Sie dürfen gerne meine Predigten benutzen und den Gegebenheiten anpassen. Wenn Sie einen meiner Predigtvorschläge in einem Gottesdienst verwenden wollen, teilen Sie es mir bitte mit. Eine Genehmigung müssen Sie dafür aber nicht abwarten.
Jegliche andere Form der Vervielfältigung, auch im Internet, ist nur mit meiner ausdrücklichen, schriftlichen Zustimmung erlaubt. Weisen Sie bei der Verwendung des Materials bitte auf die Quelle hin.
Zu den Perikopen
Predigtvorschläge zu Reihe I - Eph 3, 14-21
Liebe Gemeinde!
Die Paulusbriefe stellen uns immer wieder vor neue Herausforderungen. Die Sprache verlangt aufmerksames
Hinhören und und -schauen, und mit einem Mal ist es dann sicher nicht getan. Ich will darum dem Text
gewissermaßen nachgehen und versuchen, zu verstehen, worum es da eigentlich geht.
Zwei Sätze sind es im Griechischen Original, drei in der Übersetzung Luthers. Ich wüsste schon gerne, wie
lange der Verfasser an diesen zwei Sätzen gesessen hat, sie feilte, überarbeitete und immer wieder neu
entwarf, bis er endlich sicher war: so kann es auf den Papyrus gelangen.
Das ist Kunst, Sprachkunst, die gerade hier völlig angemessen und richtig ist. Denn es geht um Gott, und
ihm gebührt, dass man sich ihm mit dem besten, was wir zu bieten haben, annähert, denn das Beste ist ja
längst nicht gut genug.
Wir können mit unseren Worten gar nicht beschreiben, wer Gott ist und wie er in diese Welt wirkt. Und wenn
wir es doch versuchen, kann es eigentlich nur auf die kunstvollste Weise geschehen, die uns zu Gebote steht.
So etwas geht nicht in der Sprache von Twitter & Co. Oder fänden Sie es ausreichend, wenn man sagt: „Gott ist
cool!“? Ein solcher Satz würde uns vielleicht ein Lächeln abzwingen, aber wir würden doch auch gleich spüren,
dass das nicht angemessen, nicht ausreichend ist.
Es gibt ein Buch, das heißt „Und Gott chillte“. Es nimmt für sich in Anspruch, die Bibel in Form von SMS-
Texten, also in Kurznachrichten, zusammenzufassen. Sicher gelingt das auch, denn es hat nur 330 Seiten und
enthält doch die ganze Bibel.
Die Frage ist nur: zu welchem Preis das gelingt (nicht, wie viel das Buch kostet, sondern wieviel auf- oder
preisgegeben wird). Hören wir einmal hin, wie unser Predigttext da lautet:
„Gott ist dein Vater in Himmel und auf Erden. Er gibt dir die Kraft, Liebe, Erfüllung und das Verstehen in
alle Ewigkeit.“
Das war's schon. Reicht das? Ist uns das genug, um die Größe und Herrlichkeit Gottes zu beschreiben? Kann
mit diesen Worten deutlich werden, wie Gott unter uns Menschen wirkt?
Natürlich nicht. Denn wir haben es hier nicht mit einer Nachricht zu tun, die man morgen schon vergessen hat,
wie das bei all den Kurznachrichten in der Regel der Fall ist. Hier geht es vielmehr um weltbewegende und
lebensverändernde Aussagen, die eine andere Hülle brauchen als eine schlichte Kurznachricht.
Ich lese noch einmal den Anfang des Predigttextes vor:
Ich beuge meine Knie vor dem Vater, 15 der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und
auf Erden,
Paulus beugt seine Knie vor dem Vater, also vor Gott. Das heißt mit anderen Worten: er betet. Wann haben Sie
das letzte Mal solche Worte gehört? Wann hat Ihnen jemand gesagt: ich bete für Dich?
Und wie würden Sie reagieren, wenn Ihnen jemand so etwas sagt? Ich kann mir vorstellen, dass solche Worte dann
auch schnell in den falschen Hals geraten, dass man das Gefühl hat, man habe ein Defizit, eine Schwachstelle,
die der andere kennt und die ihn doch eigentlich gar nichts angeht – und überhaupt, man hat doch gar keine
Schwachstelle. Warum also will diese Person für mich beten?
Vielleicht aber wären Sie auch schlicht dankbar, dass da jemand ist, der für sie betet. Ich wäre es. Und ich kann
bezeugen, dass es hilft – nicht immer so, wie man es sich wünscht, aber das Gebet verändert unser Leben – ob wir
nun diejenigen sind, die für andere beten, oder diejenigen, für die gebetet wird. Ich habe schon oft gespürt und
erlebt, dass das Gebet geholfen hat, und kann nur empfehlen, es selbst zu pflegen – auch das Gebet für unsere
Mitmenschen.
Paulus beschreibt mit erhabenen und erhebenden Worten das Erhabene und Erhebende – oder besser: den Erhabenen und
Erhebenden. Er beschreibt den Vater als den rechten Vater über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden,
und das heißt doch letztlich über alle, die sich ihm zuwenden.
Paulus bittet ganz konkret für die Christen in Ephesus, dass dieser Gott ihnen Kraft schenke,
dass er, so schreibt Paulus, euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch seinen
Geist an dem inwendigen Menschen,...
Da öffnet sich eine Welt, die wir gerne übersehen. Es geht nicht um die Kraft, Bäume zu fällen, Schränke zu
verschieben, Steine zu tragen oder in einem sportlichen Wettkampf zu gewinnen, sondern es geht um Kraft an dem
inwendigen Menschen, und das bedeutet, Kraft zu bekommen, um dem zu widerstehen, was dem inwendigen Menschen –
nennen wir es ruhig Seele – schaden könnte. Oder positiv ausgedrückt:
Es geht um die Kraft, durch die uns das Reich Gottes in einer Weise erschlossen wird, dass es uns durch nichts
genommen werden kann.
Paulus schreibt es so:
dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid.
Das passt natürlich nicht gerade zu dem Lebensmodell, das allgemein in unserer Gesellschaft propagiert wird. Es
gibt inzwischen tausende verschiedene Angebote, die einem helfen sollen, sein Leben so zu gestalten, dass man
möglichst erfolgreich ist und möglichst überzeugend usw. wirkt. Selbstmanagement nennt man so etwas und meint
damit die Fähigkeit, das Beste aus sich selbst heraus zu holen – natürlich für sich selbst.
Immer gibt es dazu auch Vorbilder, die es irgendwohin geschafft haben und denen man nacheifern will, weil man es
ebenfalls dahin schaffen will.
Für uns als Christen gilt aber erst einmal ganz schlicht: ich bin Gottes Kind. Ich bin der, der aus dem Willen
Gottes heraus entstanden ist, der, so wie er ist, seine Aufgabe in dieser Welt hat, und der sich darauf verlassen
kann, dass Gott ihn nicht allein lässt.
Wir spüren die Liebe Gottes, die uns umfängt, die uns wertschätzt, ohne dass wir irgend eine Leistung erbringen
müssten. Vor Gott bin ich die Nr. 1. Ich bin ihm über alles wichtig – so wichtig, dass er seinen Sohn in den Tod
gab, damit ich von all dem Ballast befreit würde, der die Menschheit seit Menschengedenken belastet.
Und dieser Ballast drückt sich in der Tat auch in dem Verlangen aus, etwas Besonderes zu sein, von seinen
Mitmenschen geachtet und gelobt zu werden – und etwas besser zu sein als die anderen.
Doch das sind wir nicht. Und wenn wir es dann doch wären, würde es uns nichts nützen. Denn indem wir diesem Verlangen
nachgeben, werden wir hineingezogen in den Sumpf, der uns immer weiter von Gott entfernt. Denn wir versuchen letztlich
nur, alles aus uns selbst heraus und ohne Gott zu sein.
Und wenn wir so weit sind, dann haben wir aufgegeben, Gottes Kinder zu sein.
Unsere Stärke ist nicht der Erfolg im Beruf oder die Anerkennung durch unsere Mitmenschen, sondern die Liebe Gottes,
die uns selbst zur Liebe ermutigt und gewissermaßen auch anstiftet.
Die Liebe Gottes ist es, die uns zu Heiligen – und damit natürlich zu etwas Besonderem – macht. Durch sie begreifen
wir, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, 19 auch die Liebe Christi erkennen, die alle
Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet mit der ganzen Gottesfülle.
Wollten wir einen Maßstab anlegen, hätten wir lange zu tun, um die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe
Gottes auszumessen. Irgendwann würden wir feststellen, dass das nicht geht, denn hier begegnen wir der Unendlichkeit,
dem Ewigen. Da ist nichts mehr zu messen, sondern nur noch zu begreifen.
Wenn wir das Wort „begreifen“ wörtlich nehmen, dann stellen wir fest, dass es um Erfahrung geht. Denn die Gottesfülle
ist unbeschreiblich; sie kann nicht definiert werden; sie kann aber erfahren werden.
Letztlich geht es um die Liebe Christi, die Torheit des Kreuzes, das Handeln Gottes, das wie eine Niederlage erscheint
und doch ein Sieg ist.
Diese Liebe gibt unserem Leben einen Sinn und ein Ziel. Denn was sonst sollte uns die Kraft zum Leben geben, den Mut
und den Willen zum Sein, wo doch der Tod alles zunichte macht, was wir aus eigener Kraft erreichen?
Es ist immer die Liebe, und an erster Stelle steht da die Liebe Gottes zu uns, die wir mit unserer Liebe erwidern
mögen.
Während ich arbeite, höre ich gerne Musik. Ich habe nahezu alle unsere CDs, die wir uns im Laufe unseres Lebens
angeschafft haben, auf dem PC gespeichert und kann mir dann nach Belieben die Musik vorspielen lassen. Ich kann
sogenannte Playlists einrichten, z.B. eine mit meinen Lieblingsstücken, eine mit den Stücken, die ich am wenigsten
gehört habe, usw.
Vor einigen Wochen habe ich mich entschlossen, mal wieder alles durchzuhören. Im Ganzen sind das 11642 Musikstücke,
von Bach bis zur fast heutigen Rockmusik, bunt durcheinander gewürfelt. Die Spieldauer – wenn die Musik ohne
Unterbrechung gespielt würde – wäre 35 Tage und 13 Stunden.
Und gestern, während ich an der Predigt arbeitete, wurde ein Lied von Joan Osborne aus dem Jahr 1995 gespielt. Es
heißt „One of Us“ und erzählt davon, was wohl wäre, wenn Gott einer von uns wäre. Seinerzeit war das Lied ein Hit,
der sich immerhin 2 Wochen auf Platz 1 der Charts in den USA behauptete.
Der Refrain ist simpel: Yeah, yeah, God is great, Yeah, yearh, God is good... Gott ist groß, Gott ist gut.
Merkwürdig, dass dieses Lied gerade gestern zu dieser Zeit im meiner langen Playlist dran war. Ich spürte sofort,
dass es mit unserem Predigttext in einer engen Verbindung steht.
Denn auch in diesem Lied geht es um die Größe und Güte Gottes, um seine Liebe, um das Unbegreifliche, dem wir uns
stellen dürfen, dem wir uns gewissermaßen ausliefern dürfen in dem Wissen, dass das nur Gutes für uns bedeutet.
Ich möchte den Text, der fast nur aus Fragen besteht, einmal auf Deutsch vortragen:
Wenn Gott einen Namen hätte, wie würde er lauten?
Und würdest du ihn auch mit diesem Namen rufen,
wenn du ihn in all seiner Herrlichkeit sehen würdest?
Was würdest du fragen, wenn du nur eine einzige Frage stellen dürftest?
Was, wenn Gott einer von uns wäre?
Ein dreckiger Stadtstreicher so wie einer von uns?
Ein Fremder im Bus, der nur nach Hause will?
Wenn Gott ein Gesicht hätte, wie würde es aussehen?
Und würdest du es sehen wollen,
wenn das bedeuten würde, dass du glauben müsstest
an den Himmel und an Jesus und an die Heiligen und an all die Propheten?
Er versucht, nach Hause zu kommen, zurück in den Himmel,
und niemand versucht, ihn anzurufen, außer vielleicht der Papst in Rom.
Ich finde, in diesem Lied kommt deutlich die Erhabenheit und Herrlichkeit Gottes zum Ausdruck, obwohl nun gerade die
Frage gestellt wird, was wohl wäre, wenn er einer von uns, also ein Mensch, wäre.
Es ist natürlich eine rhetorische Frage, denn Gott ist einer von uns geworden, ein Fremder, den niemand so recht
verstand – wie auch, da Gott auf so wunderbare Weise an uns handelt, wenn seine Menschwerdung unser Heil bedeutet
und damit alles Verstehen von Gott eigentlich auf den Kopf gestellt wird?
In dem Lied wird die Gottesfülle schon deutlich, und zugleich die Achtlosigkeit so vieler Menschen, die nichts
davon wissen wollen, die sich lieber ganz auf sich selbst verlassen und meinen, die einzigen zu sein, die etwas
zu ihrem Glück beitragen können. Sie alle sind gescheitert oder werden scheitern, denn das wahre Glück kann doch
nur von Gott her kommen.
Das Gute und Beruhigende ist: Gott schenkt uns dieses Glück, wenn wir ihm vertrauen. Es ist ein Geschenk, das wir
nicht erwidern müssen. Aber es ist ein so großes Geschenk, dass wir nicht unberührt bleiben können. Wer sich als
Gottes Kind erfährt, wer seine liebevolle Zuwendung spürt, der wird sie auch erwidern – es geht gar nicht
anders.
Dem aber, der überschwenglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns
wirkt, 21 dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen...
Darum sind wir heute hier versammelt, darum feiern wir regelmäßig Gottesdienst und laden ein zu Andachten und
Gebet.
Und eigentlich, so sollte man meinen, müssten unsere Kirchen zu diesen Zeiten voll sein, denn es sind so viele Menschen,
denen Gott sich zuwendet.
Das Lied von Joan Osborne bringt aber wenigstens indirekt auch das zum Ausdruck: Die Hinwendung zu Gott fordert immer
auch Konsequenzen, und ich glaube, dass viele Menschen davor zurück scheuen, plötzlich von Gott in Anspruch genommen
zu werden, denn im Gottesdienst spricht er uns an.
Und da ist es doch leichter, wenn wir den Blick abwenden, wenn wir nicht hingehen, wenn wir uns ganz auf uns selbst
konzentrieren, wenn wir die Fragen, die Joan Osborne stellt und die uns direkt mit Gott konfrontieren, einfach nicht
beantworten.
Dass man dabei unendlich viel verliert, merkt man nicht, denn da man es nicht erfahren hat, kann man auch das Ausmaß,
die Breite und Länge und Höhe und Tiefe, nicht erfassen.
Darum bitten auch wir hier für all die Menschen, die heute nicht mit uns Gottesdienst feiern können oder wollen, dass
sie in der Liebe eingewurzelt und gegründet werden und dann auch bleiben.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
O Heilger Geist, kehr bei uns ein (EG 130)
Ihr werdet die Kraft (EG 132)
Brunn alles Heils, dich ehren wir (EG 140)
Sollt ich meinem Gott nicht singen (EG 325)
Zurück zum Anfang
Predigtvorschläge zu Reihe II - Jer 31, 31-34
Liebe Gemeinde!
Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, da will ich einen neuen Bund mit denen schließen, die an mich glauben
und auf meine Hilfe vertrauen. Ich will einen Bund mit ihnen schließen, der noch nie dagewesen ist. Einen Bund,
der nicht auf Gegenseitigkeit beruht, wie es üblicherweise der Fall ist, wenn man einen Vertrag schließt, sondern
einen Bund, in dem ich mich alleine verpflichte, spricht der Herr.
Ich will Euren Teil des Bundes ebenfalls übernehmen. Ich will tun, was ihr hättet tun sollen: denn ich will mein
Gesetz in eure Herzen geben und in eure Sinne schreiben, damit ihr sie niemals vergessen könnt und damit sie euch
zur Richtschnur für euer ganzes Leben werden. Ihr sollt mein Volk sein, und ich will euer Gott sein, so wie ich es
schon vor Zeiten gewesen bin, spricht der Herr.
Dann ist es so weit, dass niemand mehr dem anderen sagen muss, wer ich bin, denn sie alle kennen mich, ob alt oder
jung, sie alle werden wissen, wer ich bin, spricht der Herr.
Ich will ihnen vergeben, alles, was sie Übles getan haben, in Gedanken, Worten und Werken, ich will es ihnen ganz
und gar vergeben, so dass ich mich nicht mehr daran erinnere. Das soll mein Zeichen sein, an dem sie mich erkennen,
spricht der Herr.
Ich vermute einmal, dass die Worte des Propheten Jeremia so ähnlich geklungen hätten, wenn er sie uns heute
zugesprochen hätte. Es ändert sich nicht viel, eigentlich nur die Anrede. Aber ist das richtig? Ist nicht
zumindest ein Teil längst erfüllt? Müssten darum die Worte nicht ganz anders klingen?
Der neue Bund, der einseitige Bund, in dem Gott alles übernimmt, auch unsere Pflicht: er ist bereits geschlossen,
indem er seinen Sohn am Kreuz opferte. Und damit geht auch das andere einher:
dass Gott uns unsere Schuld vergibt, dass wir uns darum nicht mehr mühen müssen, dass er vergisst, was wir alles
getan haben, bewusst oder unbewusst, um anderen zu schaden.
Doch was nützt das, wenn man sich vielerorts keiner Schuld bewusst ist? Wenn viele Menschen das Gefühl haben, diesen
Bund nicht zu brauchen, weil sie meinen, ganz gut alleine zurecht kommen zu können?
Und da ist dann auch noch eins in diesem prophetischen Spruch des Jeremia, das nicht erfüllt zu sein scheint: Gott wird
sein Gesetz in unsere Herzen geben und in unseren Sinn schreiben, so dass wir es nicht mehr vergessen können, und alle
werden Gott kennen, es wird niemanden geben, der nicht von Gott weiß, der nicht weiß, dass Gott ihm alle Schuld
vergibt.
Da ist also noch etwas offen, denn es sind ja längst nicht alle, denen es in die Herzen geschrieben ist.
Und darum ist dann auch die Frage berechtigt, ob damit nicht auch alle anderen Dinge, die in dieser Prophezeiung
angesprochen werden, noch offen sind. Gehört nicht alles zusammen?
Eines müssen wir jedenfalls bekennen: auch wenn wir uns unser Leben lang bemüht haben, Gott zu vertrauen und seinen
Worten zu folgen, so haben wir es doch nicht geschafft, ihn wirklich zu kennen. Wir wissen zwar von ihm durch die Worte
der Schrift, aber nicht zu Unrecht hat der frühere Papst Benedikt XVI., als er noch Kardinal war, einmal gesagt, dass
es so viele verschiedene Vorstellungen von Gott gibt, wie es Menschen gibt.
Wir kennen Gott nicht wirklich, wir glauben höchstens, ihn zu kennen. Und das entspricht nicht dem, was in der
Prophezeiung des Jeremia angekündigt wird. Das einzige, was wir sicher von Gott sagen können, ist, dass er sich
unseren Vorstellungskräften entzieht. Er umfasst ja alles, was jemals unsere Sinne erfassen könnten. Er ist
gewissermaßen jenseits unserer Realität.
Auf der anderen Seite ist da Jesus. Durch ihn ist Gott uns ja so nahe gekommen, wie es anders kaum möglich war.
Müssten wir darum nicht auch sagen dürfen, dass wir Gott kennen?
Manche tun das. Sie glauben, Gott wirklich zu kennen, weil Sie Jesus Christus kennen. Und dann glauben sie auch,
zu wissen, wie alles zu geschehen hat, und sagen, dass es so und so sein muss.
Wer sich dann nicht entsprechend verhält, wird schuldig gesprochen. Nur gibt es auch hier Uneinigkeit; die einen
fordern dies, die andern jenes. Zum Beispiel die Frage, ob homosexuelle Paare nun gesegnet werden dürfen, ob man
sie kirchlich trauen darf usw., wird von den einen bejaht, von anderen aber strikt abgelehnt, und dann gibt es
natürlich dazwischen noch viele Abstufungen.
Klar, dass es nicht Gott sein kann, der diese Menschen treibt, denn genau das, so sagt der Prophet Jeremia, wird es
dann ja nicht mehr geben, wenn Gott diesen Bund schließt.
Vielmehr wird dann niemand dem anderen mehr sagen müssen, wer Gott ist und wie er sich entsprechend zu verhalten
hat.
Jene Menschen glauben, Gott zu kennen, und merken dabei oft nicht, dass sie sich Gott schon längst ihren
Vorstellungen entsprechend geformt und angepasst haben. Gott ist nicht mehr der Schöpfer, sondern er ist
zum Geschöpf geworden. Er dient ihnen als Werkzeug, und nicht umgekehrt, wie es eigentlich sein sollte.
Nun berufen sie sich auf Jesus. Jesus ist zwar Gottes Sohn, und in ihm ist Gott den Menschen ganz nahe gekommen,
aber er begegnete uns als Mensch. Er hat zwar von Gott geredet und vieles von der Wahrheit Gottes sichtbar gemacht,
aber wir wissen von dem, was er tat und sagte, auch nur durch Berichte, die zwei Jahrtausende alt sind. Das ist
nicht das, wovon Jeremia spricht, dass Gott sein Gesetz in unsere Herzen geben und in unsere Sinne schreiben wird.
Wir ahnen mehr als dass wir von Gott wissen.
Und so machen wir uns unser Bild von Gott, weil wir diese Unklarheit nicht ertragen können, und beginnen damit,
dass wir sein Handeln in dieser Welt erklären oder gar rechtfertigen wollen. Aber wie könnten wir, da wir doch
selbst gar nicht den Überblick haben können, um die Zusammenhänge zu verstehen, in denen dies oder jenes sich
ereignet? Wie könnten wir Gott erklären, da wir ihn gar nicht richtig kennen?
Wenn wir gefragt werden nach Gott, dann ist es gut, wenn wir Auskunft geben können nach bestem Wissen und Gewissen.
Aber es muss auch möglich sein, zu sagen, dass Gott alleine die Antwort auf diese oder jene Frage weiß.
Niemand muss Gott erklären oder gar rechtfertigen. Wo immer das geschieht, wird Gott auf die Ebene der Menschen
heruntergezogen, wird er klein, ja, menschlich gemacht. Aber so klein ist er nicht, und er ist auch nicht
menschlich, auch wenn er Mensch wurde.
Im Gegenteil: Er ist es, der uns geschaffen hat, der einen neuen Bund begründet, einen Bund, in dem er der
Handelnde und wir einzig die Empfangenden sind.
Jeremia redet von diesem souveränen Gott. Er redet von dem Gott, der sich von niemandem sagen lässt, was er zu tun
oder zu lassen hat. Er redet von dem Gott, der seine Liebe an uns Menschen in kaum vorstellbarer Weise deutlich
gemacht hat.
Und er gibt die Worte dieses Gottes weiter, Worte, deren Erfüllung wir schon ahnen, von denen wir aber zugleich
auch sagen müssen, dass sie ihrer Erfüllung harren.
„Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will
ihr Gott sein. 34 Und es wird keiner den andern lehren und sagen: «Erkenne den Herrn», sondern sie sollen mich
alle erkennen, beide, klein und groß, spricht der Herr;“
Gottes Gesetz wird in die Herzen der Menschen geschrieben werden. Nicht von Menschenhand, sondern von Gottes Hand.
Nicht von ungefähr steht dieser Text zwischen Himmelfahrt und Pfingsten. Es ist die Zeit, in der die Jüngerinnen
und Jünger damals ausharrten und warteten auf den verheißenen Geist, durch den sich genau dies ereignen
sollte.
Und im Grunde befinden wir uns ja in einer ganz ähnlichen Situation. Zwar hat es das Ereignis der Ausgießung des
Heiligen Geistes gegeben, aber wir sind nicht in der Lage, festzustellen, wo und wie er wirkt. Jesus hat deswegen
ja auch vom Geist gesagt, dass er wie der Wind ist: „Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl;
aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt.“ (Joh 3, 8a)
Pfingsten ist nicht das Ende des Handelns Gottes, sondern es ist der Anfang.
Und darum bleiben wir Wartende. Das wird uns heute wieder besonders deutlich. Aber unser Warten ist nicht ohne
Hoffnung, denn die Verheißung ist da, durch Jeremia wie durch Jesus Christus selbst, dass dieser Geist Gottes die
Herzen und Sinne aller Menschen erfüllen wird. Nur ist dies nicht unser Werk, sondern allein das Werk
Gottes.
Darum ist es gut, wenn wir nicht aufhören, um diesen Geist zu bitten, der uns dahin bringt, dass niemand mehr den anderen
über Gott belehren muss, sondern alle die Güte und Gnade Gottes erkennen.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Wir danken dir, Herr Jesu Christ (EG 79)
Heilger Geist, du Tröster mein (EG 128)
Gott sei gelobet und gebenedeiet (EG 214)
Wie sich ein treuer Vater neigt (EG 318, 4-7)
Nun freut euch, lieben Christen g'mein (EG 341, 1.6-9)
Vertraut den neuen Wegen (EG 395)
Es kommt die Zeit (KHW-EG 560)
Zurück zum Anfang
Predigtvorschläge zu Reihe III - Joh 7, 37-39
Liebe Gemeinde!
Wasser ist für uns selbstverständlich. Es fließt aus dem Wasserhahn und ist sauber,
so sauber, dass wir es bedenkenlos trinken können.
Wir gehen damit auch relativ verschwenderisch um, denn die Quellen versiegen in
unserem Land nicht so schnell. Es regnet immer wieder einmal, und längere Zeitspannen
ohne Regen können durch Wasser-Reservoires überbrückt werden.
Wir wissen sehr wohl, wie wichtig Wasser ist: nur wenige Tage lang kann ein Mensch
ohne Wasser leben. Ohne feste Nahrung kann man aber einige Wochen durchhalten.
In vielen Ländern der Welt ist es um das Wasser nicht so gut bestellt wie bei uns.
Häufig regnet es monatelang überhaupt nicht oder nur sehr wenig. Es gibt dort keine
großen Wasserreservoirs oder Flüsse, die beständig Wasser führen, so wie bei uns.
Die Menschen dort leben vom Wasser, das sie aus Brunnen schöpfen. Diese Brunnen können
aber auch versiegen. Und so legen die Menschen teilweise große Wegstrecken zurück, um
zum nächsten Brunnen zu gelangen, aus dem sie Wasser schöpfen können.
Denn auch sie wissen natürlich: ohne Wasser kann man nicht leben.
Weil das Wasser dort nicht so leicht verfügbar ist wie bei uns, wird es viel sparsamer
verwendet. In Deutschland verbraucht ein Mensch unmittelbar im Schnitt täglich 125 Liter
Wasser, in Angola etwa sind es nur 18 Liter und in Indien 25 Liter.
Wir können uns vorstellen, dass Wasser in solchen Ländern, wo es nicht so selbstverständlich
aus Wasserhähnen fließt, als sehr kostbar empfunden wird. Das gilt insbesondere für
Trinkwasser.
In vielen der wasserarmen Länder gibt es trinkbares Wasser, das keine Gesundheitsschäden
verursacht, nur in Flaschen im Laden zu kaufen – von internationalen Firmen, die sich die
Nutzungsrechte an Trinkwasserquellen in diesem Land gekauft haben.
Man könnte das Wasser aus dem Brunnen zwar abkochen, aber auch Brennholz ist ein kostbarer
Rohstoff. Weil man sich das genauso wenig wie das Flaschenwasser leisten kann, leiden vor
allem Kinder unter schweren Krankheiten.
Wasser ist kostbar – lebendiges Wasser noch viel mehr. Denn lebendiges Wasser, von dem unser
Predigttext redet, ist nicht etwa Wasser mit zahlreichen Bakterien darin, die sich munter
und fröhlich – also lebendig – tummeln, sondern es ist Wasser, das Leben spendet – Wasser,
das trinkbar ist, das den Durst löscht, ohne krank zu machen. Lebendiges Wasser ist Wasser,
das aus einer Quelle sprudelt, rein und klar.
Für uns ist es selbstverständlich, Zugang zu solchem Wasser zu haben. Natürlich bezahlen
wir auch dafür, aber der Preis ist erschwinglich – ein Liter besten Trinkwassers aus dem
Wasserhahn kostet weniger als einen halben Cent, und in Flaschen abgefülltes Wasser können
wir ab 20 Cent pro Liter bekommen. In vielen Entwicklungsländern kostet ein Liter sauberes
Trinkwasser in Flaschen einen guten Teil des Tageslohns. Oft könnte man mit einem Tageslohn
noch nicht mal den täglichen Bedarf an Trinkwasser decken.
Vielleicht fällt es jetzt mit diesem Wissen etwas leichter, uns vorzustellen, was die
Menschen damals empfunden haben mussten, als Jesus diese Worte sagte:
Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke!
Natürlich zog er keinen Tankwagen mit Trinkwasser hinter sich her, und er hatte auch nicht
hunderte von Trinkwasserflaschen auf einem Karren dabei. Die Menschen wussten natürlich, dass
er in Bildern redete.
Aber für sie war dieses Bild ganz eng mit ihrer Existenz, mit ihrem Leben, verknüpft. Es
war klar, was es bedeutet, Durst zu empfinden. Sie wussten, wie wichtig Wasser ist – dass
man ohne Wasser nicht überleben kann. Und so wussten sie auch, dass Jesus hier von etwas
spricht, das lebensnotwendig ist. Nichts weniger.
Und er versprach, dieses lebensnotwendige Gut zu geben.
Jesus bietet also symbolisch Wasser an. Doch er geht gleich einen Schritt weiter: Wer an
mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen.
Das ist die logische Folge: wer zu Jesus geht und dieses symbolische Wasser empfängt, der
kann und wird es auch weitergeben.
Worum es bei dem Wasser eigentlich geht, muss uns der Evangelist selbst erklären. Er sagt:
Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten.
Das Wasser steht also für den Geist Gottes, den Heiligen Geist. Ob es uns mit ihm genauso
geht wie mit unserem Trinkwasser? Dass wir ihn ganz selbstverständlich hinnehmen, weil er
immer verfügbar ist?
Oder ist es vielleicht so, dass wir eher mit den Menschen in den Entwicklungsländern zu
vergleichen sind, die häufig gar keinen Zugang zu Trinkwasser haben? Dass uns der Heilige
Geist also fehlt – zumindest die meiste Zeit unseres Lebens?
Ich wurde einmal nach einem Gottesdienst gefragt: wieso müssen wir eigentlich um den
Heiligen Geist bitten? Haben wir ihn nicht schon längst durch die Taufe empfangen?
Bei der Taufe wird immer auch dieses Segenswort gesprochen: „Der Allmächtige Gott und
Vater unseres Herrn Jesus Christus, der dich von neuem geboren hat durch das Wasser und
den Heiligen Geist“ - da, in der Taufe, ist der Heilige Geist also aktiv. Aber wirklich
übereignet wird er uns nicht. Wir können nicht über ihn verfügen, er gehört uns nicht.
Jesus hat vielmehr über den Heiligen Geist gesagt: Der Wind bläst, wo er will, und du
hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist
es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist. (Joh 3, 8)
Der Geist steht uns nicht ständig zur Verfügung – er kommt und geht. Aber wer darum bittet
im Glauben an Jesus Christus, darf auch mit dem Geist rechnen. So wenig wir über ihn
verfügen können, so sehr ist er doch zugesagte Gabe Gottes für die, die an Jesus Christus
glauben. Und auf Gottes Zusage dürfen wir vertrauen.
Nun ist natürlich die Frage, was der Geist eigentlich ist. Unser Predigttext beschreibt
ihn als lebensnotwendig und lebenspendend – so wie Wasser eben. Wir brauchen ihn, damit
wir leben, damit wir überleben können.
Aber da mag man schon einwenden: wie kann das sein? Andere, die nicht getauft sind, oder
die einer anderen Religion angehören, leben doch auch, und sie haben den Heiligen Geist
nicht.
Nun, es spielt auch eine Rolle, in welcher Welt wir leben wollen. Jesus hat uns nämlich
eine Welt eröffnet, die mit dieser Welt wenig gemein hat. Es ist das Himmelreich, das Reich
Gottes, für das der Geist lebensnotwendig ist.
Eine Ahnung von diesem Himmelreich bekommen wir durch die Beschreibung in der Offenbarung
des Johannes, wo von dem himmlischen Jerusalem die Rede ist, der Stadt, die die „Hütte
Gottes bei den Menschen“ (Offb 21, 3) ist, wo Gott bei den Menschen wohnen und alle Tränen
von ihren Augen abwischen wird, wo der Tod nicht mehr sein und auch kein Leid noch Schmerz
sein wird. (Offb 21, 4)
Weil wir in diesem Himmelreich noch nicht wirklich leben, gibt uns der Geist – das lebendige
Wasser – einen Vorgeschmack darauf. Er hilft uns, die Brücke zwischen dieser, unserer Welt,
und der Welt Gottes zu bauen – auch für andere Menschen. Das Reich Gottes dringt durch den
Heiligen Geist in unsere Welt hinein; seine Existenz wird uns erst dadurch bewusst, dass
der Heilige Geist in uns wirkt.
Und das kann uns nicht unbeeindruckt lassen. Es hat Folgen.
So werden wir aufhören, uns mit aller Macht an das Leben hier zu klammern.
Wir werden uns nicht unterkriegen lassen von Krankheit und Tod.
Wir werden in dem, was wir tun, nicht unsere eigene Ehre suchen, sondern allein Gottes Ehre.
Wir werden uns nicht abfinden mit Ungerechtigkeit.
Wir werden alle Hoffnungslosigkeit überwinden.
Wir werden dem Hass mit Liebe begegnen.
Wir werden für Frieden eintreten.
Wir werden vergeben, wo andere Schuld aufrechnen.
Wir werden Streitende miteinander versöhnen.
Wir werden Zweifel überwinden.
Wir werden das Dunkel erleuchten.
Wir werden Verständnis haben für die Nöte anderer und helfend für sie da sein.
Wir werden Freude verbreiten.
Das ist es, was das lebendige Wasser, der Geist Gottes, bewirkt. Er lässt uns teilhaben
an der wunderbaren Welt Gottes und hilft uns dabei, diese wunderbare Welt in dieser
unserer Welt sichtbar werden zu lassen. Denn so spricht Jesus:
„Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt,
von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“ (Joh 7, 37-38)
Doch es bleibt eine Frage: Dürstet uns überhaupt danach? Oder sind wir schon längst
sozusagen geistlich verdurstet?
Ich glaube, dass der Durst nach dem lebendigen Wasser, das Jesus Christus uns anbietet,
in jedem Menschen mehr oder weniger stark vorhanden ist. Nur dass wir oft nicht recht
wissen, was wir tun können, damit dieser Durst gestillt wird.
Jesus zeigt uns nun den Weg: indem wir zu ihm kommen, indem wir uns ihm zuwenden, werden
wir diesen Durst stillen können.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Jesus ist kommen, die Quelle der Gnaden (EG 66, 7-8)
Heilger Geist, du Tröster mein (EG 128)
Brunn alles Heils, dich ehren wir (EG 140)
Komm, Herr, segne uns (EG 170)
O Lebensbrünnlein tief und groß (EG 399)
Zurück zum Anfang
Predigtvorschläge zu Reihe IV - Röm 8, 26-30
Liebe Gemeinde!
Sie kann nicht mehr beten. Sie hatte in ihrem Leben zu viel Elend gesehen.
Als junge Frau vom Krieg aus der Heimat vertrieben, war sie, getrennt von
ihrer Familie, lange unterwegs, bis sie endlich ein Zuhause gefunden hatte.
Mühsam baute sie sich mit ihrem Mann eine neue Existenz auf. Wenigstens
ein kleines Häuschen nannten sie schließlich ihr eigen. Ein Kind war ihnen
vergönnt gewesen, doch das starb schon früh durch einen Unfall.
Kaum hatte ihr Mann das Rentenalter erreicht - und sie hatten sich schon auf die
gemeinsame Zeit des Ruhestandes gefreut - wurde festgestellt, dass er an Krebs
erkrankt war. Sie pflegte ihn lange, bis er schließlich im Krankenhaus starb. Nun war sie alleine.
Auch ihr Körper machte nicht mehr so gut mit. Die Gelenke schmerzten bei jeder
Bewegung, die Kraft fehlte, sie schaffte noch nicht einmal die kleinsten Arbeiten in
einem Zug. Immer wieder musste sie Pausen machen, kleine zwar, aber sie spürte
deutlich, dass sie in ihrem Kummer alt geworden war.
Sie blickte auf ihr Leben zurück. Es lag in Trümmern. Nichts war von der
unbeschwerten, fröhlichen Jugend, die sie in ihrer Heimat in Schlesien genossen
hatte, geblieben – alles war Mühsal und Last gewesen. Zwar hatte es hier und da auch
mal Zeiten der Freude gegeben, aber die verblassten hinter den schweren
Schicksalsschlägen, die sie erlitten hatte.
Eines hatte sie aus jener Zeit der Jugend, aus der ersten Heimat, behalten.
Die Bibel, die ihr damals die Mutter in die Hand gedrückt hatte. Falls sie getrennt
würden, hatte ihre Mutter gesagt, dann hätte sie etwas, was sie immer an sie erinnern würde.
Oft nahm sie diese Bibel in die Hand, aber selten schlug sie sie auf. Denn wenn sie es
tat, dann verschmolzen die Buchstaben vor ihren Augen zu einem wirren Gebilde,
das ihr nichts zu sagen vermochte.
Auf der Flucht hatte sie viel in dieser Bibel gelesen. Ein Stück Papier lag zwischen
den Seiten an einer Stelle, die ihr damals sehr viel bedeutet hatte. Die Verse hatte
sie dann später angestrichen, als sie wusste, dass ihre Mutter gestorben war - denn
bis dahin hatte sie die Bibel für ihre Mutter aufgehoben und wollte sie ihr unversehrt
zurückgeben. Nun aber war es ihre eigene, und sie strich sich diese Stelle an,
damit sie sie immer wiederfinden würde.
Und manchmal, wenn sich ihr schwach gewordener Geist daran erinnerte, dann suchte
sie nach dem Stückchen Papier zwischen den Seiten, und schlug diese Stelle im
Römerbrief auf. Sie kannte die Verse längst auswendig, und so ergänzte sie, was ihre
Augen nicht mehr erfassen konnten, weil die Schrift so klein war, aus dem Gedächtnis:
Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir
beten sollen, wie sich's gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem
Seufzen. Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist;
denn er vertritt die Heiligen, wie es Gott gefällt. Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben,
alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind.
Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollten
dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Die er
aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch
gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat die hat er auch verherrlicht. (Röm 8, 26-30)
Jedesmal, wenn sie diese Verse las, wurde sie etwas ruhiger. Die Verbitterung und
Enttäuschung, die sie sonst empfand, wenn sie auf ihr Leben zurückschaute, wich von ihr.
Sie konnte sich etwas entspannen, fühlte sich geborgen.
Der Geist hilft unserer Schwachheit auf - dieses Wort hat sie getröstet. Denn auch wenn sie
selbst nicht mehr beten konnte, weil das Elend, das ihr widerfahren war, sie unbarmherzig
packte, wann immer sie die Augen schloss, so wusste sie doch: der Geist vertritt sie mit
unaussprechlichen Seufzern.
Es machte ihr keine Sorgen mehr, dass es ihr so schwer fiel, mit Gott zu reden, denn sie
wusste durch diese Worte, dass Gott dennoch für sie da ist, trotz allem, was sie durchgemacht hatte.
Ein bedrückendes Schicksal, das manche von Ihnen wohl auch aufgrund eigener Erfahrung
nachempfinden können. In jedem Leben gibt es Rückschläge, Enttäuschungen, Verbitterungen,
bis zu dem Punkt, wo wir das Gefühl haben, selbst vor Gott sprachlos geworden zu sein.
Wie gut, dass uns der Geist Gottes dann hilft.
Aber in solchen Situationen haben wir oft mit Fragen zu tun, die uns in die Gottverlassenheit
führen können: Wie kommt es, dass Gott mir dies alles zumutet? Warum nicht diesem oder
jener, die doch eigentlich viel schlechtere Menschen sind?
Und ich bin sicher, dass diese Beobachtung oft der Wahrheit entspricht. Warum lässt Gott
seine Kinder, seine Auserwählten, seine Heiligen leiden, während es den Abtrünnigen,
denen, die sich einen Dreck um ihn scheren, besser geht?
Wenn wir diese Fragen stellen, dann fällt es uns natürlich auch zunehmend schwerer, Gott zu
bitten, weil wir es ja selbst erleben, wie wenig unser Gebet ausrichtet. Es wendet unsere eigene
Not nicht.
Solche Fragen lähmen uns, sie entfernen uns Stück für Stück weiter von Gott. Denn das
einzige, worauf wir noch schauen können, sind die Menschen um uns herum. Wir vergleichen
unser Leben mit dem ihren, und enden in einem Sumpf, der uns weiter und weiter nach unten
zieht, fort von Gott. Es ist klar, dass wir wir dann nicht mehr beten können.
Der Geist hilft unserer Schwachheit auf - er vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen -
weil wir selbst es nicht können.
Dieses unaussprechliche Seufzen – es ist eben nicht nur ein Seufzen. In ihm liegt vielmehr
alles, was uns bewegt und bedrückt, und es wird auf diese Weise durch den Geist vor Gott
gebracht, der sich unser annimmt.
Es tut gut zu wissen, dass das Gebet nicht aufhört. Und das trifft auf beides zu: Das Gebet
für uns selbst und das Gebet für die anderen, die uns nahe sind oder ferne, die uns Freund
oder Feind sind. Wenn wir verstummen, weil wir nicht mehr können, weil wir verzagen:
Gottes Geist verstummt nicht.
Wenn wir schweigen, weil wir nicht wissen, was wir beten können: Der Geist weiß es,
und er bittet an unserer Stelle.
Nun könnte man meinen, dass man also nicht mehr beten braucht, weil der Geist es ja viel
besser kann. Das ist aber natürlich nicht gemeint. Wenn uns nicht die Worte fehlen, dann
sollen wir auch beten.
Nur wird es wohl nicht sehr sinnvoll sein, darum zu bitten, den Jackpot im Lotto zu gewinnen,
oder, wie es einmal an der Gebetswand in der Trinitatiskirche aufgeschrieben war:
„Herr Christ, schenke mir Geldzuwachs.”
Aber wer weiß, wie es dem Menschen ergangen war, als er diese Worte aufschrieb? Gott weiß es,
und der Geist Gottes wird dieses Gebet so „in Form” gebracht haben, dass etwas Gutes daraus
werden konnte.
Es ist nicht nur Trost, den ich in den Versen aus dem Römerbrief höre, sondern auch Ermutigung:
Beten ist zu etwas nütze. Es ist nicht vergeblich. Es ist nicht nur ein Selbstgespräch. Denn
wozu sonst wäre es nütze, dass der Geist uns vertritt, dass er an unserer Stelle zu Gott betet,
wenn das Gebet selbst nutzlos wäre?
Wenn wir diese Worte so verstehen, fällt es auch leichter, die Ungerechtigkeit dieser Welt zu
ertragen - nicht hinzunehmen - und dann doch für mehr Gerechtigkeit zu bitten: für Gottes
Gerechtigkeit, dass sie endlich Wirklichkeit werde in dieser Welt.
Jene Frau, von der ich am Anfang erzählt hatte, war immer über diesen Vers gestolpert: Wir wissen
aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind.
Sie sah in diesem Vers die Aufforderung, sich selbst zurückzunehmen, keine Ansprüche zu stellen, alles, was ihr
widerfahren war, als gottgegeben hinzunehmen. Was konnte sie also machen? Gott hatte ihr
dieses Schicksal zugedacht, und darum ertrug sie es - und verlor ihre Hoffnung. Sie hatte ja alles
verloren, es gab nichts mehr, worauf sie sich freuen könnte. Auch darum hatte sie aufgehört,
zu beten. Sie sah keinen Sinn mehr darin, denn das Gebet konnte nicht die Menschen, die in
ihrem Leben für sie die einzigen wirklich wichtigen Menschen waren, zurückbringen. Das
Gebet konnte sie nicht wieder zu einem Kind machen. Es konnte den Krieg nicht ungeschehen
machen.
Aber dieser Vers will uns nicht dazu auffordern, alles Schlechte, das uns widerfährt, als
gottgegeben hinzunehmen. Das Leid, das wir erfahren, befähigt uns vielmehr, mit anderen
Menschen mitzufühlen. Wenn wir unser Vertrauen in die Liebe und Fürsorge Gottes nicht
aufgeben, dann werden wir auch nicht aufhören, mit seinem Wirken in dieser Welt zu
rechnen und damit, dass er sein Reich weiter baut, in dem es keine Trauer, kein Leid,
kein Geschrei und keinen Schmerz mehr gibt. Und das ist es, worum wir beten können und auch sollen,
Tag für Tag.
Denn wir wissen: Gott hat das letzte Wort. Das ist es, worauf es ankommt. Das ist es, woran
wir festhalten können und warum wir auch beten können, damit dieses letzte Wort sichtbar
wird in unserer Welt.
Amen
oder
Die nachfolgende Predigt wurde in einer Seniorenresidenz gehalten
Liebe Gemeinde,
Es ist für die meisten von Ihnen eine alltägliche Erfahrung, dass man
viele Dinge nicht mehr schafft, einfach zu schwach dazu ist. Die Beweglichkeit
lässt nach, vieles ist mit Schmerzen verbunden, die Augen und Ohren nehmen
ihre Umwelt nicht mehr so wahr, wie es früher einmal gewesen ist. Manche
vergessen schnell und haben große Schwierigkeiten, sich zu orientieren.
Man gewöhnt sich daran, zumindest bis zu einem gewissen Grade, und es ist
gut, wenn man hier in diesem Haus viel Hilfe und Aufmerksamkeit erfährt,
wenn man spürt, dass man nicht allein ist.
Paulus spricht in seinem Brief an die Römer auch von Schwachheit und sagt
dann: der Geist hilft unserer Schwachheit auf.
Damit meint er allerdings nicht die körperliche oder geistige Schwachheit,
der ja hier durch die vielen Helferinnen und Helfer schon ein Stück weit
abgeholfen wird. Damit meint er vielmehr die geistliche, die spirituelle
Schwachheit.
Denn auch das kann sich einstellen: dass einem die Kraft fehlt, zu beten,
sein Herz zu Gott zu erheben. Das kann auch daher kommen, dass wir das Gefühl
haben, dass Gott gar nicht auf unsere Gebete reagiert.
Aber oft hat es seinen Ursprung nur darin, dass man müde geworden ist, immer
und immer wieder Gott um dieselben Dinge zu bitten. Man wird müde – nicht in
dem Sinne, dass man keine Lust mehr hat, sondern in dem Sinne, dass einem eben
die Kräfte zum beharrlichen Gebet fehlen.
Nun haben wir in dieser Andacht ja die Möglichkeit, uns gewissermaßen einzuhängen
in das Gebet der Gemeinde und so getragen zu werden. Das ist gut, denn so kann
das Gebet, wie Gott es von uns ja auch erwartet, weitergehen.
Aber wenn wir allein sind und beten wollen, dann fällt das manchmal doch schwer,
vielleicht auch angesichts der körperlichen Gebrechen, die einem tagaus, tagein
das Leben schwer machen.
Teilhaben an diesem Gottesdienst und damit auch teilhaben an dem Gebet der Gemeinde,
das ist das eine, was uns aufhilft und ein Stück gutmacht, was wir sonst aus eigener
Kraft nicht mehr so richtig vollenden können.
Aber da ist noch etwas anderes, wovon Paulus spricht, etwas viel Größeres: „Der
Geist hilft unserer Schwachheit auf.“ Der Geist Gottes: er ist da, um uns Kraft zu
geben.
Jedoch muss das nicht bedeuten, dass wir plötzlich wieder aus tiefem Herzen beten
können. Vielmehr vertritt uns der Geist. Es genügt allein der Wunsch, zu beten, damit
der Geist Gottes diesen Wunsch aufnehmen und vor Gott tragen kann.
Es ist vielleicht schon genug, dass wir seufzend „Gott“ sagen, und schon macht sich
der Geist auf und bringt vor Gott, was uns bedrückt und was wir sonst alles ihm sagen
wollten. Er bittet für uns auf eine Weise, die Gott gemäß ist, eine Weise, die wir
gar nicht in der Lage sind, nach zu vollziehen.
Gott hört diese Gebete, auch wenn sie von unserer Seite vielleicht nur aus einem
seufzenden „Gott“ bestehen, denn der Geist vollendet das Gebet: er hilft unserer
Schwachheit auf.
Aber, wie schon gesagt, erleben wir es ja oft, dass das, was wir uns von Gott wünschen,
so gar nicht in Erfüllung geht. Das liegt auch daran, dass Gebete eben keine Wunschzettel
sind, so wie kleine Kinder ihre Wunschzettel zu Weihnachten schreiben.
Gebete sind Ausdruck unseres Vertrauens zu Gott, dass er alles, was uns widerfährt,
zum Guten wendet, und dass wir letztlich in ihm geborgen sind.
Und so wird auch klar, warum Paulus an dieser Stelle schreibt, dass denen, die Gott
lieben – und damit ist ja auch Vertrauen gemeint – alle Dinge zum Besten dienen. Sei
es nun Gutes oder Böses: es dient unserem Heil, denn es kommt aus Gottes Hand.
Gebete müssen nicht schön formuliert sein, sie müssen nicht lang und ausschweifend
sein, sie müssen auch nicht tiefgründig und theologisch durchdacht sein. Unsere Gebete
machen nur deutlich, dass wir Gott lieben, so wie er uns zuerst geliebt hat.
Und darum hören wir auch nicht auf, zu beten, selbst dann nicht, wenn wir geistlich
schwach geworden sind und eigentlich keine Kraft mehr dazu haben. Denn auch dann
dürfen wir darauf vertrauen, dass unser Gebet ankommt – und sei es auch nur ein
schwaches Seufzen.
Der Geist Gottes macht auch aus diesem Seufzen ein schönes Lied, einen Psalm vor
Gottes Ohren. Darauf dürfen wir uns verlassen und dankbar Gott loben.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
O Heilger Geist, kehr bei uns ein (EG 130)
Geist des Glaubens, Geist der Stärke (EG 137)
Dir, dir, o Höchster, will ich singen (EG 328)
Ist Gott für mich, so trete (EG 351)
Jesu, hilf siegen, du Fürste des Lebens (EG 373, 1.4-5)
Zurück zum Anfang