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Zu den Perikopen
Predigtvorschläge zu Reihe II - Mt 20, 1-16
Liebe Gemeinde,
In Indien habe ich sie gesehen, die Tagelöhner: Menschen, die darauf
warteten, dass jemand ihnen Arbeit gibt – für einen Tag. Wenn es dann
geschah, wurde ein Lohn ausgehandelt, der meist gerade ausreichte, um
den täglichen Bedarf der Familie zu finanzieren.
Es kam durchaus auch vor, dass einige nicht schon am Morgen, sondern
erst im Laufe des Tages Arbeit bekamen, und andere den ganzen Tag leer
ausgingen. Je kürzer die Arbeitszeit war, desto weniger Lohn gab es
natürlich.
Und nun erzählt Jesus dieses Gleichnis.
Ja, man muss sich das einmal vorstellen. Da ist man begierig nach Arbeit,
und freut sich auf den vollen Tagelohn, da man ja am Morgen schon zur Arbeit
gerufen wurde. Man packt fröhlich an und bemüht sich, die Arbeit gewissenhaft
und sorgfältig auszuführen.
Dabei ist die Arbeit, von der im Gleichnis gesprochen wird, körperlich ausgesprochen
anstrengend. Man hat den Korb auf dem Rücken, in dem die Trauben gesammelt werden
und der somit immer schwerer wird.
Man geht den Tag über von einer Rebe zur anderen, um die Trauben zu ernten. Immer
wieder muss man mit dem schweren Korb hinunter zur Sammelstelle und dann wieder
rauf in den Weinberg. So geht das Stunde um Stunde. Man sieht andere dazu kommen,
die wohl noch dazu geholt wurden, nachdem der Besitzer festgestellt hatte, dass die
Arbeit für die wenigen, die am Morgen angestellt worden waren, zu viel ist.
Sicher, so werden sich die ersten Arbeiter denken, werden die später gekommenen weniger
Lohn bekommen am Ende des Tages.
Verwunderung, ja, vielleicht sogar Empörung mag sich breit machen, wenn dann tatsächlich
noch eine Stunde vor Sonnenuntergang wieder neue Arbeiter dazu kommen. Was soll das
denn? So viel schaffen die doch gar nicht, dass es sich lohnen könnte. Wehe, wenn die
unseren Lohn in irgendeiner Weise schmälern!
Zur Zahlstunde kommt dann die Überraschung. Man war sich ja einig geworden über einen
Silbergroschen. Das ist ein üblicher Tageslohn.
Doch die in der Schlange stehen und auf ihren Lohn warten, sehen, wie die zuletzt Gekommenen
genau diesen Lohn bekommen. Da müssten sie doch deutlich mehr kriegen! Endlich einmal
mehr als nötig!
Um so größer ist die Enttäuschung, als sie erkennen, dass sie genau das Gleiche bekommen:
einen Silbergroschen. Das ist der vereinbarte Lohn, sagt der Besitzer. Ja, so ist es.
Aber hätte er nicht wenigstens den anderen weniger geben können? Das wäre dann doch gerecht
gewesen!
Wirklich? Immerhin kann man wohl vermuten, dass auch die Arbeiter, die erst kurz vor Ende
des Tages kamen, eine Familie zu ernähren haben. Was hätten sie mit einem Bruchteil des
Lohnes anfangen können? Die Kinder hätten hungern müssen, es hätte nur das Billigste vom
Markt geben können, also nicht das wertvollere Gemüse oder Obst, das ja auch gesund wäre,
sondern nur etwas Mehl für Fladenbrote.
Der Besitzer des Weinbergs scheint diese Not zu sehen und gibt den letzten genauso viel
wie den ersten, damit sie genug haben, um ihre Familie zu ernähren.
Nun müssen wir bedenken, dass dies ein Gleichnis ist, in das man nicht zu viel hinein
lesen darf. Gleichnisse wollen uns eine Wahrheit vermitteln, und wenn Jesus sie erzählt,
geht es im Gleichnis immer um Gott – und um uns Menschen.
Das können wir auch für dieses Gleichnis feststellen. Es ist Gott, der Arbeiter in seine
Ernte sendet. Und er entlohnt sie so, wie er es für richtig hält. Und dieser Lohn sieht
bei allen gleich aus.
Denn, und das ist wichtig: das, was Gott uns als Lohn geben kann, lässt sich nicht in
Bruchteile teilen. Entweder man bekommt es, oder man bekommt es nicht. Da gibt es kein
mehr oder weniger. Jesus warnt uns ja auch davor, den einen höher zu achten als den
anderen, und mahnt uns, Demut zu üben.
aber worum geht es in dem Gleichnis? Wofür steht der Lohn denn nun in Wirklichkeit? Es
dürfte ja klar sein, dass es nicht um einen Silbergroschen geht.
Nun, ich denke, das kann ganz vielseitig sein.
Zum einen befähigt der Lohn ja die Arbeitenden zum Leben. Während es im Gleichnis um
das irdische Leben geht, geht es in der Deutung des Gleichnisses wohl um etwas anderes.
Wir wissen ja, wie schwer es manchmal ist, unserem Leben einen Sinn ab zu gewinnen.
Wir fragen uns, warum etwas so geschehen muss, wie es geschieht.
Das Leben, das Gott uns schenken will, das kennt diese Frage nicht mehr. Es findet
seinen Sinn in Gott selbst.
Und so ist das Leben, zu dem uns der Lohn Gottes befähigt, ein Leben in seiner
Gegenwart. Wir dürfen seine Liebe erfahren, können seine Nähe spüren, wissen uns
in ihm geborgen. Er ist unser Hort und Halt, unsere feste Burg und unser starker
Fels.
Aber da ist noch mehr, und das ist wohl das entscheidende dieses Gleichnisses:
Siehst du scheel drein, weil ich so gütig bin? fragt der Besitzer des Weinberges
den Arbeiter, der von Anfang des Tages an gearbeitet hat.
Der Arbeiter hatte bis zu diesem Zeitpunkt nur Ungerechtigkeit gesehen: die
Ungerechtigkeit, dass er – aus seinem Blickwinkel – nur so wenig bekommen hat
wie der, der nur ein Zwölftel seiner eigenen Arbeitszeit gearbeitet hatte.
Der Besitzer dreht es zurück, so wie es gemeint war und sein sollte: der andere hat
genau so viel bekommen, wie der, der seit dem frühen Morgen gearbeitet hat. Viel
mehr, als ihm eigentlich zusteht. Aber das liegt nun mal in der Hand des Besitzers,
und er bezeichnet es ganz richtig als Güte.
Gott ist gütig. Er gewährt nicht nur, was uns zusteht. Er gewährt uns alles, was wir
zum Leben brauchen, und dabei ist nicht nur das gemeint, was wir zum Leben hier auf
Erden brauchen.
Gott fragt nicht danach, wie viel wir geschafft haben, sondern er fragt nur danach,
ob wir in dem, was wir getan haben, treu gewesen sind. Und wenn das der Fall ist,
dann dürfen wir uns auf ein Leben in seiner Gegenwart freuen.
Darauf dürfen wir vertrauen.
Und es wird auch keinen Grund geben, es irgendeinem anderen nicht zu gönnen oder
gar streitig machen zu wollen. Denn letztlich ist es Gottes Entscheidung, wie viel
Gutes er austeilen will. Für uns bleibt nur dies: dankbar den Lohn aus seinen Händen
zu empfangen. Dabei vertrauen wir darauf, dass Gott uns immer genug geben wird von
dem, was wir brauchen. Denn wir sind seine Kinder.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Nimm von uns, Herr, du treuer Gott (EG 146)
Einer ist's, an dem wir hangen (EG 256)
Lobt Gott, den Herrn, ihr Heiden all (EG 293)
Nun freut euch, lieben Christen g'mein (EG 341)
Ich habe nun den Grund gefunden (EG 354)
Mir ist Erbarmung widerfahren (EG 355)
Der Tag bricht an und zeiget sich (EG 438)
Ich hab erhoben zu dir dort droben (EG 449, 5-6.9-10)
Er weckt mich alle Morgen (EG 452)
In Gottes Namen fang ich an (EG 494)
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Predigtvorschläge zu Reihe IV - Jer 9, 22-23
Diese Predigt wurde 2018 gehalten.
Liebe Gemeinde!
Weisheit, Stärke und Reichtum - damit ließe es sich doch leben. Wer weise ist,
weiß Rat, wenn es mal nicht weitergeht, und kennt Mittel und Wege, Hindernisse
zu überwinden. Weise Menschen fragt man gerne um Rat, weil das, was sie sagen,
Hand und Fuß hat.
Wer stark ist, braucht keine Hilfe von anderen. Er kann sich selber helfen. Mit
seiner Kraft kann er so ziemlich alles schaffen, was es zu schaffen gilt.
Und wer reich ist, kann andere für sich arbeiten lassen. Er braucht nicht stark
zu sein und auch nicht weise, denn er kann Starke und Weise beauftragen, die
Aufgaben, die sich ihm stellen, zu bewältigen. Mit seinem Reichtum bezahlt er
sie für ihre Leistungen.
Die Kombination aus allen dreien müsste jedenfalls ein Idealzustand sein, mit
dem es sich gut, ja, sehr gut leben lässt.
Dem widerspricht das Wort des Propheten auch nicht, eher im Gegenteil. Diese
Eigenschaften werden ohne Wertung in den Raum gestellt, sie sind da, denn es
gibt Weise, Starke und Reiche und dann auch sicher solche, die wenigstens zwei
dieser Eigenschaften haben.
Dem Propheten geht es nun darum, wie wir mit diesen Eigenschaften umgehen.
Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit,
ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke,
ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.
In der Regel sprechen diese Eigenschaften ja für sich. Wer Weise ist, der braucht
das nicht hinauszuposaunen.
Wer stark ist, muss nicht laufend Parkbänke stemmen, damit alle sehen, wie stark
er ist.
Und Reiche müssen nicht mit einem 50 Euro Schein ihre Zigarette anzünden, um allen
zu zeigen, wie reich sie sind.
Man weiß, dass Menschen solche Eigenschaften haben, weil es sich herumspricht,
und wenn das nicht reicht, dann sorgen die Medien für den nötigen Bekanntheitsgrad.
Weisheit scheint dabei allerdings dann doch außen vor zu bleiben, aber das scheint
auch nur so. Die meisten Zeitschriften und Tageszeitungen haben ihre Kolumnen, in
denen irgend jemand mit guten Tipps - eben Weisheit - dazu verhelfen will, das
Leben einfacher und angenehmer zu gestalten. Und im Fernsehen gibt es auf nahezu
jedem Kanal irgendwelche Ratgebersendungen, in denen man noch etwas Neues lernen
kann, angefangen beim Kochen bis hin zur Eheberatung. Dass die Weisheit, die hier
weitergegeben wird, in der Regel nicht von denen stammt, die sie vermitteln, wird
dabei allerdings häufiger übersehen.
Starke Menschen finden man in der Regel im Sportteil. Sport treiben viele Menschen,
aber natürlich bekommen nur die Spitzensportler einen Platz in den Medien. Damit
kann man ja auch Geld verdienen - wenn man sich zum Werbeträger einer Firma machen
lässt, die einem dann den Lebensunterhalt auf Jahre hinaus oder gar bis zum
Lebensende sichert.
Und Reichtum: die Nachrichten von den Reichen, die sich um die Belange der Armen
und Unterdrückten kümmern, häufen sich in letzter Zeit. Hier sorgen die Reichen
dann aber selber für die positive Öffentlichkeitswirkung, indem sie eine Stiftung
gründen oder ein paar hunderttausend oder gar Millionen Dollar oder Euro für eine
Organisation stiften, die sie selber gegründet haben und die natürlich nicht nur
aus purer Selbstlosigkeit entstanden ist.
Immerhin kann man so den Neidern den Wind aus den Segeln nehmen, und es mindert
die Steuern, wenn man etwas Gutes tut. Unabhängig davon gibt es genug Klatschblätter
und -sendungen, die sich mit dem Leben der sogenannten Prominenz befassen.
Letztlich hat es aber doch jeder selbst in der Hand, wie und ob die Eigenschaften
propagiert werden. Denn man muss seine Weisheiten nicht an Zeitungen oder Fernsehsender
verkaufen. Man muss nicht seine körperliche Stärke nutzen, um als Werbeträger Geld zu
machen. Und man muss nicht seine Wohltätigkeit dazu nutzen, um sein öffentliches Profil
zu verbessern.
Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit,
ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke,
ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.
So weit, so gut. Ich kann mir vorstellen, dass wir uns dort gar nicht einreihen.
Eher im Gegenteil: Demut ist ja schon immer eine christliche Tugend gewesen, und
falls sich dann doch jemand seiner Weisheit, seiner Stärke oder seines Reichtums
bewusst ist, dann wird er dies nicht hinausposaunen - nicht in unserer Gemeinde.
Unser Predigtext hat aber noch einen weiteren Satz, den ich noch einmal ins Gedächtnis
rufen möchte:
Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne,
dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn
solches gefällt mir, spricht der HERR.
Klugheit und Weisheit - die beiden liegen ja eigentlich dicht beieinander. Aber
Klugheit ist doch etwas anderes: es ist das Wissen, das man sich anliest oder von
anderen vermittelt bekommt. Weisheit ist hingegen das Wissen, das man durch Erfahrung
erwirbt. Deswegen sind ja meist auch nur alte Menschen weise, denn nur sie können
aus dem großen Erfahrungsschatz ihres Lebens schöpfen.
Unser Predigttext redet aber von einer Klugheit, die man sich nicht anlesen kann,
die einem auch nicht durch andere vermittelt wird. Klug sein bedeutet hiernach, den
Herrn, also Gott, zu kennen. Und gerade das ist ja etwas, was nur durch Erfahrung
möglich ist.
Klugheit wird durch dieses Wort des Propheten mit einem anderen Sinn belegt, als
wir es üblicherweise kennen. Dadurch, dass Klug sein mit der Kenntnis Gottes, des
HERRN, verbunden wird, wird zugleich unser Verständnis von Klugheit in Frage gestellt:
Man gibt sich heute ja als aufgeklärter Mensch, das Reden von Gott und noch mehr der
Glaube an Gott gehören demnach in die Mottenkiste. Klug ist, wer sich auf das, was
sich beweisen lässt, beschränkt, und damit aufhört, Gott zu kennen.
Aber ist wirklich der klug, der aufhört, Gott zu kennen? Wie weit kommt man mit seiner
Klugheit, wenn man Gott nicht mehr kennt? Wir haben es in der Geschichte der Menschheit
immer wieder erlebt, was passiert, wenn man aufhört, Gott zu kennen - den Gott Israels,
den Gott, dessen Wort durch den Propheten Jeremia verkündigt wird.
Sicher, wir haben es weit gebracht mit unserer Klugheit - nur glücklicher ist die
Menschheit, so scheint es mir, dabei nicht geworden. Denn auf ihrem Weg der
intellektuellen Klugheit hat sie Gott verloren.
Kluge Menschen haben es einmal so formuliert: Wir haben vergessen, dass wir Gott
vergessen haben. Mit anderen Worten: wir haben mittlerweile die Generation vor uns,
die von Eltern erzogen werden oder wurden, die von Gott nichts mehr weiß, die Gott
vergessen haben.
Wir haben vergessen, dass wir Gott vergessen haben. Und wenn es so weit ist, dann
haben wir auch die Gabe Gottes verloren, nämlich das ewige Leben.
Aber der Predigttext hat noch eine Besonderheit zu bieten. Ich lese ihn noch einmal
vor:
So spricht der HERR:
Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit,
ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke,
ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.
Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne,
dass ich der HERR bin,
der Barmherzigkeit,
Recht und
Gerechtigkeit
übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der HERR.
Man kann dieses Wort des Herrn in zwei Teile teilen, und wenn man das tut, dann erkennt
man auch, dass in jedem Teil drei Dinge genannt werden, die man miteinander verbinden
kann:
• Weisheit und Barmherzigkeit
• Stärke und Recht
• Reichtum und Gerechtigkeit
Und daraus ergibt sich dann auch ein neues Verständnis für die Eigenschaften Weisheit,
Stärke und Reichtum:
Weisheit und Barmherzigkeit: Wenn die Weisheit des Menschen und Gottes Barmherzigkeit
Hand in Hand gehen, dann kann es nicht mehr nur darum gehen, das Wissen mit allen zur
Verfügung stehenden Mitteln zu vergrößern, sondern es wird dann Grenzen geben, die wir
um dieser Barmherzigkeit willen nicht überschreiten.
Barmherzigkeit lässt uns das Verlangen nach mehr Wissen immer neu überprüfen. Was lässt
sich verantworten? Gibt es nicht doch einen Punkt, an dem Forschung ein Ende haben muss?
Wie tief dürfen unsere Eingriffe in die Schöpfung Gottes reichen? Wie sehr kann unser
Wissen zur Existenzbedrohung anderer Völker werden - und damit letztlich auch zur Bedrohung
unserer eigenen Existenz?
Stärke und Recht: Es ist das Gesetz des Dschungels, dass der Stärkere im Recht ist. Wer
stärker ist, hat das Sagen, der Schwächere verliert zwangsläufig.
Dieses Gesetz lässt sich durchaus auch generell auf die Menschheit übertragen. Wer nicht
bereit ist, Konkurrenten mit der Kraft seiner Ellbogen aus dem Rennen zu werfen, wird in
der Regel selbst aus der Bahn fliegen.
In unserem Predigttext trifft diese Stärke nun auf Gottes Recht. Da kann es nicht mehr ein
Dschungelgesetz sein, das die Verhältnisse regelt. Sondern der Starke schafft dem Schwachen
Recht. So gehören die beiden zusammen, so soll Stärke zum Einsatz kommen, indem sie anderen
Menschen, nämlich den Schwächeren, hilft.
Reichtum und Gerechtigkeit: Mit dem Reichtum ist es merkwürdig: je mehr man hat, desto mehr
scheint man davon zu brauchen. Nie hat man das Gefühl, dass es genug ist. Man sieht sich
in Konkurrenz zu den anderen, ebenfalls Reichen, und müht sich, ihnen gegenüber herauszustechen.
Wenn der Reichtum des Menschen und die Gerechtigkeit Gottes zusammentreffen, dann ändert
sich das schlagartig. Man sieht nicht mehr seinen eigenen Reichtum im Verhältnis zu anderen,
die auf ähnlichem Niveau stehen, sondern man sieht sich im Verhältnis zu denen, die ihr
Leben mit einem Minimum fristen müssen, das oftmals noch nicht einmal ausreicht, um genug
Essen für den nächsten Tag zu beschaffen. Man erkennt seinen eigenen Überfluss und die
Möglichkeit, dass man abgeben kann, nicht nur einen kleinen Bruchteil seines Reichtums,
sondern so viel, dass man selbst nur noch einen kleinen Bruchteil seines Reichtums behält.
So spricht der HERR:
Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit,
ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke,
ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.
Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass
ich der HERR bin,
der Barmherzigkeit,
Recht und
Gerechtigkeit
übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der HERR.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Man lobt dich in der Stille (EG 323)
Lobt froh den Herrn, ihr jugendlichen Chöre (EG 332)
Ist Gott für mich... (EG 351)
Alles ist an Gottes Segen (EG 352)
Alles was wir sind (KHW-EG 608)
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Predigtvorschläge zu Reihe V - Mt 9, 9-13
Liebe Gemeinde!
Ich finde das schon bemerkenswert: da ist einer, der offensichtlich finanziell gar
nicht schlecht da steht. Er hat ein gutes, gesichertes Einkommen, und er hat die
Mächtigen hinter sich, die römische Besatzungsmacht. So ist er geschützt. Er kann
mit seinem Leben machen, was er will – seine Mitmenschen können ihm völlig egal
sein.
Ein dickes Fell braucht er allerdings, denn niemand mag ihn. Er wird beschimpft,
weil er seine Stellung schamlos ausnutzt, indem er seine Mitmenschen ausbeutet.
Zu laut werden diese Stimmen aber nicht, denn man fürchtet den starken Arm der
Besatzungsmacht, für die er ja handelt und unter deren Schutz er steht.
Dieser Eine wird nun dort, wo er gerade seine Arbeit tut und also seinen hohen
Lebensstandard sichert, angesprochen: „Folge mir!“ Ich glaube, wenn ich in seiner
Position wäre, ich würde nur müde lächeln und mich gleich wieder meinem Tagesgeschäft
zuwenden. Denn warum sollte ich diesem Menschen folgen?
Aber dieser Mensch, der es überhaupt nicht nötig hatte, „stand auf und folgte ihm“.
Woran liegt es, dass diese zwei Worte eine solche Wirkung auf ihn ausüben? Ist es
die Persönlichkeit Jesu, die ihn überwältigt? Ist es der Klang der Stimme? Ist es
der Tonfall? Der Blick?
Matthäus steht auf und folgt dem, der ihn so auffordert. Er lässt alles stehen und
liegen – sogar die Schatulle mit dem Geld, in die er die Steuern hineintat, die er
von den Händlern eintrieb.
Kann so etwas wirklich passieren? Es scheint jedenfalls ausgesprochen unrealistisch,
unwirklich, kaum vorstellbar. Man mag an das Wort Jesu denken, dass es für ein Kamel
leichter ist, durch ein Nadelöhr zu gehen, als für einen Reichen, in das Himmelreich
zu kommen.
Nichts ist da, was diesen Ruf in irgendeiner Weise attraktiv machen würde. Da ist
nichts außergewöhnlich Anziehendes, kein riesiges Werbeplakat, das auf Jesus aufmerksam
macht, kein witziger Werbespot, keine Prämie, kein Rabatt, keine Aussicht auf ein Leben
in Saus und Braus, nichts. Eher im Gegenteil: Jesus wandert umher mit nichts als einem
Überwurf bekleidet, Essen gibt es zwar genug, aber nicht gerade sehr abwechslungsreich,
und Auswahl gibt es schon gar nicht. Es gibt keine weichen Matratzen, sondern steiniger
Boden, auf dem man sich nachts bettet unter freiem Himmel.
Der Zöllner wurde völlig überraschend aufgefordert, mit Jesus mit zu gehen, er hatte
es weder erhofft noch in irgend einer Form damit gerechnet. Nirgends wird davon berichtet,
dass er sich auf den Ruf hätte wenigstens innerlich vorbereiten können. Er steckt im vollen
Leben.
Und dann ergehen nur diese zwei Worte an ihn, die seinen gesamten Lebensvollzug ins Wanken
bringen. So etwas kann doch eigentlich gar nicht geschehen!
Und es geschieht doch.
Diese Erzählung von der Berufung des Matthäus will uns auf etwas hinweisen, das uns oft
gar nicht so gegenwärtig ist, womit wir aber rechnen sollen und auch dürfen:
Das Wort Gottes, das uns anspricht und das uns in seine Nachfolge ruft. Das Wort Gottes,
das in sich mächtig ist. Dieses Wort hat eine verwandelnde, verändernde Kraft. Es löst
etwas aus, indem es in uns hinein dringt. Es gelangt nicht nur an unsere Ohren und von
dort in unser Gehirn, wo wir die Worte dann verstehen, sondern auch in unser Herz, wo wir
das dringende dieser Worte spüren, wo wir das spüren, was aus den Worten nicht mit den
Ohren herausgehört werden kann: dass es um unser Leben geht, dass diese Worte Lebensspender
sind. Das Wort Gottes ist lebendig. Es weist uns den Weg Gottes. Doch das spüren wir nur
mit dem Herzen.
„Folge mir!“
Das ist eben kein verlockender Werbespruch und damit auch kein leeres Versprechen, wie es
oft in Werbungen gemacht wird. Es trägt in sich eine Kraft, der wir kaum etwas entgegen
setzen können. Es ist wahrhaftig.
Wenn Gott uns anspricht, dann wird alles umgekrempelt. Alle Werte, die uns bisher wichtig
waren, erscheinen in einem anderen Licht, sie werden neu sortiert und bekommen eine andere
Priorität. Plötzlich ist das eine, was bisher das Wichtigste war, unbedeutend, und anderes,
was wir bisher für völlig wertlos und unwichtig hielten, wird bedeutend.
Der Zöllner scheint sein Leben dann aber doch nicht gänzlich hinter sich zu lassen. Vielmehr
gibt es ein Festessen in seinem Haus. Jedoch bleibt selbst dies merkwürdig undeutlich: ist
es wirklich das Haus des Zöllners? Wir kennen das so von den Erzählungen in den anderen
Evangelien.
Matthäus aber berichtet nichts von einer Einladung, es scheint vielmehr, als ob das Essen
mit den „Zöllnern und Sündern“ ganz unabhängig von der Berufung des Matthäus erfolgt.
Wir wissen, dass Matthäus, der in den anderen Evangelien Levi genannt wird, dann zum Kreis
der Zwölf hinzu gezählt wird. Er geht also mit Jesus mit, als dieser wieder aufbricht und
die Stadt verlässt. Ein Abschiedsessen liegt nahe, aber dieses Essen scheint damit nichts
zu tun zu haben. Vielleicht hatte Jesus eingeladen, vielleicht wurde er eingeladen,
vielleicht ist es einfach ein gemeinschaftliches Mahl, so wie es sie an vielen Orten
gab. Es scheint ein ganz normales Essen zu sein. Man ist fröhlich beisammen, man unterhät
sich und isst und trinkt.
Aber da sind dann noch die Pharisäer, die Hüter des Gesetzes. Sie haben Jesus ja schon
eine Weile beobachtet, sind argwöhnisch ob seiner Lehren, und können ihm doch nichts
entgegen setzen. Sollte er etwa doch der versprochene Messias sein?
Es ist bis jetzt noch eher Neugier als böse Absicht, wenn sie ihm gewissermaßen hinterher
schleichen. Sie wollen Beweise sehen dafür, dass er der Erwählte Gottes ist, der Messias.
Oder Beweise dafür, dass er es nicht ist.
Und nun sehen sie Jesus mit den Zöllnern und Sündern essen. Offenbar war es ein Leichtes,
Zöllner und Sünder in einem Atemzug zu nennen. Zöllner, so wie Matthäus, sind nun mal
böse Menschen, weil sie mit den Unterdrückern zusammenarbeiten und dabei noch ihre
eigenen Volksgenossen ausbeuten.
Vielleicht kennen wir das auch, dass wir Menschen mit einem Wort in eine Schublade
stecken, aus der sie sich kaum mehr befreien können. Vielleicht wollen wir nicht wahr
haben, dass das Wort Gottes solch eine verwandelnde Kraft haben kann in den Menschen,
mit denen wir so wenig wie möglich zu tun haben wollen.
Und nun sieht man, dass Jesus mit solchen Menschen das Brot teilt. Versuchen wir es
uns einmal so vorzustellen: Jesus sitzt mit denen zusammen, denen wir am liebsten
den Rücken kehren würden. Das darf doch nicht sein! Und darum sind die Pharisäer
entsetzt.
Nun fragen sie aber nicht Jesus selbst, was ja eigentlich nahe liegen würde, sondern
wenden sich an seine Jünger: warum tut er das? Warum isst er mit den Zöllnern und
Sündern? Sie wollen wissen, ob seine Jünger dies plausibel begründen können, denn
nur dann können sie auch annehmen, dass er ein guter Lehrer ist. Sie prüfen also im
Grunde auf diesem Wege die Verkündigung und die Lehre Jesu. Aber die Jünger kommen gar
nicht dazu, zu antworten.
Jesus hört die Frage – ob sie ihm von den Jüngern zugetragen wird, oder ob er nur gute
Ohren hat, bleibt offen – und antwortet, indem er die Not der Pharisäer auf den Punkt
bringt. Denn letztlich geht es gar nicht darum, ob es richtig ist, das Brot mit Zöllnern
und Sündern zu teilen, sondern es geht darum, wie man mit Sünde schlechthin umgeht.
Und da gibt es für die Pharisäer nur einen Weg: sich von ihr fernhalten. Jesus tut
etwas anderes: er nimmt die Sünde von den Menschen. Er befreit sie. Und so ist seine
Antwort dann auch: „Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken.“
Diese Antwort impliziert zweierlei: Erstens: Es gibt solche, die keine Hilfe brauchen,
die es tatsächlich schaffen, frei von Sünde zu sein, oder die wenigstens meinen, aus
eigener Kraft von der Sünde los zu kommen bzw. sich von ihr fern zu halten.
Und zweitens: Sünde ist nichts, was man sich aussucht, sondern etwas, das einen
befällt, so wie eine Krankheit.
So sagt er es den Pharisäern, so werden sie es verstanden haben. Aber wenn sie
klug waren, dann muss ihnen auch im gleichen Augenblick ein Licht aufgegangen
sein:
Jesus provoziert sie. Seine Antwort ist bewusst so formuliert, dass sie Fragen
aufwirft, die zu beantworten nun Aufgabe der Pharisäer selbst ist: Bin ich wirklich
so stark? Kann ich mich aus eigener Kraft von der Sünde befreien, wo sie doch über
mich kommt wie eine Krankheit?
Und das Fragen geht weiter: Was habe ich falsch gemacht? Warum bin ich jetzt fern
von ihm, während er dort bei den Zöllnern und Sündern sitzt und ihnen das Heil
bringt? Brauche ich nicht auch das Heil?
Für uns kann diese Erzählung zu einer Herausforderung werden. Wo gehören wir da
eigentlich hin? Sind wir die Pharisäer, oder sind wir mit Jesus am Tisch, inmitten
der Zöllner und Sünder? Was ist unser Platz in dieser Geschichte?
Oftmals hat man in dieser Geschichte ein Paradigma für das Verhältnis zwischen
Juden und Christen gesehen. Die Christen seien die, mit denen Jesus sich abgibt,
da sie ihn ja angenommen haben als ihren Herrn und Meister, während die Juden,
die hier durch die Pharisäer scheinbar repräsentiert werden, ihn ablehnten. Aber
das halte ich dann doch für eine starke Vereinfachung, zumal die Zöllner und
Sünder, von denen Matthäus spricht, ja auch Juden waren.
Nein, es geht in dieser Geschichte darum, wie Menschen mit Sünde umgehen, und
ich kann mir vorstellen, dass da so mancher sich eher auf der Seite der Pharisäer
wiederfindet als auf der Seite der Zöllner und Sünder, die mit Jesus Gemeinschaft
haben.
Denn es fällt uns doch oft leichter, über andere den Stab zu brechen, als unsere
eigenen Fehler und Schwächen zu erkennen und anzunehmen.
Diese Erzählung will uns deutlich machen, wie leicht das geschehen kann. „Die
Starken bedürfen des Arztes nicht“ - ja, sicher, aber gibt es in dieser Welt
überhaupt auch nur einen einzigen, der so stark ist, dass er nicht ein einziges
Mal krank wird? Sind wir nicht alle Sünder?
Diese Frage beantwortet uns Paulus klar und deutlich: „Sie sind allesamt Sünder
und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten (Röm 3, 23). Allein die
Zuwendung Gottes in Jesus Christus ist es, die uns wieder gesund machen, die uns
heil machen kann. Und diese Zuwendung erfahren wir ganz unverdient, ohne dass wir
etwas dazu könnten, z.B. in der Feier des Heiligen Abendmahls, aber auch in der
Begegnung mit unseren Mitmenschen, wenn wir Vergebung erfahren, wenn wir nicht
mehr über andere, sondern mit ihnen reden.
So werden wir Gottes Hausgenossen. Nur: es ist und bleibt unverdient. Nichts könnten
wir tun, um das aus eigenen Stücken und mit eigener Kraft zu erreichen. Niemand ist
so stark, dass er den Tod überwinden kann, als alleine Gott. Und vielleicht ist es
auch darum, dass Jesus dem Kranken nicht den Gesunden, sondern den Starken gegenüber
stellt, der meint, alles alleine bewältigen zu können.
Jeder Mensch erreicht Grenzen, die unüberwindlich sind, früher oder später. An
diesen Grenzen erklingt Jesu Ruf: „Folge mir!“. Dieser Ruf hat die befreiende,
ja, erlösende Kraft, die nur von Gott selbst ausgehen kann.
Diesen Ruf kann aber auch nur der vernehmen, der sein Herz für das Wort Gottes
öffnet und der sich seiner eigenen Grenzen bewusst ist. Denn: „Die Starken bedürfen
des Arztes nicht, sondern die Kranken.“
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Du sollst glauben und nicht wanken (EG 215, 4-8)
Nun lob, mein Seel, den Herren (EG 289)
Ein Arzt ist uns gegeben (EG 320, 4-6)
Jesus nimmt die Sünder an (EG 353)
Mir ist Erbarmung widerfahren (EG 355)
Mir nach, spricht Christus, unser Held (EG 385)
Gott rufet nocht (EG 392)
Lass uns in deinem Namen (KHW-EG 614)
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Predigtvorschläge zu Reihe VI - 1. Kor 9, 19-27
Diese Predigt wurde zu 1. Kor 9, 24-27 gehalten:
Liebe Gemeinde!
Wir alle kennen das und haben sicher schon mal mitgefiebert, wenn ein Wettrennen z.B. im Fernsehen
übertragen wurde. Manchmal kennt man die Sportler gar nicht, aber man fiebert trotzdem mit und hat
auch sofort Sympathien für eine bestimmte Person entwickelt. Manchmal ist es aber auch jemand, der
einem durch viele andere Sendungen bekannt ist und zu dem man eine gewisse Sympathie entwickelt hat.
Manchmal, allerdings wohl eher nicht im Fernsehen, geht es auch um das eigene Kind, das etwa an einem
Schulwettbewerb teilnimmt und das man darum natürlich unterstützen will.
Oft fiebert man auch für die Sportlerin, die für das eigene Land kämpft. Es ist spannend, wenn es in
die Zielrunde geht, man vergisst alles um sich herum, bis die Ziellinie erreicht ist. Und dann macht
man sich seiner Freude - oder auch seiner Enttäuschung - Luft.
Wir alle haben vermutlich selbst schon mal an solchen Wettkämpfen teilgenommen, wenn nicht in der jüngeren
Vergangenheit, dann doch wenigstens damals in der Schule im Sportunterricht und vielleicht später im Sportverein.
Vielleicht erinnern wir uns noch etwas an das Gefühl, der oder die Beste sein zu wollen, und die Enttäuschung,
wenn es dann doch nicht gelang. Sicher war da dann auch etwas Neid dabei, dass der oder die andere es geschafft
hatte und sich damit als die Bessere erwies.
Aber so ist es nun mal: nur einer kann gewinnen, und es ist ja auch verdient.
Sofern nicht Doping im Spiel ist - und davon kann man zumindest in der Schule noch ausgehen - war es ein fairer
Wettkampf, in dem die Bedingungen weitgehend gleich waren. Nur beherrschten die, die vor einem das Ziel
erreichten, die Technik besser oder waren einfach besser trainiert.
Vielleicht aber hat man sich selbst auch gar nicht richtig angestrengt, weil es einem nicht so wichtig war, zu
gewinnen. Denn es gibt auch diese Situation:
Man wusste schon vorher, dass man nicht zu den Besten gehört. Und darum rechnete man gar nicht erst mit dem ersten
Platz. Man war schon vor dem Start des Rennens damit zufrieden, irgendwo in der Mitte zu landen - vielleicht sogar
am Ende. Mitmachen ist alles, heißt es dann manchmal und versucht damit, die eigene Schwäche zu kaschieren.
Dafür gibt es dann aber vielleicht einen anderen Bereich, in dem man die Mitstreiter und -streiterinnen abhängen kann.
Denn es ist ja doch so, dass jeder Mensch bestimmte Begabungen hat und nur in wenigen Dingen wirklich gut sein kann.
Und in solch einer Sache schafft man es dann, die anderen hinter sich zu lassen.
Paulus vergleicht unser ganzes Leben mit einem Wettkampf, einem Wettlauf. Er erinnert uns daran, dass es nur einen
geben kann, der den Siegeskranz empfängt. Nur einen einzigen. Und er fordert uns dazu auf, uns so anzustrengen, dass
wir diese eine Person sind.
So motiviert ein Trainer seine Sportler: 'Du bist der Beste, Du lässt alle hinter dir zurück!' Das muss tief ins
Unterbewusstsein dringen – und führt dann manchmal auch zu nicht unerheblicher Arroganz.
Doch hier ist es nun so, dass der Wettlauf längst begonnen hat. Wir stehen nicht vor einem Wettkampf, sondern laufen
schon längst unsere Runden! Jede Ermutigung kommt da eigentlich schon zu spät.
Doch was für ein Wettkampf ist das eigentlich?
Eins ist sicher: es geht hier nicht um Geschwindigkeit. Es geht nicht um die Frage, wie schnell wir laufen können.
Es geht auch nicht darum, ob wir die Technik perfekt beherrschen.
Es geht vielmehr darum, dass wir das Evangelium weitersagen. Aber auch dies ist nicht das eigentliche Ziel des
Wettkampfs. Es geht nicht etwa darum, wettkampfmäßig herauszufinden, wer am besten predigen kann.
Wir stehen nicht in einem Wettkampf mit allen Menschen dieser Welt. Sondern der Wettkampf findet eigentlich nur gegen
uns und in uns selbst statt: „Ich bezwinge meinen Leib und zähme ihn, damit ich nicht anderen predige und selbst
verwerflich werde.” (1. Kor 9, 27), sagt Paulus und macht damit deutlich, dass unser Konkurrent wir selbst sind.
Es gibt da zwei Kontrahenten in uns:
Da ist einmal der Geist, der uns sagt, was gut ist und richtig - das haben wir durch das Evangelium gelernt. Wir
verstehen durchaus, dass es darum geht, Gott und unseren Nächsten nach bestem Vermögen zu lieben.
Doch da ist zum andern der Körper, das Fleisch, das sich herzlich wenig kümmert um diese „Lektion” des Geistes.
Der Körper sucht sich ein anderes Ziel, er läuft, um im Bild zu bleiben, in eine andere Richtung als unser Geist.
Aber welche Ziele sucht sich der Körper aus? Diese Antwort bleibt uns Paulus schuldig, und ich bin darüber auch ganz
froh, denn sicher waren und sind diese Ziele von Mensch zu Mensch unterschiedlich und auch nicht alle so, dass man
gerne von ihnen hören möchte.
Eins aber scheint ganz eindeutig so zu sein: der Körper sucht sich immer den Weg des geringsten Widerstandes. Man
möchte sich selbst nämlich nicht schaden. Die Konsequenz des eigenen Handelns soll nicht zu Schmerzen führen,
indem man irgendwo aneckt.
Und da erkennen wir auch, dass die Trennung von Leib und Geist gar nicht so gut funktioniert. Eigentlich arbeiten
sie beide doch Hand in Hand. Der Leib will genährt sein, er will ein Dach über dem Kopf, Kleidung, und alles, was
Not tut oder zu tun scheint.
Der Geist weiß, dass das nicht alles ist, dass die Befriedigung dieser Bedürfnisse nicht genügt, aber er folgt dem
Leib nach, denn er weiß ja genauso gut, dass es einem nichts nützt, wenn man verhungert oder erfriert.
So tut man, was den anderen gefällt, damit der Unterhalt gesichert ist, vielleicht auch, damit der Haussegen nicht
schief hängt oder der Besuch der Kinder nicht ausbleibt. Man schweigt, wenn Unrecht geschieht, oder stimmt sogar
mit ein, wenn die Menge lauthals über eine Minderheit herzieht und ihr Eigenschaften andichtet, die durch nichts
bestätigt werden können.
Es gibt Dinge, die einem sehr wichtig sind. Dazu gehört die Anerkennung durch die anderen.
Aber es kann mitunter auch so weit gehen, dass die Kleidung zu einer Art Statussymbol wird. Man gerät dann
tatsächlich unweigerlich in einen Wettstreit, allerdings mit seinen Mitmenschen.
Das Ziel ist dann nur, wie Paulus sagt, ein vergänglicher Siegeskranz, der unserer Seele in keiner Weise nützen
kann. Aber dieser Wettstreit bindet gewissermaßen unseren Geist, wir halten ihn ab von dem eigentlichen Ziel,
das es zu erreichen gilt.
Denn Gott sieht nicht auf das Äußere. Er schaut direkt in unsere Herzen.
Und da ereignet sich der einzige Wettkampf, der für unser Leben eine Bedeutung hat. In diesem Wettkampf geht es
um das Evangelium.
Wer die Botschaft von der Liebe Gottes für sich angenommen hat, kann eigentlich nicht anders als diese Botschaft
weitersagen. Denn er begreift auch, dass sie allen Menschen gilt. Und man erkennt ja schnell, dass die Mitmenschen
diese Liebe nicht erfahren haben.
Das Evangelium gibt uns die Richtung vor, in der wir laufen sollen. Zwar bedeutet das Evangelium zunächst die frohe
Botschaft von der Freiheit, die Gott uns schenkt, aber das bedeutet nicht, dass wir nun kreuz und quer, also ziellos,
durcheinander laufen.
Wir sind nicht gerufen, zu tun und zu lassen, was wir wollen, sondern was Gott will. Und da gibt es schon Grenzen und
klare Vorgaben. Aber diese Grenzen sollen uns nützen und zum Guten dienen ? oder besser gesagt: sie sollen allen
Menschen nützen und zum Guten dienen. Denn wer für sich Freiheit in Anspruch nimmt, muss sie auch seinen Mitmenschen
gewähren. Und daraus ergeben sich dann doch Grenzen, wie sie etwa in den zehn Geboten oder im höchsten Gebot von der
Gottes- und Nächstenliebe gewissermaßen abgesteckt sind.
In unserem Wettkampf des Lebens gibt es nur einen einzigen Gegner, und das sind wir selbst. Es erfordert viel Kraft,
den inneren Schweinehund zu überwinden, und es erfordert viel Weisheit, das Wichtige und Bedeutende vom Unwichtigen
und Unbedeutenden zu unterscheiden. Paulus ermutigt uns dazu, genau das zu tun.
Lauft so, dass ihr den Siegeskranz erlangt: besiegt das, was euch vom Evangelium trennen will. Lasst nicht zu, dass
die Sorge um euer Leben und um eure Sicherheit euer Leben kontrolliert. Vergesst vielmehr nicht die Sorge für eure
Mitmenschen. Lasst euch vom Evangelium treiben und nicht von Konventionen, die euch die Freiheit rauben.
Das Evangelium: das ist die Botschaft von der Liebe Gottes, die wir in unserem Leben vielfach erfahren haben und
immer wieder erfahren. Diese Liebe sollen wir nun auch erfahrbar machen für andere, indem wir mit ihnen teilen,
was unser ist, und für sie da sind. Wir sollen uns für die Unterdrückten einsetzen und ihnen helfen, dass sie zu
ihrem Recht kommen.
Das scheint vor allem jetzt besonders wichtig und bedeutungsschwer zu werden, wo immer mehr Menschen eine Beschränkung
der Flüchtlingszahlen fordern und viele Menschen in den Flüchtlingen inzwischen eine Bedrohung sehen.
Die Ausstellung im Kreuzgang des Kaiserdoms, die ein paar Schlaglichter auf die Schicksale einiger Flüchtlinge wirft,
lehrt uns, dass es hier nicht um den Verlust unseres Lebensstandards geht, sondern darum, Menschen, die sonst um ihr
Leben fürchten müssten, ein Leben in Frieden und Freiheit zu ermöglichen.
Bei all unserem Tun sollen wir nicht unseren eigenen Vorteil suchen, so wie das in einem normalen Wettkampf der Fall
wäre, sondern den Vorteil des anderen.
Ja, das ist schon paradox: Wir laufen in einem Wettlauf, aber nicht, um besser zu sein als die anderen, sondern
um unser Verlangen nach Anerkennung und Auszeichnung zu überwinden. Und so hat auch unser Dienst am Nächsten
nicht das Ziel, am Ende eine Auszeichnung zu empfangen, sondern unserem Nächsten ein Leben in Freiheit und
Freude zu ermöglichen. Wenn das gelingt, dann haben wir auch unseren Sieg.
Führen wir also den Wettkampf gegen uns selbst, gegen unsere Eitelkeit und unsere Selbstsucht. Kämpfen wir
mit aller Kraft, um den unvergänglichen Kranz zu gewinnen, den Gott selbst uns überreichen wird.
Sicher, es ist anstrengend, in diesem Wettkampf gegen uns selbst zu laufen. Aber wir laufen nicht allein. Mit uns läuft
Christus. Er will uns ermutigen, denn er ist diesen Weg schon gelaufen.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
O Heiliger Geist, o heiliger Gott (EG 131)
Jesus, stärke deine Kinder (EG 164)
Wohl dir, du Kind der Treue (EG 361, 11)
Mir nach, spricht Christus, unser Held (EG 385)
Jesu, geh voran (EG 391)
Nun aufwärts froh den Blick gewandt (EG 394)
Brich mit den Hungrigen dein Brot (EG 420)
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