leben wert, wenn es nur darum geht, in Ruhe gelassen zu werden, also ein möglichst ungestörtes Leben führen zu können, und dann zu sterben? Die schönsten Grabmäler, das bedeutendste Denkmal helfen nicht über den Tod hinweg.
Hiobs Schwarzmalerei ist verständlich. Das Besondere an seiner Person ist, dass es dabei nicht bleibt. Er lässt nicht zu, dass die Depression ihn überwältigt. Er fordert vielmehr Gott heraus, so lange und so intensiv, bis er schließlich eine Antwort bekommt.
Die Antwort ist aber alles andere als befriedigend. Gott macht Hiob sehr deutlich, dass er gegenüber dem Allmächtigen nichts zu melden hat. Kleinlaut antwortet Hiob:
„Siehe, ich bin zu gering, was soll ich antworten? Ich will meine Hand auf meinen Mund legen. Einmal hab ich geredet und will nicht mehr antworten, ein zweites Mal geredet und will's nicht wieder tun.“ (Hiob 40, 4f)
Doch Hiob bekommt noch eine Chance zur Antwort, und in dieser zweiten Antwort an Gott bricht die Erkenntnis hervor, die ihm trotz aller Hiobsbotschaften zum Leben verhilft:
„Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich gesehen. Darum spreche ich mich schuldig und tue Buße in Staub und Asche.“ (Hiob 42, 5f)
Hiob erinnert an dieser Stelle an den sogenannten „ungläubigen“ Thomas. 'Ich glaube erst, wenn ich gesehen habe.' Und als er sieht, fällt er auf die Knie und sagt: „Mein Herr und mein Gott.“ (Joh 20, 28) Das möchten wir wohl alle: Gott sehen. Es wäre dann ja so viel leichter, zu glauben.
Die Geschichte von Hiob aber lehrt uns, dass wir immer mit Gott rechnen können, auch dann, wenn es uns nicht gut geht, wenn uns ein schweres Leid getroffen hat, wenn wir das Gefühl haben, dass Gott uns unendlich fern ist.
„Hast Du Acht gehabt auf meinen Knecht Hiob?“ (Hiob 1, 8), war die Frage, die Gott Satan stellte. Und daraus folgt: Nichts ist Gott verborgen. Er sieht in die dunkelsten Winkel, er kennt unsere Nöte und Ängste, er weiß um unsere Hoffnungen und Sehnsüchte.
Und er ist nicht so fern, wie er damals für Hiob erschien. In Christus kam er uns spürbar nahe, er erlitt gewissermaßen das Menschsein, damit wir nie wieder die Frage stellen müssen: Gott, wo bist du?
Denn die Antwort wissen wir schon: Gott ist da, mitten unter uns. Er ist an unserer Seite, wenn wir leiden; er lässt uns nicht allein, wenn wir Angst haben; er gibt uns Grund zur Hoffnung; er steht uns bei in der Not.
Das Böse ist nicht ausgerottet. Aber es hat seinen Schrecken verloren, wenn wir uns auf diese Nähe Gottes einlassen.
Unser Leben ist nicht so vergänglich, wie Hiob es in unserem Predigttext darstellt. Wir sind keine Schatten, die nicht bleiben. Wir sind vielmehr Gottes Kinder und dürfen darauf vertrauen, dass kein Haar von uns verloren geht, von dem Gott nicht wüsste.
So bedrohlich diese Erkenntnis für Hiob geworden ist, weil er in Gott nur den Richter sehen konnte, der dazu auch noch ungerecht zu handeln schien, so sehr können wir Gott als den Gnädigen und Barmherzigen erfahren, der sich uns in unendlicher Liebe zuwendet.
Amen


Liedvorschläge zur Predigt:
Gott der Vater steh uns bei (EG 138)
Jerusalem, du hochgebaute Stadt (EG 150)
Wir warten dein, o Gottes Sohn (EG 152)
Gott rufet noch (EG 392)
Liebe, die du mich zum Bilde (EG 401)
Die Herrlichkeit der Erden (EG 527)
Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen (EG 518)
Ach wie flüchtig, ach wie nichtig (EG 528)
Fürchte dich nicht (NB-EG 595)
Wir sind mitten im Leben (

HE-EG Gesangbuch der ev. Kirchen in Hessen
651)


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Predigtvorschläge zu Reihe II - Lk 16, 1-8 (9)

Liebe Gemeinde!
Als ich den Predigttext das erste Mal las, dachte ich unweigerlich: aktueller geht es gar nicht. Denn da geht es ja um Schulden – und davon redet zur Zeit ganz Europa. Viele Länder der EU sind so hoch verschuldet, dass ihr Bankrott befürchtet wird. Ein Schuldenerlass muss her. Und der funktioniert fast so wie in dem Gleichnis, das Jesus uns erzählt: nimm deinen Schuldschein und schreibe flugs 50 statt 100.
Die Schulden werden mit einem Pinselstrich halbiert, und schon geht’s wieder. Toll. So mancher Hausbauer würde sich wohl freuen, wenn es so einfach wäre.
Es ist nicht so einfach, aber möglich. Mir fällt das Insolvenzverfahren ein, durch das die Schulden verringert werden können – aber da müssen die Gläubiger bereit sein, auf die Rückzahlung eines Teils der Schulden zu verzichten. So wie bei einer Staateninsolvenz, ist es auch für Privatleute möglich. Aber man muss dafür schon sehr pleite sein, damit man diesen Schritt zum wenigstens teilweisen Schuldenerlass gehen kann.
Und dann kommt mir noch eine andere Einrichtung in den Sinn: Das Erlassjahr (Lev. 25). Da gibt es in der Bibel tatsächlich eine Regelung, dass allen Menschen alle Schulden erlassen und die Sklaven wieder frei gelassen werden – und das soll nach 7 mal 7, also 49 Jahren geschehen, immer wieder. Jedes 50. Jahr soll so ein Erlassjahr sein und ist damit für viele eine wirklich befreiende Erfahrung. Vor 3000 Jahren wurde solch eine Regelung getroffen mit Worten, die als Weisungen Gottes formuliert sind.
Stutzig macht mich bei unserem Predigttext, dass der Verwalter den Schuldnern aufträgt, ihren Schuldschein zu ändern. Geht das denn so einfach? Das funktioniert ja selbst in der EU nicht. Die Banken anderer Länder müssen zu Hilfe eilen und ihre Bereitschaft erklären, auf einen Teil der geschuldeten Summe zu verzichten. Wenn ein Land erklärt, dass es seine Schulden nicht zurückzahlen kann, dann heißt das ja noch lange nicht, dass die Schulden erlassen sind.
Und so war es damals, vor ca. 3000 Jahren und natürlich noch lange danach üblich, dass, wer seine Schulden nicht zurückzahlen konnte, entweder ins Gefängnis geworfen wurde oder, was für den Gläubiger natürlich besser war, versklavt wurde, also der Mensch anstelle des geschuldeten Geldes in den Besitz des Gläubigers überging. Auf diese Weise konnte der Gläubiger die Arbeitskraft des Schuldners nutzen und so zu einer Rückzahlung der Schulden gelangen.
Das Erlassjahr machte solch einer Bindung dann aber ein Ende, und wenn man Glück hatte, stand das Erlassjahr gerade bevor. Die Frage ist nur, ob dieses Erlassjahr je umgesetzt wurde. Allein der Umstand, dass die Umwelt so etwas gar nicht kannte, macht es schwer, eine solche Einrichtung konsequent umzusetzen, und dann kommen natürlich die Interessen der jeweiligen Gläubiger dazu.
Die Sache mit den Schuldscheinen war damals so: Der Schuldner erhielt Waren oder Geld, und dafür stellte er einen Schuldschein aus. Dieser ging in den Besitz des Gläubigers über, damit er nicht mehr geändert werden konnte. Eine Änderung des Schuldscheines erfolgte dann, wenn ein Teil der Schuld wieder zurückgezahlt worden war. In dem Fall übergab der Gläubiger den Schuldschein zur Änderung dem Schuldner und nahm ihn danach wieder an sich.
So lässt sich das Verhalten des Verwalters erklären, und wenn man es genau betrachtet, ist es eigentlich genau das, was heutzutage z.B. mit Griechenland geschieht. Die Gläubiger sagen, dass die Regierung einen Teil ihrer Schulden als bereits getilgt ansehen darf.
Auf diese Weise versucht man, das Gefüge der Eurozone stabil zu halten, und wir werden sehen, wie gut das gelingt.
Was aber hat so eine Geschichte über Finanzpolitik in der Bibel zu suchen?
So sehr man den Eindruck haben mag: es geht hier nicht um die Finanzpolitik, sondern um den Verwalter. Ihm wird angedroht, dass er entlassen wird – und da der Verwalter offenbar so gehandelt hatte, wie ihm vorgeworfen wurde, war ihm klar, dass diese Entlassung bevorsteht, wenn alle seine Handlungen offenbar würden. Er musste also Wege finden, die es ihm ermöglichten, nach der Entlassung weiter zu existieren in einer Weise, die seinem Status und seinen Fähigkeiten entsprach. Und die waren offensichtlich auf das Verwalten beschränkt. Sicher würde er nicht mehr in diesem Beruf arbeiten müssen, da er kein brauchbares Zeugnis von seinem bisherigen Arbeitgeber bekommen würde. Mit seinen Händen zu arbeiten, traute er sich nicht zu, und betteln – dafür kam er sich dann doch zu gut vor.
Und so tat er, was er schon immer getan hatte: er verschleuderte den Besitz seines Herrn. Denn nichts anderes ist es ja, wenn er einen so massiven Schuldenerlass durchführt.
Aber mit diesem Schuldenerlass schafft er sich auch Freunde. Und darum geht es ihm ja: er braucht Menschen, die ihm ein Zuhause geben, wenn er erstmal kein eigenes Einkommen mehr hat.
Da kann man erstmal den Grundsatz, dass Freundschaft nicht käuflich ist, außen vor lassen, denn es geht eher um die moralische Verpflichtung, die der massive Schuldenerlass nach sich zieht. Der Verwalter wird den Gegenwert schon bekommen, indem er aufgenommen und versorgt wird.
Es ist verwunderlich, dass der Herr, der dies dann offensichtlich auch mitbekommt, seinen Verwalter lobt, dass er klug gehandelt habe. Wie kann der Herr ein solches Verhalten gutheißen? Immerhin hat er ja einen guten Teil seines Besitzes verschleudert!
Aber das ist es nicht, was der Herr lobt, sondern dass er sich Freunde verschaffte, also für die Zukunft vorsorgte.
Allein darum geht es in dem Gleichnis, und wenn man sich umsieht, erkennt man, dass es ähnliche Geschichten immer wieder, auch heute, gibt:
etwa die Geschichte von dem Banker, der, trotzdem er seine Bank in den Ruin wirtschaftete, am Ende doch noch ein hübsches Sümmchen für sich behalten kann;
oder die von dem Politiker, der aufgrund eines erschlichenen Doktortitels alle Ämter verliert, sich aber im Ausland eine neue Existenz mit Hilfe einflussreicher Freunde, die er vorher gewonnen hat, aufbaut.
Jesus lobt die Klugheit des Verwalters, und nicht sein betrügerisches Verhalten.
Diese Klugheit sollen wir uns zu eigen machen.
Aber wie, wenn wir nicht Betrüger werden wollen?
Nun, die Bibel gibt uns auch dafür immer wieder Hinweise. Da gibt es das Gleichnis vom Schatz im Acker: Klug ist es natürlich, diesen Schatz zu bergen, nachdem man den Acker gekauft hat.
Da gibt es auch das Gleichnis von den zehn klugen Jungfrauen, denen wir nacheifern können und wie sie einen Vorrat schaffen, damit uns das Öl für unsere Lampen nicht ausgeht – mit anderen Worten, dass wir bereit sind, wenn es soweit ist.
Und da gibt es das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden, wo wir nicht untätig bleiben, sondern alles tun sollen, um dieses anvertraute Gut zu vermehren.
Letztlich geht es immer darum, das Himmelreich für uns zu nutzen, es nicht achtlos links liegen zu lassen, sondern es zu ergreifen und daraus etwas zu machen.
Ein solches kluges Handeln folgt aus der Erkenntnis, dass ich in einer ausweglosen Situation stecke. Diese Ausweglosigkeit ergibt sich in dem Gleichnis aus der drohenden Entlassung, im wirklichen Leben ergibt sie sich aus dem Tod.
Wir können ihm nicht entrinnen, und wir wissen, dass der Tod die Grenze bestimmt, nach der es kein Zurück, keine Wiedergutmachung, keine Korrektur mehr gibt. Wie wir sterben, so werden wir vor unseren Schöpfer treten, so werden wir uns vor ihm verantworten müssen – wie immer das aussehen mag. Und wenn wir vor dem Tod nicht für dieses Ereignis Vorsorge getroffen haben, dann sind wir alles andere als klug – wir werden gewissermaßen durchfallen.
Es geht also darum, dass wir uns hier bewusst machen und dieses Bewusstsein erhalten, dass es mehr gibt als nur dieses Leben. Wir sollen uns darüber im Klaren sein, dass es nicht darum geht, uns hier abzusichern, sondern für die Zeit danach. Sucht euch Schätze, die im Himmel Bestand haben, so hat uns Jesus in der Bergpredigt aufgefordert. „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit.“
Unsere Stunden sind gezählt. Wie viele es noch sind, wissen wir nicht, aber dass sie gezählt sind, das wissen wir – genauso wie jener Verwalter.
Nun gilt es, für die Zukunft vorzusorgen, indem wir die Werkzeuge ergreifen, die uns längst zur Verfügung stehen.
Von einem Verwaltungsleiter wird erzählt, dass er, als er 60 Jahre alt wurde, plötzlich begriff, dass der letzte Abschnitt seines Lebens begonnen hatte. Und er wusste, dass er Vorsorge treffen müsste – nicht für den Tod, sondern für das, was ihn danach erwartete. Bis dahin hatte ihn kaum etwas mit dem christlichen Glauben verbunden, außer dass er Kirchensteuer zahlte. Das sollte sich ändern – er wollte mehr über Christus erfahren.
So besorgte er sich eine Bibel und begann, darin regelmäßig zu lesen. Dazu benutzte er einen der Bibellesepläne, die es ja reichlich gibt und die einem den Inhalt der Bibel nach und nach erschließen. Er besuchte auch einen Gesprächskreis in der Gemeinde, und ging häufig zu den Gottesdiensten. Auch das Abendmahl, das er früher immer merkwürdig gefunden hatte, erschloss sich ihm schließlich. Er sagte: „Ich arbeitete mich systematisch voran und war entschlossen, Christ zu werden, soweit man das so sagen kann.“
Der Glaube ist ein Geschenk Gottes durch den Heiligen Geist. Aber wir können viel dafür tun, dass er uns geschenkt wird – so wie jener Verwaltungsleiter.
Natürlich kann es nicht dabei bleiben, nur für sich selbst den Glauben zu gewinnen. Wer glaubt, wendet sich immer auch seinen Mitmenschen zu, weil er die Liebe Gottes erfährt, die allen Menschen gilt. Und diese Liebe färbt ja ab, sie motiviert dazu, andere Menschen zu lieben, was sich auf vielfältige Weise Ausdruck verschaffen kann.
Wer also so zugerüstet ist, mit Glaube und Liebe, der braucht sich vor der Zukunft nicht zu fürchten, denn er hat klug gehandelt.
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
Du solltest bringen gute Frucht (EG 145, 4-5)
Es ist gewisslich an der Zeit (EG 149 - Wochenlied)
Gott rufet noch (EG 392)
Ich weiß, mein Gott, dass all mein Tun (EG 497)
Sein sind die Güter (EG 513, 6-7)


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Predigtvorschläge zu Reihe III - 2. Kor 5, 1-10

Liebe Gemeinde!
Was wissen wir eigentlich?
Wir wissen z.B., dass die Erde rund ist. Wir wissen auch, dass diese Kirche am 1. Adventssonntag vor 132 Jahren geweiht wurde. Wir wissen noch viel mehr, auch, dass manches Wissen aus früheren Zeiten verloren ist und anderes wieder neu entdeckt bzw. aus den Archiven hervorgeholt wird.
Das sind alles Dinge, die wir mit Gewissheit sagen können, die sich beweisen bzw. bestätigen lassen. Wer solches Wissen anzweifelt, muss sich eines Besseren belehren lassen.
Aber es gibt Dinge, die wir nicht wissen können – wenigstens nicht mit Gewissheit. Was werden wohl die Menschen gedacht und gefühlt haben, als die alte Kirche hier in Sunstedt so baufällig geworden war, dass man mit den Reparaturen nicht nachkam? Wir können es nur ahnen, denn wir stecken nicht in ihrer Haut, sie sind, auch wenn es Vorfahren sein mögen, meist Fremde, von denen vielleicht hier und da etwas überliefert wurde, aber das sind eben nicht ihre Gedanken, sonder das, was sie bereit waren, niederzuschreiben und anderen Menschen zugänglich zu machen.
Wenn wir schon bei Menschen mit zunehmender zeitlicher Entfernung nicht mehr wissen können, wie sie fühlen und denken, was können wir dann wohl von Gott wissen? Es gibt wohl so viele Gottesbilder, wie es Menschen gibt – so hat es der Theologe Dr. Wilhelm Bruners formuliert, und er meint damit, dass die Lebenserfahrungen eines Menschen in sein Gottesbild, in seine Gottesvorstellung mit einfließen. Jeder Mensch hat sein eigenes Gottesbild, das sich entwickelt und fortlaufend auch ändert. Wir erinnern uns an die Vorstellungen von Gott aus unserer Kindheit und merken, dass unser Bild von Gott sich seither doch um einiges geändert hat.
In Indien hat ein Kollege von mir, der vor allem in der Grundschule Religionsunterricht erteilte, oft, aber nicht immer, von Gott in der weiblichen Form gesprochen.
„Sie ist allmächtig“, oder „sie wendet sich uns in Liebe zu“ usw. Das ist für uns sehr ungewohnt, und wir mögen das vielleicht auch gar nicht akzeptieren wollen, weil die Bibel von Gott immer in der männlichen Form spricht. Aber wenn man es sich genau überlegt: können wir Gott so festlegen? Müssten wir nicht ehrlich zugeben, dass er sich uns entzieht, je mehr wir versuchen, ihn in eine Form zu pressen, die unserer eigenen Vorstellung und unseren Wünschen entspricht? Kann das noch Gott sein, wenn er ganz so ist, wie wir ihn haben wollen?
Gott ist allmächtig, er umspannt nicht nur den Erdkreis, sondern das ganze Universum. Mehr noch: er ist der Ewige, der die Zeit in seinen Händen hält.
Und da spüren wir schon unsere eigenen Grenzen. Da wir die Zeit noch nicht einmal in ihrer Gänze begreifen können – wie sollen wir da Gott begreifen können, der die Zeit in seinen Händen hält und ihr mit einem Fingerschnippen ein Ende setzen kann?
Und dennoch wagt Paulus, im Blick auf das Reich Gottes von Wissen zu reden.
„Denn wir wissen: wenn unser irdisches Haus, diese Hütte, abgebrochen wird, so haben wir einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel.“
Wir wissen es. Mit einem schönen Bild beschreibt Paulus, was wir wissen, und man mag sich verdutzt fragen: wissen wir das wirklich? Weiß ich das? Woher nimmt Paulus diese Gewissheit?
Zum einen leitet er sie ab von seiner eigenen Lebenserfahrung, aber auch von der Erfahrung anderer: denn alle sehnen sich doch nach etwas Besserem, alle wollen frei sein von Leid und Last. Aber allein daraus etwas zu schließen, das dann zum Gemeingut für alle wird, ist doch etwas vage.
Und so begründet Paulus zunächst, wie es zu der Sehnsucht kommt: Gott hat sie in unser Herz gelegt, so wie es im Buch des Predigers heißt: „Gott hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in der menschen Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende.“
Da ist eine Spannung zwischen dem Wissen und Nichtwissen. Wir wissen etwas, das wir nicht greifen können, und das treibt uns: die Ewigkeit. Gott hat uns eine Vorahnung von dem geschenkt, was auf uns wartet und worauf wir uns freuen können.
Noch immer fragen wir uns, wie Paulus mit solcher Gewissheit sagen kann, dass es einen Bau gibt, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmelreich und das nur darauf wartet, dass wir darin einziehen.
Es ist nur ein Wort, das diese Gewissheit begründet: Glaube. Das mögen einige Menschen nicht akzeptieren wollen, denn der Glaube ist doch nicht Wissen, sondern nur eine Vermutung. Das sieht der Hebräerbrief aber anders, der vom Glauben Folgendes sagt: „Er ist eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.
Kurz: der Glaube ist Gewissheit, er ist Wissen. Ein Wissen freilich von Dingen, über die Naturwissenschaftler herzlich wenig sagen können, ein Wissen, das nicht durch Experimente bestätigt werden kann.
Paulus redet darum in der Wir-Form, er spricht die Gemeinde an, die den christlichen Glauben teilt. Mag es noch so viele Gottesbilder geben, dies ist Gewissheit: wir haben einen Bau, von Gott erbaut. Wir haben eine Heimat, die nichts Vergängliches an sich hat, sondern ewig besteht.
Das mag zwar unsere Vorstellungs- und Verstehenskraft sprengen, aber das ist dann auch gut so, denn manchmal dürfen wir einfach nur Staunen, wir müssen nicht alles verstehen können.
Der Glaube schenkt uns Zuversicht, aus ihm schöpfen wir die Kraft zum Leben, auch wenn es nicht so läuft, wie wir es uns wünschen, wenn Krankheit und Kummer an uns nagen.
„Wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen.“ (2. Kor 5, 7), sagt Paulus, und das könnte man auch so übersetzen: wir haben bereits einen Fuß im Himmelreich, aber nicht mehr. Wir sind auf einem Weg, der uns zu unserer himmlischen Behausung führt, und das macht uns getrost und zuversichtlich, ganz gleich, was um uns herum geschieht.
Erst am Ende des Predigttextes nähern wir uns schließlich dem, was die Verbindung herstellt zu der Zeit im Kirchenjahr, in der wir uns gerade befinden. Wir werden aufgerufen, alle unsere Ehre darein zu setzen, Gott zu gefallen, weil wir alle vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden müssen. Auch das gehört zur Gewissheit des Glaubens, zu unserem Wissen, das unser Leben prägt. Wir kommen an dem Gericht nicht vorbei.
Aber noch ein Weiteres gehört zur Gewissheit des Glaubens, was wir in unserem Text nicht direkt von Paulus hören: das Gericht Gottes ist nicht wie die Gerichte der Menschen. Denn auch im Gericht hilft uns unser Glaube. Das Vertrauen auf die vergebende Liebe Gottes führt immer zum Freispruch, aber natürlich nicht automatisch, sondern durch den Glauben.
Wer es nicht glauben kann, der wird sein Urteil empfangen. Wer der Liebe Gottes nicht vertrauen kann, der ist schon jetzt verloren.
Das klingt hart und unbarmherzig, aber das ist es eigentlich ganz und gar nicht. Denn Gottes Liebe ist bedingungslos. Gott erwartet nichts von uns – er hat im Gegenteil alles gegeben und lädt alle zu sich ein.
Jeder kann die Liebe Gottes annehmen, aber manchmal ist es so: Menschen denken, dass das, was umsonst ist, nichts wert ist. Und darum wenden sie sich ab – sie wollen die Liebe Gottes gar nicht annehmen. Und dann bemühen sie sich, auf irgendeine Weise ein Denkmal zu errichten, das sie überdauert. Sie versuchen, mit ihrer eigenen Kraft die Ewigkeit für sich zu gewinnen. Doch das wird nicht gelingen. Der Tod wird sie einholen – und damit das Ende.
Gottes Liebe ist so groß, dass er den Wunsch dieser Menschen, sich ihre eigene Ewigkeit zu bauen, respektiert. Er leidet wohl darunter, wenn Menschen sich entscheiden, seine Liebe nicht anzunehmen, denn er will nicht, dass auch nur ein Mensch verloren geht – aber er hat uns einen freien Willen gegeben, der uns auch von ihm weg führen kann. Diesen freien Willen respektiert er und gewährt uns volle Freiheit in unserem Tun.
Auch darum setzen wir unsere Ehre darein, dass wir Gott wohlgefallen, indem wir das Wort von seiner Liebe hinaustragen in die Welt, damit alle Menschen eingeladen werden, sich Gottes Liebe zuzuwenden.
Und damit wären wir dann auch beim morgigen Volkstrauertag: Wer Gottes Liebe gespürt und angenommen hat, der ist ein Kind des Friedens. Solche Menschen – das heißt: wir – sind keine Menschen, die mit Waffengewalt ihre Ziele durchzusetzen versuchen. Sondern wir trachten danach, allen Menschen die Liebe Gottes nahe zu bringen, die versöhnt und vergibt.
Denn wir wissen es: wenn unser irdisches Haus, diese Hütte, abgebrochen wird, so haben wir einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel.
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
Es ist gewisslich an der Zeit (EG 149 - Wochenlied)
Sonne der Gerechtigkeit (EG 262/263)
Halt im Gedächtnis Jesus Christ (EG 405)
Wenn mein Stündlein vorhanden ist (EG 522)
Valet will ich dir geben (EG 523)
Ich bin ein Gast auf Erden (EG 529)


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Predigtvorschläge zu Reihe IV - Lk 18, 1-8

Liebe Gemeinde!
Gericht Gottes: manche meinen, die letzten Tage seien längst angebrochen. Tatsächlich sind ja auch viele Zeichen zu sehen, die denen ähneln, die in der Bibel beschrieben werden, und manchmal kann man sogar staunen und sagen: ja, genau so ist es!
Bei der Pandemie oder der Klimakrise könnte man schon Parallelen zu den Schilderungen aus der Offenbarung des Johannes ziehen.
Aber steht darum wirklich das Ende der Welt unmittelbar bevor? In den vergangenen 2000 Jahren gab es zahllose Versuche, das Gericht Gottes vorherzusagen, und es gab Ereignisse, die genauso wie die Ereignisse unserer Zeit den Menschen das Gefühl gaben, dass das Ende der Welt und damit Gottes Gericht unmittelbar bevorsteht. Und immer lagen die Vorhersagen falsch, immer waren die Interpretationen der Zeichen der Zeit fehlgedeutet.
Und wir können wohl auch in dieser Zeit ganz beruhigt sein. Denn wenn das Ende naht, dann wird auch der Menschensohn kommen, und alle werden es sehen. Da kann man sich nicht mehr vertun, da kann man auch keine Zweifel mehr haben.
Aber deswegen sollte man sich wohl doch nicht beruhigt zurücklehen. Das Gericht Gottes wird kommen, es ist unausweichlich. Aber was bedeutet das für uns?
Gott wird sich nicht aufführen wie ein Richter, wie wir ihn vielleicht aus unseren Gerichten oder aus Filmen kennen. Es wird nicht darum gehen, ob und wie Gesetze gebrochen wurden. Es wird vielmehr darum gehen, wie wir unser Leben geführt haben und inwieweit unsere Lebensführung das widerspiegelt, was wir aus dem Wort Gottes empfangen haben.
Wenn man da Gesetze als Maßstab ansetzen will, dann können es eigentlich nur die beiden sein, die Jesus selbst als das höchste Gebot bezeichnet: Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft, und: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Dieses beides wird wohl der Maßstab sein, den Gott an unser Leben hält, und er wird sicher einiges finden, was dem nicht entsprochen hat. Denn Gott schaut ja in die dunkelsten Winkel, er kennt jede Sekunde unseres Lebens, keiner unserer Gedanken bleibt vor ihm verborgen.
Ist das ein Grund, zu verzagen? Ich glaube nicht. Denn wir werden ja nicht allein vor dem Richterstuhl Gottes stehen. An unserer Seite wird Jesus Christus sein. Wir müssen ihn nur festhalten, dann kann der Urteilsspruch nur ein Freispruch sein. Denn Er hat ja unser aller Sünde auf sich genommen, er hat uns vergeben und schon jetzt zu Mitbürgern der Heiligen und Gottes Hausgenossen gemacht.
Also brauchen wir uns nicht fürchten. Wohl aber gilt es, jeden Tag aufs Neue zu bedenken, ob wir unser Leben so führen, dass wir Gottes Willen folgen und Liebe üben, wo immer sich dazu eine Gelegenheit ergibt. Es ist klar, dass wir das nicht immer schaffen werden, aber dann, wenn wir uns wenigstens bemüht haben, können wir getrost auf die vergebende Liebe Gottes vertrauen. Denn er will ja nicht den Tod des Sünders, sondern dass er umkehre und lebe.
Und genau das ist es: jeder Tag ist ein Tag der Umkehr zu Gott hin. So hat es Martin Luther in der ersten seiner 95 Thesen ja auch gesagt, indem er davon sprach, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll.
In allem, was wir tun, reden und denken, sollen wir uns dessen bewusst sein, dass Gott all unsere Gedanken kennt, dass er uns sieht, dass wir an ihm nicht vorbei kommen.
Aber es ist auch wichtig, dass wir das nicht als Bedrohung empfinden, sondern vielmehr als Zuspruch und Trost. Denn es gibt doch nichts Besseres, als in Gottes Hand zu fallen. Es gibt nichts Schöneres, als von den liebenden Armen unseres Herrn Jesus Christus umfangen zu werden. Wenn wir uns irgendwohin flüchten müssten, dann doch geradewegs in die Arme unseres Gottes. Denn er ist unsere Erlösung, er ist die Liebe, er ist Gnade.
Unser Predigttext, den die neue Perikopenordnung für diesen Sonntag vorgibt, mag uns allerdings zunächst auf eine andere Fährte führen.
Er steht bei Lukas im 18. Kapitel:
Jesus [Er] sagte den Pharisäern [ihnen aber] ein Gleichnis darüber, dass sie allezeit beten und nicht nachlassen sollten, und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen. Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher! Und er wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich selbst: Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue, will ich doch dieser Witwe, weil sie mir soviel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage.
Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt! Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er's bei ihnen lange hinziehen? Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze.
Doch wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden?

Lk 18, 1-8
Ich habe mir den Kopf zerbrochen, wie dieser Text zum großen Thema dieses Sonntags, dem Weltgericht oder Jüngsten Gericht, passt. Eigentlich, so dachte ich, passt er viel besser zum Sonntag Rogate: Betet!
Aber erinnern wir uns an das, was ich kurz zuvor gesagt habe: „Wenn wir uns irgendwohin flüchten müssten, dann doch geradewegs in die Arme unseres Gottes.“
Nun hat die Witwe in unserem Predigttext ja eigentlich Recht, sie hat das Richtige getan bzw. ihr ist Unrecht widerfahren, und nun steht sie vor dem Dilemma, ihr Recht bei einem ungerechten Richter einklagen zu müssen.
Und das scheint geradewegs aussichtslos, denn wer weiß, ob der Beklagte nicht längst den Richter bestochen hat. Und außerdem ist sie doch völlig bedeutungs- und machtlos, sie könnte nichts gegen den Richter tun, außer ihn vielleicht ins Gesicht schlagen. Aber ich denke mal, dass das zu den eher unwahrscheinlichen Szenarien gehört.
Und dennoch: Die Witwe besteht darauf, drängt und bittet, ruft und fleht, damit ihr Recht widerfährt. Und schließlich hat sie Erfolg: der ungerechte Richter lässt sich doch dazu bewegen, ihr Recht zu sprechen.
Es ist schon fast unerhört, dass Jesus in seiner Interpretation dann den ungerechten Richter als Platzhalter für Gott selbst versteht. Denn Gott mag ja vieles sein, aber eines ist er ganz gewiss nicht: ungerecht.
Aber darauf kommt es auch nicht an. Jesus will uns auf etwas Anderes hinweisen: Die Witwe schafft es nämlich, durch ihr Bitten selbst einen ungerechten, vielleicht sogar bestochenen Richter dazu zu bewegen, ihr Recht zu sprechen. Um wieviel mehr und wieviel schneller wird es Gott tun, der ein gerechter Richter ist, wenn wir ihn nur darum bitten!
Eigentlich müssten wir uns ja in die Rolle der Witwe versetzen, aber wir merken, dass es auch da einer Korrektur bedarf: denn wir sind nicht im Recht. Vielleicht schon in der einen oder anderen Sache, aber im Kern, und vor allem vor Gott, sind wir Sünder.
Bestenfalls können wir sagen: Wir sind unnütze Knechte, wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren. (Lk 17, 10) Wenn man das Ganze unseres Lebens betrachtet, müssten wir eigentlich bestraft werden.
Aber Gott hat ja selbst durch Jesus Christus unser Recht erwirkt, weil er seine Schöpfung so sehr liebt. Er hat uns Recht geschaffen. Und da merken wir den wundersamen Wechsel, den Gott selbst verursacht und der uns ins Recht gesetzt hat, obwohl wir eigentlich schuldig gesprochen werden müssten, und hat den zum Sündenbock gemacht, der von keiner Sünde wusste.
Jesus fordert seine Hörer auf, zu beten, und zwar um Gerechtigkeit. Und er verspricht uns, dass Gott damit nicht lange hinziehen wird. Er wird sich nicht wie ein ungerechter Richter dagegen wehren, er wird nicht sagen: ‚Was willst du kleiner, unbedeutender Wicht von mir?‘ Sondern er wird sagen: ‚Komm zu mir, denn du bist mir lieb und wert, du sollst bei mir wohnen und ich will bei dir wohnen. Ich will alle Tränen von deinem Angesicht wischen, ich will dein Gott sein.‘
Dazu fällt mir ein Text aus den Schriften Martin Luthers ein, genauer aus der Auslegung des Magnifikat von 1521, wo er schreibt:
Weil Gott der Allerhöchste und und nichts über ihm ist, mag er nicht über sich und auch nicht neben sich sehen. Weil ihm niemand gleich ist, muss er notwendig in sich selbst und unter sich sehen. Und je tiefer jemand unter ihm ist, um so besser sieht er ihn. Aber die Welt- und Menschenaugen sind widersinnig in ihrem Tun. Sie sehen nur über sich und wollen aufsteigen zur Ehre, zur Gewalt, zum Reichtum, zur Kunst und zu gutem Leben. Und wo solche Leute sind, da hängt ihnen jedermann an. Da läuft man hin. Da dient man gern und will der Höhe teilhaftig werden. Aber in die Tiefe will niemand sehen, wo Armut, Schmach, Not, Jammer und Angst sind. Da wendet jedermann die Augen ab. Da flieht, da scheut, da lässt man sie, und niemand denkt daran, ihnen zu helfen und beizustehen. Da ist kein Schöpfer unter den Menschen, der aus dem Nichts etwas machen will. Darum bleibt allein Gott solches Ansehen, das in die Tiefe, in Not und Jammer sieht, und ist all denen nahe, die in der Tiefe sind.(Schriften, 7. Band, S. 547; zitiert nach T.A. Seidel (Hg.), „Luther Brevier für jeden Tag”, S. 332)
Vor Gott ist die unbedeutende Witwe, die sich ihm zuwendet und von ihm Recht erbittet, wichtiger und wertvoller als der Millionär, der sich von den besten Anwälten vertreten lässt. Denn wer meint, sich selbst retten zu können, der verliert seine Seele.
Es bleibt etwas Beunruhigendes an unserem Predigttext. Denn im letzten Satz sagt Jesus: „Doch wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden?“ (Lk 18, 18)
Im Lukas-Evangelium gibt es eine ganze Reihe von Sätzen, die irgendwie merkwürdig anmuten, wo man nicht weiß, wie man sie verstehen oder wie man auf sie reagieren soll. Dieser Satz gehört dazu. Meinst du, der Menschensohn werde Glauben finden auf Erden?
Unvermittelt kommt es hier zur persönlichen, individuellen Anrede, so als sei er zu einem einzelnen Menschen gesprochen, während Jesus vorher immer eine Menge anredet, indem er „ihr“ und „euch“ sagte.
Ich denke schon, dass diese Veränderung Absicht ist. Denn plötzlich wird der Blick weggelenkt von den Pharisäern, die zuerst angesprochen waren und denen das Gleichnis erzählt wurde, und es bleibt am Schluss, nachdem Jesus das Gleichnis gedeutet hatte, nur noch einer, nämlich die Person, die das Evangelium liest.
Lukas benennt ja „seinen“ Leser ganz am Anfang seines Evangeliums: er heißt „Theophilus“. Viele Ausleger meinen, dass Lukas damit alle Menschen anspricht, die sich daran machen, sein Evangelium zu lesen. „Theophilus“ heißt ja schlicht „Gottesfreund“, und ich denke, wir alle sind solche Gottesfreunde. Wir alle sind Theophilus. Und uns allen ist die Frage gestellt.
Wie antworten wir auf die Frage: Meinst du, der Menschensohn werde Glauben finden auf Erden?
Die Frage ist eine „Ja/Nein“-Frage, sie muss nicht ausschweifend (und damit vielleicht auch ausweichend) beantwortet werden. Und sie ist an jeden von uns gerichtet.
Ich glaube nicht, dass sie zum Ziel hat, zu erfahren, ob es außer dem Leser oder der Leserin noch andere Glaubende gibt. Es ist vielmehr die Frage: „Wirst Du das glauben, wenn die Stunde gekommen ist?“
Und unsere Antwort wird ein „Ja“ sein. Denn wir können ja nicht wissen, was und wie andere glauben. Wir können aber für uns selbst sprechen. Ja, wir glauben, dass Du, Gott, uns Recht sprechen wirst. Wir glauben, dass Du all unsere Sünde weggenommen und an das Kreuz deines Sohnes geheftet hast. Wir glauben, dass Du uns freisprichst, wenn wir vor Deinem Richterstuhl stehen, um Jesu Christi willen.
Und darum können wir auch ganz getrost dem Gericht entgegen schauen, ja, wir können uns sogar darauf freuen! Denn wir haben dank unseres Herrn Jesus Christus nichts zu fürchten.
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ (EG 246)
Vater unser im Himmelreich (EG 344)
Befiehl du deine Wege (EG 361)
Wenn wir in höchsten Nöten sein (EG 366)
Das könnte den Herren der Welt ja so passen (EG 550)
Harre, meine Seele (NB-EG 593; KHW-/HN-EG 611)
Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehen (KHW-/HN-EG 640;

LPfGLieder und Psalmen für den Gottesdienst - Ergänzungsheft zum EG 2018
30)


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Predigtvorschläge zu Reihe V - Mt 25, 31-46

Liebe Gemeinde,
Es ist kein Gleichnis, dieses Wort vom Weltgericht, keine Parabel, die für etwas anderes steht. Es heißt nicht am Anfang: Das Himmelreich ist gleich... oder so ähnlich. Es ist vielmehr ein Wort Jesu Christi, ein beängstigendes, ja, vielleicht sogar bedrohliches Wort. Und ein Wort, das vom Evangelisten Matthäus ganz bewusst an eine herausragende Stelle gesetzt wurde: unmittelbar vor die Passionsgeschichte. Dieses Wort vom jüngsten Gericht kann insofern fast wie ein Vermächtnis Jesu angesehen werden – Letzte Worte gewissermaßen.
Die Androhung eines Gerichtes macht Angst, und das kann auch mit dieser Erzählung vom Weltgericht passieren. Aber das muss nicht sein. Man kann es auch ganz anders sehen, wenn man sich den Anfang anschaut, der gerne überlesen wird: Da kommt der Menschensohn, auf seinem Thron sitzend, in seiner Herrlichkeit, und alle Engel mit ihm. Muss das nicht ein wunderschöner, eben ein herrlicher, Anblick sein? Gut, vielleicht lässt sich der Anblick gar nicht ertragen, denn die Herrlichkeit Gottes ist ja eigentlich nichts für Menschenaugen, aber ich glaube, dass wir in der Stunde, von der Jesus hier redet, auch dafür Augen haben werden – dass wir es schauen dürfen.
Ein Ereignis, auf das man sich doch freuen kann, oder nicht? Die Herrlichkeit Gottes wird offenbar werden in dieser Stunde des Gerichts. Kein Schrecken, nichts Furchterregendes, außer diesem einen Wort: Gericht.
Natürlich wird die Freude über diesen Anblick danach schon gedämpft, wenn man sieht, dass hier die ganze Menschheit in zwei Gruppen geteilt wird, Schafe und Böcke, weiß und schwarz, gut und böse. Solch eine Unterteilung wird sonst immer als oberflächlich bezeichnet. Wir dürfen es uns nicht so leicht machen, wir müssen differenzieren. Jeder Fall muss einzeln beleuchtet werden, damit auch jedem Gerechtigkeit widerfahren kann. Doch Gott macht es sich offenbar sehr einfach. Warum darf er das? Nun, er darf es, weil er anders als wir die Herzen der Menschen kennt. Vor ihm bleibt nichts verborgen, und so kann er auch das Urteil fällen – es wird ein gerechtes, ein wahrhaftes Urteil sein.
Dazu kommt, dass die Kriterien, die angesetzt werden, um solch eine Unterteilung zu erreichen, sind durchaus auch dazu eignen, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Es gibt eben nur die, die das Kriterium erfüllt haben, und dagegen die anderen, die sie nicht erfüllt haben. Da gibt es kein dazwischen, kein eventuell; es reicht eben nicht, nur mit dem Gedanken gespielt zu haben; die Intention ist nicht genug, und sie führt auch nicht zu mildernden Umständen. Denn am Ende gibt es nur zwei Möglichkeiten, es gibt nur Ja oder Nein.
Also: Ohne dass die Menschheit wüsste, wie es dazu kommt, wird sie in Gut und Böse unterteilt, ohne zu ahnen, was für Konsequenzen diese Einteilung haben wird. Und das ist schon merkwürdig: niemand weiß, ob die Kriterien tatsächlich eingehalten wurden. Beide Gruppen fragen ja, als das Urteil über sie gesprochen wird: Wann sahen wir dich so oder so? Du hast dich uns nie zu erkennen gegeben. Man ist verblüfft, dass man auf der einen oder der anderen Seite gelandet ist. Denn es gab gar kein bewusstes Bemühen um die Erfüllung der Vorgabe, die uns vom Weltenrichter gemacht wurde. Weil die Vorgabe niemandem bekannt war.
Wohl aber gibt es das Bemühen um die Erfüllung dessen, was Jesus selbst als das höchste Gebot bezeichnet hat: Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und seinen Nächsten wie sich selbst. (Lk 10, 27) Nichts anderes als dieses höchste Gebot kommt hier zur Anwendung.
Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. Gottesliebe und Nächstenliebe – weil Jesus sich mit den Elenden identifiziert, erfüllen wir in der Hinwendung zu ihnen Beides, das Gebot der Gottes- und der Nächstenliebe.
Und nun fällt das Urteil. Zu den einen wird gesagt: kommt her, und zu den anderen: geht weg von mir.
Die Nähe Gottes, seine Liebe, ist also nur einem Teil der Menschheit vorbehalten. Der andere Teil muss ohne diese Liebe auskommen. Das ewige Feuer ist ihnen gewiss, die Gemeinschaft mit dem Teufel und seinen Engeln, so beschreibt es Jesus.
Da macht sich Unbehagen breit. Das Bild von der Hölle würden wir am liebsten selbst in die Hölle verbannen, weg von uns. Es ist doch längst überholt und wird natürlich auch niemanden mehr beeindrucken.
Aber was tritt an seine Stelle? Jesus hat es schon gesagt: die Hölle ist nichts anderes als endlose Gottesferne. Weg von mir, das sind die Worte, die es deutlich machen.
Plötzlich ist all das Herrliche, das eben noch so ermutigend und froh machend schien, dahin.
Wohl darum übersieht man es auch so schnell. Doch bleibt die Herrlichkeit ja für die, die getan haben, worauf es ankommt – ohne es zu wissen: als sie Hungernde speisten, haben sie den Herrn selbst gespeist; als sie Nackte kleideten, haben sie den Herrn selbst bekleidet; als sie Durstigen zu trinken gaben, haben sie dem Herrn selbst zu trinken gegeben; als sie Fremde aufnahmen, haben sie den Herrn aufgenommen; als sie Gefangene oder Kranke besuchten, haben sie den Herrn selbst besucht. Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.
Jesus identifiziert sich mit den Ärmsten der Armen, mit den Ausgebeuteten, Misshandelten, aber auch mit denen, von denen wir längst glauben, dass sie verloren sind und keine Zukunft mehr haben: mit den Gefangenen.
Denn hier steht nichts davon, dass es sich bei den Gefangenen um Menschen handelt, die zu Unrecht im Gefängnis sitzen. Es sind vielmehr Menschen, die den Sinn ihres Lebens verfehlt haben, die an anderen Menschen schuldig geworden sind und darum ihr Strafe abbüßen müssen.
Mit solchen Menschen also identifiziert sich Jesus, denn wo wir keine Chance mehr sehen, öffnet Gott noch Türen, und wer sich darum diesen aufgegebenen Menschen zuwendet, der hat sich dementsprechend auch Jesus zugewandt.
Und wer sich Jesus zugewandt hat, für den bleibt die Herrlichkeit: ererbt das Reich, ihr Gesegneten meines Vaters, sagt Jesus, der Menschensohn. Ihr habt das Privileg, die Nähe Gottes in alle Ewigkeit zu erfahren.
Machen wir uns also ans Werk – fangen wir an, umzusetzen, wovon Jesus hier spricht. Denn, wie gesagt, es ist doch sein Vermächtnis, sein letzter Wille.
Aber es kommt mir doch seltsam vor. Welche Motivation treibt uns, wenn wir uns bemühen, das höchste Gebot umzusetzen? Ist es doch die Angst vor der Gottesferne, vor dem Urteil am Jüngsten Tag? Oder die Freude auf die zu erwartende Belohnung, das ewige Leben in der Nähe Gottes?
Es kommt mir vor, als sei das die falsche Motivation. Denn immerhin sagt Jesus ja von denen, die da ihr Urteil erfahren, dass sie gar nicht wussten, ob sie das Richtige taten. Wir sind da zwar in einer besseren Position, weil wir die Erzählung nun schon kennen, aber wenn Jesus das Weltgericht so beschreibt, dann glaube ich, dass wir uns da wohl schneller als gewollt auf den Holzweg begeben könnten.
Wer sind also die, denen Jesus am Nächsten ist, ja, mit denen Jesus sich identifiziert?
In unserer Gesellschaft finden wir sie nicht mehr so häufig, obwohl es eine neue Armut gibt – manchmal auch ein Schmarotzertum, gewiss. Aber mittlerweile sind wir ja weltweit verknüpft, beuten Menschen in der ganzen Welt aus, ohne dass wir es wahrnehmen. Aber wir können davon wissen – und auch etwas tun, damit sich dieses globale Netz der Ausbeutung nicht weiter festigen und verdichten kann.
(Und was ist mit denen, die diese dann gar nicht im Blick haben?)
Für mich hat dieses Vermächtnis Jesu noch eine andere Komponente: Was können wir tun, um die Größe der Gruppe von Menschen, die die Gottesferne erleiden müssen, wenigstens zu verringern? Müssen wir uns nicht auch ihnen zuwenden? Müssen wir ihnen denn nicht sagen, dass Gott barmherzig ist und von uns Barmherzigkeit erwartet?
Denn um nichts anderes geht es doch in diesem Gericht als um Barmherzigkeit. Nur, dass Gott sich eben nicht spotten lässt, dass er nicht bereit ist, die, denen Barmherzigkeit nie etwas bedeutet hat, am Ende von seiner Barmherzigkeit profitieren zu lassen.
Die Erzählung vom Weltgericht fordert das zwar nicht, wir finden aber am Ende des Matthäus-Evangeliums die wirklich letzten Worte Jesu: geht hin in alle Welt und macht zu Jüngern alle Völker – so wie alle Völker hier im Gericht vor dem Thron der Herrlichkeit des Menschensohnes versammelt werden, so wurden die Jünger und so werden wir ausgesandt zu den Völkern, um ihnen das Wort von der Liebe und Barmherzigkeit Gottes zu verkünden in Wort und Tat – damit Liebe und Barmherzigkeit der Maßstab auch ihres Handelns wird.
Dass auf dem Weg auch immer die Hungernden, die Nackten, die Kranken, die Fremden, die Verzweifelten, die Schuldig gewordenen uns begegnen und unsere Zuwendung erfahren, ist schon fast selbstverständlich. Es gehört zu einem Leben in der Nachfolge Christi schlicht dazu, dass wir nicht das Elend ignorieren oder anderen die Verantwortung dafür in die Schuhe schieben.
Vielmehr schauen wir genau hin, erkennen die Nöte der Menschen und bemühen uns, ihnen nach bestem Wissen und Gewissen und so, wie es in unserer Macht steht, zu helfen.
Dann, darauf vertraue ich, werden wir auch die Stimme hören, die sagt: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt.
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
Es ist gewisslich an der Zeit (EG 149 - Wochenlied)
Gib mir durch dein Barmherzigkeit (EG 232, 3)
So jemand spricht: Ich liebe Gott (EG 412)
Ein wahrer Glaube Gott's Zorn stillt (EG 413)
Lass mich, o Herr, in allen Dingen (EG 414)
Lass die Wurzel unsers Handelns Liebe sein (EG 417)
Hilf, Herr meines Lebens (EG 419)
MItten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen (EG 518)
Liebe ist nicht nur ein Wort (KHW-EG 629 / NB-EG 613)
Wenn das Brot, das wir teilen (KHW-EG 632 /

LPfGLieder und Psalmen für den Gottesdienst - Ergänzungsheft zum EG 2018
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