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Zu den Perikopen
Predigtvorschläge zu Reihe I - Jes 50, 4-9
Liebe Gemeinde!
Die Gottesknechtslieder aus dem Buch des Propheten Jesaja sind uns zumindest
teilweise vertraut. Die meisten kennen die Worte: „Fürwahr, er trug unsere
Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen.“ (Jes 53, 4). In diesem einen
Satz steht eigentlich schon alles, was sich am Karfreitag ereignet.
Die Verbindung vom Propheten Jesaja zu Jesus hatten die Christen schon sehr
früh erkannt. Auch die Evangelien und Briefe des sogenannten Neuen Testaments
stellen immer wieder Verbindungen her und bezeugen damit, dass die heiligen
Schriften des Volkes Israel unbedingt zum christlichen Glauben dazu gehören,
zumal diese ja auch Jesu heilige Schriften waren.
Unser Predigttext wird auch zu den sogenannten Gottesknechtsliedern gezählt,
obwohl darin nicht von einem Knecht, sondern von einem Jünger, also einem Schüler
oder Lehrling, die Rede ist.
In Gottesknechtsliedern wird beschrieben, wie der Knecht Gottes um des Wortes Gottes
willen verschmäht, bespiehen und geschlagen wird. Der, dem dies widerfährt, wehrt
sich nicht dagegen, sondern lässt es willig geschehen. So wie ein Lamm, das zur
Schlachtbank geführt wird, bleibt er stumm.
Solche Züge finden sich auch in unserem Predigttext. Darum gilt auch er als
Gottesknechtslied.
Weil das Verhalten Jesu ganz dem des Gottesknechts ähnelt, kann man diese Texte als
Hinweise auf Jesus verstehen, was dann ja auch die frühe Christengemeinde schon
getan hat.
Aber ist mit dem Gottesknecht wirklich Jesus gemeint? Heute ist man sich da nicht
mehr so sicher wie damals. Denn es gibt auch Aussagen, die nicht so einfach auf
Jesus übertragen werden können. Und das jüdische Volk hat natürlich eigene
Interpretationen dieser Texte bereit, die auch ihre Berechtigung haben.
Manche meinen, der Prophet rede von sich selber, andere, er rede vom Volk Israel,
und wieder andere, er rede von einer unbekannten Person, die noch kommen wird –
vielleicht von Jesus, aber das sei nicht sicher zu sagen.
Auf den Messias möchte man diese Worte aber nicht beziehen, denn der Messias kommt
ja als ein Retter und Friedensstifter, indem er die Feinde des Volkes Israel
zerschlägt. Der Messias ist eine mächtige Person. Und das passt nicht auf den
beschriebenen Gottesknecht.
Dass Jesu Macht in seiner Ohnmacht offenbar wurde, lässt sich für viele Menschen
eben nur schwer nachvollziehen.
Jesaja benennt in unserem Predigttext zwei wichtige Eigenschaften des Jüngers
oder Gottesknechts: das Reden und das Hören.
Der Jünger bekommt den Auftrag, mit den Müden zu reden. Dazu hat er eine Zunge
bekommen. Er soll das nicht nur irgendwann, wann es ihm beliebt, sondern „zur
rechten Zeit“ tun. Zu der Gabe der Zunge, mit der er reden, und der Ohren, mit
denen er hören kann, gehört also auch die Gabe der Sensibilität. Er muss in der
Lage sein, den rechten Zeitpunkt zu erfassen und dann erst zu reden.
Das ist nicht immer einfach, denn wir können nicht so ohne Weiteres in das Innere
unseres Gegenübers schauen. Vielleicht beschäftigen ihn gerade ganz andere Dinge,
zu denen das, was wir sagen wollen, gar nicht passt und dann eher eine Ablehnung
erfolgt.
Der Jünger soll also mit den Müden reden. Er soll sie ansprechen in ihrer Müdigkeit,
er soll sie gewissermaßen wieder aufwecken.
Aber warum bezeichnet Jesaja seine Zuhörer so? Haben sie zu wenig geschlafen,
vielleicht so wie wir, weil uns durch die Umstellung auf die Sommerzeit heute
nacht eine Stunde weniger Schlaf vergönnt war?
Jesaja beschreibt vor unserem Predigttext, worum es geht.
Da lesen wir nämlich von einer Klage Gottes. Gott klagt darüber, dass sein Volk
abtrünnig geworden ist, dass sie sich von ihm abgewendet haben.
„Warum kam ich und niemand war da? Warum rief ich und niemand antwortete?“ (Jes 50, 2),
so fragt Gott.
Und dann will er wissen, ob es einen Zweifel geben kann an seiner Fähigkeit, zu
erlösen und zu erretten. Und schließlich heißt es unmittelbar vor unserem
Textabschnitt:
„Ich kleide den Himmel mit Dunkel und hülle ihn in Trauer.“ (Jes 50, 3)
Gott trauert also um sein Volk, das ihn verlassen hat.
Es scheint, dass die Menschen müde geworden sind, von Gott etwas zu erwarten. Gott
ist ihnen gleichgültig geworden. Sie bemühen sich nicht mehr um ihn, sie hören auch
nicht mehr auf ihn. Die Worte des Propheten, die Zusagen Gottes, berühren sie nicht,
sie hören nicht hin.
Das mag auch einen Grund haben. Immerhin geschieht dies alles in der Zeit des
Babylonischen Exils. Die Herrlichkeit Israels ist dahin, das Land liegt wüst da,
Jerusalem ist zerstört, die meisten Israeliten, vor allem die Gebildeten und
Wohlhabenden, sind ins Ausland verschleppt.
Das politische Ziel der Eroberer war, die Eroberten so zu entwurzeln, dass sie sich
letztlich ganz in die Kultur der Eroberer integrieren würden. Und das schien auch bei
den Israeliten zu gelingen.
Denn das, wofür es sich noch gelohnt hätte, aufzubegehren, war ja zerstört. Die Stadt
Jerusalem und der Tempel lagen in Trümmern. Gott, der Allmächtige, der die Welt
erschaffen hatte, hatte sein Heiligtum aufgegeben.
Da kann man sich genauso gut auch mit den Mächtigen arrangieren.
Denn Gott konnte gegen eine solche Macht offenbar nichts ausrichten, sonst hätte er die
Eroberung Jerusalems gewiss verhindert. Und nun sagen sie: Sein Arm reicht nicht bis
nach Babylon. (Jes 50, 2)
Das ist aber eine Vorstellung, die eher auf die babylonischen Götter passt, als auf den
allmächtigen Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der sogar die Naturgewalten auf den Kopf
stellen kann. Wieso sollte sein Arm zu kurz geworden sein, um zu erlösen? (Jes 50, 2b)
Aber die Menschen erwarteten nichts mehr von Gott, sie waren des Wartens müde geworden.
Auch wenn sie ihr Schicksal hier und dort noch beklagten und vielleicht auch erkannten,
dass es eigentlich ja ihr eigenes Versagen war, das sie ins Exil gebracht hatte, so wurden
es doch immer weniger, in denen die Sehnsucht nach Rückkehr wach blieb und die sich die
Rettung durch Gott erhofften.
Inzwischen waren Kinder geboren, die keine andere Umgebung kannten, denen das Exil, denen
Babylon zur Heimat zu werden begann oder schon geworden war. Der Gott Abrahams wurde ihnen
immer fremder, die Götter der Babylonier wurden ihnen immer vertrauter.
Gott sah es, und trauerte um sein Volk, das ihn so schnell vergessen konnte.
Wir finden uns in dem Volk Israel wieder mit unseren eigenen Zweifeln und Fragen. Wir
erwarten, dass Gott handelt, dass er positiv Einfluss nimmt auf unser Leben. Wir wünschen
uns, dass er Unglück ab- oder wenigstens zum Guten wendet.
Aber wenn dieser Wunsch nicht in absehbarer Zeit erfüllt wird, hören wir auf zu warten.
Wir rechnen nicht mehr mit dem Handeln Gottes. Wir beginnen, ihn zu vergessen.
Indem wir das tun, missachten wir die Souveränität Gottes. Wir haben keine Geduld. Und wir
wollen nicht akzeptieren, dass Gott nicht so handelt, wie wir es erwarten.
Darum wenden wir uns ab, werden müde. Kinder wachsen auf in einer Umgebung, in der sie
nichts mehr von Gott erfahren, weil niemand mehr von Gott redet. Weihnachten ist nicht
das Fest der Geburt Christi, sondern das Fest der Familie. Ostern ist nicht das Fest der
Auferstehung Christi, sondern der Ostereiersuche.
Viele Menschen erwarten nichts mehr von Gott, weil er unsere Erwartungen enttäuscht hat,
weil er unseren Wünschen nicht entspricht.
Aber das kann es ja eigentlich nicht sein. Im Grunde können wir nur staunend und dankbar
vor Gott stehen, denn er handelt ja nicht so, wie wir es eigentlich verdient hätten.
Er erbarmt sich über uns, er wendet sich nicht von uns ab. Er kann in Segen verwandeln,
wo wir nur Schaden angerichtet haben. Er tritt für uns ein, wo wir versagen.
Und wer meint, er brauche das nicht, weil er sich nichts zu schulden habe kommen lassen,
der mag sich an die Geschichte von der Ehebrecherin erinnern lassen, in der Jesus die
Ankläger mit den Worten auffordert: „Wer von euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten
Stein.“
Es gab niemanden, der ohne Schuld war, und so ist es bis heute. Vor Gott könnte niemand
von uns bestehen, wenn es nicht seine Liebe wäre, die unsere Unvollkommenheit überwindet.
Gott bleibt zwar in seinem Handeln für uns unberechenbar – aber nicht im negativen Sinn.
Nur dass wir nicht bestimmen können, wie Gott handelt. Er weiß, wie es um uns steht,
und er wird tun, was nötig ist, damit wir ihm danken können für sein Tun.
Der Prophet Jesaja ist ein Werkzeug Gottes. Er redet mit den Müden, macht ihnen Mut.
Aber er kann das auch nicht aus sich heraus, er muss dazu selbst gestärkt und zugerüstet
werden.
„Alle Morgen weckt Gott mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören.“
Es ist der Morgen, an dem der Geist frisch und ausgeruht ist, um das Wort Gottes zu empfangen.
Am Morgen spricht Gott zu dem Propheten. Am Morgen lässt er ihn wissen, was nötig ist.
Der Morgen ist auch für uns eine gute Zeit. Nach dem Aufstehen zuerst in der Bibel
lesen und beten. Stille Zeit haben. Auf Gott hören.
Jochen Klepper hat dies in einem Lied aufgenommen:
„Er weckt mich alle Morgen,
er weckt mir selbst das Ohr.
Gott hält sich nicht verborgen,
führt mir den Tag empor,
dass ich mit seinem Worte
begrüß das neue Licht.
Schon an der Dämmrung Pforte
ist er mir nah und spricht.
Er spricht wie an dem Tage,
da er die Welt erschuf.
Da schweigen Angst und Klage;
nichts gilt mehr als sein Ruf.
Das Wort der ewgen Treue,
die Gott uns Menschen schwört,
erfahre ich aufs neue
so, wie ein Jünger hört.“ (EG 452, 1-2)
Mit dem Hören geht das Reden Hand in Hand. Denn wir sagen weiter, was wir hören – es ist
nicht nur für unsere Ohren bestimmt; wir sind Gesandte Gottes.
Und so sind wir gerufen, die Müden heraus zu holen aus ihrer Hoffnungslosigkeit und ihnen
Hoffnung zu schenken mit den Worten, die wir von Gott empfangen.
Dass das Wort Gottes nicht immer gehört wird, erfahren wir allerdings auch. Es kann
passieren, dass uns Ablehnung und sogar Hass entgegen schlagen.
Dann gilt, was der Prophet Jesaja beschreibt: Ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht
zurück. Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die
mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel. (Jes 50, 5b-6)
Wir erdulden die Ablehnung und den Spott und hören nicht auf, von Gott zu reden.
Und wenn uns Scheinheiligkeit vorgeworfen wird oder auch Schuld, die in der Kirche
geschehen ist, dann gibt es nur eine Antwort: „Er ist nahe, der mich gerecht spricht;
wer will mit mir rechten? Lasst uns zusammen vortreten! Wer will mein Recht anfechten?
Der komme her zu mir! Siehe, Gott der Herr hilft mir; wer will mich verdammen? Siehe,
sie alle werden wie Kleider zerfallen, die die Motten fressen.“ (Jes 50, 8-9)
Der Prophet beruft sich auf Gott. Gott ist auf seiner Seite. Aber die ihn das sagen hörten,
werden wieder gelacht haben. Sie werden ihn verspottet und geschlagen haben. Sie werden ihm
zugerufen haben:
„Wo ist denn dein Gott? Warum hilft er dir nicht? Von wegen, er ist auf deiner Seite!
Und – siehst du uns etwa zerfallen wie Kleider, die die Motten fressen?“
Nun, sie alle sind nicht mehr; sie sind zerfallen wie Kleider, die die Motten fressen. Der
Glaube aber, der den Propheten getragen hat, der ist geblieben, bis heute.
Als Christen leben wir in der Tradition dieses Glaubens, der weiß, dass er nicht zuschanden
wird – nicht vor Gottes Angesicht.
Und darum hören wir auch nicht auf, von ihm zu reden, ganz gleich, wie groß der Hass ist,
der uns entgegenschlägt, damit die Müden es hören.
Und wir hören auch nicht auf, danach zu handeln, damit alle es sehen, was Gott dieser Welt
zu sagen hat: dass sie nicht verloren ist in ihrer Angst, in ihrer Habgier und Selbstsucht.
Denn Gott ist da, sein Arm ist lang genug, um zu erlösen, er ist stark genug, um zu erretten –
auch und gerade die, die meinen, dass Gott unbedeutend oder unnötig geworden ist.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen (EG 81)
Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld (EG 83)
O Haupt voll Blut und Wunden (EG 85)
Jesu, meines Lebens Leben (EG 86)
Es ist das Heil uns kommen her (EG 342)
Ist Gott für mich, so trete (EG 351)
Er weckt mich alle Morgen (EG 452)
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Predigtvorschläge zu Reihe II - Mk 14, (1-2)3-9
Liebe Gemeinde!
„Da kam eine Frau...”. An manche Namen erinnert man sich in den Evangelien, auch
wenn die Personen nur eine geringe Nebenrolle haben, und ich bin sicher, dass auch diese Frau
einen Namen hatte und sie danach gefragt wurde. „Wie heißt du?”
Die Antwort bleibt verborgen. Nicht nur für uns, sondern auch für die, die damals das
Evangelium als erste lasen. Warum wohl? Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sofort
nach dieser Tat auf Nimmerwiedersehen verschwunden war. Schon gar nicht, nachdem Jesus sie
in Schutz genommen und ihre Tat auf so außergewöhnliche Weise gewürdigt hatte. Sicher wird
sie zur ersten Gemeinde gehört haben – so wie manche andere Personen, deren Namen in den
Evangelien erwähnt werden.
Vielleicht bestand sie selbst darauf, dass ihr Name nicht genannt werde, weil sie es nicht für
wichtig hielt, wer diese Tat getan hatte, sondern vielmehr nur, dass sie getan wurde? Aber
wäre dann nicht doch in späteren Abschriften der Name eingefügt worden, weil man sie ja
vermutlich nicht in jeder Gemeinde kannte und spätestens nach ihrem Tod die Gefahr des Vergessens
gegeben war?
Der Evangelist Johannes konnte diesen Zustand der Namenlosigkeit jedenfalls nicht ertragen. Er
sah in der Salbung mit dem kostbaren Nardenöl eine Wohltat, die mehr Beachtung verdiente und
vor allem: einen Namen. Und so verlagert er die Geschichte dorthin, wo drei Menschen leben, von
denen die christliche Gemeinde überall, wo es sie gab, schon Manches erfahren hatte: Maria,
Martha und Lazarus.
Zu der Zeit, als Johannes sein Evangelium niederschrieb, lebten diese drei nicht mehr, so dass
sie danach nicht befragt werden konnten. Und so ist es bei Johannes Maria, die das kostbare Öl
auf Jesu Füße goss und sie damit einrieb. Aber sehr wahrscheinlich war nicht sie es, die
diese Wohltat an Jesus tat, denn sonst hätten ja auch die anderen Evangelisten davon
geschrieben.
Darum bleiben wir bei dem, was uns Markus schreibt. Die Frau ist unbekannt, und es ist auch
nicht das Haus von Maria, Martha und Lazarus, sondern das Haus Simons des Aussätzigen, in
dem sich dies alles ereignet.
Ja, es ist schon merkwürdig, dass Markus zwar den Namen des Hauseigentümers, der sonst
nirgends auftaucht und auch in der Erzählung keine besondere Rolle spielt, nicht aber
den Namen der Frau kennt.
Aber auf diese Weise wird unser Blick auf das gelenkt, was in Wahrheit wichtig ist. Denn
das ist nicht die Frau, sondern die Handlung, die sich da vollzieht.
Es geht um den Akt der Fußsalbung und um seine Deutung. Es geht um das, was wir Gott
schuldig sind. Es geht darum, wie wir auf die Liebe Gottes antworten.
Indem sie die Füße Jesu salbt, zeigt die Frau ihre Ehrerbietung. Sie tut es nicht aus
Schuldbewusstsein, so wie die Sünderin, die Jesu Füße mit ihren Tränen wusch,
sondern weil sie in Jesus eine Person sieht, der Ehre gebührt.
Jesus gibt dieser Handlung mit seinen Worten allerdings eine weitreichendere und
tiefgreifende Interpretation: „Sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt für mein
Begräbnis”, sagt er. (Mk 14, 8b)
Abgesehen davon, dass dies so nicht stimmt – denn sie hat ja nur seine Füße
und nicht seinen Leib gesalbt – erkennen wir doch, dass Jesus in ihrer Handlung
nichts Verwerfliches erkennt. Im Gegenteil:
„Sie hat ein gutes Werk an mir getan.” (Mk 14, 6b)
Man mag sich fragen, wie man an Jesus, dem Sohn Gottes, noch etwas Gutes tun kann. Ist
er nicht das Gute schlechthin? Was könnte er von uns noch brauchen?
Doch ist er ja Mensch, und als Mensch hat er Bedürfnisse, was uns hiermit erneut vor
Augen geführt wird. Er taucht ganz ins Menschsein ein, auch wenn er ohne Schuld bleibt.
Er macht die Erfahrung des Menschseins zu hundert Prozent. Er hat Hunger, er braucht
Schlaf, er hat Zweifel und erlebt Enttäuschung und Frustration.
Es geht aber nicht darum, dass Jesus gerne von anderen bestätigt werden möchte, dass
man sein Ego gewissermaßen streichelt und ihm anerkennend auf die Schulter geklopft
wird. In der Tat der Frau erkennt er die Liebe, mit der sie ihm begegnet – die
Liebe als Antwort auf das, was noch bevorsteht. Es geht um das Notwendige, das, was
gerade dran ist. Und das ist die Salbung zu seinem bevorstehenden Begräbnis, von dem
die übrigen allerdings keine Ahnung haben.
Und darum sind einige von denen, die da in dem Haus versammelt sind, nicht einverstanden.
„Was soll diese Vergeudung?” fragen sie. Und sie haben ja Recht.
Die Geste als Zeichen der Ehrerbietung ist völlig überflüssig, auch wenn Gott natürlich
die Ehre gebührt. Aber Jesus hat diese Ehre nie für sich in Anspruch genommen und nimmt
sie auch in diesem Augenblick nicht für sich in Anspruch.
Hatten diejenigen, die sich gegen die Verschwendung äußern, dieses im Blick, dann
könnte man ihnen noch anrechnen, dass Sie Jesu eigene Worte ernst nehmen. Denn Jesus
hatte ja dazu aufgefordert, demütig zu sein und nicht Ehre und Anerkennung zu suchen.
„Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein” (Mk 10, 43),
und wenig später dann sagt er es auch über sich selbst: „Der Menschensohn ist
nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben als
Lösegeld gebe für viele.” (Mk 10, 45)
Aber natürlich kann man auch im Blick auf die Salbung zum Begräbnis, die üblicherweise
erst nach dem Tod eines Menschen erfolgt, Unmut äußern, denn die Notwendigkeit und den
Sinn einer solchen Salbung kann man durchaus hinterfragen. Und wenn man den Wert
dieses Öls, das von der Frau verwendet wird, bedenkt, dann muss man wohl zustimmen: es
gibt Wichtigeres, wofür dieses Geld hätte ausgegeben werden können.
Die Salbung zum Begräbnis hätte jedenfalls mit billigerem Öl durchgeführt werden können.
Dazu kommt natürlich, dass eine solche vorweggenommene Salbung völlig unüblich ist. Das
grenzt schon eher ans Makabre, dass man einen lebenden Menschen zum Begräbnis salbt.
Deswegen dürfen wir auch getrost vermuten, dass die Frau ein anderes Motiv hatte als
das, welches Jesus ihr gewissermaßen unterschiebt.
Sie wollte, wie ich schon anfangs sagte, ihm mit der Salbung die gebührende Ehre erweisen.
Denn mit einer Fußsalbung – freilich in der Regel mit billigerem Öl – pflegte
man damals seine Gäste zu begrüßen und zu ehren.
Aber Nardenöl, das etwa den Jahreslohn eines Arbeiteres kostete, das leisteten sich sonst
nur Könige. Aber genau das sieht die Frau. Sie sieht in Jesus den König der Welt, den
Pantokrator[, so wie er auch im Kaiserdom in der Apsis abgebildet
ist].
Und so nimmt sie tatsächlich etwas vorweg, aber nicht das Begräbnis, sondern die
Thronbesteigung, wovon wir im Glaubensbekenntnis mit diesen Worten sprechen:
„...aufgefahren in den Himmel. Er – Jesus – sitzt zur Rechten Gottes,
des allmächtigen Vaters.”
Jesu Interpretation ist deswegen nicht falsch. Sie ist nur Antwort auf die Einwände der
Menschen, die der Ansicht sind, dass man das Geld hätte sinnvoller verwenden können. Den
wahren Hintergrund, ihn als den Herrn aller Herren zu ehren, würden sie noch weniger verstehen.
Das von Jesus genannte Motiv, die Salbung zum Begräbnis, ist schon schwer genug
nachzuvollziehen: Jesus liegt nicht im Sterben, er ist noch jung und erfreut sich bester
Gesundheit. Gerade erst war der prächtige Einzug in Jerusalem gewesen, das Volk war Jesus
wohl gesonnen, so schien es zumindest. Alles deutete auf eine glänzende Zukunft hin. Was
sollte da also das Gerede von seinem Begräbnis?
Es ist schade, dass wir nicht noch eine Reaktion der Widersacher hören, sondern die
Erzählung mit dem Hinweis Jesu darauf endet, dass man diese Tat der Frau überall dort
erzählen wird, wo man das Evangelium predigt.
Aber es geht ja auch nicht um die Einwände, sondern um das, was diese Namenlose getan
hat. Es geht darum, dass wir uns an diese Tat erinnern. Wir müssen nicht darüber
spekulieren, ob die Widersacher nur noch geschwiegen oder noch den einen oder anderen
Einwand vorgebracht haben. Und wir sollen uns mit Jesu Worten zufrieden geben: hier ist
etwas geschehen, das allen Menschen Vorbild sein soll. Hier wurde an ihm Gutes getan,
und diese Gut-Tat war richtig.
Letztlich will uns die Erzählung bewusst machen, dass es richtig und würdig ist, dass wir
vor Gott mit Ehrerbietung treten. Es ist angemessen und richtig, die Orte des Gottesdienstes
– denn nichts anderes als einen Gottesdienst hat die Frau ja getan – mit Respekt
und Achtung für die Gläubigen, die an diesem Ort Gottesdienst feiern, zu betreten.
Es ist richtig, dass wir uns regelmäßig aufmachen zum Gottesdienst, um ihm, unserem Herrn,
die ihm gebührende Ehre zu erweisen.
Es ist richtig, dass wir uns immer neu bewusst machen, dass Gott der Schöpfer des Himmels
und der Erde ist, dass er der Herrn aller Herren ist, dass er es ist, der uns vom Tod
erlöst hat und uns durch seinen Sohn Jesus Christus mit unendlicher Liebe begegnet.
Und es ist richtig, dass wir uns dafür die Zeit nehmen und es uns auch etwas kosten
lassen. Es ist richtig, dass wir um des Gottesdienstes willen auf andere Dinge
verzichten.
Denn nichts gibt es, womit wir die Liebe Gottes angemessen erwidern könnten, als
dies: dass wir ihm die Ehre erweisen.
Indem wir auf jene Frau schauen, können wir getrost abfällige Bemerkungen und Unverständnis
von uns weisen. Denn solcher Dienst ist Gott wohlgefällig.
Das heißt natürlich nicht, dass wir die Sorge um unseren Nächsten vergessen sollen. Das
kann man aus den Worten Jesu nicht schließen. Im Gegenteil. Er sagt ja: „Ihr habt
allezeit Arme bei Euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun.” Aber es
hat, um es mit den Worten des Predigers Salomo zu sagen, ein jegliches seine Zeit:
Gottesdienst hat seine Zeit – Nächstenliebe hat seine Zeit.
Das eine schließt das andere nicht aus, zumal uns im Gottesdienst und dann vor allem in
der Feier des Heiligen Abendmahls die Möglichkeit gegeben wird, Jesus, der ja inzwischen
nicht mehr leibhaftig unter uns ist, in besonderer Weise nahe zu sein.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Wie soll ich dich empfangen (EG 11, 2)
Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld (EG 83)
Ich grüße dich am Kreuzesstamm (EG 90, 1)
Herzlich lieb hab ich dich, o Herr (EG 397)
Ich will dich lieben, meine Stärke (EG 400)
Meinen Jesus lass ich nicht (EG 402)
Zieh, Ehrenkönig, bei mir ein (NB-EG 537)
Herr, der du einst gekommen bist (KHW-/HN-EG 586)
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Predigtvorschläge zu Reihe III - Hebr 11, 1-2(8-12.39-40); 12, 1-3
Liebe Gemeinde!
Sie alle kennen Nebel. Eigentlich ist es eine unangenehme Erscheinung, denn
wenn es neblig ist, sieht man nicht weit. Ich finde Nebel dennoch faszinierend,
denn mit jedem Schritt, den man geht, erkennt man etwas Neues, während hinter
einem wieder etwas im Nebel verschwindet. Nebel hat etwas Geheimnisvolles,
weil er, wenn er schön dicht ist, nur das sehen lässt, was wir unbedingt
sehen müssen.
Nebel ist wunderschön, wenn er morgens über einem Tal aufsteigt, in dem ein
Bach fließt, und die Sonne darüber steht. Es ist ein Phänomen der Natur,
dass es nur unter ganz bestimmten Bedingungen zu beobachten gibt.
Nebel besteht aus winzigen Wassertröpfchen, die so klein und leicht sind,
dass sie in der Luft schweben können. Sie fallen nicht zu Boden, so wie der Regen.
Sie machen uns nicht nass, weil sie durch die Luft, die wir um uns bewegen,
so abgelenkt werden, dass sie uns gar nicht treffen können. Nebel ist eine
Wolke, die sich dicht über dem Boden befindet und nicht weit weg von uns, am
Himmel.
So müssen wir uns vorstellen, wovon der Verfasser des Hebräerbriefes schreibt:
Wir haben eine Wolke von Zeugen um uns.
Eine Wolke, so wie der Nebel: eine Wolke von Zeugen, die vor uns im Glauben
gelebt haben, die uns ein Beispiel sind für ein christliches Leben.
Sie umgeben uns, unspürbar, so wie auch wir den Nebel nicht spüren, und sind
doch da. Es sind Unzählige. Sie sind da, wo immer wir uns hinbewegen.
Das tut gut. Es ist ein schönes Bild, diese Wolke der Zeugen, nicht weit weg,
irgendwo im Himmel, sondern dicht bei uns, so wie der Nebel:
Menschen, die ihren Glauben gelebt haben und so zu Zeugen wurden: Dietrich
Bonhoeffer, Jochen Klepper, Martin Luther, der Erzmärtyrer Stephanus, Elisabeth
von Thüringen, Barbara usw.
Aber nicht nur die, die uns namentlich bekannt sind – auch alle die, an die sich
nicht alle erinnern, die auch nicht jeder kennt, gehören ja doch dazu.
So wird diese Wolke der Zeugen zum dichten Nebel, der uns umgibt, uns im
Glauben bewahrt.
Uns bleibt nur, dies auch bewusst wahrzunehmen und nicht, wie es üblicherweise
so ist, zu denken: wann komme ich endlich aus diesem Nebel raus?
Das Ganze hat nur einen Haken: diesen Nebel können wir ja eigentlich gar nicht
sehen. Er ist unsichtbar. Wir haben immer klare Sicht.
Aber so denkt nur der, der nicht versteht, wem die Wolke der Zeugen eigentlich
gilt. Denn der Nebel ist natürlich nicht für unsere Augen bestimmt, sondern
für unsere Seele.
Und unsere Seele kann ihn wahrnehmen. Sie bemerkt ihn, wenn wir sie nur lassen.
Denn der Seele tut dieser Nebel gut.
Der Nebel – die Wolke der Zeugen – gibt uns die Möglichkeit, zu erkennen, was
durch den Glauben alles möglich ist.
Welche Wege der Glaube öffnet. Wie der Glaube hilft, Schwachheit zu überwinden.
Wie er Kraft gibt, sich vom Bösen ab- und zum Guten hinzuwenden.
Wir brauchen solche eine Wolke der Zeugen, damit wir es nicht vergessen, was Leben
im Glauben eigentlich bedeutet.
Und in dieser Hinsicht schaue ich schon ab und zu neidisch auf unsere katholischen
Glaubensgeschwister, die sich viel mehr mit ihren Heiligen – den Zeugen – befassen
als wir.
Zwar haben auch wir Evangelischen einen Heiligenkalender, aber von dem wissen die
meisten gar nichts. Jeden Tag könnten wir mindestens einer Person gedenken, die
Teil dieser Wolke der Zeugen ist.
Es sind Menschen wie wir, die ihren Glauben ernst genommen und sich bemüht haben,
nach dem Willen Gottes zu leben. Dabei sind sie aufgefallen, aus verschiedenen
Gründen, und ihr Leben wurde zum Beispiel für viele.
Die Wolke der Zeugen, die uns umgibt, soll uns ermutigen, selbst den Weg des Glaubens
zu wählen. Die Zeugen, die Heiligen zeigen uns: der Glaube ist keine Privatsache, wie
es heute immer mehr propagiert wird. Glaube drängt nach außen, er bleibt nicht irgendwo
im eigenen Innern stecken.
Und doch kann man nicht sagen: „Glaube äußert sich nur auf diese Art und Weise“,
und so Glaubende von Nicht-Glaubenden unterscheiden. Glaube lässt sich nicht so ohne
Weiteres fest machen.
Darum schreibt der Verfasser des Hebräerbriefes ja: lasst uns laufen mit Geduld in
dem Kampf, der uns bestimmt ist.
Jedem ist sein eigener Kampf bestimmt, jede und jeder setzt sich mit unterschiedlichen,
eigenen Problemen auseinander, die es zu überwinden gilt.
Darum sieht der Kampf jedes Menschen anders aus, der Glaube kommt auf verschiedene Weise
zum Ausdruck.
Manchmal ist es sogar der Kampf in der Stille, gar nicht großartig an die Glocke gehängt,
der andere Menschen erkennen lässt, dass hier ein anderer am Werk ist.
Zu diesem Kampf ermutigt uns das Wissen, dass andere ebenso, vielleicht noch stärker,
gekämpft haben. Und dabei haben sie aufgeschaut auf den, der diesen Kampf als allererster
gekämpft hat: Jesus Christus.
Er hat diesen Weg vollendet, während wir von uns selbst wissen, dass wir immer wieder
versagt haben und wohl noch versagen werden. Nicht immer haben wir die Kraft, durchzuhalten,
auszuhalten, oder würden sogar lieber aufgeben als den Kampf weiterkämpfen.
Dann ist es gut, auf ihn zu schauen, sich von seinem Kampf inspirieren zu lassen. Aber da
ist noch etwas anderes:
Jesus Christus hat ja in seinem Kampf gesiegt, damit wir es nicht müssen, weil wir es auch
gar nicht könnten. Durch seinen Sieg hat er ja schon all unser mögliches Versagen auf sich
genommen. Er zieht uns dennoch zu sich.
Er gibt uns die Kraft, durchzuhalten, wenn es ganz verloren erscheint. Wir brauchen nur
unseren Blick auf ihn richten.
Als Jesus Christus in die Stadt Jerusalem einzog, wurde er gefeiert. Es war ein Triumph.
Aber er wird es wohl anders empfunden haben. Er wusste doch, was vor ihm lag: die Verspottung,
die Verurteilung, die Verachtung, der Tod am Kreuz.
Er hätte es ganz einfach abwenden können. Er hätte auf diesen Triumpf verzichten und sich
zurückziehen können. Aber nein, er wusste, dass dieser Kampf notwendig war. Davor weglaufen,
das wollte er nicht. Denn dann hätte er verloren. Und ihm ging es darum, zu gewinnen. Ihm
ging es darum, alle Bosheit dieser Welt zu überwinden. Und er hat es geschafft, indem er
sich der Bosheit auslieferte. So hat er die Liebe Gottes allen Menschen offenbar gemacht.
Das ist der Weg des Glaubens: die Liebe Gottes offenbar machen. Das ist es, worauf es ankommt.
Ob ich nun einfach sichtbar werden lasse, dass ich von Gott geliebt bin, oder anderen
deutlich zu machen versuche, dass sie von Gott geliebt sind: in jedem Fall mache ich
dadurch die Liebe Gottes offenbar.
Die Wolke der Zeugen, die uns immer umgibt, auch jetzt, hier, wenn wir das Abendmahl
gemeinsam feiern, helfe uns, unseren eigenen Weg nach dem Willen Gottes zu gehen.
Dazu stärkt uns der Leib und das Blut unseres Herrn Jesus Christus.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Herr, stärke mich, dein Leiden (EG 91)
Nun gehören unsre Herzen (EG 93)
Das Kreuz ist aufgerichtet (EG 94)
Nun freut euch, lieben Christen g'mein (EG 341)
Such, wer da will, ein ander Ziel (EG 346)
Ist Gott für mich, so trete (EG 351)
Ich habe nun den Grund gefunden (EG 354)
Ich weiß, woran ich glaube (EG 357)
Wenn wir in höchsten Nöten sein (EG 366)
Jesu, hilf siegen (EG 373)
Herr, wir stehen Hand in Hand (NB-EG 602)
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Predigtvorschläge zu Reihe IV - Joh 17, 1-8
Liebe Gemeinde!
Der Evangelist Johannes hatte es nicht leicht. Er wollte über Jesus schreiben, und
dabei hatten schon viele andere über ihn geschrieben. Drei dieser Texte, die sich
Evangelien nannten, waren bereits weithin bekannt, und ihre Texte stimmen in vielen
Dingen überein. Sollte er genauso schreiben, also einfach nur abschreiben und
vielleicht noch hier und da ergänzen, was er für wichtig hält, oder
weglassen, wo er meinte, dass es nicht das widergibt, was er von Jesus Christus weiß?
Das erschien ihm von Anfang an zu einfach. Es würde auch nicht passen.
Johannes stand nicht mehr unter dem unmittelbaren Eindruck des Wirkens Jesu. Er hatte
vielleicht vor langer Zeit mit Menschen geredet, die Jesus persönlich gekannt hatten.
Aber inzwischen hatte er Jesus in seinem Leben auf vielfältige Weise erfahren.
Für ihn war Jesus nicht mehr ein Mensch, der auf der Erde wandelte, gekreuzigt
und dann von den Toten auferweckt wurde. Für ihn war Jesus die Realität
Gottes, die sein Leben verändert hatte. Er hatte durch Jesus Christus aus der
Aussichtslosigkeit seines Lebens herausgefunden. Er hatte Jesus als den Sohn Gottes
erlebt, der die Welt verändert, der ihr ein neues Gesicht gibt. Und das wollte
er weitergeben: wie Gottes Sohn auf der Erde wirkte, wie er sich für die Menschen
einsetzte, wie er das Erbarmen Gottes zu den Menschen brachte, wie er seine Liebe
ausschüttete und zugleich seine Macht und Herrlichkeit nicht aufgab. Denn er blieb
doch der Sohn Gottes, trotz des Todes am Kreuz.
So schrieb Johannes seine eigene Geschichte Jesu, ein Evangelium, das durch seine
Andersartigkeit viele Menschen inspiriert hat und das darum auch den Weg in unsere
Bibel fand. Er schrieb.
Sicher waren ihm die anderen Evangelien bekannt, und er hatte sie oft gelesen. Aber er
schrieb alles ganz anders auf, denn er nahm sich keines der anderen Evangelien vor.
Er erinnerte sich an das, was er gelesen hatte, und schrieb. So kam er an die Stelle,
wo Jesus mit seinen Jüngern in den Gethsemane ging. Wir alle wissen, dass Jesus
dort betete: Herr, lass diesen Kelch an mir vorübergehen. Doch nicht wie ich will,
sondern wie du willst. So hatten es die anderen drei Evangelisten aufgeschrieben.
Johannes dachte nach. Konnte dies das Gebet des Gottessohnes sein? Es war ein Gebet
der Verzweiflung. Würde so der Sohn Gottes beten, der von Anfang der Welt gewesen
ist, durch den die Welt erst erschaffen wurde? Wohl kaum. Das war des Gottessohnes doch
nicht würdig. Wenn Jesus betete, dann doch sicher nicht für sich selber,
sondern für die anderen, für die Menschen, die bei ihm waren, die ihm anvertraut
worden waren von Gott, seinem himmlischen Vater. So begann Johannes, ein Gebet zu
formulieren, das seiner Ansicht nach Jesus gesprochen haben könnte:
Verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrliche; denn du hast ihm Macht
gegeben über alle Menschen, damit er das ewige Leben gebe allen, die du ihm
gegeben hast.
Ja, das ist ein guter Anfang. So kann man schreiben. So könnte Jesus gebetet haben.
Denn ihm ist doch alle Macht gegeben, auch wenn er sich wenig später den Menschen
unterwerfen wird. Aber das muss er ja tun, damit sie alle leben und nicht sterben,
damit der Tod seine Macht verliert. Jesus beweist seine Macht und Herlichkeit nicht,
indem er sich den Menschen widersetzt, sondern indem er den Tod, die Geißel der
Menschheit, in seine Schranken weist. Befriedigt schreibt Johannes weiter am Gebet Jesu:
Das ist aber das ewige Leben, daß sie dich, der du allein wahrer Gott bist,
und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.
Das war wichtig, denn bisher hatten die Menschen ihn ja noch gar nicht richtig
erkannt. Sie wussten nicht, dass er der Sohn Gottes war, obgleich er es schon so
oft bewiesen hatte durch seine Wunder. Aber die Zeit des Erkennens stand kurz bevor.
Am Kreuz würden sie ihn erkennen, wenn das Heilswerk vollbracht war. Nun ist
es Zeit, noch einmal die Zeit zu bedenken, die hinter ihm liegt. So schreibt
Johannes weiter:
Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben
hast, damit ich es tue.
Alles ist so erfüllt worden, wie Gott es von ihm wollte. Er hat gepredigt, er
hat die Menschen die Nähe Gottes spüren lassen, indem er die wunderbare Kraft
Gottes allen Menschen sichtbar machte. Sie hatten gesehen, wie er Wasser in Wein
verwandelte und wie er Lazarus von den Toten auferweckte. Noch viel mehr schwingt
in diesen wenigen Worten mit: Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk
vollendet, das du mir gegeben hast. Aber spätestens jetzt weiß jeder,
dass etwas Großes bvorsteht. Und so geht es weiter:
Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir
hatte, ehe die Welt war.
Der Lauf ist vollendet. Um verherrlicht zu werden, muss Jesus nun nur noch ans Kreuz
geschlagen werden und dort sterben. Das ist seine Herrlichkeit. Gott stirbt am Kreuz
um der Menschen willen, die eigentlich selbst den Tod verdienen. Der Tod ist grausam,
aber nicht für Jesus, denn er überwindet den Tod und nimmt ihm alle
Schrecken. Leben geht von Jesus aus. Darum ist sein Tod am Kreuz Verherrlichung.
Johannes schreibt weiter am Gebet Jesu:
Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast.
Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt. Nun
wissen sie, daß alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt.
Noch einmal blickt Jesus auf die zurückliegende Zeit, sein eigenes Werk,
zurück. Diesmal betont er, dass, was er getan hat, von seinem himmlischen
Vater ausging. Die Menschen waren ihm nur von Gott anvertraut. Er hat seinen Auftrag
an ihnen erfüllt, er hat ihnen das Wort übermittelt, die Botschaft von
der Liebe und der Herrlichkeit Gottes, die Botschaft von seiner großen
Barmherzigkeit. Er hat ihnen gesagt, dass diese Worte von Gott kommen. Nun bleibt
nur die Frage: wie haben die Menschen reagiert? Darum schreibt Johannes weiter:
Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie
angenommen und wahrhaftig erkannt, daß ich von dir ausgegangen bin, und sie
glauben, daß du mich gesandt hast.
Sie haben Jesus erkannt. Sie wissen, dass er von Gott kommt. Nun also wirklich: Jesus
hat seinen Auftrag erfüllt. Es bleibt nur das letzte zu tun: der Gang zum Kreuz.
Jesus ist bereit, er bittet um seine Verherrlichung, die Kreuzigung. Nun kommt es
darauf an: werden die Menschen in dem Gekreuzigten Gottes Sohn erkennen? Oder werden
sie aufgeben, sich von ihm abwenden?
Johannes lehnt sich zufrieden zurück. Ein guter Anfang für ein Gebet. Im
weiteren Verlauf des Gebetes wird Jesus für die Menschen beten, die ihm anvertraut
wurden, damit sie nicht den Glauben verlieren, sondern die Gemeinschaft erhalten. Aber
das geht schon in eine andere Richtung. Darum macht er eine Pause und denkt etwas nach:
Ja, ich habe die Worte Jesu vernommen. Ich habe ihn erkannt, ich weiß, dass er
der Sohn Gottes ist. Am Kreuz überwand er den Tod für mich, weil ich dem Tod
nichts entgegenzusetzen habe.
Ja, er ist der König meines Lebens! Ihm will ich in Gehorsam dienen!
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld (EG 83)
Jesu, deine Passion will ich jetzt bedenken (EG 88)
Ich grüße dich am Kreuzesstamm (EG 90)
Christe, du Schöpfer aller Welt (EG 92)
Holz auf Jesu Schulter (EG 97)
Jesus Christus herrscht als König (EG 123)
Wohl denen, die da wandeln (EG 295)
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Predigtvorschläge zu Reihe V - Joh 12, 12-19
Liebe Gemeinde!
Es ist Heiligabend. Viele Menschen machen sich auf, um in die Kirche zur Christvesper
zu gehen, viele andere sind zu Hause und bereiten alles für die Feier des Christfestes
im Kreis der Familie vor. Sie alle freuen sich auf das Fest. Es hat eine ganz besondere
Ausstrahlung. Man ist bereit, einander zu versöhnen, man möchte niemandem wehtun. Es
ist das Fest der Liebe. Die Weihnachtslieder klingen aus den Lautsprechern, der
Fernseher bringt eine Weihnachtsgala, der Duft des Weihnachtsgebäcks erfüllt den
Raum.
So ist es richtig, so ist es gut. Da klingelt es an der Tür. Ein wildfremder Mann
steht vor der Tür und sagt: »Jesus kommt. Er ist nur noch wenige Kilometer von der
Stadt entfernt.« Als er nur ungläubig angeschaut wird, fährt der Mann fort: »Ja
wisst ihr denn nicht: Jesus, der Jesus, der Wunder vollbringt, der Kranke gesund
macht, ja, der sogar Tote zum Leben erweckt hat. Kommt, begrüßt ihn!«
Das ist nun doch zu viel. So ein Quatsch! Es ist Heiligabend, da feiert man im Kreis
der Familie und geht nicht aufs Geratewohl auf die Straße, um jemanden zu begrüßen,
von dem man sagt, er sei Jesus. So ein Unfug!
Genau solch eine Situation war es damals, als die Menschen in Jerusalem plötzlich
hörten: Jesus kommt! Sie freuten sich auf das Passahfest, das Fest der Gemeinschaft,
das Fest, an dem die Liebe Gottes für sein Volk ihnen ganz deutlich geworden ist.
Für dieses Fest waren sie nach Jerusalem gekommen, trafen sich hier mit ihren Verwandten
und Freunden, um gemeinsam das Passahlamm zu essen. Sicher, es war noch etwas Zeit bis
dahin, aber man musste ja noch so viel zur Vorbereitung tun.
Und da kamen also wildfremde Menschen daher und sagten: 'Jesus kommt! Das ist der, der
Wunder vollbringt, der auch einen Toten zum Leben erweckt hat.'
Die Menschen damals, so berichtet uns Johannes, ließen alles stehen und liegen. Trotz
dieses hohen Festes, auf das sie sich jedes Jahr aufs Neue freuten und das ihnen so viel
bedeutete, und das sie im Begriff waren, zu feiern, machten sie sich auf den Weg, dem
Mann entgegen, von dem sie bis dahin nur durch Berichte erfahren hatten.
Sicher war es auch Neugier, aber - würde reine Neugier ausreichen, um sie von dem weg
zu holen, das ihnen so lange, so viele Jahre schon Bestand und Sicherheit gegeben hatte?
Das Passahfest war etwas, worauf sie sich verlassen konnten. Es kehrte jedes Jahr wieder.
In diesem Fest begegnete ihnen Gott. Das wussten sie. Das sollte doch eigentlich genug
sein.
Aber das war es dann wohl doch nicht. Sie wollten mehr. Sie suchten nach Gott, sie
hatten ein Verlangen danach, ihm wirklich, leibhaftig zu begegnen.
Was würde passieren, wenn diese Nachricht heute erklingen würde? Man würde den Botschafter
für verrückt halten. Das ist doch ein Spinner. Natürlich kommt Jesus nicht, schon gar
nicht zu Weihnachten, schon gar nicht nach Goslar, erst recht nicht nach Oker. Warum
sollte er überhaupt noch einmal kommen? Das würde ja sowieso nicht in unsere Vorstellung
reinpassen, denn natürlich würde sein Kommen, wenn es jetzt geschieht, den Anbruch des
Weltenendes bedeuten. Er würde als Richter kommen - zu richten die Lebenden und die Toten.
Und das würden wir schon alle deutlich merken, dafür braucht es keine Boten. Also kann es
sich ja nur um einen Spinner handeln, der da angekündigt wird.
Mit anderen Worten: uns könnte so eine Botschaft wohl kaum motivieren, los zu ziehen, um
ihn zu sehen. Es besteht eigentlich gar kein Bedarf. Wir haben ja alles. Und Jesu Einzug
in Jerusalem - das ist damals passiert, das wiederholt sich nicht. Jetzt ist er im Himmel,
zur Rechten Gottes - weit weg.
Was Johannes hier beschreibt, der Einzug Jesu in Jerusalem, ist aber nicht Geschichte, es
ist nicht Vergangenheit, die uns heute nichts mehr angeht. Jesu Einzug in Jerusalem ist ein
Paradigma, ein Beispiel dafür, was es bedeutet, wenn Gott zu uns kommt.
So wie den Menschen damals ist auch uns die Sehnsucht nach Gott ins Herz gelegt. Wir suchen
die Sicherheit und Geborgenheit, die nur Gott uns schenken kann. Die Frage ist nur: wo
suchen wir sie?
Die Antwort auf diese Frage muss sicher jeder für sich beantworten. Ich will hier nur ein
paar Beispiele nennen, wo Menschen nach Sicherheit und Geborgenheit suchen.
Viele Menschen suchen die Sicherheit beim Geld. Sie wissen, dass man mit Geld vieles absichern
kann. Versicherungen geben uns Sicherheit. Wenn wir anderen ungewollt einen Schaden zufügen,
springt die Haftpflichtversicherung ein. Wenn das Haus oder die Wohnung ausbrennt, haben
wir eine Brandversicherung. Wenn wir krank werden, haben wir die Krankenversicherung. Also
kann man sich rundum sicher fühlen.
Geborgenheit sucht man in den eigenen vier Wänden. Ja, es ist gar nicht mal unbedingt die
Familie, die einem Geborgenheit gibt. Wenn man nur sein eigenes Haus hat, dann fühlt man
sich geborgen.
Man sucht auch Geborgenheit in der Tradition. Das war schon immer so, das ist gut so. Das
ist erprobt. In dem, was man gewohnt ist, fühlt man sich wohl.
Sicherheit sucht man im Auto. Es muss schnell sein, aber auch sicher. Jedes neue Modell
prahlt mit größerer Sicherheit. Dass man ein Auto haben muss, steht dabei außer Frage.
Geborgenheit sucht man auch bei Gott, aber bei welchem? Die Auswahl ist tatsächlich
groß. Selbst in der Kirche haben sich Elemente fernöstlicher Religionen breit gemacht.
So ist Gott nicht mehr unbedingt das Gegenüber, dem wir begegnen können, sondern die
große Weltenseele, von der wir ein Teil sind. Das wahrzunehmen, ist der Weg zu einer
ausgeglichenen Persönlichkeit. Eigentlich doch ein schöner Gedanke - nur: so ist Gott
nicht. Gott ist keine Weltenseele. Gott ist der Schöpfer, der die ganze Welt, das
Universum, geschaffen hat. Er ist der Erlöser. Gott ist der, der uns die Freiheit gibt,
die wir eigentlich gar nicht wollen. Wären wir Teil der Weltenseele, wüssten wir, dass
wir letztlich nichts falsch machen können, denn es ist ja alles, was wir tun, Teil dieser
Weltenseele.
Wir wären nicht frei. Wir wären eingebunden in dieses große Ganze. Ja, eigentlich ein
schöner Gedanke, denn es würde alles einfacher machen. Es würde uns die Sicherheit
geben, dass wir eben nichts falsch machen können.
Nun ist Gott aber nicht so. Gott macht es uns nicht leicht. Im Gegenteil: Er macht es
uns ganz schön schwer. Wir müssen uns dafür entscheiden, ihm zu folgen.
Wir müssen uns
mit seinem Willen auseinander setzen. Wir müssen immer wieder nach seinem Willen fragen.
Wir müssen den Weg suchen, den er für uns bestimmt hat. Wenn wir auf den falschen Weg
geraten, kann das fatale Folgen haben, es sei denn, wir hören nicht auf, ihn zu suchen.
Das größte Problem dabei ist, dass es nicht so einfach ist, den Weg zu finden. Es ist
überhaupt nicht einfach, zu erfahren, was Gott von uns will. Wie äußert er sich? Wie
redet er mit uns? Wie macht er seinen Willen offenbar?
Gott kommt zu uns, das erfahren wir in unserem Predigttext. Doch das alleine genügt
nicht. Wir müssen darauf reagieren. Wir müssen ihm entgegen gehen. Alles stehen und
liegen lassen, um ihm zu begegnen. Sind wir befreit für die Freiheit, zu der er uns
berufen hat? Sind wir bereit, die Verantwortung zu übernehmen, oder überlassen wir das
lieber anderen?
Wenn wir diese Kehrtwendung zu machen bereit sind, dann wird sich Gott uns offenbaren.
Er wird zu uns sprechen, ganz klar und deutlich, so dass wir keinen Zweifel mehr haben.
Er wird uns unseren Weg zeigen, und ohne Furcht werden wir diesen Weg beschreiten können.
Denn dann wissen wir, dass Gott uns einen guten Weg führt. Und auch, wenn uns dieser
Weg durch Leid und Entbehrung hindurch führen sollte, so ist es doch ein guter Weg,
denn es ist der Weg unseres Herrn.
Auf solchen Weg möge er uns führen. Auf solchem Weg möge er uns begleiten. Denn nur auf
diesem Weg können wir verwirklichen, was er uns aufgetragen hat: Du sollst Gott lieb
haben von ganzem Herzen, und deinen Nächsten wie dich selbst.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Er ist die rechte Ferudensonn (EG 2)
Wie soll ich dich empfangen (EG 11)
Dein König kommt in niedern Hüllen (EG 14)
Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld (EG 83)
Jesu, deine Passion (EG 88)
Jesus zieht in Jerusalem ein (EG 314)
Wir gehn hinauf nach Jerusalem (KHW-EG 545)
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