Der Tag des Thesenanschlags erinnert uns an die Anliegen
der Reformation und lässt sie uns erneut bewusst werden.
Zunächst werden wir auf den Bußruf Johannes des Täufers und
Jesu selbst hingewiesen: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!
- Wer Jesus nachfolgen will, muss umkehren, sein Leben neu gestalten, und das
nicht aus sich selbst, sondern durch die Kraft Gottes. Das bedeutet für uns
Protestanten auch, dass wir die Brüder und Schwestern der römischen Kirche
nicht länger als falschgläubige missachten, sondern dass
wir uns zu ihnen hinwenden und mit ihnen in ein Gespräch eintreten. Das
gilt aber auf für unser Verhältnis zur Weltkirche, in der sich uns eine noch
vor kurzer Zeit ungeahnte Vielfalt darstellt. Aus dem Gespräch können
wir lernen, wie sich Nachfolge Jesu praktisch verwirklichen lässt.
Am Reformationstag müssen wir uns auch daran erinnern lassen, dass Martin
Luther nie eine Kirchenspaltung im Sinn gehabt hat. Die Veröffentlichung der
Thesen (in lateinischer Sprache, also nur für Gelehrte lesbar) diente dazu,
eine Disputation (= Lehrgespräch) einzuleiten. Dabei ging es ihm zunächst
nur um den Ablasshandel. Luther wollte die Wahrheit des Evangeliums an das Licht
bringen. Das soll auch unser Anliegen sein.
Die liturgische Farbe auch des Reformationstages ist Rot
als Farbe des Heiligen Geistes
(s. Pfingsten), aber auch
als Farbe des Blutes der Märtyrer, die in der
Überzeugung, dem Wort Gottes treu zu sein, auf Scheiterhaufen
oder in Folterkammern von der Inquisition hingerichtet wurden und auch heute in manchen
Ländern der Welt von staatlichen Organen getötet werden.
Der Reformationstag markiert einen Einschnitt in der Geschichte der christlichen
Kirche, der zwar nicht einmalig ist, aber doch schwere Auswirkungen
hatte besonders auf die kirchliche Landschaft in Deutschland. Heute wird es
unangemessen sein, diesen Tag dazu zu benutzen, die Spaltung zwischen der
römischen und der protestantischen Kirche zu unterstreichen. Der
Schwerpunkt dieses Tages liegt vielmehr darauf, das nachzuvollziehen, worum
Martin Luther gerungen hatte: die Erlösung allein aus dem Glauben. Heute
stehen wir in der Situation, dass die im Sinne des Jakobusbriefes notwendigen
Werke fehlen, und daher davon geredet werden kann, dass der Glaube vielerorts
„tot” ist. Der Reformationstag hilft uns, den Glauben als „Motor”
für einen Einsatz zur Verbesserung dieser Welt in christlicher Liebe
zu motivieren.
Zu den Perikopen
- I: Dtn 6, 4-9
Es fällt uns als Menschen, die gewohnt sind, frei und unabhängig Entscheidungen zu treffen, schwer, auf ein „soll” zu hören. Darum sollte die Predigt, die auf diesem Predigttext beruht, bemüht sein, aus dem evtl. spürbaren Zwang, der in diesem Text anklingt, ein Verlangen werden zu lassen. Der Hörer soll das Gefühl bekommen, dass das, was ihm von Gott geschenkt ist, wert ist, weitergegeben zu werden an Kinder und Kindeskinder, ohne Rücksicht auf die Freiheit des Individuums, die so gerne und oft betont wird. Denn Glaube schränkt nicht ein, sondern er befreit und ist darum wert, weitergegeben zu werden.
Sicher kann man auch erläuternd auf die äußeren Zeichen eingehen, die nicht nur im orthodoxen Judentum bis heute gepflegt werden. Aber diese Äußerlichkeiten sind, wie z.B. ein Kreuz an einer Halskette, nur eine Erinnerung an das Liebeswerk Gottes. Es geht darum, dass wir nicht vergessen, was Gott für uns getan hat. Was unser Leben reich gemacht hat, möchten wir ja immer mit anderen teilen. Warum also nicht auch unseren Glauben? - II: Mt 10, 26b-33
Dieser Text ist offensichtlich in eine Verfolgungssituation hinein gesprochen. Die Jünger müssen um des Bekenntnisses willen um ihr Leben fürchten. In diese Situation hinein gibt Jesus ihnen die Zusage, dass sie bei Gott gut aufgehoben sein werden. Der dazu herangezogene Vergleich mit den Sperlingen, die ohne den Willen Gottes nicht sterben, soll die Nachfolger Jesu dazu ermutigen, getrost in den Tod zu gehen, denn im Tod werden sie Gott näher kommen. Das hatte vor allem deswegen große Bedeutung, weil in der jüdischen Tradition der Tod nur selten als der Eintritt in ein besseres Leben, eben ein Leben bei Gott, angesehen wurde, sondern vielmehr als das Ende des Lebens. Die Vorstellung vom "ewigen Leben" wurde erst durch die christliche Verkündigung etabliert, wenngleich sie auch schon latent im jüdischen Glauben gegenwärtig war.
Es ist sehr schwer, diesen Text in unsere Zeit zu übersetzen. Verfolgungssituationen kennen wir nicht. Das war damals zur Zeit der Reformation anders, wo viele Menschen aufgrund ihres reformatorischen Bekenntnisses verfolgt, gefoltert und getötet wurden. Es ist dennoch möglich, eine Brücke zu schlagen. Denn der Text sagt ja darüber hinaus auch aus, dass Jesus den, der ihn bekennt vor den Menschen, auch vor seinem himmlischen Vater bekennen wird. Damit ist gemeint, dass der Mensch, der seinen Glauben nicht "versteckt", auch bei Gott Aufmerksamkeit erregt im positiven Sinne.
Aber auch dies ist problematisch. Wer bekennt Jesus? Ist es nur der, der bei jeder Gelegenheit von Jesus redet? Was meint "Bekenntnis"? Es ist wichtig, auch vom kirchenjahreszeitlichen Zusammenhang her, dieser Frage in der Predigt nachzugehen. Der Gemeinde, die angesprochen werden soll, muss klar werden, dass es ohne Bekenntnis nicht geht, aber sie muss auch wissen, was dieses Bekenntnis ist. Die einzige Front, die wir heute haben, ist eigentlich die Front des Liberalismus, dem es eigentlich egal ist, was ein Mensch "glaubt", der sich aber auch dagegen wehrt, in eine Glaubensrichtung gedrängt zu werden. Dabei wird jeder Mensch vielfältig beeinflusst, auch in religiöser Hinsicht. Es ist nur das persönliche Bekenntnis, das heute den Zuhörern oft Schwierigkeiten bereitet.
Was das Bekenntnis ist? Ich würde es so formulieren: Bekenntnis ist das Benennen und Erklären der Motivation zum eigenen Handeln. Diese Definition ist noch völlig wertefrei und kann für Ehrgeiz genauso gelten wie für Glauben. Es wird dann schnell deutlich, dass viele Menschen gar nicht in der Lage sind, eine solche Motivation zu benennen, weil sie einfach nur mit der Masse "mitschwimmen". Oder ihre Motivation sind Menschen, die selbst ihre Motivation aus dem Glauben beziehen. Deswegen sind auch die, die ihr Bekenntnis formulieren können, in gewisser Weise eine Bedrohung für die, die sich ihrer Motivation nicht klar sind.
Der Predigttext warnt vor dem, der Leib und Seele verderben kann. Diese Warnung kann auf die "Motivation" angewandt werden. Manche Motivationen sind negativ, d.h. letztendlich zerstörerisch. Die Predigt soll die Möglichkeit einer lebenserhaltenden und -fördernden Motivation, nämlich den Glauben an Jesus Christus, vorstellen und den Zuhörern liebmachen. - III: Gal 5, 1-6
Die Situation ist recht klar: es gibt unter den Heidenchristen (also Christen, die nicht aus dem Judentum stammen) solche, die sich (vermutlich) einreden ließen, dass sie nur dann echte Christen seien, wenn sie sich auch beschneiden ließen. Denn nur dann gehöre man richtig zum Volk Gottes, wenn man auch die äußeren Zeichen des Bundes annehme.
Paulus sieht das ganz anders. Durch diese Bedingung wird wieder ein Gesetz in Kraft gesetzt, das gerade überwunden war, denn Schuld wird dem Glaubenden erlassen, weil er sich auf das Erlösungswerk Christi ein- und verlässt. Wer sich aber den Gesetzen zuwendet, hat diese Gnade bereits verwirkt und steht wieder unter dem Gesetz, eben weil er nicht bedingungslos daran glaubt, dass Christus ihn erlöst hat.
Bemerkenswert, aber auch schwierig ist Vers 5: "im Geist durch den Glauben" - was soll das eigentlich bedeuten? Letztlich, so wissen wir, wird der Glaube durch den Geist Gottes gewirkt - er kann nicht von uns "produziert" werden, er ist kein Willensakt, wiewohl das Im-Glauben-Bleiben den Willen des Glaubenden dazu erfordert. Letztlich aber wird der Glaube geschenkt.
Auch die zweite Hälfte ist beachtenswert: "Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss". Also nicht: 'auf die wir alle hoffen'. Es wird hier ganz deutlich gesagt, dass es notwendig ist, zu hoffen, die Hoffnung gewissermaßen nicht aufzugeben. Denn wenn wir die Hoffnung aufgeben, geben wir auch unseren Glauben auf.
Auch der erste Vers ist von besonderer Bedeutung: "Zur Freiheit hat uns Christus befreit" wirkt besonders durch seine Verstärkung des Begriffes Freiheit. Wir sind nie frei gewesen, die Freiheit, die uns Christus schenkt, ist aber nicht nur Freiheit aus einem Gefängnis, um in ein neues, vielleicht größeres zu gelangen, sondern die absolute Freiheit, in der wir durch nichts mehr gebunden sind außer durch die Liebe (Vers 6).
Der kirchenjahreszeitliche Zusammenhang ist offensichtlich. Hier steht die reformatorische Bewegung gegen jegliche Gesetzlichkeit, die es den Menschen zwar einfacher macht, zu glauben (im Sinne von "vermuten"), dass ihr Verhältnis zu Gott in Ordnung ist, das aber nicht dem Willen Gottes entspricht, dem Menschen die ganze Freiheit zu geben, sich für oder gegen ihn zu entscheiden. Mit Pflichtübungen ist es eben nicht getan.
Die Predigt sollte diesen Aspekt zwar nicht vergessen, aber dabei darauf verzichten, auf andere mit dem Finger zu zeigen. Es tut gut, sich über die eigene Gesetzlichkeit bewusst zu werden und diese an den Hörnern zu packen. Jedem werden sicher viele Ansatzpunkte einfallen. Interessant wäre, zu fragen, wo wir andere in ihrer Freiheit einschränken. Denn heute ist es ja so, dass sich die christliche Gemeinde als das berufene Gottesvolk versteht, während sie andere Gruppen der Gesellschaft mitunter ausschließt oder zumindest mit Zurückhaltung beobachtet. Interessant könnte eine Auseinandersetzung mit rechtsextremer Thematik werden, sofern dies Thema im Gemeindebereich aktuell wird. Häufig sind auch diese Menschen Gemeindeglieder - wie begegnen wir ihnen? Wie können wir ihnen das vermitteln, was christliche Existenz ausmacht? - IV: Ps 46
Wann immer ein Psalm zum Predigttext erhoben wird, insbesondere der Psalm, der zu Beginn des Gottesdienstes als Gemeindegebet gesprochen wird (Introitus im Wechsel mit der Gemeinde), empfehle ich, auf einen anderen Predigttext auszuweichen. Denn Psalmen sind Gebete, und es geht nicht gut, wenn man, nachdem man dieses Gebet im Gottesdienst gesprochen hat, es auseinanderzunehmen und zu deuten - womöglich ganz gegen die Erfahrungen, die der betenden Gemeinde im Zusammenhang mit den Worten wieder bewusst wurden.
Nun ist dieser Psalm nicht wirklich ein Gebet, sondern eher so etwas wie eine Selbstermutigung, aber auch das wird im Angesicht Gottes und im Blick auf Gott und zu Gott hin im Gottesdienst gesprochen. Da dieser Psalm Grundlage des Liedes „Ein feste Burg ist unser Gott” ist, könnte man wohl eine Predigt über dieses Lied (EG 362) halten. Hierzu gibt es ein Predigtbeispiel. - V: Mt 5, 1-10 (11-12)
Die Seligpreisungen gehören sicher zu den schönsten Texten. Man kann sich in ihnen sonnen - und sollte es nicht zu lange tun, denn sie sind ebenso Auftrag wie Zusage.
Es wäre schade, wenn es einer Klärung bedürfte, was "selig" eigentlich bedeutet. Aber wenn es nötig ist, sollte man es tun, bevor man zu Alternativübersetzungen greift. Völlig abwegig ist die flache Ausdrucksform "freuen dürfen sich" aus der Guten Nachricht. Wer selig ist, ist wunschlos glücklich - so lässt es sich vielleicht am ehesten verstehen.
Die Liste spricht immer das Herz an. Dabei sind sowohl aktive wie passive Elemente genannt. Die Suche und das Verlangen nach Frieden scheint die Grundlage aller Seligpreisungen zu sein.
Etwas schwierig ist in allem der Lohn, der versprochen wird, bzw. die Begründung, warum solche Menschen nun selig sein sollen. "Geistlich Armen" soll das Himmelreich gehören - sicher nicht im Sinne von Besitz, sondern im Sinn von Teilhabe, dazu gehören. Den Sanftmütigen wird das Erdreich versprochen, diesmal aber als Besitz. Könnte hiermit gemeint sein, dass nur, wer sanftmütig ist, überleben und so das Erdreich auch in Zukunft nutzen wird? Schon fraglich angesichts des Vernichtungspotentials unserer Armeen. Mancher Lohn wird versprochen, auf den man, so wage ich zu behaupten, gerne verzichtet, wenn man die angesprochenen Herzenshaltungen erreicht hat. Denn wer selig ist, ist wunschlos glücklich.
Der Hunger nach Gerechtigkeit lässt noch ein Fragezeichen im Raum zurück. Welche Gerechtigkeit ist gemeint? Die vor Gott? Die vor den Menschen? Ich denke, es ist die Gerechtigkeit vor den Menschen gemeint, aber im Sinne Gottes: jeder Mensch ist gleich, keiner hat Anspruch auf mehr als seine Mitmenschen, alle Resourcen gehören allen gleichermaßen und müssen auch für alle gleichermaßen zugänglich gemacht werden. Das ist vielleicht das Schwierigste von allen.
Der kirchenjahreszeitliche Zusammenhang ist nicht ohne Weiteres klar. Was hat dieser Text mit Reformation zu tun? Es mag zwar damit zusammenhängen, dass hier die Mittlerschaft der Kirche in den Hintergrund gerückt und damit ein Gedanke der Reformation deutlich gemacht wird, aber das ist schwer nachzuvollziehen. Der Bezug zur Reformation lässt sich nur schwer herstellen, denn auch die hier geforderte Friedfertigkeit war der protestantischen Bewegung nicht immer eigen. Es scheint mir aber, dass der bereits angesprochene direkte Zugang zum "Lohn" der Grund ist, warum dieser Text an diesem Tag erklingt. So sollte dieses Element auch nicht gänzlich außer Acht gelassen werden.
In der Predigt könnte man versuchen, eine Erfahrung der Friedfertigkeit, der Sanftmut, der Barmherzigkeit, der Gerechtigkeit zu vermitteln, auch durch eine entsprechende Aktion. - VI: Röm 3, 21-28
folgt später
- Marginaltexte: Jes 62, 6-7.10-12
Joh 8, 31-36
Röm 1, 16-17
1. Kor 1, 10-18
Jak 2, 14-18.26folgt später
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