das Kirchenjahr

Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr

Der nahende Herr*

Predigtbeispiele

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Zu den Perikopen

Predigtvorschläge zu Reihe V - Röm 8, 18-25

Liebe Gemeinde!
Paulus begibt sich auf ein Terrain, das nicht gerade leicht zu beackern ist. Die Kreatur, die Schöpfung, die Tiere auf dem Feld oder im Wald, die Vögel unter dem Himmel, die Fische im Meer, und eigentlich ja wohl auch die Pflanzen, stellt er mit seinen Worten nahezu auf die gleiche Stufe wie uns Menschen.
In gewisser Weise hat er damit auch Recht, nur fällt es uns etwas leichter, wenn wir es anders herum sehen: auch wir sind Geschöpfe Gottes, auch wir unterliegen einem Gesetz, das alle Geschöpfe betrifft: dem Gesetz der Vergänglichkeit. Paulus spricht sogar von der Knechtschaft der Vergänglichkeit.
Und ob uns tatsächlich so viel von den anderen Geschöpfen – wenigstens den Tieren – unterscheidet, scheint manchmal schon zweifelhaft.
„Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“, hat Johann Wolfgang von Goethe gesagt, „denn“, so seine Begründung, „das allein unterscheidet ihn von allen Wesen, die wir kennen.“
Und genau da hapert es ja schon manchmal, denn wie oft gibt es Situationen, in denen erkennbar wird, dass da nichts Edles ist, dass niemand hilfreich zur Hand geht, dass man von allem, nur nicht von gut, reden kann.
Dabei können vermutlich viele gar nichts mehr mit dem Begriff „edel“ anfangen. Man redet von edlem Schmuck, oder von edlem Aussehen, und meint damit eine besondere Ausstrahlung, die von dem Gegenstand oder der Person ausgeht. Man ist beeindruckt.
Goethe aber meinte mehr als allein das Erscheinungsbild. Für ihn ging es um eine innere Haltung, um den Edelmut, und damit ist so etwas wie Großzügigkeit und Wohltätigkeit gemeint. Menschen, die im Wohlstand leben, behalten diesen Wohlstand nicht für sich, sondern teilen ihn mit bedürftigen Menschen. Man ist auch bereit, Opfer zu bringen. Das ist Edelmut.
Dem entsprechen die beiden anderen Attribute, die Goethe dem Menschen beimisst: hilfreich und gut. Dabei muss man dafür nun nicht wohlhabend sein. Auch arme Menschen können anderen helfen, und gut sein können alle, ganz unabhängig von den wirtschaftlichen und körperlichen Gegebenheiten.
Das also unterscheidet uns von allen anderen Wesen, die wir kennen – von der Kreatur, wie Paulus sie nennt. Nur, dass das eben nicht automatisch der Fall ist. Goethe formuliert es als Forderung, oder gar nur als Wunsch. Er sagt nicht, dass der Mensch edel, hilfreich und gut ist, sondern dass er es sei. Er weiß also sehr wohl, dass wir Menschen immer wieder unsere Bestimmung verfehlen.
Das war sicher auch Paulus bewusst. Vielleicht hat er deswegen den Schritt gewagt, die Kreatur in Bausch und Bogen, also Mensch und Tier, auf eine Stufe zu stellen. Denn so viel besser als die Kreatur sind wir häufig dann doch nicht. Wir sind zwar zu Besserem fähig, aber das Gesetz des Dschungels, dass der Stärkere sich durchsetzt, ist uns auch heute nicht fremd.
Dazu kommt, dass uns die Vergänglichkeit genauso wie den übrigen Geschöpfen im Nacken sitzt. Nur dass wir die Vergänglichkeit viel deutlicher wahrnehmen, und uns darum paradoxerweise um so mehr vor ihr drücken wollen.
Wir klammern Alter und Tod nur allzu gerne aus unserem Leben aus. Das Leben soll nicht enden, dafür hat es zu viel zu bieten. Wir planen in eine Zukunft, die noch gar nicht existiert und für den ein oder anderen vielleicht auch nie existieren wird – zumindest nicht in dieser von der Vergänglichkeit gezeichneten Welt. Wir tun dies, weil wir nicht wahrhaben wollen, dass der Tod uns fest im Griff hat, dass er uns eine deutliche Grenze setzt.
Unsere Hoffnung ist dabei längst auf das Diesseits gerichtet. Es hat schon seinen Grund, warum die Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten stetig gestiegen ist. Wir achten auf unsere Ernährung, wir nutzen die Möglichkeiten, die sich in der Medizin entwickelt haben, und wir achten darauf, uns so wenig wie möglich schädlichen Umwelteinflüssen auszusetzen. Wir wollen so lange wie möglich, und dann natürlich auch bis zum letzten Atemzug, in geistiger und körperlicher Integrität, wie man das heute nennt, leben.
Wir hoffen, dass wir bis zuletzt gut drauf sind, um es etwas salopper zu sagen.
Aber was, wenn das nicht klappt? Was, wenn sich schon früh eine Krankheit einstellt, die das Leben schwer macht, die vielleicht sogar dazu führt, dass man jahrelang auf fremde Hilfe angewiesen ist? Die meisten wünschen sich solch einen Zustand nicht, und viele Patientenverfügungen werden aus dem Grund verfasst, weil man vermeiden möchte, ein Pflegefall zu werden ohne Aussicht auf Besserung, nur auf den Tod hin.
Die Fixierung auf das Diesseits bedeutet auch: Mehr als 70 oder 80 Jahre, wenn's hochkommt auch 90 Jahre, ganz selten 100, sind nicht drin. Und die meisten von uns, vermutlich sogar alle, die wir hier versammelt sind, werden nicht in irgendwelchen Geschichtsbüchern auftauchen. Das bedeutet, dass 50 oder sagen wir spätestens 100 Jahre nach unserem Tod sich niemand mehr erinnern wird an das, was unser Leben ausgemacht, was es geprägt und geformt hat. Auch unsere Gräber sind dann längst schon verschwunden.
So sieht es aus, wenn wir unser Leben ganz vom Diesseits, von der Vergänglichkeit, vom Tod bestimmen lassen. Kann es das sein?
Paulus spricht auch von einer Hoffnung – aber keiner, die in irgendeiner Weise mit dem Diesseits zu tun hätte. Seine Hoffnung richtet sich auf die Gabe Gottes, dass wir seine Kinder sind durch Jesus Christus.
Und wenn wir seine Kinder sind, dann ist da natürlich auch mehr als nur das Diesseits. Denn Gott ist der Erhabene, der Ewige, der keinen Anfang und kein Ende kennt, der selbst der Anfang des Universums ist und das Ende, der alles in sich birgt, selbst die Zeit.
Die Offenbarung des Johannes spricht vom Buch des Lebens, in dem die Namen jedes dieser Kinder Gottes eingetragen ist. Und noch mehr: dort ist festgehalten, was unser Leben ausmacht, wodurch es geprägt und geformt wurde. Dort sind unsere Taten verzeichnet, gute wie böse.
Auch wenn die Aussicht darauf, dass dieses Buch einst aufgeschlagen und all das, was darin geschrieben ist, offenbar wird, uns Angst machen kann, weil es doch in jedem Menschen etwas Dunkles gibt, das wir nur zu gerne bis an unser Lebensende und darüber hinaus in die Dunkelheit verbannen wollen, so wissen wir doch andererseits auch: dass uns das als Kinder Gottes nicht schaden kann, denn wir sind gerettet durch das Blut unseres Herrn Jesus Christus, wir sind frei geworden von aller Schuld, die wir auf uns luden, und wir dürfen auf die Liebe Gottes vertrauen, in der wir geborgen sind, auch und gerade über den Tod hinaus.
Das ist die Hoffnung, die wir in uns tragen, dass einst die Herrlichkeit Gottes an uns und damit auch durch uns offenbar wird.
Stellen Sie sich vor: In einem Ort leben Menschen, so wie wir. Es gibt Reiche und Arme, Angesehene und Unscheinbare. Es gibt Kranke und Sterbende genauso wie Gesunde.
In diesem Ort gibt es einen Bahnhof, der seit Jahren stillgelegt ist. Kein Zug hat dort mehr angehalten, die ganze Strecke ist tot, die Schienen sind überwuchert von Pflanzen, sogar Bäume haben sich schon darauf angesiedelt. Und da kommt plötzlich einer her und sagt: ich habe gehört, dass ein Zug an unserem Bahnhof halten soll. Er wird alle mitnehmen, die auf ihn warten – und er fährt an einen wunderbaren Ort, an dem es kein Leid mehr gibt, keine Tränen, keinen Neid, keine Trauer, keine Angst.
Die meisten, die diese Nachricht hören, werden kopfschüttelnd weitergehen. Manche werden anfangen zu argumentieren: wie soll das gehen? Da stehen schon Bäume auf den Schienen! Da kann doch kein Zug mehr fahren!
Einige aber werden sich aufmachen zum Bahnhof. Sie werden sehen, dass nichts auf der Anzeigetafel, die ja auch längst zerstört ist, angezeigt wird. Die Uhr steht schon lange still. Die Bänke, auf die man sich früher setzte, wenn man auf einen Zug wartete, sind längst kaputt. Die Schienen sind verrostet, die Scheiben am Bahnhofsgebäude eingeschlagen. Nichts rührt sich. Es hat etwas Gespenstisches. Und doch bleiben diese wenigen Menschen, denn sie vertrauen dem, was sie gehört haben. Sie sprechen es sich immer wieder zu: der Zug wird kommen. Denn es ist uns gesagt. Und so warten sie, manchmal auch weinen sie, weil sich so lange schon nichts verändert hat. Aber sie bleiben, denn sie stärken sich gegenseitig, machen sich Mut, trösten einander.
Das ist Glaube, das ist die Hoffnung, von der Paulus redet. Ein Hoffnung, die völlig gegen das Offensichtliche Bestand hat und trägt.
Kürzlich sagte jemand zu mir: ich glaube nur, was ich auch sehen kann. Ich antwortete, dass Glaube an etwas, das man sehen kann, kein Glaube ist, sondern Wissen. Ich weiß, dass es so ist. Daran muss ich nicht mehr glauben. Also glaubt dieser Mensch auch nicht, wenn er sich allem, was man nicht sehen kann, verschließt.
Glaube ist etwas anderes. Der Verfasser des Hebräerbriefes hat es so formuliert: „Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“ (Hebr. 11, 1)
Es gibt keinen Beweis für das, was wir glauben. Eher im Gegenteil: alles spricht dagegen. Glaube hält für wahr, was nicht gesehen werden kann. Nicht in diesem Leben, nicht in dieser Welt.
Glaube verbindet Vergangenheit und Zukunft über die Gegenwart hinweg. Das, woran wir glauben. wird eines Tages offenbar werden. Es begründet sich in dem, was andere Menschen vor uns erfahren haben, und auch in dem, was wir selbst erfahren haben. Gott wird kommen. Mit ihm wird seine Herrlichkeit an uns offenbar werden.
Das ist also die Hoffnung, von der Paulus redet. Es braucht Geduld, um die Erfüllung dieser Hoffnung erleben zu können.
Geduld, die von den Worten unseres Herrn genährt wird, die wir am Ende unserer Bibel finden: „Ja, ich komme bald.“ Und wir antworten: „Amen, ja, komm, Herr Jesus!“ (Offb. 22, 20)
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
Herzlich tut mich erfreuen (EG 148)
Es ist gewisslich an der Zeit (EG 149)
Jerusalem, du hochgebaute Stadt (EG 150)
Morgenglanz der Ewigkeit (EG 450)


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