das Kirchenjahr

5. Sonntag nach Trinitatis

Nachfolge

Predigtbeispiele

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Zu den Perikopen

Predigtvorschläge zu Reihe III - 1. Kor 1, 18-25

Die nachfolgende Predigt wurde an einem Tag gehalten, an dem auf dem Kirchplatz ein großes weltliches Fest (Domfest) veranstaltet wurde, das in Zusammenhang mit dem Patrozinium der Kirche steht und in seinen Ursprüngen durchaus geistlich (Wallfahrt) verstanden wurde.

Liebe Gemeinde!

Während draußen vor dem Dom die Stände aufgebaut werden und wohl auch schon einige Besucher eintreffen, feiern wir hier Gottesdienst. Ich will nicht darüber klagen, dass viele der Menschen,. die heute hierher kommen, nicht am Gottesdienst teilnehmen. Aber ich will ein paar Gedanken dazu äußern, warum wir Gottesdienst feiern.
Ein Grund ist offensichtlich: es ist Sonntag. Es ist der Tag der Auferstehung Jesu. Wir feiern den Gottesdienst am Morgen, weil das die Zeit der Auferstehung ist.
Das stimmt zwar nur ansatzweise, denn das geschah ja frühmorgens, als die Sonne aufging – da müssten wir deutlich früher mit dem Gottesdienst beginnen. Aber dann wäre die Kirche sicher leer.
Für viele Menschen ist aber auch die Zeit, zu der der Gottesdienst heute beginnt, äußerst ungünstig – 10 Uhr ist immer noch zu früh, da schläft man noch, oder da der Sonntag einer von zwei arbeitsfreien Tagen ist, hat man was anderes vor und will sich nicht vom Gottesdienstbesuch den Tag kaputt machen lassen.
Ein weiterer Grund, um Gottesdienst zu feiern ist der: Gott hat so große Dinge an uns getan, dass wir schlicht dankbar sind und diese Dankbarkeit auch zum Ausdruck bringen wollen. Das, was andere für selbstverständlich hinnehmen, ist für uns alles andere als selbstverständlich: wir empfangen unser Leben und alles, was wir haben, aus der Hand Gottes, ganz so wie es in dem bekannten Lied von Matthias Claudius zum Ausdruck gebracht wird:
Alle gute Gabe kommt her von Gott, dem Herrn,
drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt,
und hofft auf ihn.
(EG 508)

Zu solchem Dank kann eigentlich keine Zeit falsch oder ungünstig sein.
Nun haben wir gerade einen Text gehört, bei dem es um die Taten Gottes, genauer um die Erlösungstat Gottes, geht. Es geht um das Kreuz.
Das Kreuz ist ein wichtiges Symbol für uns, es gehört zur christlichen Kultur dazu, und es wird auch mitunter als Symbol für das sogenannte „Abendland“ verwendet.
Als vor 500 und mehr Jahren die Menschen am Peter-und-Paul-Tag hierher kamen, um an diesem besonderen Tag den Segen Gottes und die gewisse Zusage der Sündenvergebung zu empfangen, da wurde das Kreuz oft vorneweg getragen. Es war sichtbares Symbol der Tatsache, dass dies ein Weg der Buße ist, der Umkehr.
Ich will dabei bewusst nicht auf den Missbrauch durch den Ablasshandel eingehen, sondern stelle mir vor, welche Not die Menschen damals empfanden. Manche Sünde war ihnen bewusst, die schwer auf ihnen lastete, und nun suchten sie die Vergebung.
Das Kreuz rief ihnen gewissermaßen zu: euch sind eure Sünden vergeben! Aber das alleine genügte nicht. Es musste ihnen auch zugesprochen werden aus berufenem Munde, von den Priestern, die hier in dieser Kirche ihren Dienst versahen.
Der Peter-und-Paul-Tag war für sie gewissermaßen ein Garant, dass diese Zusage der Vergebung auch gültig sein würde. Immerhin galten und gelten Petrus und Paulus als die größten Apostel.
Zugleich hat man das Kreuz auch als Schutzwall angesehen. Es sollte böse Kräfte abwehren und vor Unfall und Krankheit schützen. Sterbenden wurde es in die Hand gelegt, um damit die bösen Mächte, die möglicherweise nach dem Tod auf sie warteten, abwehren zu können. In allen Häusern hingen Kreuze, um den Schutz und Segen Gottes zu sichern.
Diese Schutzwirkung des Kreuzes erwarten viele wohl heute noch. Viele Menschen tragen ein Kreuz am Hals – auch solche, die gar nicht der Kirche angehören. Es wird wie ein Talisman getragen.
Es fing schon vor rund 1700 Jahren an. Das Kreuz war für den Kaiser Konstantin das Zeichen des Sieges – und zwar des Sieges über seine Feinde. Der Erfolg im Krieg unter dem Zeichen des Kreuzes machte ihn zu einem Verbündeten der Christen, obwohl er sich erst kurz vor seinem Tod taufen ließ. Das Kreuz war für ihn ein Zeichen des Beistandes Gottes, was sich bis heute durchgetragen hat.
In den Kirchen finden wir das Kreuz nur als Symbol dafür, dass hier ein Ort ist, an dem sich Christen zum Gebet und Gotteslob versammeln.

Und so ist es auch gemeint. Das Kreuz ist ein Erkennungszeichen. Es bietet keinen besonderen Schutz nur durch seine Existenz in irgendeinem Raum, oder wenn es einem um den Hals hängt. Es ist ein Symbol, das darauf hinweist, woran wir glauben, wohin wir gehören.

Aber zunächst gilt es, sich bewusst zu machen, wofür das Kreuz an sich steht. Wir finden es häufig an Stellen wieder, zu denen es am ehesten passt: auf Grabsteinen und Todesanzeigen. Denn das Kreuz ist ein Symbol des Todes. Es erinnert uns an das Leiden und Sterben von Jesus Christus. Es erinnert uns an einen grausamen, qualvollen Tod.
Wir hängen oder stellen also ein Symbol des Todes in unsere Räume, wir schmücken uns mit diesem Symbol des Todes. Glauben wir Christen also an den Tod?
So haben wohl viele Zeitgenossen des Paulus gedacht, und das denken auch viele unserer Zeitgenossen. Aber wir glauben nicht an den Tod, im Gegenteil: wir glauben an das Leben! Denn Christus ist ja nicht tot geblieben – er wurde von den Toten auferweckt, das Kreuz war gewissermaßen nur das Tor zum ewigen Leben, es war das Werkzeug zur Überwindung des Todes.
Dieses Zeichen des Kreuzes, das Symbol des Todes, verdeutlicht also unseren Glauben an das Leben. Aber das tut es nur für den, der diese Tatsache auch im Glauben angenommen hat.

„Ohne Kreuz keine Krone“, steht über dem Tor der Großen Kreuzkirche in Hermannsburg. Das Leben, die Freude, der Erfolg fallen uns nicht in den Schoß, sie können nur durch Leiden gewonnen werden, will dieser Spruch sagen.
Dabei war, als diese Worte dort aufgeschrieben wurden, vor allem die Mission im Blick: Man wollte vielen Menschen in der weiten Welt das Evangelium predigen, und man wusste, dass dies nicht ohne Leid geschehen würde.
So zogen viele Missionare aus, die mit ihren Frauen nie wieder in ihre Heimat zurückkehren sollten – sie starben dort, wo sie ihren Dienst versahen, an den Krankheiten, die die tropischen Verhältnisse mit sich brachten, oft nachdem viele ihrer Kinder schon an diesen Krankheiten gestorben waren.
Ohne Kreuz keine Krone: das Leiden gehört zum Leben eines Menschen dazu, es ist der Weg zu dem Leben, das keinen Schmerz mehr kennt, keine Trauer, kein Leid.
Es war das Kreuz, das die Missionare veranlasste, ihr Kreuz auf sich zu nehmen.

Ein Weiteres wird in dem Kreuz sichtbar, und das ist das Eigentliche, Wesentliche, warum es zum zentralen Symbol der Christenheit geworden ist. Das Kreuz ist ein Symbol der Liebe.
Es ist Symbol der Liebe Gottes, denn genau das hat sich am Kreuz ereignet: Liebe. Gott ließ seinen Sohn am Kreuz sterben, damit wir leben können. Er erleidet unseren Tod. Das ist Liebe.
Doch das ist schwer zu verstehen: wenn Gott liebt, wie kann er seinen Sohn töten? Wie kann er überhaupt töten? Müsste er nicht allen das Leben schenken?
Und noch weiter: Wenn Jesus Gottes Sohn ist, wie wir glauben, wie kann er dann am Kreuz sterben? Ist Gott nicht unsterblich? Was ist denn da überhaupt passiert, am Kreuz?
Diese Fragen sind es, an denen Paulus mit unserem Predigttext ansetzt. Wer seinen Verstand gebraucht, muss eigentlich sagen: die Christen spinnen. Was für ein Gott ist das, der sich töten lässt? Oder anders: Wie kann man an einen Gott glauben, der getötet werden kann? Das ist doch völlig absurd und abwegig! Solch ein Gott ist doch ein Schwächling, er hat nichts von Allmacht an sich! Er hat sich selbst aufgegeben, er ist völlig unbedeutend.
Es ist eine Torheit, an einen solchen Gott zu glauben.
Denn Gott hat ganz wesentliche Eigenschaften aufgegeben, als er sich der Menschheit in der Person Jesus Christus offenbarte. Gott wurde Mensch. Eine Unmöglichkeit wird möglich, weil Gott, der Allmächtige, es so wollte – durch seine Allmacht konnte er diese Allmacht aufgeben. Es war sein Wille – und das macht es für manche so unbegreiflich.
Gott wurde verwundbar, weil er wusste, dass er die Menschen nur durch einen sichtbaren Beweis seiner Liebe wieder gewinnen kann. Also kam er und predigte die Liebe, er kam und trat für die Liebe ein, bis die machthungrigen und selbstgerechten Menschen sich dazu entschlossen, ihn zu töten.
Ja, es ist merkwürdig und kaum vorstellbar. Gott wird Mensch: so etwas gibt es sonst eigentlich nur noch im Hinduismus. Und da bleibt Gott, was er ist: Gott. Er kann nicht getötet werden. Er ist unsterblich. Er maskiert sich höchstens, damit er als Mensch seinen Spaß haben kann unter den Menschen, oder auch, um den Menschen zu zeigen, was sie besser machen können. Aber nach einer Zeit kehrt er wieder in seinen göttlichen Zustand zurück.
Bei uns Christen ist das anders: Christus ist nicht nur zu Besuch da gewesen. Er hat vielmehr durchgesetzt, wozu kein Mensch fähig sein könnte. Er ist konsequent den Weg der Liebe gegangen, ohne Selbstsucht, ohne Habgier, ohne irgendeinen Hintergedanken. Er opferte sich selbst, um das Heilswerk Gottes zu vollenden.

Das Kreuz ist also das entscheidende Symbol der Liebe Gottes. Und das ist etwas, woran sich viele ärgern. Sie können und wollen es nicht einsehen, weil das Kreuz eigentlich für Schwachheit und Versagen steht, zwei Dinge, die nichts Göttliches an sich haben.
Auch uns fällt es manchmal schwer, das zu verstehen. Denn wenn Gott die Menschen liebt, wenn er sie so sehr liebt, dass er bereit ist,. seinen eigenen Sohn zu opfern, dann müsste er doch auch alles tun, um dem Elend in dieser Welt ein Ende zu bereiten.

Nun, Gott stirbt aus Liebe zu uns, denn er weiß, dass es nur dann zu einer wahren Verwandlung der Herzen kommen kann. Erst wenn die Menschen aus eigener Erkenntnis heraus umkehren und Jesus Christus auf dem Weg der Liebe nachfolgen, kann wirklich eine Veränderung eintreten. Wir wären nicht besser als Marionetten, wenn er dazwischenfahren würde, um Ungerechtigkeit und Krieg zu unterbinden. Und wer weiß, was dabei unterm Strich rauskäme? Vielleicht wäre die Welt dann doch nicht so, wie wir sie uns vorstellen und wünschen.
Gott fährt nicht dazwischen, weil er uns zur Verantwortung zieht. Als freie Menschen haben wir auch die Aufgabe und Verantwortung, uns zu entscheiden, welchen Weg wir gehen wollen. Gott stellt uns durch das Kreuz vor die Wahl. Er hat uns einen gangbaren Weg gezeigt, der allerdings durchaus unvernünftig erscheint.
Denn der Weg der Liebe ist kein leichter Weg, das ist ganz deutlich. Und dennoch versuchen viele, ihn zu gehen. Denn wenn wir das Kreuz betrachten, wenn wir das, was sich dort ereignet hat, im Glauben annehmen, dann müssen wir ja erfüllt werden von Dankbarkeit für diese große Liebe, die Gott uns bewiesen hat.
Wir werden natürlich auch erkennen, dass die Liebe nicht nur uns gilt, sondern allen Menschen, und so wird der erste Schritt auf unserem Weg der sein, in unseren Mitmenschen einen Geliebten Gottes zu erkennen.
Es spielt dabei zunächst keine Rolle, ob jener Mensch sich selbst so sieht. Es genügt, wenn wir es tun und ihm auf diese Weise zeigen, dass da mehr ist als der kleine, enge, begrenzte Raum, in dem wir uns in der Regel bewegen.
Auf diese Weise beginnen wir, die Welt zu ändern, sie zu verwandeln. Wenn wir uns bemühen, konsequent in der Liebe zu bleiben, wenn wir versuchen, treu zu bleiben in der Liebe, dann kann es die Menschen um uns herum ja nicht kalt lassen. Auch sie müssen sich von dem Feuer der Liebe entzünden lassen.

Auch darin wird etwas deutlich von der Torheit des Kreuzes. Denn das bisschen, was wir tun können, wird verstärkt durch die Kraft Gottes. Lass Dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. (2. Kor 12, 9) Die kleine Kraft, die wir haben – je geringer sie ist, um so besser. Denn dann müssen wir der Kraft Gottes Raum geben, sie muss in und durch uns wirksam werden.
Die erste und vordringlichste Frage eines Christenmenschen sollte sein:: Wo kann Gott mich gebrauchen? Mit dem bisschen, was ich habe, bin ich bereit, mich gebrauchen zu lassen. So wie Maria damals sagte: „Siehe, ich bin des Herrn Magd. Mir geschehe, wie du gesagt hast.“ (Lk 1, 38)

Gottes Kraft wird in den Schwachen mächtig: nicht, damit sie stark werden. Unsere Schwachheit gibt vielmehr der Macht Gottes Raum. Wir sind, so könnte man sagen, wie ein Wasserschlauch, der Wasser befördert, das dann die Pflanzen bewässert, damit sie wachsen können. Wir sind nur der Schlauch, das Wasser ist der Segen Gottes.
Vielleicht haben Sie es auch schon mal selbst erlebt, dass die Begegnung mit einem Menschen, vielleicht einem wildfremden Menschen sogar, Ihr Leben verändert hat. Irgendetwas, was dieser Mensch getan hat, hat sie angerührt, und in der Folge dessen haben Sie Entscheidungen getroffen, die sie sonst vielleicht nie getroffen hätten. Vermutlich ist es diesem Menschen gar nicht bewusst geworden, aber für Sie war diese Begegnung ein Schlüsselerlebnis. Ist es nicht vorstellbar, dass Gott da am Werk war?
Und so können auch wir Werkzeuge Gottes werden, vielleicht sogar ohne dass wir es bemerken.

Heute ist ein guter Tag, sich erneut bewusst zu machen, dass wir vom Kreuz her unser Leben empfangen. Lasst uns also das Wort vom Kreuz in die Welt hinaus tragen, lasst es uns allen Menschen mitteilen, diese Torheit, diesen Widerspruch: Gott wird im Schwachen stark. Seine Liebe wird deutlich in der Ohnmacht. Sein Kreuz beweist, dass die Verwandlung nicht durch Heer oder Macht, sondern durch Liebe geschehen kann und wird.
Lassen wir uns darauf ein, gehen wir den Weg der Liebe.
Amen

oder
Liebe Gemeinde!
Das Kreuz – was ist das eigentlich?
Das Kreuz ist ein wichtiges Symbol für uns, es markiert uns als Christen. Wer sich unter das Kreuz stellt, kann sich sicher fühlen, denn der Beistand Gottes ist ihm gewiss.
Darum hat das Kreuz auch eine gewisse magische Aura bekommen. Manche hängen es sich in der Wohnung an die Wand, weil sie glauben, so den Schutz Gottes zu genießen. Andere tragen es am Hals aus dem gleichen Grund.
Wir finden es in jeder Kirche, dort gehört es selbstverständlich hin. Nicht als Schutz, sondern als Symbol dafür, dass hier ein Ort ist, an dem sich Christen versammeln.
Das Kreuz hat verschiedene Gestalt, manchmal mit, manchmal ohne den Körper Jesu.
Das Kreuz ist ein Erkennungszeichen. Allerdings kein magisches. Es bietet keinen besonderen Schutz nur durch seine Existenz in irgendeinem Raum, oder wenn es einem um den Hals hängt. Es ist ein Symbol, das darauf hinweist, woran wir glauben, wohin wir gehören.
Aber wenn das so ist, dann sollte man überlegen, wofür dieses Symbol eigentlich steht. Wir finden es auch an Stellen wieder, zu denen es am ehesten passt: auf Grabsteinen und Todesanzeigen. Denn das Kreuz ist ein Symbol des Todes. Es erinnert uns an das Leiden und Sterben von Jesus Christus. Es erinnert uns an einen grausamen, qualvollen Tod.
Wir hängen also ein Symbol des Todes in unsere Räume, wir schmücken uns mit diesem Symbol des Todes. Glauben wir etwa an den Tod?
Bestimmt nicht! Im Gegenteil: wir glauben an das Leben! Denn Christus ist ja nicht tot geblieben – er wurde von den Toten auferweckt, das Kreuz war gewissermaßen nur das Tor zum ewigen Leben, das den Tod nicht mehr kennt.
Dennoch, so absurd es ist, eben dieses Zeichen des Kreuzes, das Symbol des Todes, verdeutlicht unseren Glauben an das Leben – aber eigentlich doch nur für den, der diese Tatsache im Glauben angenommen hat.
„Ohne Kreuz keine Krone“, steht über dem Tor der Großen Kreuzkirche in Hermannsburg. Das Leben, die Freude, der Erfolg fallen uns nicht in den Schoß, sie können nur durch Leiden gewonnen werden.
Dabei war, als diese Worte dort aufgeschrieben wurden, vor allem die Mission im Blick: Man wollte vielen Menschen in der weiten Welt das Evangelium predigen, und man wusste, dass dies nicht ohne Leid geschehen würde.
So zogen viele Missionare aus, die mit ihren Frauen nie wieder in ihre Heimat zurückkehren sollten – sie starben an den Krankheiten, die die tropischen Verhältnisse mit sich brachten, oft nachdem viele ihrer Kinder schon an diesen Krankheiten gestorben waren.
Ohne Kreuz keine Krone: das Leiden gehört zum Leben eines Menschen dazu, es ist der Weg zu dem Leben, das keinen Schmerz mehr kennt, keine Trauer, kein Leid.
Es war das Kreuz, das sie veranlasste, ihr Kreuz auf sich zu nehmen.
Das ist doch eigentlich ein Widerspruch, ja, es klingt verrückt. Das Kreuz, das Zeichen des Todes, kann doch nicht dazu motivieren, das Risiko des Todes auf sich zu nehmen.
Wir haben bisher das Wichtigste, wofür das Kreuz steht, nicht genannt. Es ist die Liebe.
Das Kreuz steht für die Liebe Gottes, es ist Symbol der Liebe Gottes, denn genau das hat sich am Kreuz ereignet: Liebe. Gott ließ seinen Sohn am Kreuz sterben, damit wir leben können. Hier kommt die Verbindung zwischen Tod und Leben zustande, hier, am Kreuz Jesu Christi, in der Liebe Gottes.
Doch das ist schwer zu verstehen: wenn Gott liebt, wie kann er seinen Sohn töten? Wie kann er überhaupt töten? Müsste er nicht allen das Leben schenken?
Und noch weiter: Wenn Jesus Gottes Sohn ist, wie wir glauben, wie kann er dann am Kreuz sterben? Ist Gott nicht unsterblich? Was ist denn da überhaupt passiert, am Kreuz?
Diese Fragen sind es, an denen Paulus mit unserem Predigttext ansetzt. Wer seinen Verstand gebraucht, muss eigentlich sagen: die Christen spinnen. Was für ein Gott ist das, der sich töten lässt? Oder anders: Wie kann man an einen Gott glauben, der getötet werden kann? Das ist doch völlig absurd und abwegig! Solch ein Gott ist doch ein Schwächling, niemals allmächtig! Er hat sich selbst aufgegeben, er ist völlig irrelevant.
Diese Kritik ist übrigens der Grund, warum Juden und Muslime es ablehnen, in Jesus den Sohn Gottes zu sehen. Sie können und wollen es nicht wahr haben, dass Gott getötet werden kann.
Es ist eine Torheit, an einen solchen Gott zu glauben, der sich töten lässt. Wo bleibt denn seine Allmacht?
Gott hat ganz zentrale Eigenschaften aufgegeben, als er sich der Menschheit in der Person Jesus Christus offenbarte. Gott wurde Mensch. Eine Unmöglichkeit wird möglich, weil Gott, der Allmächtige, es so wollte – durch seine Allmacht konnte er diese Allmacht aufgeben.
Es war sein Wille – und das macht es für manche so unbegreiflich.
Gott wurde verwundbar, weil er wusste, dass er die Menschen nur durch einen sichtbaren Beweis seiner Liebe wieder gewinnen kann. Also kam er und predigte die Liebe, er kam und trat für die Liebe ein, bis die machthungrigen und selbstgerechten Menschen sich dazu entschlossen, ihn zu töten.
Ja, es ist merkwürdig und kaum vorstellbar. Gott wird Mensch: so etwas gibt es sonst eigentlich nur noch im Hinduismus. Und da bleibt Gott, was er ist: Gott. Er kann nicht getötet werden. Er ist unsterblich. Er maskiert sich höchstens, damit er als Mensch seinen Spaß haben kann unter den Menschen, oder auch, um den Menschen zu zeigen, was sie besser machen können. Aber nach einer Zeit kehrt er wieder in seinen göttlichen Zustand zurück.
Bei uns ist das anders: Christus ist nicht nur zu Besuch da gewesen. Er hat vielmehr durchgesetzt, wozu kein Mensch fähig sein könnte. Er ist konsequent den Weg der Liebe gegangen, ohne Selbstsucht, ohne Habgier, ohne irgendeinen Hintergedanken.
Das Kreuz als entscheidendes Symbol der Liebe Gottes: das ist etwas, woran sich viele ärgern. Sie können es nicht einsehen – und auch wir können es oft nicht einsehen. Denn wenn Gott die Menschen liebt, wenn er sie so sehr liebt, dann muss er doch auch eingreifen, um das Elend in dieser Welt, um die Not so vieler unschuldiger Menschen zu lindern und die Situation aller zu verbessern.
Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit – wenn man nicht bereit ist, im Kreuz anstelle des Symbols für Leid und Tod das Symbol der Liebe zu sehen.
Gott stirbt aus Liebe zu uns, denn Gott weiß, dass es nur dann zu einer echten Verwandlung der Herzen kommen kann, wenn die Menschen aus eigener Erkenntnis umkehren und Jesus Christus auf dem Weg der Liebe nachfolgen. Es wäre vergebliche Liebesmüh, wenn er dazwischenfahren würde, um Ungerechtigkeit und Krieg zu unterbinden. Dieses Eingreifen würde vielleicht für eine kleine Weile die Situation verbessern, aber wie lange würde es dauern, bis alles wäre wieder beim Alten wäre?
Gott fährt nicht dazwischen, weil er uns zur Verantwortung zieht. Als freie Menschen haben wir das Recht, uns zu entscheiden, und Gott stellt uns durch das Kreuz vor die Wahl.
Der Weg der Liebe ist kein leichter Weg, das ist uns durch das Kreuz Jesu ganz deutlich geworden. Und dennoch versuchen viele, ihn zu gehen. Denn wenn wir das Kreuz betrachten, wenn wir das, was sich dort ereignet hat, im Glauben annehmen, dann müssen wir ja erfüllt werden von Dankbarkeit für diese große Liebe, die Gott uns bewiesen hat. Wir machen uns auf, weil wir nicht anders können, denn Gott hat uns mit seiner Liebe überwältigt. Das wollen wir weiter geben. Und so begeben wir uns auf den Weg der Liebe.
Auf der anderen Seite regen sich Zweifel: was können wir schon erreichen? Was können wir mit unserer kleinen Kraft tun? Auf uns hört doch niemand? Was wir tun, ist doch ebenso vergebliche Liebesmüh. Es ändert sich ja doch nichts.
Und doch ändert sich was. Wenn wir uns bemühen, konsequent in der Liebe zu bleiben, wenn wir versuchen, treu zu bleiben in der Liebe, dann kann es die Menschen um uns herum ja nicht kalt lassen. Auch sie müssen sich von dem Feuer der Liebe entzünden lassen.
Außerdem: Auch hierin wird etwas deutlich von der Torheit des Kreuzes. Denn das bisschen, was wir tun können, wird verstärkt durch die Kraft Gottes. Lass Dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Die kleine Kraft, die wir haben – je geringer sie ist, um so besser. Denn dann müssen wir der Kraft Gottes Raum geben, sie muss in uns wirksam werden, wenn wir selbst nichts mehr vermögen.
Die Frage lautet also eigentlich gar nicht: was kann ich schon ausrichten? Sie lautet viel mehr: wo kann Gott mich einsetzen? Wo kann Gott mich gebrauchen? Mit dem bisschen, was ich habe, bin ich bereit, mich gebrauchen zu lassen. Und Gott kann die Welt verändern durch einen einzelnen Menschen. Er braucht dazu keine Heere, er braucht dazu keine Massen.
Gottes Kraft wird in den Schwachen mächtig: nicht, damit sie stark werden. Wir sind gewissermaßen nur der Kanal, durch den die Kraft Gottes fließt. So wie ein Wasserschlauch das Wasser befördert, das dann die Pflanzen bewässert, damit sie wachsen können. Gott wirkt durch uns auf manchmal unglaubliche Weise.
Sicher haben Sie es auch schon mal erlebt, dass die Begegnung mit einem Menschen, vielleicht einem wildfremden Menschen sogar, Ihr Leben verändert hat. Irgendetwas, was dieser Mensch getan hat, hat sie angerührt. Vielleicht ist es diesem Menschen gar nicht bewusst geworden, aber für Sie war diese Begegnung ein Schlüsselerlebnis. Ist es nicht vorstellbar, dass Gott da am Werk war?
Gottes Kraft: sie wird nur dann spürbar und wirksam, wenn wir bereit sind, uns selbst ganz hintan zu stellen und seine Macht in uns wirksam werden zu lassen.
Lasst uns das Wort vom Kreuz in die Welt hinaus tragen, lasst es uns allen Menschen mitteilen, diese Torheit, diesen Widerspruch: Gott wird im Schwachen stark. Seine Liebe wird deutlich in der Ohnmacht. Sein Kreuz beweist, dass die Verwandlung nicht durch Heer oder Macht, sondern durch Liebe geschehen kann.
Lassen wir uns darauf ein, gehen wir den Weg der Liebe.
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
Wenn meine Sünd mich kränken (EG 82)
Allein auf Gottes Wort (EG 195)
Wie herrlich gibst du, Herr, dich zu erkennen (EG 271)
Mir ist Erbarmung widerfahren (EG 355)
Lasset uns mit Jesus ziehen (EG 384)


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Predigtvorschläge zu Reihe IV - Gen 12, 1-4a

Liebe Gemeinde!
„Ilse Meyer, pack deine Sachen und mach dich auf den Weg! Großes wartet auf dich!”
Ilse Meyer ist verstört. Den Mann, der da vor ihr steht, hat sie noch nie gesehen. Eigentlich wollte sie nur mit den vollgepackten Einkaufstaschen möglichst schnell nach Hause, da stand er plötzlich vor ihr und versperrte ihr den Weg.
Sie versucht, an ihm vorbei zu gehen, aber als er den Weg nicht freigeben will, dreht sie sich um und beginnt, den Weg wieder zurück zu gehen, den sie gekommen war. Sie würde jetzt einen Umweg machen müssen, aber den Umweg nimmt sie unwillig in Kauf, weil ihr dieser Mann doch etwas unheimlich geworden ist.
Als sie sich von dem Mann entfernt, beginnt sie, leise vor sich hin zu schimpfen: „Was ist das denn für eine Art. Was will der eigentlich von mir? Ich kenne ihn doch gar nicht.”
Während ihr diese Gedanken durch den Kopf gehen, versucht sie, die Geräusche hinter sich wahrzunehmen. Wird er hinter ihr herlaufen? Oder sie rufen?
Aber es bleibt still. Erleichtert geht sie zügig weiter. Doch erst als sie um die Ecke gebogen ist, dreht sie sich noch einmal um. Niemand ist ihr gefolgt, so scheint es.
Eilig geht sie nun zu ihrer Wohnung. Es dauert 5 Minuten länger, weil sie einmal fast um den ganzen Block gehen muss.
Etwas Angst bleibt: immerhin kannte der Mann ihren Namen. Würde er vielleicht am Hauseingang auf sie warten?
Aber da ist niemand. Erleichtert holt sie den Schlüssel hervor und schließt die Tür auf. Die eine Treppe bis zu ihrer Wohnung ist schnell bewältigt. Als die Wohnungstür schließlich ins Schloss fällt, kann sie sich entspannen. Mit dem Rücken an die Eingangstür gelehnt, atmet sie tief durch.
Dann beginnt sie kopfschüttelnd, ihren Einkauf auszupacken. Was wollte der Mann von ihr? 'Pack deine Sachen und mach dich auf den Weg...', hatte er gesagt. Was für einen Weg denn? Wohin? Das hätte sie ihn vielleicht noch fragen sollen. Vielleicht hatte sie ja eine Reise bei einem Preisausschreiben gewonnen (sie machte nämlich bei jedem Preisausschreiben mit). Dann war dies vielleicht nur eine etwas skurrile Art des Veranstalters, ihr mitzuteilen, dass sie gewonnen hatte?
Na, dann würde der Mann ja sicher gleich klingeln. Und so wandelte sich die Angst in Spannung und, ja, auch in Hoffnung.
Aber: es rührte sich nichts. Ilse Meyer blieb allein.

Ganz ähnlich ging es einem Mann vor rund 4000 Jahren:
Der Herr sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.
Da zog Abram aus, wie der Herr zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm.
(Gen 12, 1-4a) Zugegeben, Gott sprach ein paar mehr Worte zu Abram als zu Ilse Meyer. Aber das Ansinnen ist doch ganz ähnlich: pack deine Sachen und mach dich auf den Weg. In ein Land, das ich dir zeigen will. Großes wartet auf dich – obwohl du selbst es gar nicht erleben wirst. Aber deine Nachkommen – sie werden es erleben.
Warum reagiert Abram nicht so wie Ilse Meyer? Ich denke mal, niemand unter uns würde wie Abram sich einfach auf den Weg machen, weil da irgend jemand ihm sagt: mach dich auf, verlasse deine Heimat, dein Vaterland, deine Sippe, und geh in ein neues Land, das du nicht kennst.
Aber es ist ja auch nicht irgend jemand. Es ist der Herr, der Gott, den das Gottesvolk später Jahwe nennen wird, der „Ich bin da”.
Aber wusste Abram das? Wohl kaum. Mit diesen Versen beginnt die Geschichte des Gottesvolkes. Alles, was sich davor ereignete, versinkt in Dunkelheit. Allein die sogenannten Urgeschichten, die Erzählungen von der Schöpfung, vom Garten Eden, vom Sündenfall, von der Sintflut und vom Turmbau zu Babel sind davor aufgeschrieben.
Und dann beginnt die Geschichte des Gottes, der sich Menschen offenbart, und die Geschichte des Volkes, das sich von Gott immer wieder rufen lässt, ihm aber eben so oft untreu wird.
Wie offenbarte sich Gott, damals, dieses erste Mal? Hatte Abram einen Traum? Stand da plötzlich ein Mann vor ihm – so wie vor Ilse Meyer? Oder war da ein Verwandter, der ihm riet, sich möglichst bald von seiner Sippe zu entfernen, weil ihm Gefahr drohte? Man weiß ja nicht, wie das damals so ablief. Auch da gab es schon Erbstreitigkeiten.
Merkwürdig verschwommen erfahren wir von diesem Beginn des Gottesvolkes, und dabei ist doch alles so einfach, so klar – so wie bei Ilse Meyer. Ein paar Worte nur, die die Welt verändern können – wenn man auf sie hört.
Mach dich auf – geh den Weg, den ich dir zeigen werde.
Und welchen Weg zeigst du mir? Da sind so viele Wege...
Immer weniger Menschen können uns davon erzählen, wie sie damals, nach dem Krieg, gezwungen wurden, sich mit nur wenigen Habseligkeiten auf den Weg zu machen – ins Ungewisse. Viele haben diesen Weg nicht überlebt. Aber wer das erlebt und überlebt hat, wird eine Ahnung haben von dem, was hier von Abram erwartet wird.
Verlasse dein Vaterland – deine Heimat.
Warum wandte er sich nicht einfach ab? Warum versagte er dieser Aufforderung nicht den Gehorsam? War er vielleicht nur ein Abenteurer, der sich schon immer nach dem Neuen, Unbekannten gesehnt hatte? War es vielleicht seine eigene Stimme, die er da gehört hatte – seine Sehnsucht nach dem Abenteuer?
Aber warum sollte er die Geborgenheit und die Sicherheit der eigenen Sippe so einfach aufgeben? Und hätte er dann nicht alleine losziehen müssen, wenn er auf Abenteuer aus ist?
Nein, er nimmt seine Frau, Sarai, die Unfruchtbare, mit, und seinen Neffen, Lot. Außerdem nimmt er all seine Habe mit – Zelte, Mägde, Knechte, Vieh... es ist ein beachtlicher Tross. Nichts für einen Abenteurer. Hier wird ein Umzug geplant, ohne ein Ziel zu kennen.
Und außerdem: Abram ist 75 Jahre alt, wie wir wenig später erfahren. Auch damals war das schon ein ansehnliches Alter. Die Jahre waren nicht kürzer als zu unserer Zeit. Abram war, so kann man sagen, eine gesetzte Persönlichkeit, die eigentlich nichts mehr zu erwarten hatte als den Tod.
Und doch macht er sich auf, um etwas Neues zu beginnen, von dem er nicht weiß, was es ist.
Wir wissen, was aus diesem Aufbruch geworden ist, und es fällt uns darum nicht so sonderlich schwer, das Handeln des Abram zu verstehen. Für ihn jedoch war es ein Aufbruch ins Ungewisse, ein absolutes Wagnis – im Grunde war es eine Selbstaufgabe.
Der Ruf, der damals an Abram erging, war in seiner Konsequenz einmalig. Aus dem einen Menschen und seiner Frau wird, entgegen allem Anschein, ein großes Volk – das Volk Gottes, auf dem eine große Verheißung ruht.
So einmalig dieser Ruf in seiner Konsequenz ist, so ist er doch nicht der einzige. Immer wieder wird von solchem Ruf erzählt, z.B. bei den Propheten.
Der bekannteste Ruf in die Nachfolge Gottes ist wohl dieser:
Kommet her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.
Aber auch das schlichte „Folge mir nach!” aus Jesu Mund.
Unzählige Male ist dieser Ruf erklungen, nicht nur zur Zeit Jesu, sondern auch in den folgenden Jahrhunderten, bis heute.
Und manchen geht es da wohl wie der Ilse Meyer: sie verstehen nicht, worum es geht. Ist es denkbar, dass Gott einen einfachen Menschen, einen Arbeiter, eine Angestellte, eine Rentnerin so mir nichts, dir nichts, in seine Nachfolge ruft und ihnen damit eine besondere Aufgabe zuweist?
Natürlich ist das denkbar. Gott hat eine unscheinbare Frau dazu auserkoren, dass sie die Mutter seines Sohnes wird. Die Apostel waren Fischer oder einfache Arbeiter, einer war Zöllner. Warum sollte er nicht einen Arbeiter oder eine Angestellte oder eine Rentnerin dazu rufen, dass sie mit bauen an seinem Reich?
Denn wenn Gott ruft, dann geht es doch immer darum, dass wir ein Teil werden seines Plans.
Spannend ist, dass der Ruf so unverbindlich ist. Gott wirbt, indem er ein Versprechen gibt, aber es gibt keine Drohung etwa der Art: wenn du nicht folgst, wird es dir so und so ergehen. So wie bei Ilse Meyer bleibt es bei diesem einmaligen Ruf mit einer Verheißung, aber ohne Drohung. Und darum kann sich Ilse Meyer auch so einfach abwenden.
Wenn Abram sich damals nicht aufgemacht hätte, wäre die Bibel schon nach wenigen Seiten zu Ende. Und dann hätte sich wohl kaum jemand die Mühe gemacht, die Geschichte eines Abram aus Ur und dann Haran aufzuschreiben. Wozu auch?
Andererseits: wenn Abram sich nicht aufgemacht hätte, wäre der Ruf an einen anderen ergangen. Gott hätte ihn schon gefunden, den Menschen, der ihm vertraute, so wie Abram es tat – obwohl er keine Ahnung hatte, auf was und auf wen er sich da einließ.
Es braucht Mut, so wie damals die Fischer Mut brauchten, um ihre einzige Einnahmequelle zurück zu lassen und sich auf einen Weg ins Ungewisse zu machen.
Aber ist es nicht so: wenn Gott ruft, dann gibt es keine Reue. Immer wieder erleben die Gerufenen, wie er ihnen beisteht, wie er sie sicher auf ihrem Weg führt, wie er ihnen Kraft gibt in der Not.
Der „Ich bin da” macht seinem Namen alle Ehre. Und darum ist es gut, sich auf das Wagnis einzulassen. Denn auf dem Weg, den er uns weist, wird er sich uns immer auf#39;s Neue zeigen. Auch und vielleicht gerade dann, wenn wir das Gefühl haben, nicht wirklich nützlich sein zu können.
Gott gibt uns die Gaben, die wir brauchen, um auf seinem Weg bestehen zu können. Sein Geist ist mit uns. Von unserer Seite ist nur eines nötig: Glaube.
Sicher gibt es auch Scharlatane, die versuchen, das auszunutzen. Aber wenn wir sicher sein wollen, werden wir uns nicht bewegen. Darum gibt es noch eine Möglichkeit, den Glauben zu festigen und damit Vertrauen in die Weisung Gottes zu gewinnen: das Gebet.
Wenn wir einen Ruf hören, aber nicht sicher sind, ob es Gottes Ruf ist, dann können wir unsere Fragen und Zweifel vor Gott bringen. Er wird antworten, denn unser Herr Jesus Christus hat es uns versprochen, indem er sagte: suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Gott lässt uns nicht allein.
Amen


Liedvorschläge zur Predigt:
Der Herr ist mein getreuer Hirt (EG 274)
Singet dem Herrn ein neues Lied (EG 287)
Abraham, Abraham (EG 311)
Gott verspricht: ich will dich segnen (EG 348)
Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr (EG 382)
Vertraut den neuen Wegen (EG 395)
Führe mich, o Herr, und leite (EG 445, 5)


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Predigtvorschläge zu Reihe V - Joh 1, 35-51

Liebe Gemeinde,
Das Johannes-Evangelium unterscheidet sich stark von den anderen drei Evangelien. Es gibt nur wenige Übereinstimmungen, woraus man schließt, dass Johannes andere Quellen benutzt hat als die Evangelisten Markus, Matthäus und Lukas.
Dass es so viele Unterschiede gibt, ist aber nichts Schlimmes, eher im Gegenteil. Das Johannes-Evangelium hilft uns, noch andere Aspekte des Wirkens Jesu zu erkennen und zu verstehen.
Wir haben gerade gehört, wie die ersten Jünger in die Nachfolge Jesu gelangen, und das ist schon etwas merkwürdig.
Denn wir kennen ja sonst die Erzählungen: es sind immer Berufungen. Jesus geht auf einen Menschen zu und sagt zu ihm: folge mir nach.
Das ist eine klare Aussage. Man muss nichts tun, Jesus tut alles. Kein Nachdenken, kein Zweifeln, kein Überlegen. Es gibt nur ein Ja oder ein Nein.
Hier sieht das nun etwas anders aus. Da sind zunächst zwei Jünger (so nannte man die Schüler eines religiösen Lehrers)– aber sie folgen nicht Jesus, sondern Johannes dem Täufer. Sie glaubten an die Worte des Propheten, der auf Jesus hinwies – sie vertrauten auf die Taufe zur Vergebung der Sünde, wie sie Johannes der Täufer predigte und auch praktizierte.
Aus der Verkündigung des Johannes wussten sie, dass der Messias bald kommen würde, doch wann und wo, das wussten sie nicht. Und da sagt Johannes, als er Jesus sieht: siehe, das ist Gottes Lamm.
Das Ganze scheint fast beiläufig zu geschehen, und nur diese beiden bekommen es auch mit, wie es scheint.
Es ist ihre Initiative, die sie dazu bringt, hinter Jesus her zu gehen. Es ist wohl eher so etwas wie Neugier, was sie treibt. Vielleicht wissen sie noch nicht, was Johannes damit sagen wollte, als er die Worte „Siehe, das ist Gottes Lamm“ aussprach? Den Bezug zum Propheten Jesaja (Jes 53, 7) konnten sie wohl herstellen. Aber so eindeutig war das dann auch nicht. Jedenfalls macht so etwas neugierig – sie wollen wissen, wer Jesus ist, und wollen ihn darum erst nur beobachten.
Oder sie wissen, was diese Worte des Täufers bedeuten, und es ist Ehrfurcht, die sie nur im Abstand Jesus folgen lässt – Ehrfurcht vor dem Großen, was sie schon lange erwartet hatten und das nun endlich da ist.
Vielleicht ist es aber auch Zweifel, denn so großartig sieht Jesus ja wahrscheinlich nicht aus. Kann so einer wirklich der Messias sein? Lieber etwas Abstand halten, um nicht von einem falschen Propheten vereinnahmt zu werden.
Jedenfalls merkt Jesus, dass er beobachtet wird – noch scheint es ja keine Nachfolge zu sein. Er spricht sie an: „Was sucht ihr?“, und sie fragen nach seiner Herberge.
Sie wollen offensichtlich in seiner Nähe sein, und Jesus lässt sie gewähren. Kommt und seht, sagt er. Das ist der Ruf in die Nachfolge. Kommt und seht. Nicht: „folge mir nach“.
Kommt zu mir – schleicht nicht so weit weg hinter mir her. Es gibt keinen Grund, ehrfürchtig zu sein, und erst recht keinen, Angst zu haben. Kommt!
Und seht – das bezieht sich sicher nicht nur auf die Herberge, nach der die beiden Jünger fragen, sondern es bezieht sich auf alles, was sie suchen und wonach sie fragen.
Beides zusammen: Kommt und seht – legt nahe, dass in der Nähe Jesu alle Fragen beantwortet werden, die wir an unser Leben, vor allem aber auch an Gott haben.
Kommt und seht – beides gehört zusammen. Wir können nur Gottes Handeln verstehen, wenn wir seine Nähe suchen. Jesu Tür, wenn man so will, steht uns immer offen. Sie wurde geöffnet durch die Taufe, als Gott „Ja“ zu uns sagte und uns als seine Kinder annahm.
Was ich aus diesem Text mitnehme, ist dies: wir dürfen neugierig sein. Wir dürfen wissen wollen, was es mit Jesus auf sich hat.
Wie wir die Antwort finden, ist klar: „Kommt und seht“, das wird auch uns zugerufen. Das „kommt“ setzen wir um, indem wir beten, Gottes Wort lesen und darauf hören, oder wie heute miteinander Gottesdienst feiern.
Die Jünger waren damals den ganzen Tag über bei Jesus geblieben, hatten ihm wohl auch Fragen gestellt, und ihm zugehört. Sie haben sich Zeit genommen für ihn.
Was dann kam, scheint eigentlich völlig selbstverständlich, fast beiläufig wird es erzählt. Dabei ist es etwas ganz Außergewöhnliches. Andreas geht zu seinem Bruder Simon und sagt ihm: wir haben den Messias gefunden.
Kommt und seht: die beiden Jünger sind gekommen, und sie haben gesehen. Jetzt wissen sie es, es gibt keinen Zweifel: Jesus ist der Messias. Es reichte dazu die Nähe zu ihm, und ein paar Worte aus seinem Mund.
Mögen auch wir dies heute und alle Tage erfahren, wenn wir die Nähe Gottes suchen im Gebet, in der Bibellese, in der Stille oder auch im Gottesdienst, so wie heute.
Mögen wir sehen, dass der Heilige Gottes mitten unter uns ist.
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
O Lamm Gottes, unschuldig (EG 190.1)
Christe, du Lamm Gottes (EG 190.2)
Lamm Gottes (EG 190.3)
Siehe, das ist Gottes Lamm (EG 190.4 - Kanon)
Preis, Lob und Dank (EG 245)
Einer ist's, an dem wir hangen (EG 256)
Jesus, der zu den Fischern lief (EG 313)
Such, wer da will, ein ander Ziel (EG 346)
Lasset uns mit Jesus ziehen (EG 384)
Bei dir, Jesu, will ich bleiben (EG 406)
Einer ist unser Leben (KHW-EG 552)


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