das Kirchenjahr

Argula von Grumbach

* um 1492, + 1568

Einführung

Argula von Stauff wurde im Jahr 1492 als Tochter von Bernhardin von Stauff und Katharina von Törring auf der Burg Ehrenfels geboren.
Als junges Mädchen kam Argula, zur Erziehung an den Münchner Hof von Herzog AlbrechtIV. und seiner Frau Kunigunde. Hier wurde sie mit den drei ältesten Töchtern des Herzogs, gemeinsam erzogen. Später diente sie der Herzogin Kunigunde noch als Hoffräulein.
Im Jahre 1509 verlor Argula durch die Pest innerhalb von fünf Tagen ihre Eltern. Als Erinnerung an ihren Vater besaß sie eine deutsche Bibel - auch vor Martin Luther gab es schon mehrere in die verschiedenen Volkssprachen übersetzte Bibelausgaben -, die sie im Alter von 10 Jahren von ihm geschenkt bekommen hatte. Seit dem tragischen Verlust der Eltern verbrachte sie nun viele Stunden mit dem Gottesbuch, lernte wichtige Passagen auswendig und erwarb mit der Zeit eine beachtliche Bibelkenntnis.
Mit 22 Jahren, wurde sie mit Friedrich von Grumbach vermählt, der aus fränkischem Adel stammte. Ihm gebar sie vier Kinder.
Ihr Gatte, der seit 1515 als gut bezahlter Pfleger von Dietfurt (herzoglicher Statthalter mit besonderen Vollmachten) im Dienste der bayrischen Herzöge stand, hatte an der neuen Glaubensbewegung kein Interesse. Er blieb bis zu seinem Tode ein gläubiger Katholik.
1517 schlug Martin Luther die 95 Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg.
Neben der Aufzucht der Kinder fand sie immer noch Zeit, sich intensiv mit der neuen Glaubenslehre zu beschäftigen.
Jede Schrift, jedes Flugblatt, jeder Kommentar, den Martin Luther herausgegeben hatte, gelangte in ihre Hände. Zudem versuchte sie, mit führenden Männern der Reformation - unter anderem mit Martin Luther selbst - brieflich in Kontakt zu gelangen. So schrieb sie sich mit letzterem seit 1522.
1522 erließen die bayrischen Herzöge zum ersten Mal eine scharfe Verordnung bezüglich der Reformation. Allen bayrischen Untertanen war es streng verboten, Lehren und Schriften Luthers anzunehmen oder über deren Inhalt zu diskutieren. Argula jedoch setzte sich einfach über das Verbot hinweg und versuchte weiter, an neue Schriften Luthers und anderer Reformatoren zu gelangen. Wie alle aktiven Reformatorinnen hoffte auch Argula, durch diese Glaubensbewegung einen Schritt vorwärts in Richtung Gleichberechtigung machen zu können.
1523 kam es dann an der Universität in Ingolstadt zu einem aufsehenerregenden Prozeß. Ein junger Magister namens Arsacius Seehofer hatte als Anhänger von Luther und Melanchthon für die neue Glaubensbewegung unter den Studenten geworben. Am 7.9.1523 wurde er durch Gewaltandrohung in aller Öffentlichkeit zum Widerruf gezwungen und zur Klosterhaft in Ettal verurteilt. Außer Argula, die wohl durch ihren jüngsten Bruder Marzellus (+ 1525), der in Ingolstadt an der Juristenfakultät studierte, bestens informiert war, setzte sich niemand für den knapp 20-jährigen Arsacius Seehofer ein. So schrieb sie einen Sendbrief an den Rektor und an die gesamte Universität zu Ingolstadt, in dem sie sich beschwerte, dass man ohne den Versuch, den jungen Magister bibelmäßig zu widerlegen, ihn nur durch Drohungen zum Widerruf gezwungen hätte.

"Ach Gott, wie werdet Ihr bestehen mit Eurer Hohen Schul, dass Ihr so töricht und gewalttätig handelt wider das Wort Gottes und mit Gewalt zwingt das heilig Evangelium in der Hand zu halten und dasselbige dazu zu verleugnen, wie Ihr denn mit Arsacius Seehofer getan habt und ihn mit Gefängnis und Drohung des Feuers dazu gezwungen habt, Christum und sein Wort zu verleugnen. Ja, so ichs betrachte, so erzittert mein Herz und all meine Glieder. Was lehrt dich Luther oder Melanchthon anders als das Wort Gottes? Ihr verdammt sie unüberwunden. Hat Euch das Christus gelehrt oder seine Apostel, Propheten und Evangelisten? Zeigt mir, wo es steht, Ihr hohen Meister, ich finde es an keinem Ort der Bibel, dass Christus noch seine Apostel oder Propheten jemanden eingekerkert, gebrannt noch gemordet haben oder das Land verboten.
Wißt Ihr nicht, dass der Herr sagt Matth. 10: "Nicht fürchtet den, der euch den Leib nimmt und dann nicht mehr vermag. Aber den sollt ihr fürchten, der Macht hat Seele und Leib zu versenken in die Hölle." Man weiß wohl, wie weit man der Obrigkeit
gehorsam sein soll. Aber über das Wort Gottes haben sie nicht zu gebieten, weder Papst, Kaiser noch Fürsten, wie es Apostelgeschichte 4 und 5 heißt. Ich bekenne aber bei Gott und meiner Seelen Seligkeit, wo ich Luthers und Melanchthons Schriften verleugnete, dass ich Gott und sein Wort verleugnete, davor Gott ewig sei. Amen.
"
(in: Maria Heinsius: Das unüberwindliche Wort - Frauen in der Reformationszeit, München 1951, S. 142-143).

Schliesslich fordert sie die Professoren auf, "in Gegenwart unserer drei Fürsten und der ganzen Gemeinde" sich mit ihr theologisch auseinanderzusetzen, und zwar in Deutsch und auf der Grundlage der Heiligen Schrift. Argula wurde so die erste weibliche Autorin im Protestantismus.
Schließlich warf sie den hohen Herren der Universität vor, die Fürsten absichtlich falsch zu informieren, um sie im Dunkeln zu lassen.

"Mich erbarmen unsere Fürsten, dass Ihr sie so jämmerlich verführt und betrügt. Denn ich weiß wohl, dass sie der göttlichen Schrift nicht wohl berichtet sind. Hätten sie aber die Zeit vor andern Geschäften, achte ich, sie würden auch die Wahrheit erfahren, dass niemand über das Wort Gottes zu gebieten hat, ja kein Mensch, sei er, wer er wolle, darinnen zu regieren. Allein das Wort Gottes, ohne welches nichts gemacht ist, soll und muß regieren."
(in: Maria Heinsius, ebenda, S. 143).

Zuletzt bat Argula in ihrem Schreiben die Professoren der Universität, ihr die Artikel zu zeigen, die sie bei Arsacius Seehofer als ketzerisch verurteilt hätten.
Am gleichen Tag schrieb Argula wegen dieser Angelegenheit auch an den Herzog Wilhelm IV. von Bayern, den sie aus ihren Tagen am herzoglichen Hof persönlich kannte, um sich bei ihm über das Verhalten der Universität von Ingolstadt zu beklagen, die einen jungen Magister ohne Disputation genötigt habe, das heilige Evangelium und Gottes Wort zu verleugnen.
Argula bewies wirklich großen Mut, denn sie setzte sich nicht nur für den jungen "Ketzer" ein, sondern gab auch noch zu, selbst dessen Religion anzuhören. Als sich in Dithmarschen eine Frau um 1524/25 für einen zum Tode verurteilten, evangelischen Prediger in aller Öffentlichkeit eingesetzt hatte, da ihrer Meinung nach noch keine rechtmäßige Gerichtsverhandlung stattgefunden hätte, wurde sie, ohne Gnade für den Unglücklichen bewirken zu können, von der aufgebrachten Menge niedergeschlagen.
Aber die Reaktion auf Argulas Protest war seitens der Universität und des Herzogs das große Schweigen. Keiner der Gelehrten und auch nicht Wilhelm IV. hielten es für nötig, sich einer Frau gegenüber zu rechtfertigen. Im Gegenteil, ohne sich mit Argulas Argumenten und Vorwürfen auseinandergesetzt zu haben, bestrafte der Herzog - in Absprache mit der Universität - ihren Gatten, indem er Friedrich von Grumbach wegen des Einsatzes seiner Frau für einen "Ketzer" im Jahr 1524 seines Amtes als Pfleger von Dietfurt enthob. Die letzten fünf Jahre ihrer Ehe müssen für Argula nicht besonders leicht gewesen sein. Die Wut ihres Mannes, der selbst Katholik war und der nur wegen der Äußerungen seiner Frau sein hochbezahltes Amt verloren hatte, ist verständlich.
Auch Argulas Verwandte bekamen es mit der Angst zu tun. Was konnte der Herzog von ihnen wegen der ungehorsamen Argula nicht alles zurückfordern? So nahmen auch der Druck und die Drohungen seitens der Verwandtschaft zu. Ein Cousin ihrer Mutter, Adam von Törring, ließ Friedrich von Grumbach wissen, dass, wenn er gegen seine Frau nichts unternehme, die Verwandtschaft etwas gegen Argula tun müsse. So planten sie unter anderem, sie zu "vermauern", d.h. Einzusperren.
Sie verfasste weitere Flugschriften unter dem Pseudonym Argula von Stauff. Schriften zur Vertei­digung der lutherischen Lehre; ihre acht Werke erreichten eine Auflage von 30.000 Exemplaren.
Stolz konnte Argula jedoch sein, dass Martin Luther ihren Einsatz für den jungen Magister nicht nur guthieß, sondern seinem Freund, dem Königsberger Prediger Johannes Briesmann, im Februar 1524 folgendes über sie schrieb:

"Der Herzog von Bayern wütet über die Maßen, mit aller Macht das Evangelium zu unterdrücken und zu verfolgen. Die edle Frau Argula von Stauff kämpft in jenem Land schon einen großen Kampf mit hohem Geist und erfüllt von dem Wort und der Erkenntnis Christi. Sie ist es wert, dass wir alle für sie bitten, dass Christus in ihr triumphiere. Sie ist ein besonderes Werkzeug Christi, ich befehle sie Dir, damit Christus durch dieses schwache Gefäß jene Mächtigen, die sich ihrer eigenen Weisheit rühmen, in Verwirrung bringe."
(in: Maria Heinsius, ebenda, S. 134).

Hatte doch Martin Luther noch 1516 über predigende Frauen dieses verlauten lassen:

"Was Gott den Männern befohlen hat, nämlich Gottesdienst, Priestertum und Gottes Wort, das befiehlt der böse Feind den Weibern, sie sind seine Priester, und füllt alle Lande mit unzähligem Aberglauben, Segen und Geheimmitteln."
(in: Alice Zimmerli-Witschi: Frauen in der Reformationszeit, Zürich 1981, S. 170)

Argula, die im Spätherbst 1523 noch den Reichstag in Nürnberg besucht hatte, auf dem unter anderem die Religionsfrage beraten werden sollte, griff nur noch einmal 1524 in Regensburg durch ein Schreiben in den Kampf um den Protestantismus ein. Aufgrund eines kaiserlichen Ediktes sollte die evangelische Predigt hier fortan unterdrückt werden. Argula ermahnte in ihrem Brief den Bürgermeister und die Ratsherren am neuen Glauben festzuhalten:
"Liebe Brüder, seid eingedenk, dass Euch Gott zu Hütern und Aufsehern gesetzt hat, nehmet wahr der Seelen in Eurem Gebiet, nicht mit Gold oder Silber erkauft, sondern mit einem teuren Wert des rosenfarbenen Bluts des Herrn Christus. Es ist Zeit aufzustehen vom Schlaf; denn unser Heil ist näher, denn da wir gläubig wurden. Laßt uns ritterlich wider die Feinde Gottes kämpfen, er wird sie erschlagen mit dem Hauch seines Mundes. Das Wort Gottes muß unser Waffen sein - nicht mit Waffen dreinzuschlagen, sondern den Nächsten zu lieben und den Fried untereinander zu haben. Das ist die Ursach, dass ich hab gewagt, Euer Lieben zu schreiben und zu ermahnen. Es ist Zeit, dass die Steine bei uns schreien."
(in: Maria Heinsius, ebenda, S. 151-152).

Nach diesem letzten Schreiben wurde es ruhig um Argula. Als im Jahre 1527 die ersten Scheiterhaufen in Bayern brannten, zog sie es vor, im protestantischen Nürnberg zu leben.
Mit den Reformatoren aus Wittenberg stand sie immer noch in engem Kontakt. Im Dezember 1529 schickte sie ihren ältesten Sohn Georg zu Melanchthon, in dessen Haus er während seiner Studienzeit Kost und Logis erhielt.
1530, ein Jahr nach dem Tode ihres Mannes, kam es schließlich zur persönlichen Begegnung zwischen Argula und Martin Luther. Dieser weilte nämlich während des Augsburger Reichstages auf der Veste Coburg, die von Argulas neuem Zuhause nicht weit entfernt lag.
1533 heiratete sie einen Protestanten, den Grafen Schlick von Passau (oder Passaun), der aus einem Adelsgeschlecht in Böhmen stammte. Jedoch schon ein Jahr später wurde sie erneut Witwe. 1539 starben ihre Tochter Apollonia und ihr ältester Sohn Georg, der sich in Leipzig befand, wo er seine juristischen Studien beenden wollte. 1544 verschied auch ihr zweiter Sohn Hans Georg. Laut Irmgard Prommersberger, die sich seit Jahren intensiv mit der Geschichte der Familie Stauff beschäftigt, Argulas Erdentage endeten schließlich am 23. Juni 1554. Sie verstarb im Schloss Zeilitzheim bei Schweinfurt. Nur ein Sohn überlebte seine Mutter.
Andere Quellen berichten, dass eine von Stauff 1563 in Straubing verhaftet wurde, weil sie Menschen vom rechten Katholischen Glauben abgehalten habe. Diese Haftstrafe musste Sie aber nicht antreten, denn zu diesem Zeitpunkt war sie schon über 71 Jahre alt.
Für die Kirchengeschichte selbst wäre die Zulassung von predigenden und seelsorgerischen Frauen, die wie Margareta Blarer (+ 1541), Katharina Schütz (+ 1562), der Gattin des Geistlichen Matthäus Zell (+ 1548) und Argula von Stauff stets für Toleranz und Nächstenliebe auch beim Andersdenkenden eintraten, ein großer Gewinn gewesen. Die vielen, noch folgenden, blutigen Glaubenskämpfe wie der Dreißigjährige Krieg von 1618-1648 hätten durch sie vielleicht verhindert werden können. Mit Luther und Calvin, die die Unterordnung der Frauen für gottgewollt hielten, dominierte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wieder die patriarchalische Familienstruktur, in der die Frau zu schweigen hatte. Zu dieser Zeit verlor das weibliche Geschlecht in der Ablegung des Mädchennamens nach der Heirat auch noch das letzte Stück an Persönlichkeit.

© Renate Senftleben, 2011