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Zu den Perikopen
Predigtvorschläge zu Reihe I - Mt 18, 21-35
Liebe Gemeinde!
Wie oft soll ich meinem Bruder – oder meiner Schwester – vergeben? Denn dass die Schwester
genauso gemeint ist, davon dürfen wir natürlich ausgehen.
Und gemeint sind nicht nur die leiblichen Geschwister, sondern die Menschen, denen wir begegnen,
die uns in irgendeiner Weise gerade nahe sind, die mit uns zu tun haben. Also: Wie oft soll ich
vergeben?
Petrus ist sogar so nett und nennt eine Zahl: genügt sieben mal?
Es gab in der jüdischen Tradition die Meinung, dass Gott die gleiche Sünde zwei bis dreimal
vergeben würde. Also ist Petrus schon recht großzügig, wenn er hier sieben mal vorschlägt,
vorausgesetzt, er geht davon aus, dass es sich um die gleiche Sünde handelt.
Jesus antwortet darauf mit einer wohl maßlosen Übertreibung: siebzig mal siebenmal. Das wären
490 mal. Selbst eine Strichliste würde da unübersichtlich, und es wird schnell klar: gemeint
ist, dass es kein letztes Mal gibt, sondern wir immer zur Vergebung bereit sein sollen, auch
dann, wenn es richtig auf die Nerven geht.
Es gibt keine Grenze für die Vergebung.
Das Gleichnis vom Schalksknecht, wie das in unserem Evangelium enthaltene Gleichnis genannt wird,
hat dann allerdings eine andere Zielrichtung. Es macht vor allem dies eine deutlich: wenn dir
vergeben wird, dann sollte doch eigentlich klar sein, dass du dementsprechend auch deinen Mitmenschen
vergibst.
Da steht also an erster Stelle die Vergebung durch Gott selbst, der uns frei macht von all unserer
Schuld, und dann kommt die Reaktion darauf. Diese Reaktion besteht nicht in einem Kniefall vor Gott,
sondern in dem Weitergeben des Geschenks, das uns gemacht wurde, an unsere Mitmenschen. Weil Gott mir
vergibt, darum vergebe ich dir auch.
Der Schalksknecht will das nicht, eher im Gegenteil. Er nutzt die Freiheit, die ihm geschenkt ist,
um anderen die Freiheit zu nehmen.
So darf es nicht sein, und darum hebt der König den Schuldenerlass sogar wieder auf.
Da taucht etwas auf, was mich nachdenklich macht. Wenn der König, wie wir annehmen dürfen, Gott
repräsentiert, dann ŵiderspricht diese Geschichte dem, was wir von Gott glauben, nämlich dass er
nicht zurück nimmt, was er uns einmal geschenkt hat. Es wird wieder deutlich, dass es immer wieder
nötig ist, sich über sein eigenes Verhalten Rechenschaft abzulegen. Wie gehe ich mit meinen Mitmenschen
um? Wird in dem, was ich tue, die Liebe, die ich von Gott erfahre, sichtbar?
Diese nötige Konsequenz scheint sogar im Widerspruch zu dem zu stehen, was Jesus vorher zu Petrus gesagt
hat. Denn müsste das Gleichnis nicht so enden:
der König ruft den Schalksknecht zu sich und sagt zu ihm: Du hast wieder Schulden auf dich genommen,
so erlasse ich sie dir erneut.
Siebzigmal siebenmal, so heißt es doch.
Aber bei dem einen geht es darum, wie Menschen miteinander umgehen. Bei dem Gleichnis geht es um die
Vergebung, die Menschen von Gott empfangen, und um ihre Wirkung auf uns Menschen.
Und mit dieser Vergebung treibt man kein Schindluder. Man nutzt nicht die so gewonnene Freiheit, um
anderen ihre Freiheit zu nehmen, sondern schenkt darum auch anderen, die einem gegenüber schuldig
geworden sind, ihre Freiheit.
So gelangen die beiden wieder zusammen, die Antwort Jesu auf die Frage des Petrus und das Gleichnis
vom Schalksknecht. Denn wenn wir die Liebe Gottes, die uns widerfahren ist, an unsere Mitmenschen
weitergeben, dann tun wir das natürlich auch, indem wir denen vergeben, die an uns schuldig wurden,
ganz gleich, wie oft das geschehen ist.
Entweder leben wir aus der Vergebung heraus, oder wir nutzen die Vergebung aus. Wenn wir das zweite
tun, dann bleibt uns nach diesem Gleichnis unsere Schuld erhalten, auch wenn uns die Vergebung zugesprochen
wurde.
Nicht immer fällt das Vergeben leicht. Was, wenn andere Menschen ganz bewusst ihrem Gegenüber Schaden
zufügen? Wenn sie Freude daran haben, das zu tun? Wird ein solcher Mensch dann wirklich frei von seiner
Schuld, wenn ich sage: Ich vergebe dir?
Vielleicht bekommt an dieser Stelle die Aufgabe der „Mitknechte“ eine besondere Bedeutung: sie gehen
hin und sagen dem König, was der andere mit der gewonnenen Freiheit angestellt hat.
Allgemein würde man das als „Petzen“ bezeichnen, und das tut man ja eigentlich nicht. Aber in solch
einer Situation, in der ein Mensch nur deswegen, weil es ihm Freude bereitet, anderen Menschen Schaden
zufügt, oder weil er nicht bereit ist, aus der Erfahrung zu lernen, dann ist es nur richtig, wenn wir
Gott diese Sache vorlegen.
Was Gott dann damit macht, bleibt offen. Wir dürfen an Jona denken, der nach anfänglichem Widerstand
der Stadt Ninive das Gericht Gottes versprach, und dieses Gericht dann aber nicht eintrat, weil die
Menschen sich zu Gott wandten und Buße taten.
Wir können nicht in das Herz unserer Mitmenschen sehen, das kann nur Gott. Wir können aber das, was uns
bedrückt – nicht nur die eigenen Sorgen, sondern auch das Verhalten unserer Mitmenschen – vor Gott
bringen.
Es bleibt gut und wichtig, dass wir einander vergeben. Denn zuerst steht da die Vergebung Gottes, sein
Ja zu uns durch das Kreuz Jesu Christi.
Und diese Vergebung Gottes, dieses große Ja bleibt, wenn wir nur darauf vertrauen. Einzig die Bitte um
Vergebung sollten wir nicht unterschlagen. Darum ist auch das Vaterunser so wichtig, weil darin diese
Bitte enthalten ist und in gleicher Weise unser Versprechen, dass wir denen, die an uns schuldig wurden,
vergeben.
So hat uns Gott alles geschenkt, was wir brauchen, um in Frieden und im Einklang mit unseren Mitmenschen
leben zu können. Möge uns das immer wieder bewusst werden, damit wir uns von Herzen freuen können über
die überreichliche Gnade Gottes.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Nimm von uns, Herr, du treuer Gott (EG 146)
Herz und Herz vereint zusammen (EG 251)
All unsre Schuld vergib uns, Herr (EG 344, 6-7)
Mir ist Erbarmung widerfahren (EG 355)
So jemand spricht: Ich liebe Gott (EG 412)
Ein wahrer Glaube Gotts Zorn stillt (EG 413, 1.6-8)
Kehret um, und ihr werdet leben (EG 615)
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Predigtvorschläge zu Reihe II - Röm 7, 14-25a
Liebe Gemeinde!
Soll ich den Text noch einmal vorlesen? Jedesmal, wenn ich diesen Text lese, ist die Verwirrung zunächst größer als das
Verstehen. Denn es geht darin ja schon etwas durcheinander.
Paulus stellt anfangs das geistliche Gesetz der fleischlichen Sünde gegenüber, aber dann redet er auch vom
fleischlichen Gesetz, vom Gesetz der Sünde. Er erklärt, wie gerne er das Gute tun will, aber doch nicht kann,
und wie sehr er sich müht, das Böse zu vermeiden, es dann aber tut. Ist das nicht verwirrend?
Paulus sieht sich gebunden von der Sünde, vom Bösen, und kann offenbar davon nicht los kommen.
„Ich elender Mensch!” ruft er am Ende aus und scheint an diesem Elend fast zu verzagen. Einzig
der letzte Satz des Dankes bringt etwas Licht in diese Trübnis: „Dank sei Gott durch Jesus
Christus, unsern Herrn!”
Aber wofür dankt er Gott? Paulus bleibt uns diese Antwort im Grunde schuldig. Wenn wir den
nachfolgenden Satz noch dazulesen, werden wir auch nicht wirklich schlauer:
„So diene ich nun mit dem Gemüt dem Gesetz Gottes, aber mit dem Fleisch dem Gesetz
der Sünde.”
Paulus weiß nicht, was er tut, so sagt er.
Manchmal benutzen wir solch eine Aussage als Ausrede: ich wusste nicht, was ich da tat. Mir war
es nicht bewusst, was für Folgen das hat – wenn z.B. durch das Spielen mit Streichhölzern plötzlich
ein Haus in Brand steht; oder wenn man beim Autofahren mit dem Handy telefonierte und deshalb
nicht schnell genug reagieren konnte, als das Kind auf die Straße lief; oder wenn man seinen Hund
das Geschäft auf dem Gehweg erledigen lässt, ohne die Spuren zu beseitigen, und ein anderer
Passant tritt dann mitten rein.
Immer wieder hören wir es als Entschuldigung: ich wusste nicht, was ich da tat. Man gibt im
Grunde damit zu erkennen, dass es ein Ich gibt, das mit dem wahren Ich nichts zu tun hat. Irgendwie
ist da noch jemand, der mich handeln lässt, ohne dass ich es mit bekomme.
Ein Psychologe würde das Schizophrenie nennen, aber so weit würde man selbst dann natürlich doch
nicht gehen, denn im Grunde wusste man schon, was man tat. Man war sich nur nicht der
Folgen so deutlich bewusst, dass man einsehen konnte, warum man dies oder das besser nicht tut.
Paulus versucht auch erst einmal, die Theorie von den zwei Ichs in einer Person zu entwickeln: So tue
nun nicht ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. Natürlich, die Sünde war's.
Aber das ist ja völliger Unfug. Als ob die Sünde eine eigenständige Persönlichkeit wäre. Wenn er
wenigstens „Teufel” gesagt hätte. Damit könnte man vielleicht noch klar kommen. Der Teufel ist
für uns ein Gegenüber, so wie Gott ein Gegenüber ist. Er handelt eigenständig, er sitzt einem
Menschen mitunter im Nacken und treibt seine Späße mit ihm. Da kann man nichts gegen
machen – den Teufel abschütteln, das ist nicht so leicht.
Aber auf solch eine Gegenüberstellung lässt sich Paulus dann doch nicht ein, und das
sollte uns nachdenklich machen.
Sünde tut man, die Sünde selbst tut nichts. Sie ist das Ergebnis unseres Handelns. Und so
sind letztlich doch wir es, die handeln, die tun, was wir nicht wollten, aber dann doch getan haben.
Paulus weiß das, davon bin ich überzeugt, aber er will dennoch mit aller Kraft versuchen, das
eine vom anderen zu trennen. Er ist doch ein guter Mensch, er will es durch und durch sein.
Dass es nicht gelingt, kann also nicht an ihm liegen, sondern es muss durch etwas anderes, durch
eine fremde Macht, verursacht werden. Aber dabei kann er dann doch nicht stehen bleiben.
Und so geht Paulus doch einen Schritt weiter. Diese böse Macht, so sagt er, wohnt in ihm (Röm 7, 17f).
Sie ist ein Teil von ihm.
Aber wo kommt sie her? War sie von Anfang an da? Wenn ja, dann wären wir bei dem Modell der
Erbsünde, mit dem sich heutzutage immer weniger Menschen anfreunden können: Der Mensch ist
böse von Geburt an – die Überheblichkeit, die Machtgier, der Neid, die Eifersucht, die Habgier, sie
alle sind Ausdruck des Verlangens, wie Gott sein zu wollen, seinen Platz einzunehmen, alles und
jeden unter Kontrolle zu haben, auch sich selbst. Dieses Verlangen schlummert in jedem Menschen und
verschafft sich mehr oder weniger sichtbar Raum.
„Das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.”
Wie kommt Paulus nur auf solch einen Gedanken? Er selbst ist doch ein Musterchrist. Wenn nicht er,
wer kann dann noch von sich sagen, dass er ein aufrechter und aufrichtiger Mensch ist? Wer kann dann
noch hoffen, gerecht genannt zu werden? Schon als Pharisäer hatte Paulus durch seinen Lebenswandel
großes Ansehen erlangt, weil er sich treu an die Gebote Gottes hielt, und als Christ war er Vorbild in aller
Demut und Aufrichtigkeit.
Weil Paulus also einer ist, dem man solche Selbstvorwürfe noch am wenigsten abnimmt, liegt es nahe,
zu vermuten, dass es ihm hier um das Menschsein schlechthin geht. Indem er die „Ich”-Form in
diesem Abschnitt verwendet, will er seine Leser dazu ermutigen, sich selbst in diese Überlegungen
hinein zu versetzen und sie auf sich selbst anzuwenden.
Aber das fällt schwer. Denn natürlich möchten auch wir nicht von uns sagen: ich will das Gute,
aber ich tue es nicht, sondern vielmehr das Böse, das ich nicht tun will. Wir sind doch auch keine
bösen Menschen!
Es geht in diesem Abschnitt um unser Verhältnis zu Gott. Dabei meine ich mit Verhältnis nicht etwas
Beliebiges, worüber man selbst bestimmen könnte – keine Beziehung zweier Menschen zueinander,
die irgendwann auch einmal in die Brüche gehen kann. Wir stehen in einer Beziehung zu Gott, ob
wir es wollen oder nicht, denn wir sind Geschöpfe Gottes, er ist der Allmächtige, dem alle Welt
untertan ist. Und darum gibt es natürlich auch eine Beziehung zu ihm, unserem Schöpfer. Diese
Beziehung, so stellt Paulus fest, ist abgrundtief zerrüttet. Das Gute, das wir tun wollen, tun wir nicht,
sondern das Böse, das wir nicht tun wollen – und auch nicht tun sollen.
Paulus antwortet mit unserem Predigttext auf die Aussage anderer, dass das Gesetz in der Lage sei,
diese zerrüttete Beziehung wieder herzustellen, nämlich indem man das Gesetz hält und danach tut.
Paulus hält dagegen, dass das Gesetz nur das hervorbringt, was schon längst da ist, nämlich die
Sünde. Durch das Gesetz wird die Sünde klar erkennbar; ohne Gesetz wäre die Sünde zwar da,
aber man würde sie nicht als solche erkennen sondern denken, es wäre menschlich, was man da
tut. Nun ist aber das Gesetz da, und darum auch die Sünde.
Folglich ist der Mensch dem Tod verfallen, denn darauf läuft das Gesetz hinaus. Weil es keine Möglichkeit
gibt, das Gesetz einzuhalten, darum muss am Ende das Todesurteil stehen.
Das Gesetz ist eine Gabe Gottes, und lange Zeit haben es die Menschen als Geschenk der Gnade
angesehen. Vielleicht ist es das auch. Aber das Gesetz kennt keine Gnade, es ist unerbittlich, weswegen
wir ja auch manchmal sagen: Gnade vor Recht ergehen lassen, oder mit anderen Worten: einmal nicht
nach dem Gesetz urteilen, sondern nach dem Willen zur Gnade, zur Vergebung.
Das Gesetz ist also das unerbittliche, unbarmherzige Ende, und darum ruft Paulus schließlich in seiner
Verzweiflung: „Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leib?” (Röm 7, 24)
Denn auch im Gesetz Gottes ist keine Erlösung da, keine Gnade, keine Vergebung.
Woher also kann Erlösung kommen?
Der Dank, der unmittelbar auf diesen Ruf der Verzweiflung folgt, ist die Antwort: „Dank sei Gott durch
Jesus Christus, unsern Herrn!” (Röm 7, 25a) Die Erlösung kommt also, genauso wie das Gesetz, das
zur Verdammnis führt, von Gott her, durch Jesus Christus.
Unser Verhältnis zu Gott kann nur durch Gott selbst zurecht gerückt werden, denn das Gesetz kann dies
nicht leisten. Wer meint, ein unbescholtener Bürger zu sein würde genügen, um vor Gott gerecht zu werden,
hat geirrt. Denn Gott schaut in das Herz des Menschen. Er versteht unsere Gedanken von ferne, heißt es
im 139. Psalm.
Und das Gesetz Gottes wirkt sich nicht nur auf unsere Taten aus, sondern eben auch auf unsere
Gedanken, auf unsere Gefühle und Sehnsüchte. Paulus führt dazu das 9. und 10. Gebot an, in denen
es heißt: „Du sollst nicht begehren”. Jesus hatte es in der Bergpredigt schon auf den Punkt
gebracht: Ihr habt gehört: Du sollst nicht töten. Ich aber sage euch: wer mit seinem Bruder
zürnt, der ist des Gerichts schuldig. Der Gedanke alleine reicht aus. „Wir sind allesamt Sünder
und ermangeln des Ruhmes, den wir bei Gott haben sollten”, (Röm 3, 23) sagt Paulus einige
Kapitel vorher.
Durch das Kreuz Jesu sind wir nun nicht mehr todgeweiht, wir sind nicht mehr verdammt.
Christus ist unser Leben, er holt uns heraus aus diesem Dilemma, das Gute zu wollen, aber das
Böse zu tun.
Unser Leben ist jetzt nicht mehr ein Leben nach dem Fleisch, wie Paulus wenig später schreibt.
Es ist kein Leben mehr, in dem wir mit allen Kräften versuchen, unsere Erlösung selbst zu erwirken,
indem wir ganz nach dem Gesetz handeln, was uns ja sowieso nicht gelingen kann.
Unser Leben ist vielmehr ein Leben nach dem Geist, und das bedeutet: wir vertrauen ganz auf die
vergebende Gnade Gottes. Es ist ein Leben im Glauben und durch den Glauben.
Denn eins ist für Paulus klar: ohne Jesus Christus bleiben wir Kinder des Todes. Erst wenn wir im
Glauben Gott an uns handeln lassen durch Jesus Christus, erst wenn wir seine Gnade annehmen
und auch uns selbst zugeben, dass es Gnade ist und nicht unser eigener Verdienst, erst dann
kommen wir zum Leben.
Das Abendmahl ist sichtbares Zeichen der vergebenden Liebe Gottes. Indem wir am Abendmahl
teilhaben, vergewissern wir uns der Gnade, die uns erlöst von unserem todverfallenen Leib.
Und so können wir aus ganzem Herzen mit Paulus ausrufen: „Dank sei Gott durch
Jesus Christus, unsern Herrn!”
Amen
oder
Die nachfolgende Predigt wurde anlässlich eines Konfirmationsjubiläums gehalten:
Liebe Jubilare, liebe Gemeinde!
Wieviel Erinnerung haben Sie wohl an Ihre Konfirmandenzeit? Was ist von damals hängen geblieben?
Vermutlich erinnern Sie sich an den einen oder anderen Streich, den Sie spielten, evtl. an das
notwendige Auswendig lernen, vielleicht auch an die eine oder andere Strafe für ungebührliches
Benehmen.
Was haben Sie inhaltlich mitgenommen?
War Ihnen schon damals die Luther-Übersetzung schwer zu verstehen? Oder sind Ihnen manche Texte
in Fleisch und Blut übergegangen, können Sie sie noch heute auswendig, und haben sie sich Ihnen
dann nach und nach erschlossen, dass Sie sie dann besser verstanden haben und sie Ihnen auch zur
Hilfe wurden?
Sicher hat dieser Text aus dem Römerbrief nicht zu den Stücken gehört, die Sie auswendig lernen
mussten.
Mir ist aus diesem Abschnitt vor allem eins hängen geblieben:
Das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.
(Röm 7, 19)
Doch ist da ja mehr, und das kann ganz schön verwirrend sein.
Paulus stellt anfangs das geistliche Gesetz der fleischlichen Sünde gegenüber, aber dann redet er
auch vom fleischlichen Gesetz, vom Gesetz der Sünde. Das ist ziemlich verwirrend, zumal dann eben
dazu kommt, dass er das Gute, das er will, nicht tut, wohl aber das Böse, das er nicht will.
Mit anderen Worten: Paulus stellt fest, dass er dem Gesetz der Sünde folgt.
„Ich elender Mensch!“ ruft er am Ende aus und scheint an diesem Elend fast zu verzweifeln. Einzig
der letzte Satz des Dankes bringt etwas Licht in diese Trübnis: „Dank sei Gott durch Jesus Christus,
unsern Herrn!“ (Röm 7, 25a)
Aber wofür dankt er Gott? Paulus bleibt uns diese Antwort im Grunde schuldig. Wenn wir den nachfolgenden
Satz noch dazulesen, werden wir auch nicht wirklich schlauer:
„So diene ich nun mit dem Gemüt dem Gesetz Gottes, aber mit dem Fleisch dem Gesetz der Sünde.“
(Röm 7, 25b)
Paulus weiß nicht, was er tut, so könnte man seine Worte verstehen.
Manchmal benutzen wir solch eine Aussage als Ausrede: ich wusste nicht, was ich da tat. Mir war es nicht
bewusst, was für Folgen das hat – wenn z.B. durch das Spielen mit Streichhölzern plötzlich ein Haus in
Brand steht; oder wenn man beim Autofahren mit dem Handy telefonierte und deshalb nicht schnell genug
reagieren konnte, als das Kind auf die Straße lief; oder wenn man seinen Hund das Geschäft auf dem
Gehweg erledigen lässt, ohne die Spuren zu beseitigen, und ein anderer Passant tritt dann mitten rein.
Wie viele Streiche hat man in jungen Jahren wohl gespielt, durch die andere Menschen zu Schaden
kamen – was man eigentlich gar nicht gewollt hatte. Man wollte doch nur etwas Spaß haben.
Immer wieder hören wir es als Entschuldigung: ich wusste nicht, was ich da tat bzw. was für Folgen
das haben könnte. Es ist schon so, als ob es da ein Ich gibt, das mit dem wahren Ich nichts zu tun hat.
Irgendwie ist da noch jemand, der mich handeln lässt, ohne dass ich mir dessen bewusst bin.
Aber im Grunde wusste man natürlich schon, was man tat. Man dachte nur nicht lange über die möglichen
Folgen nach.
Paulus versucht auch erst einmal, die Theorie von den zwei Ichs in einer Person zu entwickeln:
So tue nun nicht ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. Natürlich, die Sünde war's.
Aber das ist ja völliger Unfug. Als ob die Sünde eine eigenständige Persönlichkeit wäre. Wenn
er wenigstens „Teufel“ gesagt hätte. Damit könnte man vielleicht noch etwas anfangen.
Der Teufel ist für uns ein Gegenüber, so wie Gott ein Gegenüber ist. Er handelt eigenständig, er
sitzt einem Menschen mitunter im Nacken und treibt seine Späße mit ihm. Da kann man nichts gegen
machen – den Teufel abschütteln, das ist nicht so leicht.
Aber auf solch eine Gegenüberstellung lässt sich Paulus dann doch nicht ein, und das sollte uns
nachdenklich machen.
Sünde tut man, die Sünde selbst tut nichts. Sie ist das Ergebnis unseres Denkens und Handelns.
Und so sind letztlich doch wir es, die handeln, die tun, was wir nicht wollten, aber dann doch
getan haben.
Paulus weiß das, davon bin ich überzeugt, aber er will dennoch mit aller Kraft versuchen, das
eine vom anderen zu trennen. Er ist doch ein guter Mensch, er will es durch und durch sein.
Und damit nimmt er im Grunde auch Bezug auf den Schöpfungswillen Gottes: siehe, es war sehr
gut, so erzählt der Schöpfungsbericht auch über den Menschen, der als Ebenbild Gottes geschaffen
wurde. Und als solch ein Ebenbild Gottes kann man unmöglich etwas falsch machen.
Aber von diesem Ebenbildsein sind wir weit entfernt. Und das kann man eigentlich nur durch
etwas anderes, durch eine fremde Macht, zu erklären versuchen. Die Sünde eben. Aber dabei kann
Paulus dann doch nicht stehen bleiben.
Er gibt zu, dass diese böse Macht in ihm wohnt (Röm 7, 17f). Sie ist ein Teil von ihm.
Aber wo kommt sie her? War sie von Anfang an da? Wenn ja, dann wären wir bei dem Modell der
Erbsünde, mit dem sich heutzutage immer weniger Menschen anfreunden können:
Der Mensch ist böse von Geburt an – die Überheblichkeit, die Machtgier, der Neid, die
Eifersucht, die Habgier, der Egoismus, sie alle sind Ausdruck des Verlangens, wie Gott
sein zu wollen, seinen Platz einzunehmen, alles und jeden unter Kontrolle zu haben,
auch sich selbst. Dieses Verlangen schlummert in jedem Menschen und verschafft sich
mehr oder weniger sichtbar Raum.
„Das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue
ich.“ (Röm 7, 19)
Wie kommt Paulus nur auf solch einen Gedanken? Er selbst ist doch ein Musterchrist. Wenn nicht
er, wer kann dann noch von sich sagen, dass er ein aufrechter und aufrichtiger Mensch ist? Wer
kann dann noch hoffen, gerecht genannt zu werden? Schon als Pharisäer hatte Paulus durch seinen
Lebenswandel großes Ansehen erlangt, weil er sich treu an die Gebote Gottes hielt, und als Christ
war er Vorbild in aller Demut und Aufrichtigkeit.
Weil Paulus also einer ist, dem man solche Selbstvorwürfe noch am wenigsten abnimmt, liegt es
nahe, zu vermuten, dass es ihm hier um das Menschsein schlechthin geht. Indem er die „Ich“-Form
in diesem Abschnitt verwendet, will er seine Leser dazu ermutigen, sich selbst in diese
Überlegungen hinein zu versetzen und sie auf sich selbst anzuwenden.
Aber das fällt schwer. Denn natürlich möchten auch wir nicht von uns sagen: ich will das Gute,
aber ich tue es nicht, sondern vielmehr das Böse, das ich nicht tun will, das tue ich. Wir sind
doch auch keine bösen Menschen!
Es geht in unserem Predigttext um unser Verhältnis zu Gott. Wir stehen in einer Beziehung zu Gott,
ob wir es wollen oder nicht, denn wir sind Geschöpfe Gottes, er ist der Allmächtige, dem alle Welt
untertan ist. Und darum gibt es natürlich auch eine Beziehung zu ihm, unserem Schöpfer. Diese
Beziehung, so stellt Paulus fest, ist abgrundtief zerrüttet. Das Gute, das wir tun wollen, tun
wir nicht, sondern das Böse, das wir nicht tun wollen – und auch nicht tun sollen.
Paulus antwortet mit unserem Predigttext auf die Aussage anderer, dass das Gesetz in der Lage sei,
diese zerrüttete Beziehung wieder herzustellen, nämlich indem man das Gesetz hält und danach tut.
Paulus hält dagegen, dass das Gesetz nur das hervorbringt, was schon längst da ist, nämlich die
Sünde. Durch das Gesetz wird die Sünde klar erkennbar; ohne Gesetz wäre die Sünde zwar da, aber
man würde sie nicht als solche erkennen sondern denken, es wäre menschlich, was man da tut. Nun
ist aber das Gesetz da, und darum auch die Sünde.
Folglich ist der Mensch dem Tod verfallen, denn darauf läuft das Gesetz hinaus. Weil es keine
Möglichkeit gibt, das Gesetz einzuhalten, darum muss am Ende das Todesurteil stehen.
Das Gesetz ist eine Gabe Gottes, und lange Zeit haben es die Menschen als Geschenk der Gnade
angesehen. Vielleicht ist es das auch. Aber das Gesetz kennt keine Gnade, es ist unerbittlich,
weswegen wir ja auch manchmal sagen: Gnade vor Recht ergehen lassen, oder mit anderen Worten:
einmal nicht nach dem Gesetz urteilen, sondern nach dem Willen zur Gnade, zur Vergebung.
Das Gesetz ist also das unerbittliche, unbarmherzige Ende, und darum ruft Paulus schließlich
in seiner Verzweiflung: „Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen
Leib?“ (Röm 7, 24)
Denn auch im Gesetz Gottes ist keine Erlösung da, keine Gnade, keine Vergebung.
Woher also kann Erlösung kommen?
Der Dank, der unmittelbar auf diesen Ruf der Verzweiflung folgt, ist die Antwort: „Dank sei Gott
durch Jesus Christus, unsern Herrn!“ (Röm 7, 25a) Die Erlösung kommt also, genauso wie das Gesetz,
das zur Verdammnis führt, von Gott her, durch Jesus Christus.
Unser Verhältnis zu Gott kann nur durch Gott selbst zurecht gerückt werden, denn das Gesetz kann
dies nicht leisten. Wer meint, ein unbescholtener Bürger zu sein würde genügen, um vor Gott gerecht
zu werden, hat geirrt. Denn Gott schaut in das Herz des Menschen. Er versteht unsere Gedanken von
ferne, heißt es im 139. Psalm.
Und das Gesetz Gottes wirkt sich nicht nur auf unsere Taten aus, sondern eben auch auf unsere Gedanken,
auf unsere Gefühle und Sehnsüchte. Paulus führt dazu das 9. und 10. Gebot an, in denen es heißt: „Du
sollst nicht begehren deines Nächsten Haus, Weib, Knecht, Magd, Vieh noch alles, was sein ist“.
Jesus hatte es in der Bergpredigt schon auf den Punkt gebracht: Ihr habt gehört: Du sollst nicht
töten. Ich aber sage euch: wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig.
Der Gedanke alleine reicht aus.
„Wir sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den wir bei Gott haben sollten“, (Röm 3, 23) sagt
Paulus einige Kapitel vorher.
Durch das Kreuz Jesu sind wir nun nicht mehr todgeweiht, wir sind nicht mehr verdammt. Christus ist
unser Leben, er holt uns heraus aus diesem Dilemma, dass wir das Gute zwar wollen, aber das Böse tun.
Aber das geschieht nicht, indem er alles Böse einfach ausschaltet und wir nur noch gute Menschen sind,
sondern indem er das Böse, das wir tun, vergibt, indem er Gnade vor Recht walten lässt.
Unser Leben ist jetzt nicht mehr ein Leben nach dem Fleisch, wie Paulus wenig später schreibt. Es ist
kein Leben mehr, in dem wir mit allen Kräften versuchen, unsere Erlösung selbst zu erwirken, indem wir
ganz nach dem Gesetz handeln, was uns ja sowieso nicht gelingen kann.
Unser Leben ist vielmehr ein Leben nach dem Geist, und das bedeutet: wir vertrauen ganz auf die
vergebende Gnade Gottes. Es ist ein Leben im Glauben und durch den Glauben.
Denn eins ist für Paulus klar: ohne Jesus Christus bleiben wir Kinder des Todes. Erst wenn wir im
Glauben Gott an uns handeln lassen durch Jesus Christus, erst wenn wir seine Gnade annehmen und auch
uns selbst zugeben, dass es Gnade ist und nicht unser eigener Verdienst, erst dann kommen wir zum Leben.
Das Abendmahl ist sichtbares Zeichen der vergebenden Liebe Gottes. Indem wir am Abendmahl teilhaben,
vergewissern wir uns der Gnade, die uns erlöst von unserem todverfallenen Leib.
Das erfüllt uns mit Dank, gerade auch in dieser Stunde, da wir uns an die Konfirmation vor 60 und mehr
Jahren erinnern. Denn wir erkennen die Güte Gottes, die uns damals bei unserer Konfirmation zugesprochen
wurde, seine Gnade und Barmherzigkeit, die uns all die Jahre begleitet hat.
Und so können wir aus ganzem Herzen mit Paulus ausrufen: „Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern
Herrn!“
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Stille Nacht, heilige Nacht (EG 46)
Wir danken dir, Herr Jesu Christ (EG 79)
Aus tiefer Not schrei ich zu dir (EG 299)
Mir ist Erbarmung widerfahren (EG 355)
Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr (EG 382)
Ein reines Herz, Herr, schaff in mir (EG 389)
Erneure mich, o ewigs Licht (EG 390)
Mitten wir im Leben sind (EG 518)
Ich rede, wo ich schweigen sollte (
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Predigtvorschläge zu Reihe VI - Mi 6, 1-8
Liebe Gemeinde!
„Womit soll ich mich dem Herrn nahen?“ Diese Frage stellte sich damals das Volk Israel, als das
Nordreich von den Assyrern heimgesucht worden war. Man sah darin eine Strafe Gottes dafür, dass
die Menschen vom Weg mit Gott abgekommen war.
Aber das alleine dürfte nicht der Auslöser für diese Frage gewesen sein. Denn man hätte ja auch
so darauf reagieren können: „Bloß gut, mich hat es nicht erwischt, also muss ich ja auf dem
richtigen Weg sein!“
Vielmehr bestand die Gefahr, dass der König von Assur auch das Südreich erobern wollte, und dieses
Verlangen kulminierte ja tatsächlich in der Belagerung Jerusalems im Jahre 701 vor Christus.
Ich stelle mir vor, dass vor der Belagerung schon viele Menschen zum Tempel nach Jerusalem gepilgert
waren, um dort ihre Opfer darzubringen, damit auch sicher keine Sünde mehr auf ihnen lastete und
damit das Wohlwollen Gottes gesichert wäre.
Aber dann merkten sie, dass diese Opfer ihr Ziel verfehlten. Gott wurde durch die Opfer nicht gnädiger
gestimmt. Und so kam sogar die Überlegung auf, das eigene Kind, den Erstgeborenen, zu opfern. Weil
der Erstgeborene eine so große Bedeutung für die Familie hatte, glaubte man, dass, wenn nicht alle
anderen Opfer, dann doch dieses Opfer wenigstens Gott gnädig stimmen würde.
Ich bezweifle, dass es jemals zu solchen Opfern gekommen ist, aber ich kann mir vorstellen, dass
wenigstens einige der Judäer damals diese Möglichkeit erwogen. Wenn schon nichts anderes hilft,
dann vielleicht das.
Der Prophet Micha greift diese Gedanken und Fragen auf und gibt eine klare, eindeutige Antwort:
Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten
und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.
„Es ist dir gesagt“, das bedeutet ja: es ist längst bekannt. Was fragst Du noch, wo Du die Antwort
eigentlich schon weißt?
Micha spricht mit der Antwort den Menschen an und macht auf diese Weise deutlich, dass es sich um
eine Erkenntnis handelt, die jedem Menschen bereits ins Herz gelegt ist – so wie der Prediger
Salomo sagte:
„Er hat die Ewigkeit in ihr Herz gelegt.“ (Pred 3, 11)
Es ist die richtige Antwort, der richtige Weg, und im Grunde weiß das jeder. Dazu bedarf es keiner
Belehrung. Und dennoch fällt es oftmals über die Maßen schwer, zu tun, was da gefordert wird:
„Gottes Wort halten, Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“
Ich würde gerne die Aussage „vor deinem Gott“ auf alle drei Forderungen beziehen, denn wir führen
unser Leben ja doch immer vor Gott, und es geht ja bei dem Wort „Demut“ nicht nur um die Demut vor
Gott, sondern um eine Grundhaltung, die wir einnehmen sollten:
„Ein Herz, das Demut liebet, bei Gott am höchsten steht,
ein Herz, das Hochmut übet, mit Angst zugrunde geht.“ (EG 10, 3)
so heißt es in einem bekannten Adventslied.
Demut bedeutet vor allem, dass man mit dem zufrieden ist, was einem gegeben wurde, dass man sein
Leben aus der Hand Gottes empfängt und dankbar ist für die Möglichkeiten, die sich einem durch das
Handeln Gottes eröffnen.
Ein demütiger Mensch freut sich am Glück des anderen, auch wenn man selbst gerade vom Pech verfolgt
zu sein scheint. Ein demütiger Mensch versucht nicht, mit allen Mitteln seine Position zu verbessern,
sondern er bemüht sich, seine Mitmenschen zu fördern.
Das ist natürlich eine Haltung, die in unserer Gesellschaft kaum einen Platz findet, und vielleicht
war das auch damals zur Zeit des Propheten Micha der Fall. Man kämpft um eine gute Position, mitunter
auch, indem man Schlechtes über andere redet und sie verleumdet.
So soll es unter uns nicht sein. Sondern das Wohl des anderen soll uns genauso wichtig sein wie das
eigene Wohl. Und indem wir uns Gott zuwenden und ihm vorlegen, was wir uns wünschen und für unsere
Zukunft erhoffen, können wir getrost unseren Weg gehen, ohne unbedingt noch eine weitere Sprosse auf
der Karriereleiter erklimmen zu müssen.
Es sind drei Dinge, die gut sind und der Herr von uns fordert, und da steht neben dem Üben der Demut
noch das Halten des Wortes Gottes und das Üben der Liebe.
Bei der Aufforderung „Gottes Wort halten“ wird es wohl am schwierigsten sein, denn wir wissen ja gar
nicht so recht, was Gottes Wort eigentlich ist. „Die Bibel“, würden sicher viele Menschen sagen, aber
so einfach ist das nicht. Die Bibel ist kein geradliniges Buch, es ist über Jahrhunderte hinweg gewachsen
und bietet uns ein sehr komplexes Bild der Geschichte Gottes mit den Menschen.
In dieser Geschichte tauchen manchmal Dinge auf, die tatsächlich an die Geschichte gebunden sind.
Manches ist heute weniger von Bedeutung als damals, und Antworten auf die Fragen eines Menschen unserer
Zeit finden wir nicht ohne Weiteres, und wenn doch, dann kann es durchaus sein, dass zwei Menschen in
der Bibel zwei ganz unterschiedliche Antworten finden.
Es wäre auch fatal, wollten wir das, was hier als Wort Gottes bezeichnet wird, nur auf ein Buch
beschränken, das vor etwa 1700 Jahren seine endgültige Form gefunden hat, zur Zeit des Propheten
Micha in dieser Form aber noch gar nicht existierte. Denn damit würden wir ja im Grunde zum Ausdruck
bringen, dass Gott heute nicht mehr redet.
Ich bin aber davon überzeugt, dass er es auch heute tut. Doch darin liegt eine weitere Schwierigkeit:
wann redet Gott zu uns, und wann ist es Menschenwort?
Ich kann darauf keine Antwort geben, denn das Wort Gottes ist unberechenbar, es lässt sich nicht von
uns planen oder in ein bestimmtes Schema einpassen. Ich denke, dass es dann am wahrscheinlichsten Gottes
Wort ist, wenn es unbequem ist und uns gewissermaßen gegen den Strich bürstet. Aber von wo oder von wem
es zu uns kommt – das kann niemand im Voraus sagen, und auch im Nachhinein lässt es sich schwer mit
Bestimmtheit festmachen.
Vielleicht geschieht es in einer Predigt, oder in einem Gespräch, oder bei einem Spaziergang, dass
einem plötzlich etwas klar wird, so klar, wie bis dahin kaum etwas. Ist das dann Gottes Wort?
Wir werden es in unserem Herzen spüren, wenn Gottes Wort erklingt. Denn Gott hat uns auch die Gabe
gegeben, sein Wort zu hören und zu erkennen. Wir müssen nur aufmerksam sein, uns Zeit nehmen und dazu
sicher auch die Stille suchen, damit das Wort gut vernehmbar wird. Und dann wissen wir es: Gott spricht.
Schließlich sollen wir Liebe üben, und das fällt uns wohl sicher am leichtesten. Aber wie weit soll
diese Liebe gehen? Auf jeden Fall soll sie den Nächsten nicht übersehen, den Menschen, der unsere Hilfe
braucht und sich mit der Bitte um Hilfe an uns wendet.
Sie soll auch da nicht halt machen, wo wir meinen, dass es nichts Liebenswertes gibt. Um es auf die Spitze
zu treiben: Sind Verbrecher wirklich nur Ungeheuer, die kein bisschen Liebe verdienen, oder besteht die
Möglichkeit, dass Liebe sie verändert? Kann man es Menschen, die durch einen anderen Menschen Schaden
erlitten haben, zumuten, diesen Menschen zu lieben?
Der Nachbar, mit dem wir uns verkracht haben: sollten wir nicht auch ihm in Liebe begegnen?
Es wird, das merken wir, eben doch nicht so einfach sein, wie wir es uns vorstellen. Jesus hat es in der
Bergpredigt so formuliert: „Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder
seid eures Vaters im Himmel. … Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben?“
(Mt 5, 44-45a.46a)
Liebt eure Feinde: das ist die größte Herausforderung überhaupt. Wir werden uns beständig darin üben
müssen, denn es genügt ja nicht, die Feinde einfach nur zu tolerieren, was eventuell jedem noch gelingen
kann.
„Liebe üben“ ist weit mehr. Denn Liebe geht auf den anderen Menschen zu, auch auf den, dem wir viel
lieber aus dem Weg gehen würden.
Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten
und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.
Es ist dir gesagt, es ist in dein Herz gelegt. Wenn wir alle auf diesem Weg gehen, der uns da aufgezeigt
wird, dann wird uns nichts schaden können, auch wenn die Welt voller Teufel wäre und alles über uns
zusammenbrechen würde. Denn dann sind wir in Wahrheit Gottes Kinder.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Ein Herz, das Demut liebet (EG 10, 3-4)
O Heilger Geist, kehr bei uns ein (EG 130, 1-3.5)
Freuet euch im Herren allewege (EG 239)
Gott, weil er groß ist (EG 411)
So jemand spricht: "Ich liebe Gott" (EG 412)
Lass mich, o Herr, in allen Dingen (EG 414)
Lass die Wurzel unsers Handeln (EG 417)
Hilf, Herr meines Lebens (EG 419)
Liebe ist nicht nur ein Wort (
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