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Zu den Perikopen
Predigtvorschläge zu Reihe I - Joh 11, 1(2)3.17-27(28-38a)38b-45
Liebe Gemeinde!
„Es lag aber einer krank...“
So beginnt Johannes diese Erzählung. Und dieser Anfang scheint zunächst ganz unspektakulär.
Es liegen viele krank, auch hier, in diesem Haus, aber auch außerhalb dieses Hauses, in
vielen Häusern in Königslutter, in Braunschweig, in Helmstedt, in Wolfsburg, in Spanien,
in Brasilien, in Indien... ja, überall liegt einer krank.
Erst dadurch, dass Johannes einen Namen nennt, beginnt es, interessant zu werden.
„Lazarus“. Der Name bedeutet: Gott hat geholfen. Manche Wissenschaftler werden meinen, dass
dieser Lazarus eine fiktive Person ist, denn sein Name verrät schon, dass es hier nur
darum geht, zu zeigen, wie Gott helfen kann.
Und vielleicht sind nicht nur Wissenschaftler skeptisch, sondern auch diejenigen, für
die Johannes sein Evangelium schrieb. „Gott hat geholfen“ - ok, es geht also darum, dass
Gott Kranke wieder gesund machen kann – so werden sie denken und vielleicht schon auf
Durchzug schalten wollen, denn das wissen sie ja längst. Und sie wissen auch, dass es
nicht immer so ist. Dass manche krank bleiben und schließlich sterben. Und sie erinnern
sich an die vielen Gräber, die gegraben und in die Angehörige oder Freunde gelegt wurden.
Ja, Gott kann helfen, aber er tut es nicht immer – meistens sogar tut er es nicht.
Doch der Evangelist Johannes ahnt schon, dass seine Leser solche Gedanken haben könnten,
und lässt es darum nicht bei der Nennung des Namens.
Er macht klar: Lazarus ist keine fiktive Person. Er ist der Bruder der Maria und Marta
aus Betanien.
An dieser Stelle machte es zumindest damals bei den meisten Lesern „klick“. Denn Marta
und Maria aus Betanien waren in der frühen christlichen Gemeinde bekannt, sie gehörten
zur Urgemeinde. Und natürlich auch Lazarus, ihr Bruder. Von ihnen wurde erzählt, sie
waren Persönlichkeiten, vor allem auch, weil sie Jesus persönlich gekannt hatten, wohl
sogar aus der Zeit, bevor er begonnen hatte, öffentlich zu wirken.
Lazarus. Warum hatte er nicht gleich gesagt, dass es der Bruder von Maria und Marta ist.
Jesus aber verhält sich merkwürdig. Nicht alles haben wir gerade gehört, aber vielleicht
wissen Sie, was da passiert:
Die Schwestern schicken zu Jesus und bitten ihn, Lazarus zu heilen. Soviel trauten sie
ihm zu. Aber dazu ist seine persönliche Gegenwart nötig.
Und Jesus? Er kümmert sich nicht – oder anders: es kümmert ihn nicht. Aber für Maria und
Marta muss es so gewesen sein: er kümmert sich nicht um unser Leid, wir sind ihm egal.
Und es scheint tatsächlich so: Jesus wartet, bis Lazarus tot ist. Er mutet den beiden
Schwestern dieses Leid zu, dass sie um ihren Bruder trauern müssen. Da spüren wir nichts
von der Liebe Gottes oder von seiner Barmherzigkeit. Es ist unbarmherzig, wie er mit den
beiden Schwestern umgeht.
Aber natürlich wusste Jesus, was geschehen würde. Er ist schließlich der Sohn Gottes. Und
darum hatte er zuvor ja auch schon gesagt: Diese Krankheit ist nicht zum Tod, sondern zur
Verherrlichung Gottes.
Aber nun ist Lazarus tot, die Trauer währte schon vier Tage. Vier Tage lang war kein Heil
in Sicht, und ich denke mir, dass eine tiefe Enttäuschung auf Marias und Martas Herzen lag.
War Jesus nicht ihr Freund? Warum mutete er ihnen solches Leid zu?
Gewiss, sie hatten die Hoffnung der Auferstehung – am Jüngsten Tage. Aber sie hätten ihren
Bruder nur zu gerne noch bei sich gehabt. „Wärst du hier gewesen, unser Bruder wäre nicht
gestorben.“
Aus diesen Worten klingt einerseits das große Vertrauen auf die heilende Kraft Jesu und
andererseits die Enttäuschung darüber, dass diese Kraft nun nichts mehr ausrichten kann,
die Enttäuschung über das „zu spät“.
Wer die ganze Geschichte liest und nachrechnet, weiß, dass Jesus gar nicht rechtzeitig hätte
kommen können. Er hatte nur zwei Tage gewartet, bevor er sich aufmachte, aber als sie in
Betanien ankamen, war Lazarus schon vier Tage lang tot. Also selbst wenn er gleich aufgebrochen
wäre, wäre Lazarus doch gestorben, während sie auf dem Weg waren.
Und da spielt noch etwas mit hinein, was in dem Abschnitt, den wir gehört haben, nicht sichtbar
wird: die Verbindung der Jünger zu Jesus und wie er sie lehrt, dass Krankheit und Tod in seiner
Gegenwart nicht das letzte Wort haben.
Das sagt er dann auch zu Marta, indem er ihr zuruft: „Ich bin die Auferstehung und das Leben.
Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt. Und wer da lebt und glaubt an mich,
der wird nimmermehr sterben.“
Diese Worte hören wir genauso wie den Anfang der Geschichte. Wir wissen, dass es so ist, und
wissen aber auch, dass es eigentlich ganz anders ist. Kein Mensch kann dem Tod entrinnen.
Natürlich sterben wir alle.
Und doch: wir werden leben. Denn Jesus ist die Auferstehung und das Leben. Und das gilt nun
nicht nur für die Zukunft, irgendwann einmal am Jüngsten Tage, sondern es gilt heute und jetzt.
Wer an Jesus Christus glaubt, hat das Leben. Daran gibt es nichts zu rütteln, das kann einem
kein Mensch nehmen.
Sicher werden wir gefragt und fragen wir uns auch selbst, was mit diesem Leben gemeint ist.
Und ich gestehe, dass ich darauf keine Antwort weiß. Ich weiß nur, dass der Glaube an den
Sohn Gottes mich befreit von aller Angst vor dem Tod. Durch den Glauben hat der Tod keine
Macht über mich, das weiß ich. Ich mag zwar sterben, aber ich werde dennoch leben, weil
Gott mir durch Jesus Christus das Leben schenkt.
So wie er es an Lazarus zeichenhaft sichtbar machte, ist der Tod ihm gegenüber machtlos.
Und so können wir getrost jede Krankheit und auch den Tod annehmen, weil wir wissen: das
ist nicht das Ende.
Wir sind Kinder Gottes, seine Liebe zu uns ist endlos, und so sind wir auch ewig in ihm
geborgen.
„Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt
gekommen ist.“ Diese Worte spricht Marta, und dies sind auch unsere Worte, durch die
wir die Gewissheit erlangen: Jesus Christus hat die Welt und damit auch den Tod
überwunden.
Und wenn wir dann doch einmal zweifeln sollten, dann bleibt uns das Gebet, so wie der
Vater des besessenen Jungen rief: Ich glaube, Herr, hilf meinem Unglauben.
Wir wissen, dass diese Worte genug waren, damit das Leben siegen konnte.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
O Tod, wo ist dein Stachel nun (EG 113)
Jesus lebt, mit ihm auch ich (EG 115 - Wochenlied!)
Was mein Gott will, gescheh allzeit (EG 364)
Ich steh in meines Herren Hand (EG 374)
Bei dir, Jesu, will ich bleiben (EG 406)
Morgenglanz der Ewigkeit (EG 450)
Mitten wir im Leben sind (EG 518)
Wenn mein Stündlein vorhanden ist (EG 522)
Jesus, meine Zuversicht (EG 526)
Du kannst nicht tiefer fallen (EG 533)
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Predigtvorschläge zu Reihe II - 2. Tim 1, 7-10
Die nachfolgende Predigt steigt mit Bezug auf ein konkretes Ereignis ein. Hier sollte man natürlich ein anderes Ereignis
heranziehen, das aktueller ist.
Liebe Gemeinde!
Was war am 5. November 2015, also vor rd. 10 Monaten, los?
Uns beschäftigte unter anderem
• die VW-Abgasaffäre
• der Absturz eines russischen Passagierflugzeugs über der Sinai-Halbinsel
• Man arbeitet an einer Lösung für die Flüchtlingskrise
• Ärzte beklagen sich über Arbeitsbelastung
• Griechenland bietet Stoff für Spekulationen
Vermutlich fragen Sie sich, warum ich mir ausgerechnet den 5. November rausgesucht habe.
Nun, am 5. November 2015 ist etwas geschehen, das für sehr viele Menschen tragisch war
und im Grunde unmittelbar mit uns zu tun hat:
In Brasilien brachen die Dämme zweier Rückhaltebecken, in denen die Abwasser eines
Eisenerzbergwerks gesammelt wurden.
In diesem Abwasser befanden sich große Mengen von hochgiftigen Schwermetallen. Rund
60 Millionen Kubikmeter ergossen sich über das angrenzende Dorf Bento Rodriguez und
dann in den Rio Doce, wodurch auf lange Zeit hunderttausende Menschen entlang des
Flusslaufs von der Trinkwasserversorgung abgeschnitten wurden bzw. nur noch vergiftetes
Wasser zur Verfügung haben.
16 Menschen kamen bei dem Dammbruch ums Leben, rd. 500 wurden obdachlos, weil
ihre Häuser zerstört wurden.
Der Betreiber wurde zur Zahlung von Schadensersatz in Millionenhöhe aufgefordert
und kündigte postwendend an, die Arbeiter nicht mehr zu bezahlen, damit er das dafür
nötige Geld aufbringen könne. Der größte Teil der Menschen, die in Bento Rodriguez
leben, arbeiten in der Mine.
Acht Monate später, also von uns aus vor zwei Monaten, hat die Betreiberfirma Samarco
keine einzige der geforderten Maßnahmen zur Minimierung der Folgeschäden umgesetzt.
Nun werden Sie sich vermutlich fragen, was das mit uns zu tun hat.
Nun, die Mine fördert Eisenerz, das wir in großen Mengen importieren. Die deutsche
Industrie importiert mehr als 50% ihres Bedarfs aus Brasilien, also zumindest damals
auch von dieser Mine.
Die Dämme der Rückhaltebecken brachen nicht aufgrund eines kleinen Erdbebens, wie der
Betreiber der Mine behauptete, sondern weil aus wirtschaftlichen Gründen in den Monaten
davor die Fördermenge um fast 40% angehoben wurde, was zu einem starken Mehraufkommen
an Klärschwamm und damit einer Überbelastung der Staudämme führte. Schon zwei Jahre
vorher hatten Sicherheitskontrolleure auf Mängel an den Staudämmen hingewiesen, was
den Betreiber aber nicht weiter störte. Korruption machte es möglich, dass nichts an
der Sicherheit der Dämme getan wurde.
Und nun werden Sie sich vermutlich die dritte Frage stellen: Was hat das mit unserem
Predigttext zu tun?
Nun, in dem Predigttext heißt es: Gott hat uns einen Geist gegeben.
Es ist ein Geist der Kraft. Ein Geist, der nicht gleich klein bei gibt. Ein Geist, der
sich durchzusetzen vermag. Ein starker Geist, der von uns in Anspruch genommen werden
will. Dieser Geist ist in uns.
Es ist auch der Geist der Liebe, die den Nächsten sucht, den, dem es noch schlechter
geht als uns, der Geist, der bereit ist, für die zu sprechen, die sich selbst nicht
wehren können.
Und es ist der Geist der Besonnenheit, der durchaus darüber nachdenkt, ob das, was man
erreichen möchte, maßlos ist oder nicht, und dazu anleitet, nur das zu fordern und zu
erwarten, was angemessen und richtig ist.
Wenn wir im Zusammenhang mit jener menschengemachten Katastrophe von diesem Geist
reden, merken wir, dass beides eng miteinander verbunden ist.
Denn es geht darum, einzutreten für die Rechte der Menschen, die keine Lobby haben –
das wären in diesem Fall die vielen indigenen Stammesvölker, die von der Katastrophe
entlang des Rio Doce betroffen sind.
Es geht darum, sich erneut bewusst zu werden, dass wir in einem maßlosen Wohlstand
leben, den wir weder verdient noch auf den wir einen Anspruch haben.
Die Katastrophe in Brasilien hat direkt damit zu tun, dass unser Land solche Mengen
Eisenerz benötigt – und eigentlich doch nicht. Denn es dient nur der weiteren Anhebung
unseres Lebensstandards und hat offensichtlich die Lebensgrundlage vieler Menschen in
Brasilien zerstört.
Die Tatsache, dass fast alle Nachrichtenquellen zu diesem Unglück inzwischen versiegt
sind, bedeutet nicht, dass alles wieder gut ist, sondern dass sich Politiker und
Betreiberfirma darüber geeinigt haben, wie sie mit der Öffentlichkeit umgehen.
Alles wird schön geredet, die Giftstoffe, die sich im Fluss und im Trinkwasser
befinden, werden von offizieller Seite her nicht mehr mit dem Unglück in Verbindung
gebracht.
Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe
und der Besonnenheit.
Ich möchte diese drei Eigenschaften des Geistes Gottes einmal mit dem Wort „Wachsamkeit“
zusammenfassen. Denn das ist es, worum es im Grunde geht: dass wir wachsam sind für
die Nöte unserer Mitmenschen und genau darauf achten, inwieweit wir durch unsere
Ansprüche damit verbunden sind.
Wir leben in einer Welt, die sich selbst global sieht.
Wir können kaum mehr etwas kaufen, das ausschließlich in Deutschland hergestellt wurde.
Am ehesten hat man da wohl auf dem Wochenmarkt Chancen, aber Vorsicht: zumindest Teile
der Futter- und Düngemittel und anderer Chemikalien, die benutzt werden, damit Fleisch,
Gemüse und andere landwirtschaftliche Erzeugnisse auf unserem Tisch landen können,
werden oft nicht in Deutschland produziert.
Und genau darauf kommt es an: wachsam zu sein, hinzuschauen, nicht einfach nur zu
konsumieren, sondern sich bewusst zu machen: wo leiden andere Menschen, damit ich
ein leichtes Leben haben kann?
Doch will ich jetzt noch ein bisschen tiefer in unseren Predittext eintauchen.
Man mag sich fragen, wo der Geist her kommt, von dem hier die Rede ist. Sicher, es ist
Gottes Geist, er kommt also von Gott, aber Paulus beschreibt in seinem Brief kurz
vor unserem Predigttext den Weg, den dieser Geist gewissermaßen gegangen ist.
Er kommt demnach nämlich nicht vom Himmel herab, nicht in einer plötzlichen
Erleuchtung. Vielmehr ist er durch den Glauben, den Timotheus' Mutter
Eunike und seine Großmutter Lois bereits hatten, auch zu ihm, Timotheus,
gekommen. Es sind seine Vorfahren, die ihm den Glauben und damit den Geist
Gottes vermittelt haben.
Es sind die Vorfahren, die Eltern und Großeltern, die die Kinder im Glauben
einüben, ihnen die Grundlagen ins Herz legen, die sich dann entfalten können
und den Menschen zu einem Kind Gottes machen, das vom Geist der Kraft und der
Liebe und der Besonnenheit erfüllt ist.
Darum fährt Paulus auch fort und sagt: „Schäme dich nicht des Evangeliums.“
Sage es weiter an deine Kinder, deine Familie, deine Mitmenschen, denn dieser
Glaube kann Leben retten und bewahren, auch wenn es so aussieht, als sei das
Gegenteil der Fall. Gib diese Kraft weiter, die Kraft Gottes, die in dir ist
durch seinen Geist.
Paulus war ein Gefangener, weil er mit seinem Glauben nicht hinter dem Berg
gehalten hatte. Er hatte verkündigt, was er glaubte, durch den Geist der
Kraft, und war darum ins Gefängnis geworfen worden. Was aus ihm werden würde,
das wusste er nicht, aber er sah hier die Möglichkeit, das Evangelium auch an
die Oberen, die Richter, weiter zu sagen, und verzagte nicht vor Angst, er
könne womöglich zu Tode verurteilt werden. In allem, was ihm widerfuhr, sah
er das Wirken Gottes und war bereit, für das Evangelium sein Leben zu geben.
Darum schäme dich nicht des Evangeliums, sondern sei bereit, dafür zu leiden,
Rückschläge hinzunehmen oder verachtet zu werden.
Denn in dir lebt der Geist der Kraft, der dich stark macht. Er lässt dich
durchhalten, er lässt dich hoffen, wo die Lage hoffnungslos zu sein scheint.
Sicher, heute müssen wir kein Gefängnis fürchten, nur, weil wir von Gott
erzählen, von Jesus Christus, von dem, der uns frei gemacht hat zur Liebe
für einander. Wir dürfen unseren Glauben frei ausüben. Niemand kann uns
daran hindern. Und doch haben wir Angst, es weiter zu sagen, ja, wir schämen
uns des Evangeliums.
Es fällt uns schwer, es weiter zu sagen, weiter zu geben an unsere Kinder und
Kindeskinder, ihnen deutlich zu machen, was sie damit aufgeben. Denn wir
fürchten, belächelt zu werden, oder auch beschimpft, weil der Glaube doch
eine Privatsache sei, und jeder nach seiner Facon selig werden soll.
Aber nein, der Glaube ist keine Privatsache, die man irgendwo im Stübchen oder
beim Spaziergang im Wald zwischen sich und Gott aushandelt. Der Glaube, der
christliche Glaube, ist eine Sache, die zutiefst auf Gemeinschaft ausgelegt
ist. Was wäre das für ein Glaube, der niemanden hat, dem er sich in Liebe
zuwenden kann? Der also nicht in Taten sichtbar wird? Und der nicht bereit
ist, sich von anderen lieben zu lassen?
Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der
Liebe und der Besonnenheit. Gott hat uns berufen, sein Sprachrohr zu sein
für die Menschen, die ein Spielball der Mächte sind, indem er uns seine
Gnade offenbart und geschenkt hat. Kann man da still sein?
Paulus kann so mutig sein und sein Leben riskieren, weil er weiß, dass der
Tod nicht das letzte Wort hat. Durch die Auferstehung von Jesus Christus ist
unvergängliches Wesen an das Licht gebracht worden. Der Tod ist überwunden.
Diese Gewissheit haben auch wir durch den Geist der Kraft, der Liebe und der
Besonnenheit.
Durch den Geist Gottes werden wir gerufen, Verantwortung zu übernehmen für
unser Reden und Handeln. Wir werden gerufen, wachsam zu sein für die Menschen,
mit denen wir wie durch ein unsichtbares Band verbunden sind, also auch die
Menschen z.B. in Brasilien, viele tausend Kilometer von hier entfernt.
Das ist der Geist der Liebe und der Besonnenheit, der uns lehrt, dass Leben
weit über das hinaus geht, was wir für erstrebenswert halten und meist mit
dem Wort „Wohlstand“ bezeichnen.
Amen
oder
Die folgende Predigt nimmt Bezug auf Ereignisse, die nicht mehr aktuell sind. Allerdings gibt es auch heute ähnliche
Ereignisse, die ohne Weiteres an ihre Stelle treten können.
Liebe Gemeinde!
„Alles wird schlechter!“ Oder: „Früher war alles besser“. Und: „Man ist
ja machtlos.“ „Die Politiker hören doch nicht auf uns.“
Diese Aussagen spiegeln so ein bisschen das Gefühl wider, das sich wohl in
vielen von uns breit macht. Es herrscht eine gewisse Unzufriedenheit, denn
die bereits begonnenen Reformen bedeuten für viele von uns deutliche und
tiefe Einschnitte.
Dabei wissen wir wohl alle in unserem Inneren, dass wir es heute so gut
haben wie nie zuvor. Und vielleicht ist es gerade das, was uns daran hindert,
laut auf zu schreien und unser Recht ein zu fordern.
Denn: welches Recht könnte das denn sein, das wir einfordern wollen? Es gibt
auch unter uns Menschen, die Hilfe brauchen, denen es noch schlechter geht als
uns, die weniger haben, die größere Not leiden als wir.
Da ist es nur recht, wenn der Staat, die Politiker, nach Wegen suchen, die es
möglich machen, dass alle einigermaßen brauchbar leben können. Da muss man auch
bereit sein, ab zu geben, auch wenn es erzwungen wird, auch wenn es eine
Verschlechterung der eigenen Lebenssituation darstellt. Solange die Mittel
dadurch gerechter verteilt werden und es denen, denen es jetzt schlechter
geht, dadurch etwas besser geht, können wir es sicher hinnehmen. Denn noch
geht es uns ja gut.
Nur, was ich dabei nicht verstehe, ist folgende Tatsache: auch in Deutschland,
nicht nur in den USA, werden die Reichen immer reicher. Auch jetzt, in dieser
Zeit, in der es heißt, alle müssten den Gürtel enger schnallen, alle müssten
Verzicht leisten. Irgendwie scheint da doch etwas schief zu laufen.
Ein Beispiel: Im MAN Werk in Salzgitter hat man vergangenes Jahr begonnen,
zahlreiche Mitarbeiter auf die Straße zu setzen. Betriebsbedingte Kündigungen
nannte man das dann. Betriebsbedingt, das heißt, es geht einem Betrieb so
schlecht, dass die Existenz bedroht ist. Oder mit anderen Worten: es gibt
nicht genug Aufträge, dafür gibt es zu viele Arbeiter. Also entlässt man in
so einer Situation einen Teil von ihnen.
Vor wenigen Tagen stand dann in der Zeitung, dass die Auftragslage der Firma
MAN so gut ist wie nie zuvor, das Auftragsvolumen in der Sparte der Nutzfahrzeuge,
also auch der Busse, die in Salzgitter gebaut werden, um über 20% gewachsen ist.
Wie geht das zusammen? Der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens wird den
Aktionären, die nicht einen Finger krumm gemacht haben, volle Taschen bescheren,
während die, die jahrelang, ja, jahrzehntelang im Betrieb gearbeitet und dafür
gesorgt haben, dass das Unternehmen so erfolgreich sein kann, wie es das heute
ist, jetzt auf der Straße stehen und bald nur noch Sozialhilfe empfangen werden.
Das hat nichts mit gerechter Verteilung zu tun.
Und dann gibt es auch noch Menschen, die eine Lockerung des Kündigungsschutzes
fordern.
Das kann nicht richtig sein, da ist etwas in unserem Land, in der Politik, gewaltig
schief gelaufen.
Doch was hat das mit unserem Predigttext zu tun? Ich möchte ihn noch einmal vorlesen:
Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe
und der Besonnenheit. Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch
meiner, der ich sein Gefangener bin, sondern leide mit mir für das Evangelium in
der Kraft Gottes. Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf,
nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade, die
uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt, jetzt aber offenbart ist
durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die Macht
genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch
das Evangelium.
Auf den ersten Blick besteht da wirklich keine Verbindung. Was hat MAN oder Auftragslage
oder Entlassung mit dem Geist Gottes zu tun? Oder mit dem ewigen Leben? Aber lassen Sie
uns etwas genauer hinschauen.
Gott hat uns einen Geist gegeben. Es ist ein Geist der Kraft. Ein Geist, der nicht gleich
klein bei gibt. Ein Geist, der sich durchzusetzen vermag. Ein starker Geist, der von uns
in Anspruch genommen werden will. Dieser Geist ist in uns.
Es ist auch der Geist der Liebe, die den Nächsten sucht, den, dem es noch schlechter geht
als uns, der Geist, der bereit ist, für die zu sprechen, die sich selbst nicht wehren
können. Und es ist der Geist der Besonnenheit, der durchaus darüber nachdenkt, ob das,
was man erreichen möchte, maßlos ist oder nicht, und dazu anleitet, nur dies zu fordern,
was angemessen und richtig ist.
Eins gehört sicher zu dem, was angemessen und richtig ist: Gerechtigkeit für alle Menschen.
Das schließt die gerechte Verteilung der Güter, die uns in dieser Welt von Gott geschenkt
sind, mit ein.
Gerechtigkeit, das bedeutet ja, dass jeder gleiche Chancen hat, gleiche Lebensmöglichkeiten.
Es bedeutet auch, dass keiner, der seine Chancen verpasst hat oder nicht wahrnehmen konnte,
in der Gosse enden muss. Gerechtigkeit, das bedeutet, dass jeder gut und angemessen leben
kann, dass der, der im Überfluss hat, abgeben muss, damit andere, die Not leiden, endlich
aus ihrer Not heraus kommen.
Da hat unser Predigttext also schon mit dem zu tun, was ich anfangs geschildert habe. Wir
haben eine Verantwortung, weil in unser der Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit
steckt, der Geist, der für andere eintritt und sie in Liebe vertritt.
Aber wo kommt dieser Geist her? Sicher, es ist Gottes Geist, er kommt also von Gott, aber
Paulus beschreibt in seinem Brief kurz vor unserem Predigttext einen wichtigen Weg, den dieser
Geist gehen kann.
Er kommt nicht vom Himmel herab, nicht in einer plötzlichen Erleuchtung. Vielmehr ist er
durch Timotheus' Mutter Eunike und die Großmutter Lois auch zu ihm, Timotheus, gekommen.
Es sind seine Vorfahren, die ihm den Glauben vermittelt haben. Es sind die Vorfahren, die
Eltern und Großeltern, die die Kinder im Glauben einüben, ihnen die Grundlagen ins Herz legen,
die sich dann entfalten können und den Menschen zu einem Kind Gottes machen.
Darum fährt Paulus auch fort und sagt: „Schäme dich nicht des Evangeliums.“ Sage es weiter an
deine Kinder, deine Familie, deine Mitmenschen, denn nur dieser Glaube kann Leben retten und
bewahren, auch wenn es so aussieht, als sei das Gegenteil der Fall. Gib diese Kraft weiter,
die Kraft Gottes, die in dir ist durch seinen Geist.
Paulus war ein Gefangener, weil er mit seinem Glauben nicht hinter dem Berg gehalten hatte.
Er hatte verkündigt, was er glaubte, durch den Geist der Kraft, und war darum ins Gefängnis
geworfen worden. Was aus ihm werden würde, das wusste er nicht, aber er sah hier die Möglichkeit,
das Evangelium auch an die Oberen, die Richter, zu verkünden.
Darum schäme dich nicht des Evangeliums, sondern sei bereit, dafür zu leiden, Rückschläge
hinzunehmen. Denn in dir lebt der Geist der Kraft, der dich stark macht. Er lässt dich durchhalten,
er lässt dich hoffen, wo die Lage hoffnungslos zu sein scheint.
Sicher, heute müssen wir kein Gefängnis fürchten, nur, weil wir von Gott erzählen, von Jesus
Christus, von dem, der uns frei gemacht hat zur Liebe für einander. Wir dürfen unseren Glauben
frei ausüben. Niemand kann uns daran hindern. Und doch haben wir Angst, es weiter zu sagen, ja,
wir schämen uns des Evangeliums.
Es fällt uns schwer, es weiter zu sagen, weiter zu geben an unsere Kinder und Kindeskinder,
ihnen deutlich zu machen, was sie damit aufgeben. Denn wir fürchten, belächelt zu werden, oder
auch beschimpft, weil der Glaube doch eine Privatsache sei, und jeder nach seiner Facon selig
werden soll.
Aber nein, der Glaube ist keine Privatsache, die man irgendwo im Stübchen oder beim Spaziergang
im Wald zwischen sich und Gott aushandelt. Der Glaube, der christliche Glaube, ist eine Sache,
die zutiefst auf Gemeinschaft ausgelegt ist. Was wäre das für ein Glaube, der niemanden hat,
dem er sich in Liebe zuwenden kann? Der also nicht in Taten sichtbar wird? Und der nicht bereit
ist, sich von anderen lieben zu lassen?
Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der
Besonnenheit. Gott hat uns berufen, sein Sprachrohr zu sein, indem er uns seine Gnade offenbart
und geschenkt hat. Kann man da still sein?
Paulus kann so mutig sein und sein Leben riskieren, weil er weiß, dass der Tod nicht das letzte
Wort hat. Durch die Auferstehung von Jesus Christus ist unvergängliches Wesen an das Licht
gebracht worden. Der Tod ist überwunden. Diese Gewissheit haben auch wir durch den Geist der
Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.
Der Predigttext ist also durchaus relevant auch für die Situation, die ich anfangs geschildert
habe. Sollten wir uns nicht wehren und protestieren dagegen, dass unsere Mitmenschen arbeitslos
werden, während sich die Aktionäre ihre Taschen füllen? Es ist ein Gebot der Liebe, dass wir
das tun. Es kann nicht angehen, dass Gewinnmaximierung der Maßstab dafür ist, wie mit Menschen
umgegangen wird. Und da sind wir gefragt.
Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der
Besonnenheit.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Jesus ist kommen, Grund ewiger Freuden (EG 66)
Gelobt sei Gott im höchsten Thron (EG 103)
Er ist erstanden, Halleluja (EG 116)
O Heilger Geist, kehr bei uns ein (EG 130)
In dir ist Freude (EG 398)
Christus spricht: Ich bin die Auferstehung (EG 652)
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Predigtvorschläge zu Reihe III - Klgl 3, 22-26.31-32
Die nachfolgende Predigt wurde in einem Gottesdienst anlässlich des Konfirmationsjubiläums gehalten.
Liebe Gemeinde!
Die Güte des Herrn ist's, dass wir nicht gar aus sind – ich bin sicher, manche
von Ihnen können diese Worte mit ganzem Herzen bejahen. Diejenigen, die heute das
eiserne Jubiläum ihrer Konfirmation feiern, werden sich noch an die Kriegsjahre
erinnern, die sie in iher Kindheit erlebten. Aber auch die Jahre danach, die den
meisten von Ihnen wohl noch in Erinnerung sind, waren geprägt von Entbehrungen.
Allein diese Zeit der Jugend, die Zeit der 40er und 50er Jahre, kann einen heute
dazu bringen, zu sagen: Die Güte des Herrn ist's, dass wir nicht gar aus sind.
Aber nicht jedem fällt es leicht, diese Worte zu bejahen. Denn man kann wohl die
Frage stellen: warum hat Gott überhaupt zugelassen, dass es zu dem Krieg kam? Warum
lässt er heute noch Kriege zu? Und warum gibt es noch immer keine einfache, wirksame
Methode, den Krebs zu besiegen? Warum müssen Menschen verhungern? Warum gibt es
Erdbeben, die viele Menschen obdachlos machen? Man könnte damit wohl ewig weiter
machen. Die Kernfrage ist: Wo wird die Güte Gottes sichtbar?
Es ist wohl die Lieblingsfrage des Menschen, und jede einzelne Person wird auch ihre
ganz persönliche Frage an Gott stellen wollen: Warum ist es so, und nicht anders?
Wenn wir von Gott reden, denken wir schnell an diese ominöse Macht, die alles weiß
und alles beherrscht. So reden wir Gott ja auch an, als den Allmächtigen, der den
Naturgewalten genauso wie den Menschen Einhalt gebieten kann.
Warum nutzt er diese Macht nicht, um endlich Frieden durchzusetzen in unserer Welt?
Das war wohl auch die Frage des Jeremia in seinen Klageliedern. Das Reich Juda lag
verwüstet, die Oberschicht war nach Babylonien deportiert worden, die Rufe des Propheten
waren ungehört verhallt. Für den Propheten ist es die Hölle auf Erden. Hätte Gott sich
nicht erbarmen können?
Gut 2000 Jahre ist es her, da sangen die Engel den Hirten auf dem Feld die Hymne:
„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden.“ Was ist daraus geworden?
Jesus wurde gekreuzigt, er starb, wurde begraben.
Die Kirche bezeugt seither seine Auferstehung, den Sieg Gottes über den Tod, bis auf den
heutigen Tag. Und doch schmecken wir den Tod nach wie vor. Er reißt schmerzliche Wunden,
macht uns hilflos.
Es hat sich im Grunde nichts geändert, so scheint es uns jedenfalls.
Und doch: Jeremia weiß um die Tiefen menschlicher Existenz, denn er selbst steckt
ja mitten drin in diesem Chaos; aber er weiß auch um die Tiefe Gottes.
„O, welch eine Tiefe des Reichtums, beides der Weisheit und der Erkenntnis Gottes!
Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!“ (Röm 11, 33),
schreibt der Apostel Paulus im Römerbrief und lässt uns erneut bewusst werden:
Gottes Ratschluss, seine Wege sind unerforschlich für uns. Sie entziehen sich unserem
Verstand. Sie scheinen oft auch unvernünftig. Aber wer sind wir, über Gottes Handeln
zu urteilen?
Eins haben die meisten von uns wohl schon beobachtet: was uns anfangs wie eine
Katastrophe erscheint, wird später, wenn diese Katastrophe hinter uns liegt, gar
nicht mehr so schlimm erscheinen. Irgendwie ist man da durchgekommen, und nun kann
es doch weiter gehen, aber anders als vorher. Die Katastrophe hat einen verändert,
sie hat den Blickwinkel verändert, hat alles in einem anderen Licht erscheinen
lassen.
Und dann kann man auch dahin kommen, zu sagen: „Die Güte des Herrn ist's, dass
wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende.“
Solche Erfahrungen mit Gott haben auch ihren Niederschlag in den biblischen
Erzählungen gefunden.
Jeremia nimmt diese Erkenntnisse auf und verarbeitet sie.
„Die Güte des Herrn ist's, dass wir nicht gar aus sind.“ So schafft er es, noch
in dem schlimmsten Leid einen Funken Hoffnung zu erkennen.
Nehmen wir z.B. den Lebensweg des Josef. Vom verachteten zweitjüngsten Bruder wird
er trotz aller Widerstände, die ihn auch hätten verzweifeln lassen können, die
rechte Hand des Pharaos – durch die Güte Gottes.
Oder nehmen wir den Weg des Volkes Israel: aus der verzweifelten Situation der
Knechtschaft und Unterdrückung in Ägypten wird es schließlich herausgeführt durch
einen Mann, dessen Leben schon als Säugling äußerst gefährdet war, der aber gerade
durch diese Gefährdung eine Position erlangt, die es ihm schließlich ermöglicht,
den Willen Gottes dem Pharao gegenüber durchzusetzen.
Oder nehmen wir den Weg Jesu, der trotz aller Güte und Liebe zu seinen Mitmenschen
doch zum Tode verurteilt wird, aber nicht etwa, um der Bewegung der Jesuaner, wie
man die ersten Christen damals nannte, ein Ende zu machen, sondern um den Tod zu
besiegen und Hoffnung für die ganze Menschheit zu erwirken.
Und wie sieht es in unserem Leben aus? Gab es nicht auch in unserem Leben Situationen,
wo wir meinten, in einer Sackgasse gelandet zu sein, aus der es kein Heraus mehr gab?
Und hat es dann nicht doch einen Weg heraus gegeben, der uns jetzt dankbar hier sein
lässt?
Was für Gefühle bewegen einen, wenn man da so feststeckt und nicht weiter weiß? Ich
kann mir vorstellen, dass man da ganz schön sauer auf Gott sein kann – wenn man sich
an ihn erinnert. Aber es ist ja so eine Eigenart des Menschen, dass er sich gerade
dann an Gott erinnert, wenn alles schief zu gehen scheint. Wenn es einem gut geht,
dann ist das eher selbstverständlich, und man ist stolz auf seine eigenen
Errungenschaften.
Dass auch da Gott seine Hand im Spiel haben könnte, wird einem, solange es einem
gut geht, nicht so schnell bewusst.
Und darum ist es gut, sich zu erinnern, wenn plötzlich ein Ereignis in unsere
Lebenswirklichkeit einbricht, das alles zunichte zu machen scheint.
Jeremia hat das getan. „Gottes Barmherzigkeit hat noch kein Ende,“ sagt er, „sie
ist alle Morgen neu.“ Er weiß es, auch wenn er es in diesem Moment gerade nicht
sieht. Er weiß es, weil er die Geschichte kennt, die Vergangenheit. Und er hat ja
Recht. Das Volk Israel durfte wieder zurückkehren, rund 60 Jahre später, und noch
einmal von vorne beginnen.
Jeremia selbst hat es nicht mehr erlebt, aber deswegen hat er die Hoffnung nicht
aufgegeben. „Der Herr ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn
hoffen.“
Und in dieser Hoffnung kann er sogar sagen: „Der Herr betrübt wohl“, aber „er
erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte.“
Jeremia kann in dieser Situation der Not und des Elends so weit gehen, alles, auch
das Böse, aus Gottes Hand zu empfangen.
Das ist etwas, womit viele Menschen große Schwierigkeiten haben. Kann von Gott
wirklich auch das Böse kommen? In einer Hinsicht ist es wohl so: denn er hat den
Menschen ja mit der Fähigkeit ausgestattet, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden.
Und er hat den Menschen mit der Freiheit ausgestattet, sich für das eine oder
andere zu entscheiden. Und so kann man mit Jeremia auch sagen: Gott betrübt wohl.
Er tut dies durch die Menschen, die sich dazu entscheiden, Böses zu tun.
Aber es ist nicht das Ende. Denn am Ende siegt vielmehr die Barmherzigkeit Gottes.
Denn die Hilfe Gottes kommt – darauf kann Jeremia ganz fest vertrauen, und darauf
können wir ganz fest vertrauen.
Manche Rückschläge, die wir erlitten haben, scheinen uns längst nicht mehr so schlimm,
wenn wir auf sie zurück blicken können, weil wir erkennen, dass uns dieser Rückschlag
einen neuen Weg eröffnet hat.
Da wurde die Barmherzigkeit und Güte Gottes sichtbar.
Und diese Barmherzigkeit ist durch Jesus Christus noch fester, noch sicherer, noch
greifbarer geworden. Wir können uns darauf verlassen, dass Gott dazu steht. Seine
Liebe zu uns kann nicht gebrochen werden. Es kann nur sein, dass wir sie vergessen.
Damit das nicht geschieht, sind wir heute hier. Wir erbitten den Segen Gottes. Wir
erinnern uns an das Gute, das er an uns getan hat. Und wir wissen: was immer
geschieht, wir dürfen darauf vertrauen, dass Gott treu ist, dass er uns nicht
verlässt.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Du meine Seele, singe (EG 302)
Mir ist Erbarmung widerfahren (EG 355)
Befiehl du deine Wege (EG 361)
Was mein Gott will, gescheh allzeit (EG 364)
So nimm denn meine Hände (EG 376)
Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr (EG 382)
Freunde, dass der Mandelzweig (EG 613)
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Predigtvorschläge zu Reihe V - Hebr 10, 35-36(37-38)39
Liebe Gemeinde!
Jeden Morgen saß er am Bahnsteig auf einer Bank. Er sah die Menschen, die den
Zug bestiegen, um damit zur Arbeit zu fahren. Kaum jemand stieg aus, wenn
man's genau nimmt, niemand, wenigstens die meisten Tage nicht. Denn es
gab wenig Arbeit im Ort, die Fabriken waren alle schon lange geschlossen,
und viel Sehenswertes gab es auch nicht. Wer sollte schon hierher kommen?
Wer schon im Zug saß, wollte nur zur Arbeit in die große Stadt, die von
hier etwa 15 Minuten entfernt war.
So saß der alte Mann dort jeden Morgen, Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr
für Jahr. Es spielte keine Rolle, wie das Wetter war. Der Bahnsteig war überdacht,
und man musste sich ja nur richtig anziehen.
Einer jungen Frau fiel dieser alte Mann auf, wie wohl auch allen anderen, die
morgens herkamen und ihn schon sitzen sahen, während sie auf den Zug warteten.
Aber kaum einer von ihnen bemerkte, wie der alte Mann den Bahnsteig suchend
hinabblickte, wenn der Zug eingetroffen war. Man sah ihn nur durch's
Fenster noch auf der Bank sitzen, während der Zug losfuhr.
Und niemand sah ihn fortgehen, nachdem der Zug abgefahren war.
Auch wusste niemand, dass er mittags und nachmittags ebenfalls am Bahnsteig saß,
immer dann, wenn ein Zug aus der gleichen Richtung am Bahnhof hielt. Es hielten
ja nicht viele Züge in dem kleinen Ort.
Viele vermuteten, dass er ein Stadtstreicher sei, der nichts Besseres zu tun hätte
und es sich am Bahnhof bequem gemacht hatte. Aber irgendwie passte seine Kleidung
nicht dazu, und überhaupt machte der alte Mann einen gepflegten Eindruck, ganz
anders, als Stadtstreicher es tun.
Und so entschloss sich eines Morgens die junge Frau, ihn anzusprechen.
„Was machen Sie hier?“, fragte sie neugierig. Der alte Mann schaute sie etwas
verwundert an, so als wollte er sagen: „was willst du denn!“
Aber er konnte ihr wohl ansehen, dass sie es ehrlich meinte. Und so antwortete er:
„Ich warte.“
„Worauf?“, fragte neugierig die junge Frau.
„Auf meine Frau“, sagte der alte Mann.
Bevor die junge Frau weiter fragen konnte, rutschte er etwas zur Seite und lud sie
ein, sich neben ihn zu setzen. Dann begann er zu erzählen:
„Vor sechs Jahren bin ich mit meiner Frau hierher gegangen, um sie zu verabschieden.
Sie wollte ihre Mutter besuchen, hatte sie gesagt. Und: 'Ich komme bald wieder.'
Das hatte sie auch gesagt. Ich höre es noch, als wäre es gestern gewesen. Ich
komme bald wieder.
Sie stieg in den Zug, der dorthin fährt.“ Er deutete in die Richtung, aus der der
Zug gleich kommen würde. Dann fuhr er fort:
„Ich habe seither nichts von ihr gehört. Sie ist nie bei ihrer Mutter, die im Übrigen
inzwischen gestorben ist, angekommen, hat jedenfalls ihre Mutter gesagt. Ich habe
eine Vermisstenanzeige aufgegeben, aber niemand hat sie gesehen, die Polizei konnte
mir nicht helfen.
Ihre Schwester meinte, ich solle sie für tot erklären lassen. Aber das kann ich nicht
tun. Ich weiß, dass sie lebt und wiederkommen wird. Denn wir haben uns geliebt.“
In dem Moment kam der Zug. Die junge Frau verabschiedete sich nachdenklich und stieg
in den Zug.
Und der alte Mann sah, wie jedes Mal, wenn der Zug am Bahnsteig hielt, den Zug
entlang, ob nicht doch seine Frau aussteigen würde. Und insgeheim freute er sich
schon auf das Wiedersehen.
Können Sie sich in den alten Mann hinein versetzen? Würden Sie es so wie er machen und
wochen-, monate- oder gar jahrelang auf die geliebte Person warten? Nicht nur bei sich
zu Hause, sondern dort, wo Sie diese Person das letzte Mal gesehen haben?
Vermutlich würde jeder irgendwann, und sicher nicht erst nach sechs Jahren, aufgeben und
sich wieder dem Alltag zuwenden. Und dem alten Mann würde man vermutlich auch schon
erklärt haben, dass das, was er tut, unvernünftig ist. Aber er würde es wohl kaum
akzeptieren.
(Darum) Werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat. Geduld aber
habt ihr nötig, damit ihr den Willen Gottes tut und das Verheißene empfangt. »Denn
nur noch eine kleine Weile, so wird kommen, der da kommen soll, und wird nicht lange
ausbleiben. Mein Gerechter aber wird aus Glauben leben. Wenn er aber zurückweicht,
hat meine Seele kein Gefallen an ihm« (Habakuk 2,3.4). Wir aber sind nicht von denen,
die zurückweichen und verdammt werden, sondern von denen, die glauben und die Seele
erretten. (Hebr 10, 35-39)
So lautet unser Predigttext für den heutigen Sonntag.
Werft euer Vertrauen nicht weg...
Genau darum ging es auch in der Geschichte, die ich gerade erzählt habe. Der alte Mann
vertraute dem Versprechen seiner Frau. Sie hatten sich so sehr geliebt, dass er nicht
glauben konnte, dass sie ihn belügen würde. Und darum hörte er nicht auf, auf sie zu
warten.
In unserem Predigttext geht es allerdings nicht um das Verhältnis zwischen Mann und
Frau, sondern um unser Verhältnis zu Gott. Es geht darum, dass wir Gottes Zusagen
Vertrauen schenken, auch dann, wenn alles dem zu widersprechen scheint.
Niemand kann uns sagen, ob und wann Gott kommen wird. Es bleibt immer eine Frage des
Vertrauens. Und man kann schon ganz gut verstehen, wenn Menschen nach einer Weile –
immerhin sind es ja schon nahezu 2000 Jahre – ins Grübeln kommen und sich denken,
dass Gott sein Versprechen wohl doch nicht einhält.
Seit rd. 2000 Jahren wartet die christliche Gemeinde auf das Kommen des Herrn.
Wir warten darauf, dass er der Ungerechtigkeit, dem Neid, dem Hass, der Missgunst
ein Ende setzt.
Wir warten darauf, dass sein Reich Alles in Allem ist, dass es alles fortnimmt,
was unser Leben belastet: kein Leid mehr, keinen Kummer, ja, auch den Tod nicht
mehr.
Wir warten darauf, dass Gott sich in all seiner Herrlichkeit offenbart.
Tun wir das wirklich?
Wenn wir das tun, dann sind wir jedenfalls so unvernünftig wie der alte Mann,
der sich tagaus, tagein zum Bahnsteig begab und auf seine Frau wartete, von der
er seit Jahren kein Lebenszeichen mehr empfangen hatte.
Was ihn dazu trieb war die Liebe, die er für sie empfand, auch nach so vielen
Jahren der Trennung. Er gab nicht auf.
Und was treibt uns?
Ist es das Verlangen nach einer besseren Welt?
Ist es die Hoffnung auf ein Jenseits, in dem wir nichts entbehren müssen?
Ist es die Sehnsucht nach der Liebe, mit der Gott uns begegnet ist?
„Wir sind von denen, die glauben und die Seele erretten“ (Hebr 10, 39b), so sagt
es der Verfasser des Hebräerbriefes. Mit diesem „Wir“ meint er uns.
„Wir sind von denen, die glauben.“ Ob unser Glaube nun klein oder groß ist, spielt
dabei gar keine Rolle, zumal wir dafür ja auch keinen Maßstab haben. Es genügt zu
glauben, dass Gott zu seinen Versprechen steht, dass er sie einhält.
Gott kommt, das ist gewiss, das hat er uns zugesagt. Was durch Jesus Christus
zeichenhaft sichtbar wurde, wird zuletzt allen Menschen offenbar werden.
Und doch scheint es mir oft, dass wir eher zu denen gehören, die schon längst
alle Hoffnung aufgegeben haben, die ihr Vertrauen wegwarfen schon vor langer Zeit.
Aber müssten wir dann nicht ganz aufgeben, wenn es nichts gäbe, auf das es sich
zu hoffen lohnt? Müssten wir dann nicht aufhören, Gottesdienst zu feiern? Müssten
wir nicht aufhören, uns für die Schwachen in unserer Gesellschaft und in der Welt
einzusetzen?
Denn ganz offensichtlich ist der Mensch ja sowieso nicht in der Lage, alles zum
Guten zu wenden. Zigtausende Flüchtlinge, vor denen man ängstlich die Grenzen,
die jahrzehntelang offenstanden, wieder versperrt, anstatt ihnen hier Raum zu
geben, sprechen eine Sprache, die deutlicher nicht sein kann.
Tausende von Menschen, die täglich verhungern oder an durchaus heilbaren
Krankheiten sterben, nur weil die Pharmaindustrie nicht bereit ist, ihre
Medikamente diesen Menschen zugänglich zu machen, zeigen, dass der Mensch
es nicht kann.
Gottes Liebe zu uns ist unermesslich. Nur neigen wir dazu, an ihr zu zweifeln,
weil wir meinen, Gott müsse unsere Arbeit tun. Wir erwarten von ihm, was wir
zu tun schuldig sind, weil er uns doch zuerst geliebt hat.
Aber das wird nicht funktionieren. Es liegt an uns, die Liebe Gottes allen Menschen
zu offenbaren, in unserem Handeln, mit unseren Worten. Und so hören wir nicht auf,
wir werfen unser Vertrauen nicht weg.
Wir stellen uns denen in den Weg, die Angst schüren, und stehen denen zur Seite,
die in Not sind.
Dazu treibt uns die Liebe Gottes, die allen Menschen gilt. Wir tragen sie in
unseren Herzen.
Amen
oder
Liebe Gemeinde, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden!
»Ihr habt die Wahl«, sage ich zu einer Gruppe Konfirmandinnen und Konfirmanden.
»Ihr könnt entweder Gemeindebriefe austragen, oder wir machen ganz normalen
Konfirmandenunterricht.« Alle rufen aufgeregt durcheinander: »Ich will
Gemeindebriefe austragen!« »Ich auch!« »Ich auch!« und so weiter. Die Hefte
sind schon so in Stapel aufgeteilt, dass jede Zweiergruppe nach etwa eineinhalb
Stunden fertig sein dürfte. Die Paare haben sich schnell gefunden und nehmen
ihre Stapel in Empfang. Dann schwärmen sie in alle Richtungen aus.
Am nächsten Morgen bekomme ich einen Anruf: »Wissen Sie was, ich habe heute
doch tatsächlich zwischen den Büschen in meinem Garten einen ganzen Haufen
Gemeindebriefe gefunden! Wer macht denn so etwas und wirft die einfach weg,
und dann auch noch in meinen Garten?« Ich wüsste die Antwort schon, aber ich
verkneife sie mir. Nach einigem Hin und Her mache ich mich auf, um die Briefe
wieder abzuholen, soweit sie noch brauchbar sind.
Durch einen zweiten Anruf erfahre ich, dass ein kompletter Stapel Gemeindebriefe
in einer Mülltonne gelandet ist. Und einige Tage später mehren sich die Anrufe
von Menschen, die den Gemeindebrief nicht bekommen haben, obwohl mittlerweile
manche andere ihn in Händen halten. Ist da vielleicht jemand von den Austeilern
krank geworden?
Ich weiß schon, was passiert ist. Natürlich ist niemand krank geworden. Einige
der Konfirmandinnen und Konfirmanden hatten die Gemeindebriefe einfach nicht
ausgetragen. Darüber bin ich natürlich sehr enttäuscht. Ich hatte den Konfirmandinnen
und Konfirmanden vertraut, dass sie ihre Aufgabe ausführen würden. Immerhin
hatten Sie dafür die Zeit bekommen, die sie sonst im Konfirmandenunterricht
gewesen wären. Es war also kein Verlust für sie gewesen, wenn sie diese Aufgabe
erfüllt hätten. Aber ein Teil der Konfirmanden hatte es wohl für eine willkommene
Gelegenheit gehalten, blau zu machen. Sie dachten nur an ihre eigene Freizeit,
die sie auf diese Weise gewinnen konnten, und vergaßen dabei völlig, dass ich
natürlich davon erfahren würde, wenn sie die Gemeindebriefe nicht austeilten,
sondern einfach wegwarfen.
Für mich ist eines klar: ich kann den Konfirmandinnen und Konfirmanden nicht
mehr vertrauen. Der Versuch, in der nächsten Konfirmandenstunde durch Befragung
herauszubekommen, wer alles die Gemeindebriefe nicht ausgetragen hat, schlug
fehl. Keiner wollte es zugeben. Dabei war es für mich recht einfach, rauszubekommen,
wer die Briefe nicht ausgetragen hatte. Aber die Enttäuschung war doppelt:
zum einen hatten sie versprochen, dass sie die Gemeindebriefe austeilen würden,
und zum andern hatten sie mich nun auch noch angelogen.
Im Konfirmandenunterricht entsteht eine lange Diskussion. Am Ende, so habe ich
den Eindruck, haben sie erkannt, dass ich enttäuscht bin, und auch, dass sie
ihre Verantwortung nicht wahrgenommen haben.
Ich weiß nicht, ob ich es noch mal probieren soll, denn immerhin sind die
Gemeindebriefe ein wichtiges Mittel, mit den Mitgliedern der Gemeinde zu
kommunizieren. Sie erhalten dadurch wichtige Informationen aus dem Gemeindeleben.
Aber ich gebe nicht auf. Drei Monate später, als der nächste Gemeindebrief
fertig ist, wird ein neuer Versuch gestartet. Und diesmal klappt es. Mein
Vertrauen wird belohnt. Ich freue mich, und in der nächsten Konfirmandenstunde
findet eine kleine Feier statt.
Vertrauen ist wichtig. Es ist die Grundlage zum Leben. Denn nur wenn wir
Vertrauen haben, können wir auch Risiken eingehen. Und nur, wenn wir Risiken
eingehen, kommen wir weiter. Ohne Vertrauen könnte jeder nur für sich allein
leben. Denn wenn ich niemandem mehr vertrauen kann, muss ich vor jedem Angst
haben. Und Angst frisst die Seele auf - so hat es einmal ein kluger Afrikaner
formuliert.
In der Bibel wird oft von Vertrauen gesprochen, denn das Wort, das wir mit
Glauben übersetzen, kann genauso gut auch mit Vertrauen übersetzt werden.
Eine Stelle, in der dieses Vertrauen im Mittelpunkt steht, finden wir im Brief
an die Hebräer. Es ist unser Predigttext. Dort heißt es:
Werft euer Vertrauen nicht weg! Denn wenn ihr Vertrauen habt, werdet ihr eine
große Belohnung empfangen.
Das hört sich schon mal gut an. Eine Belohnung will doch wohl jeder haben. Und
wenn man dafür nichts anderes tun muss als Vertrauen...
Aber das ist eben das Problem. Ich kann nicht jedem Menschen vertrauen. Niemand kann
das. Zu oft wird man enttäuscht. Und in diesem Fall ist es mit dem Vertrauen ja noch
besonders schwierig. Denn wem soll ich vertrauen? Gott natürlich! Und Gott, naja, an
den glauben kleine Kinder und alte Omas, aber alles, was dazwischen liegt, weiß doch
Bescheid: Gott gibt es gar nicht.
Aber so einfach wollen wir es uns mal nicht machen. Immerhin winkt ja eine Belohnung.
Also sollten wir vielleicht doch mal schauen, ob es einen Grund gibt, Gott zu vertrauen,
mit anderen Worten: an ihn zu glauben.
Aber da fallen mir erstmal all die Sachen ein, die nun wirklich nicht zum Vertrauen
einladen: Gott hat z.B. nichts gegen die Flut unternommen, die tausende von Menschen
obdachlos gemacht hat. Er unternimmt nichts dagegen, dass täglich tausende von Kindern
verhungern. Er hat nichts dagegen unternommen, dass die Flugzeuge in das World Trade
Center rasten. Den einen hat er bei der Mathe-Arbeit im Stich gelassen - wieder eine
5. Und er könnte doch eigentlich auch dafür sorgen, dass man mal ein paar nettere Lehrer
bekommt, die alles nicht so verbissen sehen.
Aber nein, Gott kümmert sich nicht. Es scheint ihm ganz egal, was mit uns passiert.
Aber ich frage mal anders rum: was wäre denn, wenn Gott sich kümmern würde? Wenn er
alle unsere Probleme lösen würde? Es wäre toll - auf den ersten Blick zumindest. Aber
es würde alles nicht so glatt gehen, wie wir es uns vorstellen. Denn ich bin ja nicht
der einzige, der Wünsche hat.
Während ich mir etwa wünsche, dass ihr Konfirmandinnen und Konfirmanden das, was wir
mit Euch erarbeiten, auch in die Tat umsetzt, wünscht Ihr Euch sicher, dass die
Konfirmation ganz ohne Unterricht möglich wäre. Während Ihr Euch z.B. den Mathe-
Lehrer wegwünscht, wünscht sich dieser Mathe-Lehrer, Euch mehr für das Fach Mathe
begeistern zu können. Während wir möglichst billig einkaufen wollen, möchten die
Menschen in den Ländern, von denen wir unsere Rohstoffe und Nahrungsmittel beziehen,
mehr Geld für ihre Prdoukte haben. Und so geht die Liste weiter und weiter. Es gibt
immer zwei Seiten. Wessen Wünsche soll Gott nun erfüllen?
Ich denke, es ist offensichtlich, dass es so einfach nicht ist. Gott hält sich da raus,
weil die meisten Probleme, mit denen wir zu tun haben, ja erst von uns selbst verursacht.
Selbst die Flutwelle, die so viele Häuser zerstörte, ist zurückzuführen auf unsere
fortwährenden Bemühungen , die Natur unseren Wünschen und Bedürfnissen anzupassen. Warum
soll Gott diese Suppe auslöffeln? Ist das nicht unsere Aufgabe?
Natürlich ist es das. Wir müssen schon selber zusehen, unsere Probleme in den Griff zu
kriegen. Das heißt nun nicht, nach Mitteln zu suchen, wie man z.B. unliebsame Lehrer
aus dem Weg räumen kann, sondern es heißt, Wege zu suchen, wie man ein besseres Verhältnis
zu diesem Lehrer bekommen kann.
Die Probleme in den Griff zu kriegen heißt nicht, die Augen zu schließen und zu sagen:
ich kann sowieso nichts ändern, sondern zu sagen: ich will es wenigstens versuchen, z.B.
die Situation der Menschen in den armen Ländern zu verbessern. Ich will mich besser
informieren, ich will nach Gleichgesinnten Ausschau halten, mit denen zusammen ich
dann auch mehr erreichen kann.
Das ist nicht einfach, das erfordert Mut, und es erfordert Durchhaltevermögen. Werft
euer Vertrauen nicht weg... diese Worte haben wir vorhin gehört, und diese Worte
bekommen jetzt erst einen richtigen Sinn:
Wenn wir versuchen, unsere Probleme selbst anzupacken und zu beseitigen, dann kommt
es schon vor, dass es uns zu viel wird. Wir schaffen es nicht und wollen aufgeben,
vielleicht auch gerade darum, weil wir keine Hilfe erfahren. Es ist, als ob wir ganz
allein wären.
Aber das sind wir nicht. Gott ist da, um uns zu helfen, wenn es nicht mehr weitergeht.
Er macht uns neuen Mut, so dass wir nicht aufgeben müssen. Die einzige Bedingung:
vertrauen. Vertrauen, dass Gott uns beisteht, dass er da ist, auch wenn wir ihn weder
sehen noch fühlen können. Auf Gott vertrauen, auch und gerade dann, wenn alle anderen
sagen: Gott? Den gibt es doch gar nicht!
Wenn wir so an Gott festhalten, dann werden wir auch bald unsere Mitmenschen mit ganz
anderen Augen sehen. Der gemeine Lehrer wird zum Menschen, der genauso von Gott geliebt
ist, wie ich es bin. Darum ist er dann nicht mehr mein Feind, sondern kann zum Freund
werden - und plötzlich fällt das Lernen viel leichter. Der Konfirmandenunterricht ist
nicht mehr eine nervtötende Begleiterscheinung der ansonsten ja recht lukrativen Konfirmation,
sondern eine wichtige und hilfreiche Möglichkeit, mehr über Gott zu erfahren und Wege zu
erlernen, wie ich besser mit meinen Mitmenschen umgehen kann.
Und es macht Freude, zu sehen, wenn andere Menschen nicht mehr ihre Augen schließen und
sagen: da kann ich doch sowieso nichts ändern, sondern beginnen, mitzuhelfen, wenn wir uns
für Menschen in anderen Ländern einsetzen.
Darum: Werft euer Vertrauen nicht weg! Denn wenn ihr Vertrauen habt, werdet ihr eine große
Belohnung empfangen.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Ich möcht', dass einer mit mir geht (EG 209)
Lob Gott getrost mit Singen (EG 243)
Was mein Gott will gescheh allzeit (EG 364)
Ich steh in meines Herren Hand (EG 374)
Ja, ich will euch tragen (EG 380)
Herr, du hast mich angerührt (EG 383)
Bei dir, Jesu, will ich bleiben (EG 406)
Vertrauen wagen (NB-EG 607)
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Predigtvorschläge zu Reihe M - 2. Kön 4, 18-37 i.A.
Apg 12, 1-11
früher:
Jes 38, 9-20
Röm 4, 18-25
Zu Jesaja 38, 9-20:
Die Krankheit des Königs Hiskia war keine Strafe. Hiskia war vielmehr ein König, der auf die Worte Gottes hörte und der darum von
Gott reich belohnt werden müsste.
Andererseits war er natürlich auch Politiker, der in einer unruhigen Zeit lebte und darum immer wieder politisch kluge Entscheidungen
treffen musste – meist waren es Kompromisse, denn das kleine Volk Juda war nicht mehr stark genug, um sich gegen die großen
Mächte der Umgebung durchzusetzen. Aber es blieb das Volk Gottes, und daran hielt dieser König fest.
Die Assyrer hatten weite Teile des Nahen Ostens erobert, manche ehemals unabhängige Staaten waren Vasallen geworden,
andere erkannten die Macht der Assyrer durch die Zahlung von Tributen an. Dazu gehörte auch das Volk Juda, das sich anfangs
nicht an dem Aufstand der umliegenden Völker gegen die Assyrer beteiligt hatte. Es war aber zu erwarten, dass Sanherhib, der
König der Assyrer, sich das ganze Gebiet unterwerfen würde, sollte es zu weiteren Aufständen kommen. Im Jahre 701 machte
sich Sanherib zu einem Feldzug auf, in dem er die Stadt Jerusalem lange belagerte. Wie einen Vogel in einen Käfig habe man den
König Hiskia eingeschlossen, so berichten die Geschichtsschreiber der Assyrer und beschreiben damit die lange Belagerung der
Königsstadt Jerusalem.
Der Rabschake, der der Feldherr der Assyrer war, verhöhnte den Gott Israels. Hiskia wandte sich an den Propheten Jesaja
und zu Gott. Er betete:
„Herr, neige deine Ohren und höre doch, Herr, tu deine Augen auf und sieh doch! Höre doch alle die Worte Sanheribs, die er
gesandt hat, um den lebendigen Gott zu schmähen.”
Gott verheißt daraufhin die Errettung Judas und verspricht durch den Propheten Jesaja, dass die Assyrer die Stadt
Jerusalem nicht erobern werden.
Als die Bedrohung dann tatsächlich vorüber ist, wird Hiskia todkrank (Jes 38,1). Jesaja sagt ihm dazu noch: „Bestelle
dein Haus, denn du wirst sterben und nicht am Leben bleiben.” Wenn der Prophet Gottes so überzeugt ist vom kommenden
Ende, was bleibt dann noch zu tun als sein Haus zu bestellen?
Aber Hiskia wollte dieses Schicksal nicht einfach so hinnehmen. Er betete weinend auf seinem Lager: „Gedenke doch, Herr,
wie ich vor dir in Treue und ungeteilten Herzens gewandelt bin und habe getan, was dir gefallen hat.”
Daraufhin sagt Gott ihm durch den Propheten Jesaja noch fünfzehn weitere Lebensjahre zu.
Hiskia wird wieder gesund und singt das Lied, das wir eben gehört haben.
Er stellt in diesem Gebet dar, was er erfahren hatte. In der Mitte seines Lebens sollte er sterben, und er deutet dies aus der
Sicht dessen, der in seinem Leben immer auf Gott vertraut hat:
Ich werde den Herrn nicht schauen im Lande der Lebendigen.
Mit vielen Worten malt er diese Tatsache aus:
„meine Hütte ist abgebrochen” - dabei ist natürlich nicht der königliche Palast gemeint, sondern Hiskias Leben. Es ist schon
beachtlich, dass er sein Leben nur als eine Hütte bezeichnet – denn was ist das Werk eines Menschen vor Gott? Was man
in seinem Leben geschaffen, ja, gebaut hat – es kann nicht mehr als eine Hütte sein in den Augen des Allmächtigen. Aber
er als König: hat er nicht viel erreicht? Demütige dich vor deinem Gott
„Zu Ende gewebt habe ich mein Leben wie ein Weber; er schneidet mich ab wie ein Faden.” So banal, so einfach, so
bedeutungslos ist das Ende. Es ist für den Weber ein alltäglicher Handgriff, nichts Außergewöhnliches. Aber: nicht der
Faden ist das Leben, sondern das Tuch, das daraus gewebt wurde. Wer weiß, wozu es gut ist?
Doch Hiskia sieht es nicht so – denn er kann nicht auf ein vollendetes Lebenswerk zurückschauen. Er sieht nur
Fragmente, Bruchstücke, die letztlich bedeutungslos zu sein scheinen.
„Ich zwitschere wie eine Schwalbe und gurre wie eine Taube”. Diese Töne sind in seinen Ohren ein Lob Gottes.
Wozu sollen die Geschöpfe denn sonst Stimmen haben, wenn nicht, um ihren Schöpfer damit zu loben?
So hatte auch Hiskia seine Stimme erhoben – wie das Zwitschern einer Schwalbe oder das Gurren einer Taube.
Nichts anderes als das Lob des Schöpfers wollte er damit singen, und nun bettete er darin eine Bitte ein: Herr,
ich leide Not, tritt für mich ein! Herr, lass mich wieder genesen und leben!
Zwischen diesen beiden Rufen erklingt das scheinbar Unwiderrufliche: „Er hat's getan!” Gott hat es getan. Wer
kann sich dem in den Weg stellen? Ist es nicht doch richtig, sich dem Schicksal zu ergeben?
Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobt – diese Worte, die wir aus Hiob's
Mund kennen, könnten auch die Worte des Hiskia sein. Es ist die Hingabe zu Gott im tiefen Leid, die hier spürbar wird.
Alles aus seiner Hand nehmen, Gutes wie Böses. Denn wir können ja doch nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.
Aber etwas anderes klang an, am Anfang, als Hiskia vom Lande der Lebendigen sprach. Können die Toten überhaupt
noch Gott loben? Die meisten Menschen glaubten damals, dass die Toten nur von Finsternis umgeben wären.
„Im Tode gedenkt man deiner nicht; wer wird dir bei den Toten danken?”, (Ps 6, 6) heißt es im 6. Psalm. Wie können
Tote mit Gott in Verbindung treten?
Konnte Hiskia also eine solche Hoffnung haben, wie wir sie haben können durch die Auferstehung Jesu Christi?
Wohl kaum. Wenig später wird er selbst ganz ähnliche Gedanken äußern: „die Toten loben dich nicht.”
Und darum nimmt er sein Schicksal ja auch nicht widerstandslos hin. Er akzeptiert nicht die Endgültigkeit der
Worte des Propheten. Und so wie wir daran glauben, dass wir auch im Tode noch in den Händen Gottes
geborgen sind, so glaubte Hiskia, dass die Hand Gottes ihn vom Tod erretten könnte.
Und dennoch hören wir noch die verzweifelte Feststellung:
„Siehe, um Trost war mir sehr bange.”
Kein Wunder eigentlich, nachdem der Prophet Jesaja so kühl und distanziert den Willen Gottes offenbart
hatte. „Bestelle dein Haus, denn du wirst sterben und nicht am Leben bleiben.” Daran ist nichts Trostvolles.
Und Jesaja scheint auch keinen Trost zu haben. Er ist ja auch nur der Überbringer, er ist der Prophet, der
Bote Gottes – er ist kein Seelsorger.
In dieser Situation, da es dem Hiskia um Trost so sehr bange war, da wendete er sich Gott zu. Denn woher
sonst konnte er Trost erwarten, wo selbst der Prophet Gottes kein Wort des Trostes mehr für ihn hatte? Von
Gott erhoffte und erbat er nun Barmherzigkeit. Und er bekam sie.
Das Lied wendet sich:
„Du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen” - herzlich angenommen. Da spürt man plötzlich eine
Nähe und Wärme, die so ganz anders ist als das „Bestelle dein Haus.”
„Herzlich”, das heißt von Herzen, und man könnte auch sagen: aus Liebe, zumindest aber: in liebevoller
Hinwendung hat sich Gott seiner Seele angenommen.
So wenig wie die Krankheit als Strafe verstanden wurde, so wenig wurde die Genesung als Belohnung
empfunden – denn wofür?
Hiskia sieht sich als einen Menschen, der vor Gott nicht bestehen kann, und stellt fest: „du wirfst alle meine
Sünden hinter dich zurück.” Das hätte er selbst nie schaffen können.
Gott macht uns rein, er lässt uns in seinem Licht stehen. Hiskia ist sich bewusst, dass er ein sündiger Mensch
ist, auch wenn er sich stets zu Gott gehalten hat. Kein Mensch kann „nur gut” sein. Und selbst wenn er es zu
sein scheint, dann kann auch in diesem Gutsein noch Falsches liegen, das wir nur im Moment nicht erkennen.
Wir brauchen nur ein wenig nachforschen, unter welchen Bedingungen viele der Dinge, die wir kaufen und täglich
benutzen, hergestellt wurden, dann werden wir erkennen, dass wir schon im Alltäglichen schuldig werden an
unseren Mitmenschen, seien sie nun nah oder fern. Niemand ist ohne Schuld.
Noch einmal erinnert Hiskia an das, was er vielleicht doch im Geheimen als ein gutes Argument gebraucht hat:
„Die Toten loben dich nicht, der Tod rühmt dich nicht, und die in die Grube fahren, warten nicht auf deine Treue;
sondern allein, die da leben, loben dich so wie ich heute.” (Jes 38, 18)
Wir sehen das etwas anders. Im 1. Petrusbrief heißt es: Christus „ist hingegangen, zu predigen den
Geistern im Gefängnis” (1. Petr 3, 19), und etwas weiter lesen wir: „Dazu ist auch den Toten das
Evangelium verkündigt, dass sie zwar nach Menschenweise gerichtet werden im Fleisch, aber nach
Gottes Weise das Leben haben im Geist.” (1. Petr 4, 6)
Die Toten haben das Leben im Geist und können darum auch Gott loben. Sie bleiben nicht stumm, sondern
wenden sich Gott zu und bitten, dass er komme, um sein Reich zu vollenden.
Hiskia lebt, und so bleibt für ihn nur, alle Menschen aufzufordern, mit ihm zu singen und zu spielen im Hause
des Herrn!
Wie schnell neigt der Mensch dazu, die Güte Gottes zu vergessen. Für Hiskia war die Genesung ein
Wunder. Denn am Anfang stand das Wort des Propheten: bestelle dein Haus, du wirst sterben. Und
am Ende stand das Wort: du wirst noch fünfzehn Jahre leben.
Abgesehen davon, dass wohl niemand gerne so genau wissen möchte, wann sein Tod kommt, war diese
Botschaft Grund zur Freude, und diese Freude wollte Hiskia Gott gegenüber zum Ausdruck bringen.
Denn die Ursache der Freude kam von Gott her.
Wir leben unser Leben nicht nur für uns. In allem, was wir tun, haben wir ein Gegenüber, und das ist der
lebendige Gott. Auf seine Gnade dürfen wir vertrauen.
Amen
Zu Apg 12, 1-11:
Als er die Augen aufschlug, sah er um sich eine fremde Umgebung. Das war nicht sein Schlafzimmer; das war nicht die geblümte Tapete,
die er Jahr für Jahr jeden morgen nach dem Aufwachen angesehen hatte, sondern die Wände waren mit Pastellfarben gestrichen, die beruhigend wirkten,
und das Bett, in dem er lag, war viel höher als sein eigenes. An dem typischen rollenden Bettschränkchen erkannte er schließlich, dass er in einem
Krankenhaus liegen musste. Aber er konnte sich nicht daran erinnern, wie er dorthin gekommen war. Während er noch versuchte, die Erinnerung
wieder zu erlangen, trat der Arzt in das Krankenzimmer. "Guten Tag, Herr Schulze!" sagte er. "Gut, dass Sie wieder aufgewacht
sind. 4 Tage waren Sie ohne Bewusstsein!"
"Was, 4 Tage? Aber was ist denn passiert?", wollte Herr Schulze jetzt wissen. "Nun," antwortete der Arzt, "Sie sind
eine Treppe hinuntergestürzt. Sie wollten wohl gerade den Müll rausbringen, da sind Sie an der obersten Stufe ausgerutscht und die Treppe
runtergefallen. Dabei wurde ihre Wirbelsäule verletzt." Herr Schulze horchte auf. Langsam kroch Angst in ihm hoch. Er hatte also einen Unfall
gehabt! Und ganz harmlos kann es nicht gewesen sein, sonst würde er sich doch daran erinnern! Schließlich fragte er zaghaft: "Wie schlimm
ist es denn, Herr Doktor?"
"Tja, wir haben Ihre Wirbelsäule stabilisiert, aber der Nerv ist verletzt. Sehr wahrscheinlich werden Sie in Zukunft einen Rollstuhl brauchen."
Wie ein Todesurteil polterten die Worte auf ihn herab. Herr Schulze wollte nicht mehr leben. Er war 60 Jahre alt, aber er hatte sich nie richtig alt gefühlt.
Er war ein vitaler Mann gewesen, der viele Dinge im Haus selbst repariert hatte und selten von anderen abhängig war. Als seine Frau vor zwei Jahren
gestorben war, hatte ihn das schwer getroffen, aber er hatte sich damit getröstet, dass sie bestimmt gewollt hätte, dass er so weiterlebt wie bisher.
Das hatte er auch getan. Aber jetzt? Was für einen Sinn hatte sein Leben noch?
Unser heutiger Predigttext erzählt von einer ähnlichen Situation:
Um diese Zeit legte der König Herodes Hand an einige von der Gemeinde, sie zu mißhandeln. Er tötete aber Jakobus, den Bruder des Johannes,
mit dem Schwert. Und als er sah, dass es den Juden gefiel, fuhr er fort und nahm auch Petrus gefangen. Es waren aber eben die Tage der
Ungesäuerten Brote. Als er ihn nun ergriffen hatte, warf er ihn ins Gefängnis und überantwortete ihn vier Wachen von je vier Soldaten, ihn zu
bewachen. Denn er gedachte, ihn nach dem Fest vor das Volk zu stellen. So wurde nun Petrus im Gefängnis festgehalten; aber die Gemeinde
betete ohne Aufhören für ihn zu Gott. Und in jener Nacht, als ihn Herodes vorführen lassen wollte, schlief Petrus zwischen zwei Soldaten, mit
zwei Ketten gefesselt, und die Wachen vor der Tür bewachten das Gefängnis. Und siehe, der Engel des Herrn kam herein, und Licht leuchtete
auf in dem Raum; und er stieß Petrus in die Seite und weckte ihn und sprach: Steh schnell auf! Und die Ketten fielen ihm von seinen Händen.
Und der Engel sprach zu ihm: Gürte dich und zieh deine Schuhe an! Und er tat es. Und er sprach zu ihm: Wirf deinen Mantel um und folge mir!
Und er ging hinaus und folgte ihm und wußte nicht, dass ihm das wahrhaftig geschehe durch den Engel, sondern meinte, eine Erscheinung zu
sehen. Sie gingen aber durch die erste und zweite Wache und kamen zu dem eisernen Tor, das zur Stadt führt; das tat sich ihnen von selber auf.
Und sie traten hinaus und gingen eine Straße weit, und alsbald verließ ihn der Engel. Und als Petrus zu sich gekommen war, sprach er: Nun
weiß ich wahrhaftig, dass der Herr seinen Engel gesandt und mich aus der Hand des Herodes errettet hat und von allem, was das jüdische
Volk erwartete.
Für Petrus sah es nicht gut aus. Jakobus war einer der Führer gewesen der christlichen Gemeinde in Jerusalem, Petrus war die andere
herausragende Person. Offenbar wollte Herodes die Führer umbringen, um so zum einen die Gunst des Volkes zu gewinnen, zum anderen
aber sich selbst eine lästige Plage vom Hals zu schaffen. Aus irgendeinem Grunde hielt Herodes den Petrus für eine so wichtige Person, dass
er ihm rund um die Uhr 4 Wachen zugesellte, im Ganzen also 16, so dass jede Wache nur 6 Stunden Dienst tun musste - so war gewährleistet,
dass sie immer wach und auf der Hut waren. Zudem wurde er mit 2 schweren Ketten festgebunden. Eine aussichtslose Situation für Petrus, und
er hat sich wohl auch in sein Schicksal gefügt. Gott hatte Jakobus nicht geholfen, warum sollte er ihm jetzt helfen?
Mit diesem Gedanken schlief Petrus ein, in Ketten gelegt, nahezu unbeweglich, umgeben von zwei Wachen, und weitere zwei Wachen draußen
vor der Tür der Gefängniszelle.
Dann taucht plötzlich der Engel Gottes auf, löst die Ketten und fordert ihn auf, die Schuhe und den Mantel anzuziehen, das Leben wieder in
Angriff zu nehmen, nicht aufzugeben. Der Engel führt ihn heraus aus der Enge des Gefängnisses durch das Tor der Burg, in der Petrus gefangen
lag, in die Stadt hinaus. Sie gingen noch ein Stück, und dann verschwand der Engel. Bis dahin war Petrus nicht bewusst geworden, was ihm widerfuhr.
Er hielt es für einen Traum. Nun aber begriff er: er war befreit worden! Sein Tod war doch nicht unvermeidlich gewesen!
Es leuchtet wohl ein, dass wir diese Geschichte nicht einfach auf uns übertragen können. Denn natürlich stehen wir nicht in einer ähnlichen Situation.
Wir werden nicht verfolgt, wir sind keine Gefangenen, wir sehen dem Tod nicht derart ins Auge, dass wir wüssten, dass wir am nächsten Tag sterben
müssten. Darum habe ich nach Ansatzpunkten gesucht, diese Geschichte auf ähnliche Situationen zu übertragen, und bin dabei auf Schicksale
gestoßen wie das von Herrn Schulze. Auch er geriet unversehens in eine ausweglose Situation, der Tod war ihm plötzlich unmittelbar vor Augen
gerückt, denn ein Leben im Rollstuhl konnte er sich einfach nicht vorstellen.
Was mich an der Geschichte von der Befreiung des Petrus besonders beeindruckt hat, ist die Liebe zum Detail. Es hätte ja genügt, zu sagen, dass
der Engel kam und ihn befreite, vielleicht auch noch, dass er ihn in die Stadt hinausführte. Aber es wird genau beschrieben, was geschah: der Engel
weckt Petrus, indem er ihn in die Seite stößt, die Ketten fallen von ihm ab, der Engel fordert Petrus auf, zuerst die Schuhe und dann den Mantel
anzuziehen, und dann gehen sie an den Wachen vorbei hinaus.
Es ist eine Geschichte der Befreiung, aber nicht nur: es ist auch eine Geschichte der Fürsorge Gottes. Gott ruft uns heraus aus der Enge, die uns
gefangen hält, aber er tut es nicht, ohne uns auch auszurüsten mit den Dingen, die wir brauchen, um hinauszugehen. Die Befreiung ist trotz allem
ein schrittweiser Prozess.
Gefangene sind wir im Grunde schon alle: Angst veranlasst uns, Dinge zu tun, die wir eigentlich nicht tun wollen. Körperliche Beschwerden zwingen
uns, unsere Aktivitäten zu reduzieren - wir werden Gefangene unserer eigenen Schwachheit. Misstrauen verkleinert den Kreis derer, die unser Vertrauen
genießen, und damit unserer Freunde. Wir werden zu Gefangenen unserer eigenen Ängste.
Und nun taucht der Engel Gottes auf. Er löst die Ketten, fordert uns auf, uns anzuziehen, zuzurüsten für das, was vor uns liegt. Wie kann das
konkret aussehen? Wenn wir Angst haben, bedeutet dies ja, die Angst zu überwinden, Mut zu fassen und vorwärts zu schreiten, dem ins Gesicht
zu sehen, was uns Angst macht. Der Engel Gottes ist bei uns, er führt uns hindurch.
Am schwersten aber ist es sicher für viele von uns, mit den zunehmenden körperlichen Gebrechen fertig zu werden. Ungerne nehmen wir die
Hilfe anderer in Anspruch. Immer wieder erfahre ich das, wenn ich Glieder unserer Gemeinde besuche, die eigentlich gerne aktiver am
Gemeindeleben teilnehmen möchten, aber aus eigener Kraft nicht mehr können und sich nicht trauen, um Hilfe zu bitten. Der Engel Gottes
fordert uns auf, die Gemeinde in Anspruch zu nehmen. Darum versammeln wir uns ja als Gemeinde, weil wir bereit sind, füreinander da zu
sein und füreinander einzustehen. Diese Bereitschaft, einander zu helfen, müssen wir aber auch immer wieder deutlich machen, sonst weiß
niemand, wen er in Anspruch nehmen kann.
Dadurch dass unser Vertrauen oft missbraucht wurde, wächst das Misstrauen. Man möchte sich ungerne anderen Menschen anvertrauen, weil
man fürchten muss, dass das Anvertraute weitergetragen wird. Am Ende kommt es dadurch zu Missverständnissen, vielleicht sogar zu handfestem
Krach. Das möchten wir vermeiden. Der Engel Gottes fordert uns auf, einander zu vertrauen. Dadurch können wir andere Menschen gewinnen, mit
uns und für uns zu beten.
Es tut gut, sich anderen Menschen anvertrauen zu können. Es ist wichtig, dass wir immer wieder beweisen, dass man
uns vertrauen kann. Das Anvertraute vor Gott bringen: Ja, aber vor andere Menschen: Nein. Nur so können wir zu einer tragfähigen Gemeinschaft werden.
Viele Ketten binden uns. Wenn der Engel Gottes herantritt und die Fesseln löst: stehen wir dann auf, gehen wir mit ihm aus unserer Gefangenschaft heraus,
oder sagen wir lieber: ich will hier bleiben, denn ich fürchte mich vor dem, was da draußen ist?
Herr Schulzes Leben ist noch nicht zu Ende. Er hat noch viele Jahre vor sich, in denen er trotz seiner Behinderung sehr aktiv sein kann. Das hat er
erkannt, als der Engel Gottes ihn in die Seite stieß und zu ihm sagte: Zieh dich an und folge mir!
Amen.
Liedvorschläge zur Predigt:
zu Jes 38, 9-20:
Nun lob, mein Seel, den Herren (EG 289)
Morgenglanz der Ewigkeit (EG 450)
Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen (EG 518)
Ach wie flüchtig, ach wie nichtig (EG 528)
Wer weiß, wie nahe mir mein Ende (EG 530)
Zu Apg 12, 1-11:
Von Gott will ich nicht lassen (EG 365)
In dir ist Freude (EG 398)
Welcher Engel wird uns sagen (HN-/KHW-EG 559)
Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe (HN-/KHW-EG 638; NB-EG 585;
Fürchte dich nicht (NB-EG 595)
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