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Zu den Perikopen
Predigtvorschläge zu Reihe I - Jes 35, 3-10
Liebe Gemeinde!
Was ist Glaube? Um diese Frage zu beantworten, zitiere ich gerne den Hebräerbrief, wo
es im 11. Kapitel heißt:
„Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein
Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“ (Hebr 11, 1)
(Wiederholen)
Glaube bewegt sich mit anderen Worten in einem Terrain, das nicht zu existieren scheint. Er
hat mit dem zu tun, was Wissenschaftler als „unlogisch“ oder gar „unmöglich“ bezeichnen
würden.
Und darum ist Glaube auch eine Zumutung. Paulus hat von der Torheit des Kreuzes gesprochen,
denn die Welt kann nicht begreifen, dass durch Jesus Christus Gott selbst gehandelt hat
und noch handelt. Ja, die Welt begreift Gott noch nicht einmal.
Allein der Glaube tut es, aber auch für ihn gibt es Grenzen.
Denn es gibt keinen Menschen, der Gott beschreiben könnte. Alle unsere Worte reichen dazu
nicht aus. Einzig durch Jesus Christus wurde Gott gewissermaßen darstellbar. Denn in ihm
wurde Gott Mensch, ließ sich ganz auf uns ein – eine unvorstellbare Selbstbeschränkung,
die uns Gott so nahe brachte, wie es sonst nicht möglich gewesen wäre.
Aber Jesus ist nun nicht mehr unter uns, und darum sind wir wieder zurückgeworfen auf
unseren Glauben, durch den wir wie durch einen Schleier etwas von Gott schauen können.
Aber es bleibt immer ein diffuses Bild, denn es mischt sich auch immer unsere eigene
Vorstellungswelt mit hinein, die wir aus unserer Kindheit mitgenommen haben – für manche
eine Last, für andere eine Hilfe.
Und nun wird durch den Propheten Jesaja unser Glaube auf's Neue herausgefordert.
„Die Augen der Blinden werden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden.“ Die Lahmen
werden „springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken.“
Wir denken an die Wundergeschichten, die uns von Jesus erzählt wurden. Da wurden Blinde,
Lahme, Taube und Stumme geheilt – aber längst nicht alle, die es in der damaligen Zeit gab.
Die Wunder, die uns von Jesus erzählt werden, sind vielmehr ein Hinweis auf den Allmächtigen,
der durch Jesus die Welt auf den Kopf stellt. Sie weisen uns hin auf das nahe Reich Gottes,
das sich zu seiner Stunde Bahn brechen und alles Endliche in dieser Welt, alles Leid und
allen Schmerz überwinden wird.
Und dann werden „Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Land. Und wo es
zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen
Brunnquellen sein.“
Man fühlt sich etwas erinnert an den Klimawandel, der in manchen Gegenden das Wetter auf
den Kopf stellt. Aber da hat es dann auch zerstörerische Kraft, und Jesaja redet an dieser
Stelle nur vom Heil, das sich hier Bahn bricht. Es ist also keineswegs der Klimawandel
gemeint, sondern eine Verwandlung der Welt, so dass sie für alle Menschen zum Lebensquell
wird. Hier ist vom Paradies die Rede, das erst dann Wirklichkeit werden kann, wenn Gott
selbst kommt, um uns zur Vollendung zu führen.
Das sind also Prophezeiungen, die wir so nicht wirklich nachvollziehen können.
Man könnte natürlich jetzt anfangen, diese Texte umzudeuten. Dass Taube hören sei nur
sinnbildlich gemeint dafür, dass die Menschen endlich verstehen, worum es geht. Das Gleiche
für die Blinden, die plötzlich sehen. Und die Lahmen, die da plötzlich umherspringen,
sind die, die sich bisher in Trägheit gewälzt haben.
Aber wenn wir den Text so interpretieren, dann müssen wir uns die Frage stellen lassen, ob
wir da nicht etwas hinein lesen, also den Sinn des Textes verändern; das wollen wir ja
eigentlich nicht, sondern wir wollen versuchen, die Worte so zu verstehen, wie sie ursprünglich
gemeint ist.
Allerdings kann es auf der anderen Seite auch sehr problematisch werden, wenn man alles
wortwörtlich nimmt, zumal wir es hier mit einer Übersetzung zu tun haben, die ja schon ein
Stück weit Interpretation ist. Darum ist es gut, behutsam mit solchen Texten umzugehen.
Eins ist deutlich und sollten wir erst einmal so stehen lassen: der Text redet von Ereignissen,
die so noch nicht geschehen sind. Sie werden angesagt für ein Volk, das genau das Gegenteil
erlebt hat: Zerstörung der Städte und Deportation der Oberschicht. Das Land lag wüst, die
Brunnen waren verstopft.
Also nicht nur, dass die Aussagen Jesajas einem vernünftigen Menschen nicht wirklich
einleuchten: sie standen auch genau entgegengesetzt zur Realität.
Da wird der Glaube in der Tat herausgefordert. Ist das, was Jesaja da von sich gibt, nur
leeres Gerede, weil es ja sowieso niemals eintreffen kann?
Lassen wir diese Worte des Propheten jetzt erst einmal so stehen und schauen, was er uns
noch zu sagen hat.
„Es wird dort eine Bahn sein, die der heilige Weg heißen wird.“
Der heilige Weg. Ein Weg, auf dem nur die gehen dürfen, die erlöst sind. Von Toren, also
Unverständigen, und Unreinen und Raubtieren ist die Rede, die nicht auf diesem Weg gehen
dürfen – und es auch nicht tun.
Und dann heißt es: „Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen und nach Zion kommen mit
Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen,
und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.“
Die christliche Gemeinde hat diese Worte schon früh auf sich selbst bezogen, aber mit den
Erlösten sind wohl eher die gemeint, die aus dem Exil zurückkehrten. Denn Erlösung heißt
auch Befreiung, Erlöste sind Befreite.
Aber dann merken wir doch andererseits, dass das nicht alles sein kann. Jesaja muss mehr
meinen, wenn er von ewiger Freude redet und davon, dass Schmerz und Seufzen entfliehen.
Das können nicht nur Metaphern sein für die Befreiung aus der Gefangenschaft, zumal das
Volk ja nach wie vor abhängig war vom babylonischen Herrscher. Das ist eigentlich kein
Grund zur Freude, schon gar nicht ewiger Freude. Vielleicht entflieht der Schmerz, aber
das Seufzen wird bleiben, denn sie sind nach wie vor Abhängige, Knechte, und sie werden
über ihre Knechtschaft seufzen, so wie sie damals in der Knechtschaft in Ägypten geseufzt
haben.
So scheint es, als ob diese Worte noch auf ihre Erfüllung warten.
Jesus hat sie rund 600 Jahre später aufgenommen, als ihn die Jünger Johannes des Täufers
fragten, ob er der Messias sei. Er antwortete: „Geht hin und sagt Johannes wieder, was
ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören,
Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt.“ (Mt 11, 4b-5)
Das hört sich sehr nach dem an, was Jesaja im ersten Abschnitt unseres Predigttextes sagt,
und sicher hat Jesus bewusst mit diesen Worten eine Verbindung damit herstellen wollen,
denn durch ihn wurde sichtbar, was Jesaja verkündigte.
Aber es war dann doch nicht vollkommen. Nicht alle wurden geheilt, sondern nur ein kleiner
Teil. Durch Jesus gelang es, einen Blick zu werfen in das kommende Reich Gottes, aber nicht
mehr. Und da gewinnen dann die letzten Worte Jesu besondere Bedeutung: „Armen wird das
Evangelium gepredigt“.
Das finden wir so nicht bei Jesaja, aber genau das ist der Brückenschlag in unsere Zeit
hinein: die Verkündigung des Evangeliums, der guten Botschaft von der Liebe Gottes. Diese
Botschaft will hinausgetragen werden in die Welt, durch uns. Sie ist Teil dieser endzeitlichen
Prophetie, denn durch das Evangelium wird Glaube geweckt, der begreift, wie Gott in unsere
Welt hinein wirkt.
Es geht also nach wie vor um den Glauben, der diese Gute Botschaft erfasst und aus ihr Kraft
und Hoffnung schöpft.
Noch sind Neid und Missgunst, Habgier und Selbstsucht an der Tagesordnung und bestimmen
unsere Gesellschaft und die ganze Menschheit. Das Paradies, wie Jesaja es ansatzweise
schildert, gibt es schlicht und ergreifend noch nicht.
Aber da ist eben dieses „noch“. Ich hätte es weglassen können, aber der Glaube hindert mich
daran. Denn ich weiß: es wird kommen. Das Leben in vollkommener, ewiger Freude, die
Befreiung von Leid, die Verwandlung dieser Erde in eine Lebensaue, das erwarten wir.
Diese Erwartung: Das ist der Glaube.
Mit diesem Glauben gehen wir in die Adventszeit und blicken nicht nur zurück auf ein
Ereignis, das sich vor rd. 2000 Jahren ereignet hat, sondern auch voraus auf ein noch
größeres Ereignis, das sich bald ereignen wird: das Kommen unseres Herrn, wenn er die
Erlösten des Herrn zusammenführen wird auf dem Heiligen Weg, der nur für sie von ihm
bereitet ist.
Amen
oder
Liebe Gemeinde!
»Nun, wie geht's?« fragte die Nachbarin. »Och, es geht so. Das
Übliche. Nichts Neues.« antwortete Frau Müller. So ging es fast jeden
Tag, wenn sie sich vor der Haustür begegneten, die eine auf dem Weg
zum Einkauf, die andere auf dem Weg zurück. Die beiden unterhielten
sich noch etwas über dies und jenes, Belanglosigkeiten, dann gingen
sie wieder auseinander, jede ihren gewohnten Weg.
Nichts Neues, alles beim Alten. Wie oft schon sind sie sich so begegnet.
Nur selten gab es aufregendes zu berichten, wenn jemand gestorben war
zum Beispiel. Oder wenn im Fernsehen etwas Schlimmes berichtet wurde.
Aber sonst: Nichts Neues. Das kann müde machen. Immer der selbe Trott,
das wird langweilig, und vielleicht kommt dann auch irgendwann einmal
die Frage auf: wozu tue ich das eigentlich? Vor allem, wenn man nur noch
für sich selbst sorgt, wenn der Lebenspartner schon gestorben ist und
die Kinder schon lange aus dem Haus sind und weit weg wohnen, kann
dieser Zustand bedrücken und entmutigen. Nichts Neues. Wofür tue ich
das eigentlich? Diese Fragen sind vielleicht irgendwann in ihrem Leben
beiden Frauen, die sich da begegneten, durch den Kopf gegangen, und
haben sie lange Zeit begleitet, bis sie vielleicht eine mehr oder
weniger befriedigende Antwort fanden: so ist das Leben nun mal. Nichts
Neues, jeden Tag derselbe Trott, alles beim Alten.
Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Saget den
verzagten Herzen: Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer
Gott! (Jes 35, 3-4)
Seht, da ist euer Gott! »Wo?« fragt sich Frau Müller. »Ich sehe nur
Leere, um mich herum ist nichts, worin ich Gott erkennen könnte. So,
wie Gott sich ankündigt, kommt er nicht, zumindest nicht zu mir. Da
ist kein Pomp, kein Gloria, ich hör die Engel nicht singen. Da ist
niemand, der gewaltig und mächtig ist. Es gibt nichts Neues, es ist
alles beim Alten. Er kommt zu Weihnachten? Schön wär's. Ich kann
es jedenfalls nicht lange ertragen, am Heiligabend in meiner Stube
beim Weihnachtsbaum allein zu sitzen. Zu viele Erinnerungen an schönere
Zeiten kommen da hoch. Da gehe ich doch lieber schnell ins Bett. Gott
begegnet mir jedenfalls am Heiligabend am wenigsten. Dieses Fest macht
mich eher traurig und betrübt.
Und dieser ganze Weihnachtsrummel geht mir auch schon auf die Nerven.
Das ändert doch auch nichts, und vielleicht kommt gerade deswegen Gott
nicht zu uns, weil wir sein Fest schon lange zu unserem Fest gemacht
haben. Es geht doch nur noch darum, wieviel Gewinn man aus der Feststimmung
herausschlagen kann. Süßer die Kassen nie klingeln, oder wie war das
noch? Worüber kann ich mich denn freuen? Über die Geschäftstüchtigkeit
der Ladenbesitzer? Ich habe das Gefühl, als lebte ich in einer Wüste -
rings um mich herum nur Einöde, Staub, Dürre, Tod. Alles um mich herum
wirbelt zwar und die Menschen sind geschäftig, aber innen drin: was
geht in diesen Menschen vor? Ich spüre in mir drinnen jedenfalls nur
eine große Leere. Womit kann ich sie füllen?«
Wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre
gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen
haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen. (Jes 35, 7)
»Ein Teich in der Wüste, eine Oase - ein Ort des Lebens dort, wo
normalerweise nichts leben kann.« Frau Müller beginnt, sich dieses
Bild vorzustellen. »Frisches Wasser sprudelt aus den Quellen. Sich
dort niederlassen, die Wüste zurücklassen können, das wünsche ich mir.
Sich am Ufer des Teiches niedersetzen, beobachten, wie die Mücken über
dem Wasser schwärmen oder wie die Fische dicht unter der Oberfläche die
letzten Sonnenstrahlen aufsaugen. Bunte Vögel beleben das Ufer.
Unvergesslich das leuchtende Rot des Sonnenuntergangs über dem
Wasser, wunderbar erfrischend die kühle Brise, die vom Wasser her
weht. Ja, hier könnte ich leben. Mein Leben wäre nicht so eintönig,
so trostlos, ich könnte es genießen, stundenlang am Wasser zu sitzen
und mich an Gottes Schöpfung zu erfreuen. Aber es ist ja doch alles
nur ein Traum, eine Zukunftsvision, weit weg, für mich nicht von
Bedeutung. Die Wüste um mich herum wird wüst bleiben, da wird es
keine sprudelnden Quellen mehr geben.«
Und es wird dort eine Bahn sein, die der heilige Weg heißen wird.
Kein Unreiner darf ihn betreten; auch die Toren dürfen nicht darauf
umherirren. Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier
darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten
werden dort gehen. (Jes 35, 8-9)
»Ein Weg... wohin führt er wohl?«, fragt sich Frau Müller. »Das möchte
ich gerne herausfinden. Vielleicht führt er mich ja heraus aus meiner
Wüste? Aber darf ich überhaupt auf diesem Weg gehen? Kein Unreiner darf
ihn betreten, so heißt es... und ich? Bin ich rein oder unrein? Wer
oder was macht mich rein? Wodurch werde ich unrein?
Ich weiß darauf keine Antwort. Ich kann nicht sagen, ob ich rein bin,
ob ich diesen Weg betreten darf. Wahrscheinlich ist, dass ich unrein
bin, denn ich kann den Weg nicht erkennen. Er ist meinen Augen entzogen.
Wie kann ich rein werden, damit ich zu diesem Weg finde und ihn beschreiten
kann?
Zunächst muss ich mich wohl fragen, was mich unrein macht. Ist nicht
all das, was mich von Gott trennt, unrein? Ist es dann vielleicht meine
Unsicherheit? Die Tatsache, dass ich nicht weiß, ob ich diesen Weg
betreten darf? Das Zweifeln daran, dass Gott überhaupt kommt?
Dieser Zweifel, der sich so oft in meinem Leben regt... nein, das glaube
ich nicht. Gott kann mich doch nicht im Stich lassen, bloß weil ich zweifle.
Er ist doch auch zu anderen Menschen gekommen, die zweifelten: Thomas zum
Beispiel, der nicht glauben wollte, dass Jesus auferstanden ist. Gott
hat sich ihnen doch offenbart. Er hat sich vor den Zweifelnden nicht
verborgen.
Was mich unrein macht, was mich von Gott trennt, ist etwas anderes. Ich
glaube, es ist die Tatsache, dass ich aufgehört habe, mit Gott zu rechnen.
Ich halte es nicht mehr für möglich, dass Gott kommen könnte. Darum
erkenne ich auch den Weg nicht, der sich da auftut, darum kann ich
Gottes Nähe nicht spüren.«
Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen und nach Zion kommen mit
Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne
werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.
(Jes 35, 10)
»Die Erlösten des Herrn... Wie schön wäre es, wenn ich zu diesen Erlösten
gehören würde!«, dachte Frau Müller bei sich. »Ich würde mit ihnen
jauchzen! Ich würde Gott loben von ganzem Herzen! Ja, ich will diese
Freude und Wonne! Erlöse mich, Gott!«
Jesus Christus nahm das Brot und gab es Frau Müller und sprach: nimm
und iss, das ist mein Leib, der für dich gegeben wurde zur Erlösung von
deinen Sünden. Und er nahm den Kelch und gab ihn Frau Müller und sprach:
nimm und trink, dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für
dich vergossen wird zur Erlösung von deinen Sünden.
Und als sie aß und trank, kam Gott zu ihr. Sie hatte begonnen, wieder mit
Gott zu rechnen. Darum konnte sie erlöst werden. Gott zog ein in ihr Herz,
nicht mit Pomp und Gloria, sondern mit dem Frieden, den nur Gott geben kann.
Er kam zu ihr voller Gnade und führte sie auf den Weg der Erlösten des
Herrn. Ihr Leben wurde neu, jeder Tag schenkte ihr neue Freude. Und nun
erkannte sie, dass ihr Leben nicht sinnlos geworden war. Sie sah die Not
ihrer Nachbarin. Aus den kurzen Gesprächen vor der Haustür wurden lange
Nachmittage, die beiden wurden die besten Freundinnen. Sie erkannte, wenn
sie gebraucht wurde, und schenkte ihren Mitmenschen mehr Aufmerksamkeit.
Gott kam durch sie noch zu vielen Menschen.
»Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen;
ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen,
und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.«
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Ihr lieben Christen, freut euch nun (EG 6)
O Heiland, reiß die Himmel auf (EG 7)
Mit Ernst, o Menschenkinder (EG 10)
Das schreib dir in dein Herze (EG 11, 6-10)
Herzlich tut mich erfreuen (EG 148)
Jerusalem, du hochgebaute Stadt (EG 150)
Er wird nicht lang verziehen (EG 151, 4-8)
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Predigtvorschläge zu Reihe III - Jak 5, 7-8(9-11)
Liebe Gemeinde!
Nachdem Clara mit dem Fahrrad etwas ruppig über den Bordstein gefahren war, war der
Reifen platt. Wie auch sonst hatte sie ihren Vater gebeten, das Fahrrad zu reparieren.
Aber nachdem der herausbekommen hatte, wie es zu dem Platten gekommen war, sagte er zu
ihr: „Du hast mir doch schon oft genug zugesehen, wie das geht. Versuch's mal
selber. Du weißt ja, wo das Werkzeug ist. Wenn Du nicht weiter weißt, komme ich
und helfe dir.“
Clara machte sich murrend daran, denn eigentlich würde sie viel lieber mit ihren
Freundinnen was unternehmen. Doch zuvor zog sie sich noch die spezielle Arbeitskleidung
an. Denn sie wusste ja, dass das Reparieren von Fahrrädern mit viel Schmutz verbunden
ist, und ihre schicken Klamotten wollte sie nicht ruinieren.
Gleich am Anfang schon tat sich das erste Problem auf: die Radmuttern lösten sich nicht.
„Papa, ich schaff' das nicht!“ rief sie in die Wohnung hinein.
„Einen Moment, ich komme gleich!“, schallte es aus der Wohnung zurück, und Clara setzte
sich hoffnungsvoll auf die Stufe und betrachtete währenddessen das Fahrrad.
'Das Hinterrad ist viel schwerer zu reparieren als das Vorderrad', hatte sie schon
vor längerer Zeit festgestellt, 'denn da muss man ja auch noch auf die Kette aufpassen
und sie hinterher wieder richtig spannen.' Aber Papa würde ihr da sicher helfen...
wenn er nur käme.
Nach einer Weile, die ihr schon wie eine Ewigkeit erschien, kam eine Freundin vorbei und
rief ihr zu: „Kommst du mit? Wir wollen bei Elli die neueste Folge von DSST (das bedeutet:
„Deutschland sucht den schönsten Teenager“) anschauen.“
Da konnte Clara nicht widerstehen. Sie sprang ohne zu überlegen auf und ging mit ihrer Freundin
zu Elli. Dass sie ihre Arbeitsklamotten anhatte, störte sie nicht besonders, denn die hatte
ihre Mutter ja gerade erst gewaschen. Außerdem hatte sie eigentlich schon vergessen, warum
sie eigentlich da draußen auf der Stufe gesessen hatte.
Wenig später kam der Vater heraus. Das Fahrrad stand zwar vor der Tür, aber Clara war weit
und breit nicht zu sehen. Leise lächelnd schüttelte er den Kopf und ging wieder ins Haus
hinein.
Liebe Gemeinde,
„Ich komme gleich“, hatte der Vater gesagt.
Wenn jemand ein solches Versprechen gibt, was erwarten wir dann von ihm? Doch sicher, dass
es nicht allzu lange dauern wird, bis die Person kommt. Aber was heißt „nicht allzu lange“?
Für manche Menschen sind 5 Minuten schon eine lange Zeit, andere harren ohne zu Murren eine
halbe Stunde odedr vielleicht sogar noch länger aus.
Aber irgendwann wird sich wohl jeder einer anderen Aufgabe zuwenden. Denn ewig warten, dazu
hat wohl niemand Lust. Es gibt andere, interessantere Dinge, denen man sich zuwenden kann.
Nun haben wir es in unserem christlichen Glauben genau mit solch einem „Ich komme gleich!“
zu tun. Luther hat es etwas anders übersetzt mit „Ich komme bald!“. Wir hören es ähnlich in
unserem Predigttext, aber auch genau so in den Worten eines der Predigttexte für diesen
Sonntag aus dem Buch der Offenbarung:
Siehe, ich komme bald; halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme! (Offb 3, 11)
Wie lange dauert es, bis das „bald“ eintritt? Fünf Minuten? 10 Minuten? Eine halbe Stunde?
Oder doch länger?
Tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache,
heißt es im 91. Psalm, und so könnte man das lange Hinauszögern vielleicht damit erklären.
Aber es sind nun schon 2000 Jahre, die wir auf das Kommen des Herrn warten, und wenn man die
Übertragung auf Gottes Zeit wörtlich nehmen will, dann müsste man wohl folgern, dass inzwischen
bei ihm zwei Tage vergangen sind.
Auch so lange lässt man niemanden warten, wenn man verspricht, bald zu kommen.
Aber es gibt ja auch das Versprechen des Verreisenden: Ich bin bald wieder da. Von einem
solchen Versprechen wissen wir, dass es schon einige Tage, vielleicht sogar Wochen, dauern
kann, bis er wiederkommt. Da sind wir dann auch bereit, zu warten.
An so ein Versprechen könnte man auch bei Jesus denken, weil er ja auch regelrecht Abschied
von seinen Jüngern genommen hat, was besonders im Johannes-Evangelium mit den Abschiedsreden
deutlich wird. Auch da hat er gesagt: ich will wiederkommen und euch zu mir nehmen, damit ihr
seid, wo ich bin. (Joh 14, 3b)
Aber da sagt er diese Worte als Mensch, und es scheint, als wolle er tatsächlich in kurzer
Zeit zurück kommen, vielleicht ein paar Jahre, aber sicher keine Jahrhunderte später.
Und so gab es unter den ersten Christen ja auch die sogenannte „Naherwartung“, denn man hatte
Jesus tatäschlich so verstanden, dass er noch zu Lebzeiten der Apostel wiederkommen würde. Dazu
trugen auch die Worte bei, die wir bei Matthäus, Markus und Lukas lesen können: „Wahrlich, ich
sage euch: Es stehen einige hier, die werden den Tod nicht schmecken, bis sie den Menschensohn
kommen sehen in seinem Reich.“ (Mt 16, 28; Mk 9, 1; Lk 9, 27)
Und auch unser heutiges Evangelium spricht davon: „Wahrlich, ich sage euch: dieses Geschlecht
wird nicht vergehen, bis dies alles geschieht.“ (Lk 21, 32)
Für eine längere Zeit ist der Mensch ohnehin nicht geschaffen. Ihm sind nur 70, wenn's hochkommt
80 Jahre gegeben, in denen er warten kann. Und wer ernstlich wartet, der will es auch erleben, im
wahrsten Sinn des Wortes.
Aber nun sind es fast 2000 Jahre des Wartens. Was sollen wir davon halten? Kombiniert Jesus das
menschliche Wiederkommen nach einer längeren Reise mit den Worten aus dem 91. Psalm, so dass wir
noch einige tausend, vielleicht sogar zigtausend Jahre des Wartens vor uns haben?
Dann wäre es wohl nur recht, wenn wir es uns mehr oder minder bequem machten, wenn wir unser
Leben so einrichteten, als käme er nicht. Denn es wäre ja tatsächlich noch Zeit, das Wiederkommen
des Menschensohn beträfe eine Generation, die lange nach uns geboren wird.
Aber so kann ich die vielen Worte vom Kommen des Menschensohnes, die wir in dieser Zeit des
Advent lesen, nicht verstehen. Wir werden ja ermahnt, wachsam zu sein, denn der Menschensohn
kommt zu einer Stunde, da wir es nicht meinen. (Mt 24, 44)
So sagte Jesus mehr als einmal. Und auch unser heutiger Predigttext unterstützt diese Mahnung,
indem er uns zur Geduld aufruft:
So seid nun geduldig, liebe Brüder, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die
kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen.
Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe. (Jak 5, 7-8)
Die Adventszeit erinnert uns daran, dass der Menschensohn wiederkommen wird, dass wir es uns
nicht allzu bequem machen sollen, ja eigentlich, dass wir es uns gar nicht bequem machen sollen.
Denn, so schön das Bild vom wartenden Bauern auch sein mag, es ist insofern schlicht falsch, als
der Bauer genau weiß, wann die Erde ihre Frucht hervorbringt. Es ist eine Kenntnis, die er
aufgrund jahrelanger Beobachtung Jahr für Jahr gewinnen konnte und die ihm sicher auch von
seinem Vater schon übermittelt wurde.
So ist es aber nicht mit dem Kommen des Menschensohnes. Er kommt wie ein Dieb in der
Nacht (Mt 24, 43) – völlig unerwartet. Fast so, wie plötzlich die vielen Flüchtlinge
zu uns kommen, nachdem in den rund zwanzig Jahren zuvor nur relativ wenige Flüchtlinge
bei uns Asyl suchten – wenigstens so wenige, dass man es meist gar nicht richtig
wahrgenommen hat.
Wir können es jedenfalls nicht steuern, und wir können auch nicht eine Zeit festlegen.
Wir wissen nur: „Das Kommen des Herrn ist nahe.“
Jakobus mahnt uns zur Geduld, und er meint damit nicht, dass wir uns auf eine lange Zeit
einrichten sollen, sondern er meint damit schlicht: rechnet mit seinem Kommen.
Clara aus unserer anfänglichen Geschichte hatte keine Geduld. Sie wollte nicht warten,
sondern mit ihren Freundinnen zusammen sein.
Und so geht es wohl auch vielen Menschen. Sie fragen sich: Was für einen Sinn hat es, zu
warten? Worauf warten wir überhaupt? Lohnt es sich, zu warten?
Nun, es lohnt sich sicher für alle, die das Reich Gottes erleben wollen. Für alle, die sich
danach sehnen, die Gemeinschaft mit Gott zu erleben, ewigen Frieden zu erfahren, Hass,
Neid, Leid, Enttäuschung, Trauer und sogar den Tod hinter sich zu lassen.
Andererseits: wer sich nicht danach sehnt, wer kein Verlangen danach hat, die Erlösung der
Menschheit von allem Übel zu erleben, der wird es auch nicht erleben.
Ich denke dabei an ein Buch, das vor vielen Jahren veröffentlicht wurde und das Kommen des
Himmelreiches zum Thema hatte. Es beschrieb dieses Ereignis aus der Sicht derer, die zurück
blieben, die den Menschensohn nicht erwartet hatten. Sie erlebten, wie plötzlich Menschen,
die ihnen vertraut waren, nicht mehr da waren, sie wurden „entrückt“ in die Gegenwart Gottes.
Die Welt verwandelte sich und versank im Chaos, denn es fehlten die Menschen, die ihre Kraft
aus der Liebe Gottes schöpften und aus der Sehnsucht nach seinem Kommen heraus ihr Leben
gestalteten und damit auch das Denken und Handeln ihrer Mitmenschen beeinflussten.
Wichtig ist im Grunde nur, dass wir die Sehnsucht nach der Gemeinschaft mit Gott nicht
aufgeben, dass wir nicht aufhören, die Bitte des Vaterunsers: „Dein Reich komme“, ernst
zu nehmen und aus tiefem Herzen zu beten.
„O Heiland, reiß die Himmel auf...“ (EG 7)
Gerade haben wir dieses Lied gesungen. In ihm klingt eine verlangende Sehnsucht nach dem
Kommen des Menschensohnes an.
In lebhaften Bildern bittet Friedrich Spee den Heiland, endlich in unsere arme Welt zu
kommen, die zu der Zeit der Entstehung dieses Liedes bereits die ersten Jahre des 30-jährigen
Krieges erlebt hatte.
„Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt,
darauf sie all ihr Hoffnung stellt?
O komm, ach komm vom höchsten Saal,
komm, tröst uns hier im Jammertal.“ (EG 7, 4)
So sehr wir uns nach seinem Kommen sehnen, so wenig, glaube ich, haben wir begriffen, was es
bedeutet, wenn Jesus sagt, dass das Himmelreich schon mitten unter uns ist.
Denn wir reden hier ja doch von zwei verschiedenen Erfahrungswelten. Zeit und Ewigkeit können
nicht wirklich zusammen gehen, und wer in der Zeit ist, kann die Ewigkeit nicht wirklich
begreifen. Die Zeit ist immer ein Teil der Ewigkeit, aber die Ewigkeit kann nicht ein Teil
der Zeit sein.
Aber indem wir die Zeit als Teil der Ewigkeit begreifen, wissen wir, weil Gott der Ewige ist,
dass wir in ihm geborgen sind, dass wir bereits etwas schmecken können von der Ewigkeit.
Seid … geduldig und stärkt eure Herzen, denn das Kommen des Herrn ist nahe. (Jak 5, 8)
Seid geduldig, aber legt deswegen nicht die Hände in den Schoß, es sei denn, um auf diese
Weise um sein Kommen zu bitten. Seid geduldig, denn er kommt, um uns teilhaben zu lassen an
der Welt Gottes, um uns die bleibende Stadt zu schenken, das himmlische Jerusalem, wo Gott
selbst alle Tränen abwischen wird von unseren Angesichtern, wo der Tod nicht mehr sein wird
noch Leid noch Geschrei noch Schmerz. Denn das Erste ist vergangen. (Offb 21, 4).
„Ja, ich komme bald!“, heißt es am Ende unserer Bibel, und unsere Antwort lautet: „Amen,
ja, komm, Herr Jesus!“ (Offb 22, 20)
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Ihr lieben Christen, freut euch nun (EG 6)
O Heiland, reiß die Himmel auf (EG 7)
Ihr Armen und Elenden (EG 9, 5-6)
Mit Ernst, o Menschenkinder (EG 10)
Die Nacht ist vorgedrungen (EG 16)
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Predigtvorschläge zu Reihe IV - Jes 63, 15 - 64, 3
Diese Predigt wurde in zwei Teile geteilt, in der Mitte spielte ein Flötenensemble.
Dies kann natürlich den Gegebenheiten angepasst werden (anstatt Flöten Orgel, oder auch gar keine Unterbrechung).
Liebe Gemeinde!
Noch gibt es Lebkuchen und Spekulatius zu kaufen, auch Schokoladenweihnachtsmänner sind in den Regalen
zu finden. Aber die Vorräte schwinden, in manchen Geschäften sind die ersten Weihnachtsgebäcke, die bereits
seit September angeboten wurden, schon nicht mehr zu haben.
Man merkt: langsam wird die Produktion auf Oster-Süßigkeiten umgestellt. Denn die Zeit vor Ostern ist ja nicht
gerade lang – diesmal sind es nur gerade mal drei Monate nach Epiphanias. Die Zeit vor Ostern ist kürzer
als die Zeit vor Weihnachten. Dabei ist die Zeit gemeint, die geschäftlich im Blick auf Weihnachten genutzt werden
kann – eben durch den Verkauf von Weihnachtsgebäck.
Gott sei Dank gibt es wenigstens dieses Hemmnis, das Weihnachtsfest, sonst könnte man jetzt schon
Schokolade-Osterhasen, Zuckereier und was es sonst so alles an Ostersüßigkeiten gibt, unterm Weihnachtsbaum finden.
Aber weil da nun mal Weihnachten ist, hält man sich – bisher? – mit dem Verkauf zurück.
Aber, wie gesagt: wenn erstmal Weihnachten ist, sind Spekulatius, Pfeffernüsse und all die anderen
Weihnachtsleckereien höchstens noch im Ausverkauf zu haben, in den meisten Läden aber wohl nicht mehr.
Dabei beginnt dann doch eigentlich erst die Festzeit, in der man sich mit solchen Leckereien eine Freude bereiten kann.
Das Kirchenjahr hat eine klare Struktur, die durchaus hilfreich ist für die eigene Lebensgestaltung. In der Zeit, in der
das Weihnachtsgebäck bereits in den Läden zum Kauf angeboten wird, gibt es eine Reihe von Festen, die nur noch
wenig von der städtischen Bevölkerung wahrgenommen werden, aber ihre je eigene Gestalt und Bedeutung haben.
Da ist das Erntedankfest – Gott Dank sagen für die Gaben, von denen wir satt werden. Dieses Fest führt ein
Schattendasein, auch wenn wir unsere Kirchen festlich schmücken. Wer außer den Kirchgängern nimmt es noch wirklich wahr?
Das gleiche gilt wohl auch für das Reformationsfest. Da werden die Gemüsehändler zwar jede Menge Kürbisse los, und so
manches Kostüm wandert über den Ladentisch, aber Reformationsfest?
Dass die Entstehung der protestantischen Kirche ein Grund zum Feiern – und zum Danken – ist, ist wohl den
wenigsten bewusst. Sonst hätte Halloween wohl doch nicht so leichtes Spiel gehabt.
Dann ist da das Ende des Kirchenjahres. Wir gedenken unserer verstorbenen Gemeindeglieder, und viele nehmen diesen Tag
zum Anlass, die Gräber ihrer Lieben für den Winter vorzubereiten.
Aber den Weg in die Kirche finden dann doch nicht so viele, obwohl es sicher ganz gut täte, sich seiner eigenen Vergänglichkeit
bewusst zu werden, und sich zugleich aufgehoben zu wissen in der großen Gemeinschaft aller Heiligen, zu der wir doch durch die
Taufe gehören.
Erst dann beginnt der Advent.
Ich erinnere mich, dass wir als Kinder erst am Nikolaustag einen Teller mit Obst und Keksen bekamen, einen Vorgeschmack
auf das Christfest, aber das war dann unsere ganze Ration an Süßigkeiten bis zum Heiligabend! Der Stollen, den unsere Tante
aus dem Erzgebirge nach uraltem Rezept gebacken und uns per Post geschickt hatte, wurde natürlich erst nach Heiligabend
angeschnitten.
Und das hat einen Grund: Die Adventszeit ist Vorbereitungszeit. Vorbereitung auf das Christfest. Es ist Zeit, in sich zu gehen und
darüber nachzudenken, was dieses Kind in der Krippe, dessen Geburtstag wir am 25. Dezember feiern, für mein Leben bedeutet,
und auch darüber, warum Gott Mensch wurde.
Die Spannung, die wir als Kinder erlebten, bis endlich das Christfest da war, war enorm. Es war eine wunderbare Zeit, voller
Erwartung, voller Sehnsucht, voller Hoffnung.
Eine solche Spannung erleben wir heute kaum noch. Man hat den Eindruck, dass es es nur darum geht, den Umsatz zu erhöhen,
immer noch ein bisschen mehr Gewinn zu machen als im Vorjahr. Das Besondere dieser Zeit ist längst verloren.
Nur in unseren Gottesdiensten erleben wir noch etwas davon, und auch das nur spärlich: es fällt das „Ehre sei Gott in der Höhe” weg.
Wir stimmen nicht mehr mit ein in den Gesang der Engel, die damals den Hirten die frohe Botschaft verkündigten:
Euch ist heute der Heiland geboren! Denn wir wären dessen nicht würdig, wenn Gott nicht Mensch geworden wäre,
um uns von unserer Schuld zu befreien.
Doch davon wird, wie gesagt, kaum etwas wahrgenommen. Es ist nicht Vorbereitungszeit, sondern Vorweihnachtszeit,
in der der Einzelhandel bekanntermaßen den größten Umsatz macht. Anstatt Gott in dieser Zeit näher zu kommen,
entfernen wir uns immer weiter von ihm.
Dem Propheten Jesaja ging es damals genauso. Es gab zwar damals keine Schokoladenweihnachtsmänner usw., aber den
Menschen war der Umsatz wichtiger als der Weg zu Gott und mit Gott. Die Armen wurden dabei noch ärmer, die Reichen
wurden immer Reicher, und denen, die es brauchten, verweigerte man die Hilfe.
Das kommt uns bekannt vor. Heute ist es ja nicht anders. Die Kluft zwischen den Armen und Reichen wird ständig größer,
und während wir uns hier noch um den Erhalt eines gewissen Lebensstandards zu bemühen, verhungern in anderen
Ländern stündlich hunderte von Menschen. Das ist eine Schieflage, die eigentlich unerträglich sein müsste für alle
Menschen, und dennoch wird kaum etwas getan, weil die Wirtschaftlichkeit allen Handelns an erster Stelle steht.
Und darum ruft der Prophet in seiner Klage zu Gott: „Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche
Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich. Du, HERR, bist unser Vater; „Unser Erlöser”, das ist von alters her dein
Name. Warum lässt du uns, HERR, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten?”
Lasst uns an dieser Stelle innehalten und selbst dieser Frage nachgehen, während wir von den Flöten etwas Musik hören.
Flötenmusik
„Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen, [64,1] wie Feuer Reisig
entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, dass dein Name kundwürde unter deinen Feinden und die Völker vor dir
zittern müssten, wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten – und führest herab, dass die Berge vor dir
zerflössen!”
Jesajas Enttäuschung über das Handeln des Gottesvolkes ist so groß, dass er mit eindrücklichen Worten Gott zum
Eingreifen auffordert. Aber seine Aufforderung ist so drastisch, dass man ihm zurufen möchte: „Moment mal,
nicht so hastig! Hörst Du Dir überhaupt zu? Weißt Du, was das bedeutet? Es wäre doch auch dein eigenes Ende! Willst
Du das wirklich?”
Jesaja will es aus ganzem Herzen. Aus tiefster Seele ruft er Gott zu, dass er seine Macht aller Welt sichtbar machen soll.
Sein eigenes Schicksal ist ihm dabei nicht egal. Aber er weiß, dass für den, der sein Vertrauen auf Gott setzt, selbst die
größte Gewalt nichts Zerstörerisches haben kann.
Und hier geht es ja um Gott. Jesaja fordert Gott auf, in diese Welt hinein zu kommen und den Menschen seine Herrlichkeit
erfahrbar zu machen so, dass es alle begreifen!
Doch er will das nicht, damit sie alle sterben, sondern damit sie sich bekehren und letztlich doch wieder den Weg zu und mit Gott finden.
Wenn wir beten, dann neigen wir oft dazu, die Formulierung, die nach den Evangelien Jesus selbst gesprochen hat, mit einzufügen:
nicht mein, sondern dein Wille geschehe.
Diese Worte führen dann aber oft auch dazu, dass man das Gebet als überflüssig ansieht. Wenn mein Wünschen, mein Sehnen,
mein Hoffen dadurch relativiert wird, dass das, was ich erbitte, evtl. gar nicht dem Willen Gottes entspricht, wozu soll ich dann noch
um etwas bitten? Gott wird ja schon seinen Willen durchsetzen – irgendwann.
Dagegen macht uns Jesaja vor, wie das Gebet dessen, der Gott vertraut und von ihm alles erwartet, aussieht. In dem Gebet
liegt alles Sehnen und Hoffen, auch alle Verzweiflung, die ihn selbst überkommen hat. Es gibt keine Einschränkung, außer der,
Gottes Größe unter keinen Umständen kleinzureden.
„Yes, we can!” - Ja, wir können – das ist die Parole des US-amerikanischen Präsidenten gewesen.
Jesajas Parole würde wohl lauten: „Yes, God can!” - Ja, Gott kann! Ich traue ihm alles zu und verlasse mich
ganz darauf, dass er diese Welt in seiner Hand hält, dass er das Schicksal eines jeden Menschen kennt, dass er eingreift in den
Lauf dieser Welt auf wunderbare, ja, vielleicht auch erschreckende Weise.
„Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohltut denen, die auf ihn harren.”
Es ist die Zeit des Advent. Vorbereitung auf das Christfest, Vorbereitung auf das Kommen Gottes in diese Welt.
Mehr hätte Gott wohl nicht tun können, und doch hat es die Welt nicht so richtig glauben können, glauben wollen. Es war dann ja
auch nicht sonderlich spektakulär, denn wenn Gott Mensch wird, dann wird er es durch und durch.
Ein Mensch wie du und ich, ein unscheinbares Baby, irgendwo im Stall in Bethlehem, am Rande der Gesellschaft, irgendwann.
In jeder Sekunde werden irgendwo auf der Welt mehr als zwei Menschen geboren, in einer Minute sind es schon rd. 160 Menschen.
Warum sollte dieses eine Kind da irgendwelche Aufmerksamkeit erregen?
Und doch ist es das größte Wunder, das wir uns vorstellen können, es ist das wunderbare Handeln Gottes an uns Menschen. Gar
nicht zerstörerisch, sondern wohltuend und voller Gnade.
Wir haben nicht nur heute Grund, Gott um sein Kommen zu bitten. Denn diese Welt braucht die Erlösung, sie braucht Gott. Und Gott will unser
Gebet, er will, dass wir mit ihm rechnen, dass wir ihn ernstnehmen als den Allmächtigen, der so wohltut denen, die auf ihn harren.
Darum lasst uns um sein Kommen bitten in dem festen Vertrauen, dass er, der schon gekommen ist, kommen wird, so wie er es gesagt hat.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Nun komm, der Heiden Heiland (EG 4)
Gottes Sohn ist kommen (EG 5)
Ihr lieben Christen, freut euch nun (EG 6)
O Heiland, reiß die Himmel auf (EG 7)
Wie soll ich dich empfangen (EG 11, 1.4-8.10)
Wir warten dein, o Gottes Sohn (EG 152)
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Predigtvorschläge zu Reihe VI - Offb 3, 7-13
Die folgende Predigt wurde in einer Seniorenresidenz gehalten:
Liebe Gemeinde,
Der 2. Adventssonntag ist ein besonderer Sonntag. Wir blicken darauf, wie
der Erlöser zu uns kommt, und fragen uns, wann es so weit sein wird. Wir
erkennen das Schreckliche seines Kommens, und zugleich auch das Fröhliche:
er kommt als Richter, und er kommt voller Gnade und Barmherzigkeit.
In diese Erwartung hinein haben wir nun einen Text aus dem Buch der Offenbarung
des Johannes gehört.
Die Offenbarung steckt voller Bilder, was sie interessant macht. Bilder können
vieles verdeutlichen, aber manchmal können sie einen auch in die Irre führen.
Denn Bilder müssen immer interpretiert werden.
Ich erinnere mich, als ich in meiner Schulzeit eine Bildinterpretation schreiben
musste. Der Lehrer fand sie überhaupt nicht gut. Er meinte, ich hätte den Sinn
des Bildes nicht verstanden.
Ich konnte aber in meiner Bildinterpretation nichts Falsches erkennen und kam zu
dem Schluss, dass es möglich sein muss, mehr als eine Interpretation für ein Bild
zu haben.
Mittlerweile, nach manchen Kontakten mit Künstlern, weiß ich, dass diese häufig
ganz bewusst nie selbst sagen, was sie sich bei dem Bild gedacht haben. Sie wollen
die Vielfalt der Interpretation und freuen sich sogar darüber, wenn mitunter ganz
gegensätzliche Meinungen zutage treten.
So ist es auch mit dem Buch der Offenbarung. Manche Menschen sehen in diesem Buch
einen Fahrplan, der sie durch die Zeit der Welt führt. Sie meinen, dass sie aus den
Bildern lesen können, was wann geschieht.
Viele haben versucht, das Buch auf diese Weise zu nutzen, und haben auch manche
Anhänger gehabt. Aber immer sind sie gescheitert. Zuletzt haben wir das deutlich
bei der Jahrtausendwende erlebt. Die Zahl 1000 spielt in der Offenbarung eine
wichtige Rolle, und nun glaubte man, dass sich bei der Jahrtausendwende etwas
Besonderes ereignen würde – manche sahen den Tag des Gerichts kommen, andere den
Beginn des 1000-jährigen Reiches usw..
Aber es geschah nichts Außergewöhnliches, und das lag wohl daran, dass unsere Zeitrechnung
ganz menschlich ist. Gottes Zeit hingegen sieht anders aus, denn er ist der Ewige, der
im Grunde ja gar keine Zeit kennt. Er hält sie in Händen, aber er ist ihr nicht unterworfen.
Die Offenbarung jedenfalls ist nicht ohne Grund Bestandteil unserer Bibel, und sie
schließt nicht ohne Grund dieses Buch ab. Denn sie spricht vom Kommen Gottes. Sie
ist ein Buch des Advents, der nicht auf das vergangene Geschehen, die Geburt Jesu
vor rund 2000 Jahren, sondern auf die bevorstehende Ankunft Gottes blickt.
Und darum ist es gut, dass wir uns heute mit einem Abschnitt daraus beschäftigen.
Der Text, den wir vorhin gehört haben, gehört zu den Sendschreiben an die sieben
Gemeinden in Kleinasien, von denen jede sich in einer anderen Situation befindet.
Doch wenn wir diese Sendschreiben lesen, dann erkennen wir uns in ihnen oft wieder,
so als wären wir Glieder dieser Gemeinden – und meist nicht nur einer, sondern
mehrerer. In jedem Fall lernen wir von ihnen, was gut ist und erhaltenswert.
Heute geht es um die Gemeinde in Philadelphia. „Du hast eine kleine Kraft“, heißt
es da, du kannst nicht viel schaffen, aber diese kleine Kraft hat dir genügt, um
das Wort Gottes fest zu halten.
Da wurde nicht gesagt: „das schaffe ich nicht“, oder: „das überlasse ich lieber
den anderen, die können das besser.“ Alle haben getan, was in ihrer Macht stand,
niemand hat sich zurückgezogen. Alle haben auf Gottes Wort geachtet und danach
gehandelt. Sie haben sich nicht von anderen einschüchtern lassen, auch nicht von
denen, die sie belächelt haben, und erst recht nicht von denen, die ihnen Strafen
androhten oder sie gar ins Gefängnis warfen und töteten - um ihres Glaubens willen.
Sie sind dabei geblieben und haben am Wort Gottes festgehalten.
Wenn von kleiner Kraft die Rede ist, dann fühlen Sie sich vielleicht auch angesprochen:
im Alter lassen die Kräfte nach, vieles geht nicht mehr so, wie es noch vor 20 oder
30 Jahren funktionierte. Die Kraft wird kleiner, aber sie reicht allemal aus, um am
Glauben festzuhalten.
So ist es gemeint.
Und dann kommt das Wort, das vielen von uns bekannt sein dürfte: „Halte, was du hast,
dass niemand deine Krone nehme.“ Halte fest. Gib nicht auf. Es wird noch eine kleine
Weile so weiter gehen. Es wird Menschen geben, die dich nicht verstehen. Es wird
Erfahrungen geben, die Grund zum Zweifeln lassen. Halte, was du hast. Lass es nicht
los. Und die Krone, die du schon empfangen hast, weil du treu gewesen bist, wird
niemand von dir nehmen können.
Und dann schreibt der Seher solch ein Bild, das so wunderschön ist und die Erwartung
und Hoffnung verstärkt:
Gott wird uns zu einem Pfeiler machen in seinem Tempel, das heißt nichts anderes, als
dass wir immer in seiner Gegenwart leben werden. Denn einen Pfeiler kann man nicht
fortnehmen. Der Pfeiler ist ein wichtiger Bestandteil, und das bedeutet, dass trotz
der kleinen Kraft in uns Gott uns doch wertschätzt.
Er schreibt seinen Namen auf uns, so heißt es. Damit macht er uns zu seinem Eigentum,
so wie wir ein Buch als unser Eigentum kennzeichnen, indem wir unseren Namen
hineinschreiben.
Mit anderen Worten: Wenn wir sein Wort bewahren, dann bewahrt Gott uns auch. Das ist
die Botschaft dieses Sendschreibens. Und das kann uns froh machen und getrost, auch
und vielleicht gerade dann, wenn wir das Gefühl haben, dass wir zu nichts mehr nütze
sind.
Gott sieht das anders.
Wir feiern Advent. Es ist eine schöne Zeit. Überall werden Lichter angebracht, Kerzen
geben einen warmen Schein, kurz: es ist eine gemütliche Zeit.
Aber zu schön sollte sie dann doch nicht sein. Denn die Adventszeit ist ja gedacht als
Vorbereitungszeit auf das Christfest, das Fest der Geburt Jesu. Und diese Geburt
geschah nicht in heimelig warmen Stuben, sondern in einem stinkenden Stall, unter
schlimmen Bedingungen. Da war nichts Bequemes. Auch dass die Hirten die ersten waren,
die davon hörten, ist eigentlich nicht in Ordnung, denn sie genossen in der damaligen
Gesellschaft überhaupt kein Ansehen. Das Christfest ist eine Provokation, und das
überträgt sich in die Adventszeit hinein.
In dieser Vorbereitungszeit denken wir dann auch nicht nur zurück an die Geburt Jesu,
die sich inzwischen so wunderbar verklärt hat, sondern eben, wie ich schon sagte, an
die Wiederkunft unseres Herrn.
Gott kommt! Das ist die Botschaft der Adventszeit. Es ist ein völlig neues Kommen, so
wie wir es im Glaubensbekenntnis bekennen: Er wird kommen, zu richten die Lebenden und
die Toten.
Manche der vertrauten Lieder haben diese Botschaft vom Kommen Jesu in falscher Weise
aufgenommen. Zwei will ich kurz herausgreifen:
„Er kommt auch noch heute“, so als ob er irgendwann nicht mehr käme. Dabei ist längst
alles bereitet für sein Kommen, es kann jeden Moment geschehen, oder erst in ferner
Zukunft, aber es wird nie eine Zeit geben, zu der er nicht mehr kommt.
Und dann ist da das Lied „Alle Jahre wieder kommt das Christuskind...“ - natürlich kommt
es nicht alle Jahre wieder. Christus ist einmal gekommen, damals wurde Gott Mensch. Er
ist zwar unter uns, das ist wahr, aber nicht so, dass wir ihn sehen könnten, dass seine
Gegenwart wirklich spürbar wäre.
Gott kommt, Christus kommt. Darauf warten wir, und das machen wir uns bewusst besonders
in dieser Zeit des Advent.
Was bedeutet das Kommen?
Nun, wir sind noch gefangen in der Welt des Todes, so dass wir zum Leben, zum wahren Leben
befreit werden müssen.
Dazu wird Jesus wiederkommen. Er wird uns frei machen, uns, die wir sein Wort bewahren
und behalten. Er wird den Tod von uns nehmen und ewiges Leben schenken.
In der Zeit des Advent bereiten wir uns auf dieses Kommen vor. Wir denken darüber nach,
was wir falsch gemacht haben, wo wir es vielleicht nicht geschafft haben, das Wort zu
behalten, den Willen Gottes zu suchen und zu tun. Wir erinnern uns an die Liebe und Gnade
Gottes und erneuern unsere Bereitschaft, diese Gnade und Liebe anzunehmen.
Dazu soll uns diese Zeit helfen - dazu helfe uns unser Gott.
Amen
oder:
Liebe Gemeinde!
Man sieht sie überall: Menschen mit ihren Smartphones, manchmal hineinsprechend,
manchmal mit den Fingern darübergleitend, schreibend bzw. tippend. Sie schreiben
Nachrichten, SMS, sie „simsen“, oder sie „unterhalten“ sich mit einer anderen Person
in einem „Chat“-Programm, zu Deutsch „Gesprächsprogramm“.
Diese Nachrichten sind billig und schnell abgesetzt. Und weil man fast umgehend mit
einer Antwort rechnen kann, verzichtet man darauf, Briefe zu schreiben, die ja mindestens
einen Tag lang unterwegs wären – neuerdings will die Post sich sogar bis zu vier Tage
Zeit bis zur Zustellung nehmen.
Ich erinnere mich an meine Studienzeit, als meine Frau und ich – damals noch unverheiratet –
weit entfernt von einander lebten und fast nur mittels Briefen miteinander kommunizieren
konnten. Da saß man dann jeden Tag und schrieb seine Gedanken nieder, warf schließlich den
Brief in den Briefkasten und wartete auf die Antwort. Das war ein ganz eigenes Erleben,
genauso wie das Öffnen des Briefes, der dann endlich eintraf. Und wehe, wenn ein Feiertag
die Auslieferung des Briefes verzögerte!
Diese Form des Austauschs hat etwas ganz Besonderes: Sie fördert die Geduld, und sie
veranlasst einen auch immer neu zum Nachdenken über das, was man da zu Papier bringt
oder auf dem Papier geschickt bekommt. Das möchte ich zumindest als Erinnerung nicht
missen.
Als wir in Indien lebten, war der Austausch mit unseren Eltern anfangs auch auf die
Briefpost angewiesen – Telefonieren war viel zu teuer. Wenn wir die Antwort auf einen
Brief bekamen, waren rd. 20 Tage vergangen. Das besorgte Fragen nach der Erkrankung
eines unserer Kinder erinnerte uns daran, dass die längst überwundene Krankheit uns
vor 20 Tagen eben noch beschäftigt hatte. Unsere Eltern hatte die Nachricht erst erreicht,
als das Kind schon wieder gesund war.
Briefe haben etwas ganz Besonderes, denn sie sind Zeitzeugen. Zugegeben, das können SMS
und E-Mails auch sein, aber SMS löscht man ja doch meist schon bald nach dem Empfang,
weil sie herzlich wenig aussagen – sie dienen ja nur der kurzen Information. Und E-Mails:
irgendwann werden auch sie gelöscht werden -manchmal sorgt dafür schon ein Totalausfall
des Computers.
Dahingegen gibt es Briefe, die sind hunderte von Jahren alt und bis heute bedeutungsvoll.
Und das Tolle ist: man kann sie auch heute noch lesen. Das Neue Testament enthält eine
ganze Reihe von Briefen. Sie sind so knapp 2000 Jahre alt, aber für uns sind sie auch
heute von Bedeutung.
Auch unser Predigttext spricht von einem Brief. Allerdings ist das Buch, aus dem er stammt,
nicht wirklich ein Brief, auch wenn es im gottesdienstlichen Gebrauch zu den Episteln,
also den Briefen, gezählt wird.
Der Predigttext steht im Buch der Offenbarung des Johannes im 3. Kapitel:
Dem Engel der Gemeinde in Philadelphia schreibe: Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige,
der da hat den Schlüssel Davids, der auftut, und niemand schließt zu, der zuschließt, und
niemand tut auf: Ich kenne deine Werke. Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan, und
niemand kann sie zuschließen; denn du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt
und hast meinen Namen nicht verleugnet. Siehe, ich werde schicken einige aus der Synagoge
des Satans, die sagen, sie seien Juden, und sind's nicht, sondern lügen; siehe, ich
will sie dazu bringen, dass sie kommen sollen und zu deinen Füßen niederfallen und erkennen,
dass ich dich geliebt habe. Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast, will auch ich
dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu
versuchen, die auf Erden wohnen. Siehe, ich komme bald; halte, was du hast, dass niemand
deine Krone nehme! Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines
Gottes, und er soll nicht mehr hinausgehen, und ich will auf ihn schreiben den Namen meines
Gottes und den Namen des neuen Jerusalem, der Stadt meines Gottes, die vom Himmel
herniederkommt von meinem Gott, und meinen Namen, den neuen. Wer Ohren hat, der
höre, was der Geist den Gemeinden sagt!
Wir sehen: der Brief ist an die Gemeinde in Philadelphia gerichtet. Und: er wurde diktiert.
Der Schreiber hat sich also vermutlich nicht allzu viele Gedanken gemacht, wohl aber der,
der die Worte diktiert hat. Und da ist es eigentlich für den Leser selbstverständlich, dass
man sich Zeit nimmt und die Worte sorgsam überdenkt.
Dabei dürfen wir als Lesende und Hörende natürlich auch fragen, ob wir dieses Sendschreiben,
wie es auch genannt wird, überhaupt auf uns beziehen dürfen.
Es gibt im Ganzen sieben solcher Sendschreiben in der Offenbarung, und jedes spricht eine
andere Gemeinde an, die sich auch von den übrigen sechs in ihrer Lebensweise unterscheidet.
Deswegen haben Theologen schon früh gesagt, dass die Sendschreiben im Grunde an alle Christen
gerichtet sind, differenziert nach dem jeweiligen Umfeld und der jeweiligen Lebenserfahrung –
wer sich angesprochen fühlt, soll sich dann die Worte auch zu Herzen nehmen. Im Kern ist es
wohl so, dass alle durch die Sendschreiben angesprochenen Situationen zum Erfahrungsschatz
eines jeden Christenmenschen gehören. Und so lassen wir auch diesen Brief an uns gerichtet
sein, an die Gemeinde, die sich hier in [Name der Gemeinde oder Kirche] zum Gottesdienst
versammelt.
Ich glaube, wir würden uns sehr gerne mit Philadelphia identifizieren. Das ist eine Gemeinde,
wie man selbst sein möchte: standhaft im Glauben, geduldig, und dann diese schöne Aufforderung:
„Halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme!“. Also eine gekrönte Gemeinde, schon
jetzt, noch in der Welt der Verfolgung und Anfeindung.
Ja, da kann man aufatmen und schon mal etwas Vorfreude empfinden darüber, dass man einst als
Vorbild hingestellt werden wird, vor dem andere niederfallen werden.
Aber dürfen wir uns diesen Schuh wirklich anziehen? Ist er nicht zu groß für uns? Sind wir
tatsächlich eine so vollkommene Gemeinde?
Ich könnte mir denken, dass Luther bei diesem Sendschreiben zumindest die Stirn gerunzelt
hätte, fängt es doch an mit den Worten: „Ich kenne deine Werke“. Kommt es denn nicht allein
auf den Glauben an?
Aber kann es, so dürfen wir zurück fragen, einen Glauben ohne Werke geben?
Martin Luther war besonders sensibel geworden, weil die meisten Menschen seiner Zeit glaubten,
sie würden durch ihre Werke das Heil Gottes erlangen können. Doch genau das ist es eben nicht,
sondern wir empfangen Gottes Gnade allein durch den Glauben.
Aber jeder Mensch, der die Gnade Gottes erfährt, wird nicht die Hände in den Schoß legen,
sondern im Gegenteil, er wird es allen Mitmenschen zeigen wollen, wie unendlich groß die
Liebe Gottes ist. Da fallen einem viele Menschen ein, die uns als Vorbilder dienen könnten.
Für jeden Menschen bleibt allerdings die Motivation zu diesen Werken das Entscheidende: tue
ich es, weil ich erkannt habe, dass ich es Gott schuldig bin aufgrund seiner grenzenlose Liebe
und unermesslichen Gnade – oder tue ich es, weil ich hoffe, dadurch Ansehen und natürlich die
Liebe und Gnade Gottes zu erlangen?
Darum ist der Hinweis auf die Werke durchaus richtig, denn sie bezeugen ja den Glauben. Wer
ständig Streit sucht, der kann sich nicht zugleich auf die Gnade Gottes berufen. Wer die Not
seiner Mitmenschen nicht sieht, sondern achtlos an ihnen vorübergeht, der kennt die Liebe Gottes
nicht. Und darum beginnen auch fünf der sieben Sendschreiben mit diesen Worten: „Ich kenne deine
Werke“.
Wie es dann weitergeht, ist aber für jede Gemeinde ganz anders.Für unsere Beispielgemeinde
Philadelphia gilt, dass sie eine aufgeschlossene Tür vorfinden wird – aufgeschlossen von dem,
der alleine diese Tür auf- oder zuschließen kann.
Eine offene Tür: das ist schon mal eine Verheißung, mit der man gut leben kann. Man muss nur
durch diese Tür hindurchgehen, und das dürfte ja nicht allzu schwer fallen.
„Du hast eine kleine Kraft“, heißt es - aber mit dieser kleinen Kraft kann die Gemeinde doch
viel ausrichten. Sie widersteht der Versuchung, sich anzupassen und zu schweigen von dem, an
den sie glaubt.
Wir sind nicht in solch einer Versuchungssituation – oder doch? Immerhin wollen immer weniger
Menschen etwas vom Glauben hören. Oftmals werden Menschen, die davon reden, als schrullig,
altmodisch, naiv oder auch verrückt angesehen.
Mitunter werden ja auch in uns selbst starke Zweifel wach, wenn die Dinge nicht so laufen,
wie wir es für uns erwarten oder erhoffen. „Wo ist Gott?“ Diese Frage höre ich immer wieder,
sie wird, so scheint es, immer lauter. Angesichts des Krieges im Nahen Osten, angesichts des
Krieges in der Ukraine, angesichts der verheerenden Folgen des Klimawandels kann man natürlich
fragen, warum Gott das zulässt, warum er nicht eingreift. Aber wenn wir ehrlich sind, dann
erkennen wir doch, dass es letztlich der Mensch ist, der dies zulässt. Menschen geben den
Befehl zum Angriff, Menschen tun Unmenschliches, Menschen missachten die Verletzlichkeit der
Natur – alles nur, weil sie sich davon einen Vorteil erhoffen.
Wir bemühen uns, dem Willen Gottes in unserem Leben zu entsprechen. Wir sind bereit, anderen
Menschen in Liebe zu begegnen. Wir versuchen, den Menschen zu helfen, denen es nicht so gut
geht wie uns. Wir leben nicht im Krieg, wir müssen nicht kilometerweit laufen, um Wasser zu
schöpfen, wir müssen auch nicht Angst haben, dass die Regierung uns wegen unseres Glaubens
verfolgt, foltert oder gar tötet. Kurz: wir haben allen Grund, dankbar zu sein, dankbar für
die Güte Gottes, die er über uns breitet.
Die Herausforderung, der sich die Gemeinde, an die unser Predigttext gerichtet ist, ausgesetzt
sieht, ist nicht zu vergleichen mit den Herausforderungen, denen wir ausgesetzt sind. Denn dort
lief man Gefahr, für das Bekenntnis des christlichen Glaubens körperlichen Schaden zu erleiden.
Folter war damals ein erlaubtes Mittel, um einen Menschen zu bewegen, ein Geständnis abzulegen
oder sich dem Willen des Herrschenden zu unterwerfen. In den Verfassungen vieler Länder steht
mittlerweile die Religionsfreiheit festgeschrieben, sie ist Bestandteil der Charta der
Menschenrechte. Dennoch gibt es auch heute in vielen Ländern Anfeindungen bis hin zu Folter
und Tod, weil Menschen nicht das glauben, was die Herrschenden von ihnen erwarten. Aber hier,
im sogenannten christlichen Abendland, haben wir wegen unseres Bekenntnisses nichts zu fürchten.
Und dennoch scheuen wir uns oft, Zeugnis abzulegen und zu bekennen, dass wir an Jesus Christus
als den Sohn Gottes glauben. Natürlich tun wir das ohne Probleme im Gottesdienst, aber anderswo?
Wir fürchten dann doch, als naiv oder schlicht dumm angesehen zu werden, weil wir einem 2000
Jahre alten Religionsmodell anhängen. Oder wir fürchten die Auseinandersetzung, weil es uns
schwer fällt, unseren Glauben gegen naturwissenschaftliche Argumente zu verteidigen.
Hier gilt es anzusetzen. Denn letztlich kommt es nur darauf an, dass wir zu unserem Glauben
stehen. Dass wir Jesus Christus nicht verleugnen.
Unser Leben im Glauben zeugt davon, dass und wie dieser Glaube tragfähig ist, weil wir durch
ihn frei sind von aller Schuld und ganz getrost in die Zukunft blicken können, egal, was sie
für uns bereit hält. Unser Glaube befähigt uns zu einem Lebenswandel, der vorbildhaft sein
kann für andere Menschen. Er öffnet uns auch für die, die von anderen missachtet werden. Er
macht uns zu Menschen, zu denen der Herr sagt: Kommt her zu mir, denn was ihr einem von diesen
Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan. (Mt 25,34-40)
Wir finden Halt hier in der Gemeinde – so wie die Christen aus Philadelphia damals in ihrer
Gemeinde Halt fanden – indem wir uns zu den Gottesdiensten halten und uns da unseres Glaubens
immer neu vergewissern.
„Halte, was du hast“ - gib nicht auf, lass deinen Glauben nicht von den anderen in den Schmutz
ziehen, lass dich nicht durch die Verachtung der anderen in deinem Glauben beirren, sondern
halte ihn fest und wirke mit an der Verkündigung des Evangeliums, der frohen Botschaft von
unserem Herrn Jesus Christus, in Wort und Tat.
Das ist es, was die Aufforderung „Halte, was du hast“, bedeutet.
Es liegt eine große Verheißung auf diesem Festhalten:
Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines Gottes, und er soll nicht
mehr hinausgehen, und ich will auf ihn schreiben den Namen meines Gottes und den Namen des
neuen Jerusalem, der Stadt meines Gottes, die vom Himmel herniederkommt von meinem Gott, und
meinen Namen, den neuen.
Wenn man etwas beschriftet, kann dies verschiedenes bedeuten. Früher hat man auch in seine
Kleidung Namensschilder eingenäht, um dafür zu sorgen, dass die Kleidung wieder an den Eigentümer
zurückkehrt, falls sie mal jemand aus Versehen mitgenommen haben sollte. Oder man trug seinen
Namen spätestens dann in ein Buch ein, wenn man es an jemand anderen verlieh.
Marmeladengläser werden mit Etiketten versehen, denn man kann es dem Inhalt später dann doch
nicht mehr so gut ansehen, was für Früchte darin verarbeitet wurden.
Beschriftungen helfen, die Gegenstände genauer zu identifizieren oder auch ihre Zugehörigkeit
festzustellen.
Und nun verspricht der Heilige, der Wahrhaftige, der da hat den Schlüssel Davids, uns, die wir
eine kleine Kraft haben, die ihren Glauben nicht aufgegeben haben, zu beschriften.
Die Worte, die da geschrieben werde, sind eindeutig, sie signalisieren jedem, der uns sieht,
wohin wir gehören: zu Gott, dem Lebendigen und Allmächtigen, zu seinem neuen Jerusalem, zu der
Zukunft, die allen Neid, alle Missgunst, den Tod, Schmerz und Tränen überwindet.
Wir gehören zum Reich Gottes, wir sind Mitbürger der Heiligen und seine Hausgenossen (Eph 2, 19).
Das ist unsere Krone, auf die wir mit Recht stolz sein dürfen! Wir tragen die Krone im Dienst
an unseren Mitmenschen, bei der Verkündigung des Evangeliums, indem wir unseren Glauben der
Welt bekennen und nicht aufhören, auf die Liebe Gottes zu vertrauen, auch dann nicht, wenn
diese Krone zu einer Dornenkrone zu werden droht.
Denn gerade dann sind wir ja doch in der besten Gesellschaft; wir tragen das Joch Jesu Christi
und wissen, dass er selbst uns entgegen kommt, um uns in sein Reich zu führen.
Bessere Aussichten kann es eigentlich gar nicht geben. Und so freuen wir uns, besonders in
dieser Zeit des Advent, der Vorbereitung auf das Kommen unseres Herrn Jesus Christus – nicht
nur zum Christfest, sondern auch zum Jüngsten Tag!
Ist das nicht ein wunderbarer Brief, den wir da erhalten haben? Er ist es wert, aufgehoben
und immer neu gelesen zu werden, selbst noch nach fast 2000 Jahren.
Amen.
Liedvorschläge zur Predigt:
Die also fest glauben (EG 5, 5-9)
Ihr lieben Christen, freut euch nun (EG 6)
Ihr Armen und Elenden (EG 9, 5-6)
Was fragt ihr nach dem Schreien (EG 11, 9-10)
Meinen Jesus lass ich nicht (EG 402)
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