das Kirchenjahr

Tag der Heimsuchung Mariä

2. Juli

Besuch Marias bei Elisabeth

Predigtbeispiele

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Zu den Perikopen

Predigtvorschläge zu Reihe III - Lk 1, 39-48(49-55)56

Liebe Gemeinde!
Vor einigen Jahren sah ich eine Dokumentation im Fernsehen, die die Umstände schilderte, wie Magdeburg durch Tilly im 30-jährigen Krieg erobert wurde. In der Dokumentation wurde dann ein Lektionar gezeigt, das allgemein als Magdeburger Blutbibel bezeichnet wurde. Angeblich hatte sie ein lutherischer Pastor zu seinem Schutz erhoben, als einer der Soldaten Tillys ihn mit dem Schwert töten wollte. Die Klinge drang bis zu der Seite vor, auf der die Texte des Tages der Heimsuchung Mariae geschrieben waren. Der Kommentator, ein Historiker, meinte dazu, dass es doch ein außergewöhnliches Zeichen sei, dass die Klinge ausgerechnet auf der Seite des Tages der Heimsuchung Halt gemacht hätte. Für ihn stand das Wort Heimsuchung für ein plötzliches und mehr oder weniger unerwartetes Unglück, und so schien hier Gottes Finger direkt auf die Zerstörung Magdeburgs hinzudeuten.
Die meisten Menschen denken bei dem Wort „Heimsuchung“ an genau das: ein großes, unerwartetes Unglück, eine Not, die vielleicht sogar durch Gott herbeigeführt wurde. Tatsächlich aber bedeutet das Wort in diesem Zusammenhang nichts anderes als „Besuch“ - man sucht das Heim eines anderen Menschen auf. Wegen der Gefahr des Missverständnisses ist man in der evangelischen Kirche seit einigen Jahren dazu übergegangen, diesen Tag als den „Tag des Besuchs Marias bei Elisabeth“ zu bezeichnen.
Merkwürdig mag uns scheinen, dass dieser Tag acht Tage nach dem Tag der Geburt Johannes des Täufers gefeiert wird. Grundsätzlich kann man das durchaus tolerieren, denn wir wissen, dass die Festsetzung der Geburtstage in der Regel theologische oder symbolische Gründe hatte und historisch wohl nicht der Realität entspricht. Die römische Kirche hat allerdings dennoch entschieden, den Tag der Heimsuchung Mariae auf den 31. Mai zu verschieben. Allein im deutschsprachigen Raum scheint sich das heutige Datum auch in der römischen Kirche zu halten.
Ist es merkwürdig, dass wir als Protestanten diesen Gedenktag auch begehen? Die protestantische Kirche hat sich bemüht, so gut wie jeden Gedenktag, der mit Maria zu tun hat, nicht zu begehen. Die Ursache ist sicherlich auch in dem Versuch der Abgrenzung von einer übertriebenen Marienfrömmigkeit in der römischen Kirche zu sehen. Aber das ist es nicht alleine: heutzutage sind viele Protestanten, Theologen wie Laien, davon überzeugt, dass Marias Schwangerschaft nicht vom Heiligen Geist ausgelöst wurde, sondern von Josef. Denn, so ist die überwiegende Meinung, eine Jungfrauengeburt sei schlicht unmöglich. Und wenn das so ist, dann ist die Aura des Besonderen, die Maria bisher umgeben hatte, völlig dahin.
Dass bei Gott nichts unmöglich ist, wird völlig vergessen, und dass der christliche Glaube ein Nichtzweifeln ist an dem, was man nicht sieht, (Hebr 11,1), also ein Nichtzweifeln am Unbeweisbaren, wird ebenso gerne übersehen.
Nicht umsonst hat die Kirche in ihren liturgischen Texten oft darauf hingewiesen, dass wir es mit einem Mysterium, einem Geheimnis, zu tun haben, und Geheimnisse offenbaren sich nun mal nicht so ohne Weiteres. Sie sind vielmehr der Inhalt unseres Glaubens und bleiben immer Mysterien, denn wir können sie mit unserer Vernunft niemals ergründen.
Manche Menschen berichten, dass sie dieses Mysterium durch den Heiligen Geist wenigstens für kurze Zeit erkannt haben – dieses Wunder der Menschwerdung Gottes, das Wunder seiner Hingabe für uns am Kreuz, das Wunder seiner Hingabe an uns in Brot und Wein – doch für viele Menschen bleibt es wohl doch etwas, was nur durch den Glauben ergriffen und behalten werden kann.

Maria ist darum auch für uns Protestanten eine besondere, von Gott erwählte Frau, die sich selbst allerdings nicht höher als eine Magd einstuft. „Siehe, ich bin des Herren Magd“ - so hören wir es aus ihrem Mund. Sie wird zum Gefäß, lässt sich durch Gottes Gnade erwählen und füllen.
Sicher gibt es das eine oder andere in der römischen Tradition, das wir nicht nachvollziehen können. Wir können aber unseren eigenen Zugang zu Maria finden, und ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass es sich durchaus lohnt. Der heutige Festtag ermöglicht es uns, einen Zugang zu Maria zu suchen.

Maria und Elisabeth: zwei Frauen, die das Wirken Gottes an sich erfahren haben. Beide tragen ein von Gott verheißenes Kind in ihrem Leib, das sie unter eigentlich unmöglichen Umständen empfangen haben. Diese Kinder scheinen auf wunderbare Weise miteinander zu kommunizieren; auf jeden Fall reagiert der ungeborene Johannes auf Marias Erscheinen durch ein fröhliches Hüpfen. Elisabeth verspürt es so und spricht darauf die Worte, die neben dem Gruß des Engels, dem Ave Maria, den Kern des Rosenkranzgebetes ausmachen:
Gepriesen bist Du unter den Frauen, und gepriesen ist die Frucht deines Leibes!“ (Lk 1,42)
Ist es nicht wunderbar, wie der Täufer Johannes, noch bevor er geboren wurde, sein Amt als Vorläufer des Herrn schon wahrnimmt?
Jede Mutter kennt das Gefühl, wenn das ungeborene Kind sich bewegt. Für Elisabeth ist es dieses eine Mal aber mehr als der übliche Tritt gegen die Bauchdecke. Sie spürt, dass Johannes sich freut angesichts der Nähe seines Herrn und der Mutter seines Herrn. Das ist noch etwas anderes als das Boxen und Treten, das man von einem ungeborenen Kind spüren mag, wenn es sich etwas Platz verschaffen will.
Elisabeth weiß das, weil sie vom Heiligen Geist erfüllt wird. Sie spricht aus, was ausgesprochen werden muss: Du, Maria, bist gebenedeit, du bist gepriesen, du bist die Mutter des Sohnes Gottes!
Der Hinweis auf den Heiligen Geist ist ungeheuer wichtig. So wenig die Menschen heute damit anfangen können: er wirkte damals genauso wie er heute wirkt. Er erfüllt einzelne Menschen und bewegt sie, etwas zu tun oder zu sagen, was ihnen sonst nicht in den Sinn gekommen wäre.
Wie oft hat wohl der Heilige Geist gewirkt, ohne, dass man es tatsächlich auf ihn zurückgeführt hat? Ich kann mir denken, dass es unzählige Male geschehen ist. Gott wirkt, er ist unter uns, nur dass wir Menschen manches Mal etwas anderes im Sinn haben und uns dagegen stemmen, nicht diesem Impuls folgen, der uns von Gott durch den Heiligen Geist gegeben wurde und uns auf den rechten Weg bringen will.
Der ärgste Feind des Menschen ist der Mensch, der beste Freund des Menschen ist Gott. Denn Gott will wirklich unser Bestes, das hat er durch das Opfer seines Sohnes bewiesen. Schade nur, wenn wir Menschen der Ansicht sind, dass wir solch einen Gott nicht brauchen.
In der Begegnung Marias und Elisabeths wird in schöner Weise deutlich, wie Gott sich uns Menschen zuwendet, um unser Heil zu wirken. Er schließt die Menschen mit ein in diese Heilsgeschichte, er weist ihnen ihren Platz zu, ohne zu befehlen oder zu zwingen, denn er will uns teilhaben lassen und zugleich auch die Möglichkeit geben, sein Wirken zu erkennen und anzunehmen.

Elisabeths prophetische Rede hört mit dem schon zitierten Satz nicht auf, sondern mit den Worten: Selig bist du, die du geglaubt hast! Denn es wird vollendet werden, was dir gesagt ist von dem Herrn. (Lk 1,45)
Damit weist Elisabeth zurück auf die Verkündigung Mariae, als der Erzengel Gabriel zu ihr kam und ihr die Geburt Jesu offenbarte: Ave Maria, gratia plena! „Sei gegrüßt, Maria, voller Gnade!“ oder auch: „Du Begnadete!“ (Lk 1,28) Es ist Gnade, wenn Gott uns ansieht und erwählt, damit wir Teil werden seines Heilswerkes. Maria widerfuhr diese Gnade, und sie erwidert bereitwillig: „Siehe, ich bin des Herren Magd, mir geschehe, wie du gesagt hast.“ (Lk 1,38)
In den Worten des Engels, die er zu Maria spricht, vernehmen wir neben der Verheißung auch die Versicherung: „Bei Gott ist kein Ding unmöglich“ (Lk 1,37), denn Maria zweifelt – wie jeder vernünftige Mensch – und fragt, wie sie, noch Jungfrau, schwanger werden könne, zumal sie keinen Mann habe und Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe für sie schlicht nicht in Frage kam.
All das klingt an in den wenigen Worten Elisabeths, die sie Maria zum Gruß sagt.

Während wir viele Ereignisse aus dem Leben Jesu in allen vier Evangelien finden, sieht es bei diesem Ereignis anders aus: Allein Lukas berichtet von dieser Begegnung. Das hat manche Menschen dazu gebracht, zu behaupten, es sei erfunden, um die besondere Stellung Jesu zu untermauern oder um die feste Verbindung zwischen Johannes dem Täufer und Jesus zu unterstreichen.
Das Magnificat, das zu unserem Predigttext gehört, könnte man da auch zunächst als ein kunstvoll geformtes Lied beschreiben, zu dessen Dichtung man viel Zeit brauchte, es also nicht spontan von Maria gesprochen worden sein kann.
Aber wenn man es genauer betrachtet, erkennt man doch eine ganze Reihe von Parallelen zum Lobgesang der Hanna (1. Sam 2,1-10), Samuels Mutter, und es wäre ja auch denkbar, dass Maria genau daran dachte und diesen Lobgesang, leicht an ihre eigene Situation angepasst, rezitierte. Damals lernte man solche Texte auswendig, denn Papier oder Pergament waren genauso wie Tinte sehr teuer, und viele Menschen konnten gar nicht lesen und schreiben. Man machte sie sich durch Auswendiglernen zu eigen.
So ist es also gar nicht so unwahrscheinlich, dass Maria das Magnificat ganz spontan so gesprochen hat, wie wir es im Lukasevangelium nachlesen können.
Allerdings hat Lukas sein Evangelium ja erst viel später niedergeschrieben. Man könnte also doch darauf beharren, er hätte das alles nur erfunden, zumal es ja keine Zeugen aus dieser Zeit gab.
In seiner Apostelgeschichte erfahren wir aber zu Beginn (Apg 1,14), dass nach der Himmelfahrt Jesu auch Maria, seine Mutter, unter den Jüngern war, so dass es für den Evangelisten leicht möglich gewesen sein dürfte, an die Informationen aus erster oder höchstens zweiter Hand zu gelangen.
Es ist also kein Märchen und auch keine Legende, was uns hier vorgetragen wird. Maria, die Mutter unseres Herrn, ist Elisabeth, der Mutter Johannes des Täufers, begegnet. Sie haben einige Monate miteinander verbracht, und sicher haben sie viel über das gesprochen, was ihnen widerfahren war, sich gegenseitig vergewissert und ermutigt.
Dabei ist das gar nicht mal so selbstverständlich. Denn eine außereheliche Schwangerschaft bedeutete, dass man Ehebruch begangen hatte, auch wenn beide Beteiligten nicht verheiratet waren.
Das Zeugen von Kindern war dem Schutzraum der Ehe vorbehalten. Uneheliche Kinder hätten keine Zukunft, weil sie nichts erben konnten. Und darum sprach man auch dann von Ehebruch, der mit dem Tod bestraft wurde, wenn beide Beteiligten nicht verheiratet waren; denn es galt als ein todeswürdiges Verbrechen.
Maria ist, so dürfen wir annehmen, noch gar nicht lange schwanger, es ist sehr wahrscheinlich, dass man ihr die Schwangerschaft noch nicht ansehen konnte, während Elisabeth wohl schon die Hälfte ihrer Schwangerschaft hinter sich hatte.
Elisabeth hätte Maria fortschicken können, aber Gott sorgt vor durch den Heiligen Geist. Sie erkennt, dass die Schwangerschaft Marias von Gott ist und nicht von Menschen. Sie erkennt, dass es sich um ein Wunder handelt, das hier geschehen ist, genauso, wie an ihr, der Hochbetagten, ein Wunder geschehen ist.
Und so kommen und bleiben die beiden zusammen; sicher wird Elisabeth Maria Ratschläge gegeben haben, wie sie ihre Schwangerschaft kaschieren könne. Denn noch stand Josef ja außen vor, er hatte keine Ahnung von dem, was sich da ereignet hatte, und es ist sehr wahrscheinlich, dass er sie angesichts der Tatsachen nicht heiraten würde.
Das Magnificat ist nun das Geschenk, das Maria der Kirche gemacht hat. Seit frühester Zeit gehört es zum Gebetsschatz der Kirche, und seit Bestehen des Mönchtums gehört es zu den täglichen Lobgesängen der Mönche und Nonnen. Es erinnert uns an das wunderbare Werk Gottes, sein Wirken mit den Menschen.
Und das ist vielleicht sogar das Entscheidende dieser Erzählung: dass Gott mit den Menschen wirkt. Er macht sie gewissermaßen zu Verbündeten. Das bedeutet natürlich auch, dass er ihnen etwas zumutet. Aber die beiden Menschen, um die es hier geht, lassen es sich auch zumuten. Sie sind nicht empört oder abweisend, sondern lassen es an sich geschehen und werden dadurch Teil des Heilswirkens Gottes.
Können wir das auch heute erleben? Ich glaube schon. Vielleicht nicht so spektakulär und großartig, aber ich bin überzeugt, dass der Heilige Geist immer wieder Menschen anrührt, sie zu etwas bewegt, was ihnen sonst nicht in den Sinn gekommen wäre, und sie so für seinen Plan gebraucht, sie gewissermaßen mit einspannt. Ich kann es für mich selbst jedenfalls bezeugen, dass es mir schon öfter so gegangen ist, dass Gott mich gebraucht hat, um anderen Menschen zu helfen. Wie gesagt, es ist nichts Großes – zumindest nicht in meinen Augen. Aber für die Menschen, denen so geholfen wurde, kann es schon etwas Großes gewesen sein.
Oft bekommt man es gar nicht mit. Man denkt, es sei alles ganz beiläufig, ganz normal, aber wenn man dann vielleicht viele Jahre später diesem Menschen wieder begegnet, erfährt man, wovon man selbst ein Teil gewesen ist.
Vor etwa 25 Jahren, als wir noch in Indien lebten, war ich Teil einer kleinen Gruppe von Indern, die über ein sogenanntes Bulletin-Board-System miteinander kommunizierten. Ein Bulletin-Board-System war eine Vorgängerversion von E-Mail, man musste dafür nicht ständig mit dem Netz verbunden sein, das ging damals auch noch gar nicht. Man holte Nachrichten übers Telefon mit Hilfe eines Modems ab, las sie offline, schrieb Antworten und schickte sie dann erst wieder an dieses System.
Vor etwa einem Jahr erfuhr ich von einem dieser Inder, mit denen ich kommuniziert und mit denen ich lange Zeit keinen Kontakt mehr gehabt hatte, dass ich damals wohl etwas gesagt bzw. geschrieben hatte, was sein Leben nachhaltig veränderte. Was ich da gesagt hatte, wusste er nicht mehr so genau, nur, dass ich es war, von dem dieser Impuls gekommen war.
So erfahren wir oft nicht, was für Auswirkungen unser Tun und Reden, manchmal auch unser Lassen, hat. Aber dass es nicht spurlos an unseren Mitmenschen vorbeigeht, ist sicherlich klar.
Ganz wesentlich ist, dass das, was wir tun, im Einklang ist mit dem Willen Gottes. Er will ja, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen (1. Tim 2,4). Darauf kommt es an, darum hören wir auch immer wieder auf Gottes Wort.
Ich glaube allerdings gar nicht mal, dass wir uns dafür außerordentlich anstrengen oder große Redner sein müssen, sondern dass es genügt, uns so wie Maria für den Willen Gottes zu öffnen, bereit zu sein für sein Wirken an und durch uns. Dass wir uns als Werkzeug gebrauchen lassen, ohne dabei willenlos zu werden. Denn dann wären wir wohl gar nicht zu gebrauchen. Nein, wir müssen es auch wollen, im Dienst Gottes zu stehen.
Dazu ist Maria ein wunderbares Vorbild.
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
O Heiland, reiß die Himmel auf (EG 7)
Gott sei Dank durch alle Welt (EG 12)
Die Nacht ist vorgedrungen (EG 16)
Wunderbarer Gnadenthron (EG 38)
Nun lob, mein Seel, den Herren (EG 289)
Hoch hebt den Herrn mein Herz (EG 309)
Meine Seele erhebt den Herren (EG 310 - Kanon)


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Predigtvorschläge zu Reihe VI - Lk 1, 39-48(49-55)56

Liebe Gemeinde!
Vor einigen Jahren sah ich eine Dokumentation im Fernsehen, die die Umstände schilderte, wie Magdeburg durch Tilly im 30-jährigen Krieg erobert wurde. In der Dokumentation wurde dann ein Lektionar gezeigt, das allgemein als Magdeburger Blutbibel bezeichnet wurde. Angeblich hatte sie ein lutherischer Pastor zu seinem Schutz erhoben, als einer der Soldaten Tillys ihn mit dem Schwert töten wollte. Die Klinge drang bis zu der Seite vor, auf der die Texte des Tages der Heimsuchung Mariae geschrieben waren. Der Kommentator, ein Historiker, meinte dazu, dass es doch ein außergewöhnliches Zeichen sei, dass die Klinge ausgerechnet auf der Seite des Tages der Heimsuchung Halt gemacht hätte. Für ihn stand das Wort Heimsuchung für ein plötzliches und mehr oder weniger unerwartetes Unglück, und so schien hier Gottes Finger direkt auf die Zerstörung Magdeburgs hinzudeuten.
Die meisten Menschen denken bei dem Wort „Heimsuchung“ an genau das: ein großes, unerwartetes Unglück, eine Not, die vielleicht sogar durch Gott herbeigeführt wurde. Tatsächlich aber bedeutet das Wort in diesem Zusammenhang nichts anderes als „Besuch“ - man sucht das Heim eines anderen Menschen auf. Wegen der Gefahr des Missverständnisses ist man in der evangelischen Kirche seit einigen Jahren dazu übergegangen, diesen Tag als den „Tag des Besuchs Marias bei Elisabeth“ zu bezeichnen.
Merkwürdig mag uns scheinen, dass dieser Tag acht Tage nach dem Tag der Geburt Johannes des Täufers gefeiert wird. Grundsätzlich kann man das durchaus tolerieren, denn wir wissen, dass die Festsetzung der Geburtstage in der Regel theologische oder symbolische Gründe hatte und historisch wohl nicht der Realität entspricht. Die römische Kirche hat allerdings dennoch entschieden, den Tag der Heimsuchung Mariae auf den 31. Mai zu verschieben. Allein im deutschsprachigen Raum scheint sich das heutige Datum auch in der römischen Kirche zu halten.
Ist es merkwürdig, dass wir als Protestanten diesen Gedenktag auch begehen? Die protestantische Kirche hat sich bemüht, so gut wie jeden Gedenktag, der mit Maria zu tun hat, nicht zu begehen. Die Ursache ist sicherlich auch in dem Versuch der Abgrenzung von einer übertriebenen Marienfrömmigkeit in der römischen Kirche zu sehen. Aber das ist es nicht alleine: heutzutage sind viele Protestanten, Theologen wie Laien, davon überzeugt, dass Marias Schwangerschaft nicht vom Heiligen Geist ausgelöst wurde, sondern von Josef. Denn, so ist die überwiegende Meinung, eine Jungfrauengeburt sei schlicht unmöglich. Und wenn das so ist, dann ist die Aura des Besonderen, die Maria bisher umgeben hatte, völlig dahin.
Dass bei Gott nichts unmöglich ist, wird völlig vergessen, und dass der christliche Glaube ein Nichtzweifeln ist an dem, was man nicht sieht, (Hebr 11,1), also ein Nichtzweifeln am Unbeweisbaren, wird ebenso gerne übersehen.
Nicht umsonst hat die Kirche in ihren liturgischen Texten oft darauf hingewiesen, dass wir es mit einem Mysterium, einem Geheimnis, zu tun haben, und Geheimnisse offenbaren sich nun mal nicht so ohne Weiteres. Sie sind vielmehr der Inhalt unseres Glaubens und bleiben immer Mysterien, denn wir können sie mit unserer Vernunft niemals ergründen.
Manche Menschen berichten, dass sie dieses Mysterium durch den Heiligen Geist wenigstens für kurze Zeit erkannt haben – dieses Wunder der Menschwerdung Gottes, das Wunder seiner Hingabe für uns am Kreuz, das Wunder seiner Hingabe an uns in Brot und Wein – doch für viele Menschen bleibt es wohl doch etwas, was nur durch den Glauben ergriffen und behalten werden kann.

Maria ist darum auch für uns Protestanten eine besondere, von Gott erwählte Frau, die sich selbst allerdings nicht höher als eine Magd einstuft. „Siehe, ich bin des Herren Magd“ - so hören wir es aus ihrem Mund. Sie wird zum Gefäß, lässt sich durch Gottes Gnade erwählen und füllen.
Sicher gibt es das eine oder andere in der römischen Tradition, das wir nicht nachvollziehen können. Wir können aber unseren eigenen Zugang zu Maria finden, und ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass es sich durchaus lohnt. Der heutige Festtag ermöglicht es uns, einen Zugang zu Maria zu suchen.

Maria und Elisabeth: zwei Frauen, die das Wirken Gottes an sich erfahren haben. Beide tragen ein von Gott verheißenes Kind in ihrem Leib, das sie unter eigentlich unmöglichen Umständen empfangen haben. Diese Kinder scheinen auf wunderbare Weise miteinander zu kommunizieren; auf jeden Fall reagiert der ungeborene Johannes auf Marias Erscheinen durch ein fröhliches Hüpfen. Elisabeth verspürt es so und spricht darauf die Worte, die neben dem Gruß des Engels, dem Ave Maria, den Kern des Rosenkranzgebetes ausmachen:
Gepriesen bist Du unter den Frauen, und gepriesen ist die Frucht deines Leibes!“ (Lk 1,42)
Ist es nicht wunderbar, wie der Täufer Johannes, noch bevor er geboren wurde, sein Amt als Vorläufer des Herrn schon wahrnimmt?
Jede Mutter kennt das Gefühl, wenn das ungeborene Kind sich bewegt. Für Elisabeth ist es dieses eine Mal aber mehr als der übliche Tritt gegen die Bauchdecke. Sie spürt, dass Johannes sich freut angesichts der Nähe seines Herrn und der Mutter seines Herrn. Das ist noch etwas anderes als das Boxen und Treten, das man von einem ungeborenen Kind spüren mag, wenn es sich etwas Platz verschaffen will.
Elisabeth weiß das, weil sie vom Heiligen Geist erfüllt wird. Sie spricht aus, was ausgesprochen werden muss: Du, Maria, bist gebenedeit, du bist gepriesen, du bist die Mutter des Sohnes Gottes!
Der Hinweis auf den Heiligen Geist ist ungeheuer wichtig. So wenig die Menschen heute damit anfangen können: er wirkte damals genauso wie er heute wirkt. Er erfüllt einzelne Menschen und bewegt sie, etwas zu tun oder zu sagen, was ihnen sonst nicht in den Sinn gekommen wäre.
Wie oft hat wohl der Heilige Geist gewirkt, ohne, dass man es tatsächlich auf ihn zurückgeführt hat? Ich kann mir denken, dass es unzählige Male geschehen ist. Gott wirkt, er ist unter uns, nur dass wir Menschen manches Mal etwas anderes im Sinn haben und uns dagegen stemmen, nicht diesem Impuls folgen, der uns von Gott durch den Heiligen Geist gegeben wurde und uns auf den rechten Weg bringen will.
Der ärgste Feind des Menschen ist der Mensch, der beste Freund des Menschen ist Gott. Denn Gott will wirklich unser Bestes, das hat er durch das Opfer seines Sohnes bewiesen. Schade nur, wenn wir Menschen der Ansicht sind, dass wir solch einen Gott nicht brauchen.
In der Begegnung Marias und Elisabeths wird in schöner Weise deutlich, wie Gott sich uns Menschen zuwendet, um unser Heil zu wirken. Er schließt die Menschen mit ein in diese Heilsgeschichte, er weist ihnen ihren Platz zu, ohne zu befehlen oder zu zwingen, denn er will uns teilhaben lassen und zugleich auch die Möglichkeit geben, sein Wirken zu erkennen und anzunehmen.

Elisabeths prophetische Rede hört mit dem schon zitierten Satz nicht auf, sondern mit den Worten: Selig bist du, die du geglaubt hast! Denn es wird vollendet werden, was dir gesagt ist von dem Herrn. (Lk 1,45)
Damit weist Elisabeth zurück auf die Verkündigung Mariae, als der Erzengel Gabriel zu ihr kam und ihr die Geburt Jesu offenbarte: Ave Maria, gratia plena! „Sei gegrüßt, Maria, voller Gnade!“ oder auch: „Du Begnadete!“ (Lk 1,28) Es ist Gnade, wenn Gott uns ansieht und erwählt, damit wir Teil werden seines Heilswerkes. Maria widerfuhr diese Gnade, und sie erwidert bereitwillig: „Siehe, ich bin des Herren Magd, mir geschehe, wie du gesagt hast.“ (Lk 1,38)
In den Worten des Engels, die er zu Maria spricht, vernehmen wir neben der Verheißung auch die Versicherung: „Bei Gott ist kein Ding unmöglich“ (Lk 1,37), denn Maria zweifelt – wie jeder vernünftige Mensch – und fragt, wie sie, noch Jungfrau, schwanger werden könne, zumal sie keinen Mann habe und Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe für sie schlicht nicht in Frage kam.
All das klingt an in den wenigen Worten Elisabeths, die sie Maria zum Gruß sagt.

Während wir viele Ereignisse aus dem Leben Jesu in allen vier Evangelien finden, sieht es bei diesem Ereignis anders aus: Allein Lukas berichtet von dieser Begegnung. Das hat manche Menschen dazu gebracht, zu behaupten, es sei erfunden, um die besondere Stellung Jesu zu untermauern oder um die feste Verbindung zwischen Johannes dem Täufer und Jesus zu unterstreichen.
Das Magnificat, das zu unserem Predigttext gehört, könnte man da auch zunächst als ein kunstvoll geformtes Lied beschreiben, zu dessen Dichtung man viel Zeit brauchte, es also nicht spontan von Maria gesprochen worden sein kann.
Aber wenn man es genauer betrachtet, erkennt man doch eine ganze Reihe von Parallelen zum Lobgesang der Hanna (1. Sam 2,1-10), Samuels Mutter, und es wäre ja auch denkbar, dass Maria genau daran dachte und diesen Lobgesang, leicht an ihre eigene Situation angepasst, rezitierte. Damals lernte man solche Texte auswendig, denn Papier oder Pergament waren genauso wie Tinte sehr teuer, und viele Menschen konnten gar nicht lesen und schreiben. Man machte sie sich durch Auswendiglernen zu eigen.
So ist es also gar nicht so unwahrscheinlich, dass Maria das Magnificat ganz spontan so gesprochen hat, wie wir es im Lukasevangelium nachlesen können.
Allerdings hat Lukas sein Evangelium ja erst viel später niedergeschrieben. Man könnte also doch darauf beharren, er hätte das alles nur erfunden, zumal es ja keine Zeugen aus dieser Zeit gab.
In seiner Apostelgeschichte erfahren wir aber zu Beginn (Apg 1,14), dass nach der Himmelfahrt Jesu auch Maria, seine Mutter, unter den Jüngern war, so dass es für den Evangelisten leicht möglich gewesen sein dürfte, an die Informationen aus erster oder höchstens zweiter Hand zu gelangen.
Es ist also kein Märchen und auch keine Legende, was uns hier vorgetragen wird. Maria, die Mutter unseres Herrn, ist Elisabeth, der Mutter Johannes des Täufers, begegnet. Sie haben einige Monate miteinander verbracht, und sicher haben sie viel über das gesprochen, was ihnen widerfahren war, sich gegenseitig vergewissert und ermutigt.
Dabei ist das gar nicht mal so selbstverständlich. Denn eine außereheliche Schwangerschaft bedeutete, dass man Ehebruch begangen hatte, auch wenn beide Beteiligten nicht verheiratet waren.
Das Zeugen von Kindern war dem Schutzraum der Ehe vorbehalten. Uneheliche Kinder hätten keine Zukunft, weil sie nichts erben konnten. Und darum sprach man auch dann von Ehebruch, der mit dem Tod bestraft wurde, wenn beide Beteiligten nicht verheiratet waren; denn es galt als ein todeswürdiges Verbrechen.
Maria ist, so dürfen wir annehmen, noch gar nicht lange schwanger, es ist sehr wahrscheinlich, dass man ihr die Schwangerschaft noch nicht ansehen konnte, während Elisabeth wohl schon die Hälfte ihrer Schwangerschaft hinter sich hatte.
Elisabeth hätte Maria fortschicken können, aber Gott sorgt vor durch den Heiligen Geist. Sie erkennt, dass die Schwangerschaft Marias von Gott ist und nicht von Menschen. Sie erkennt, dass es sich um ein Wunder handelt, das hier geschehen ist, genauso, wie an ihr, der Hochbetagten, ein Wunder geschehen ist.
Und so kommen und bleiben die beiden zusammen; sicher wird Elisabeth Maria Ratschläge gegeben haben, wie sie ihre Schwangerschaft kaschieren könne. Denn noch stand Josef ja außen vor, er hatte keine Ahnung von dem, was sich da ereignet hatte, und es ist sehr wahrscheinlich, dass er sie angesichts der Tatsachen nicht heiraten würde.
Das Magnificat ist nun das Geschenk, das Maria der Kirche gemacht hat. Seit frühester Zeit gehört es zum Gebetsschatz der Kirche, und seit Bestehen des Mönchtums gehört es zu den täglichen Lobgesängen der Mönche und Nonnen. Es erinnert uns an das wunderbare Werk Gottes, sein Wirken mit den Menschen.
Und das ist vielleicht sogar das Entscheidende dieser Erzählung: dass Gott mit den Menschen wirkt. Er macht sie gewissermaßen zu Verbündeten. Das bedeutet natürlich auch, dass er ihnen etwas zumutet. Aber die beiden Menschen, um die es hier geht, lassen es sich auch zumuten. Sie sind nicht empört oder abweisend, sondern lassen es an sich geschehen und werden dadurch Teil des Heilswirkens Gottes.
Können wir das auch heute erleben? Ich glaube schon. Vielleicht nicht so spektakulär und großartig, aber ich bin überzeugt, dass der Heilige Geist immer wieder Menschen anrührt, sie zu etwas bewegt, was ihnen sonst nicht in den Sinn gekommen wäre, und sie so für seinen Plan gebraucht, sie gewissermaßen mit einspannt. Ich kann es für mich selbst jedenfalls bezeugen, dass es mir schon öfter so gegangen ist, dass Gott mich gebraucht hat, um anderen Menschen zu helfen. Wie gesagt, es ist nichts Großes – zumindest nicht in meinen Augen. Aber für die Menschen, denen so geholfen wurde, kann es schon etwas Großes gewesen sein.
Oft bekommt man es gar nicht mit. Man denkt, es sei alles ganz beiläufig, ganz normal, aber wenn man dann vielleicht viele Jahre später diesem Menschen wieder begegnet, erfährt man, wovon man selbst ein Teil gewesen ist.
Vor etwa 25 Jahren, als wir noch in Indien lebten, war ich Teil einer kleinen Gruppe von Indern, die über ein sogenanntes Bulletin-Board-System miteinander kommunizierten. Ein Bulletin-Board-System war eine Vorgängerversion von E-Mail, man musste dafür nicht ständig mit dem Netz verbunden sein, das ging damals auch noch gar nicht. Man holte Nachrichten übers Telefon mit Hilfe eines Modems ab, las sie offline, schrieb Antworten und schickte sie dann erst wieder an dieses System.
Vor etwa einem Jahr erfuhr ich von einem dieser Inder, mit denen ich kommuniziert und mit denen ich lange Zeit keinen Kontakt mehr gehabt hatte, dass ich damals wohl etwas gesagt bzw. geschrieben hatte, was sein Leben nachhaltig veränderte. Was ich da gesagt hatte, wusste er nicht mehr so genau, nur, dass ich es war, von dem dieser Impuls gekommen war.
So erfahren wir oft nicht, was für Auswirkungen unser Tun und Reden, manchmal auch unser Lassen, hat. Aber dass es nicht spurlos an unseren Mitmenschen vorbeigeht, ist sicherlich klar.
Ganz wesentlich ist, dass das, was wir tun, im Einklang ist mit dem Willen Gottes. Er will ja, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen (1. Tim 2,4). Darauf kommt es an, darum hören wir auch immer wieder auf Gottes Wort.
Ich glaube allerdings gar nicht mal, dass wir uns dafür außerordentlich anstrengen oder große Redner sein müssen, sondern dass es genügt, uns so wie Maria für den Willen Gottes zu öffnen, bereit zu sein für sein Wirken an und durch uns. Dass wir uns als Werkzeug gebrauchen lassen, ohne dabei willenlos zu werden. Denn dann wären wir wohl gar nicht zu gebrauchen. Nein, wir müssen es auch wollen, im Dienst Gottes zu stehen.
Dazu ist Maria ein wunderbares Vorbild.
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
O Heiland, reiß die Himmel auf (EG 7)
Gott sei Dank durch alle Welt (EG 12)
Die Nacht ist vorgedrungen (EG 16)
Wunderbarer Gnadenthron (EG 38)
Nun lob, mein Seel, den Herren (EG 289)
Hoch hebt den Herrn mein Herz (EG 309)
Meine Seele erhebt den Herren (EG 310 - Kanon)


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