das Kirchenjahr

Die Zerstörung Jerusalems

10. August

Die Zerstörung Jerusalems

Predigtanregungen

s. auch 10. Sonntag nach Trinitatis

Dieser Gedenktag (10.8.) kommt nach der Perikopenrevision von 2018 nicht mehr vor. Sein Proprium kann aber am 10. Sonntag nach Trinitatis genutzt werden. Ich habe den Gedenktag bewusst am 10. August behalten, weil er für das Volk Gottes ein einschneidendes Ereignis darstellt, das die gesamte folgende Geschichte bis heute geprägt hat. Als Nachfolger des Juden Jesus sind wir in diese Geschichte eingebunden und sollten der Zerstörung Jerusalems in angemessener Weise gedenken und nicht nur als Alternative zum Proprium des 10. Sonntags nach Trinitatis.

Die Zerstörung Jerusalems und des jüdischen Tempels wurde über lange Zeit als Zeichen dafür angesehen, dass Israel das verworfene Gottesvolk sei, während die christliche Gemeinde nun das neue Gottesvolk sei. Wenn wir aber Röm 9-11 lesen, wird uns deutlich, dass wir von Israel nicht reden dürfen, als habe es seine Stellung als Gottesvolk verwirkt. Vielmehr gehört auch die Zerstörung Jerusalems in den unergründlichen Plan Gottes, dessen Ziel nach seiner Verheißung es weiterhin bleibt, nicht nur Israel, sondern auch die Heiden (uns) zu dem Schöpfer und Heiland der Welt zu führen.
Symbolisch können wir die Zerstörung des Tempels dahin deuten, dass nun Gott selbst unsere Schuld auf sich genommen hat und man nicht mehr am Tempelkult teilhaben muss, um Vergebung der Sünden zu erlangen. Auch erkennen wir zusammen mit dem Volk Israel (1. Kön 8, 27; Jes 66, 1 u.ö.), dass Gott nicht auf ein Haus als Wohnort und Begegnungsstätte beschränkt werden kann, sondern uns überall, wo er will, begegnet.
Dennoch ist die Zerstörung des Tempels für das Gottesvolk ein Zeichen des Gerichts, wie es zuvor schon viele gegeben hat. Dass das jüdische Volk weiterhin Bestand hat, ist ein deutliches Zeichen dafür, dass Gott zu seinem Volk steht, wenn es in den Synagogen zu Gebet und Schriftlesung zusammenkommt. An solchen Gottesdiensten haben ja auch die ersten Christen teilgenommen.
Schon lange war der Haß gegen die römische Besatzungsmacht unter den Juden immer stärker geworden. Als im Mai 66 der Statthalter Florus (64-66) aus dem Tempelschat 17 Talente Gold entnehmen ließ, führte dies zu starker Empörung im Volk, woraufhin Florus einen Teil der Stadt plündern ließ und die Bevölkerung aufforderte, zwei aus Caesarea kommende Kohorten mit Freudenkundgebungen zu empfangen. Zwar begrüßte die Bevölkerung, von den Hohepriestern dazu veranlasst, die Kohorten, als diese den Gruß aber nicht erwiderten, , wurde die Empörung wieder entfacht. Die Aufrührer verschanzten sich zum Schutz vor den römischen Waffen im Tempelbezirk. Florus holte Verstärkung, und während er unterwegs war, wurde die zur Sicherung des Herodestempels zurückgelassene Kohorte trotz zugesicherten freien Abzugs hinterrücks niedergemacht. Nun waren die Juden wieder Herren in ihrer Stadt - die Opfer für den Kaiser in Rom wurden eingestellt. Auch der zur Verstärkung mit einer Legion herangerückte Statthalter von Syrien, Cestius Gallus, vermochte zunächst nichts auszurichten.
Nun beauftragte Nero seinen tüchtigsten Feldherrn, Vespasian, mit der Niederwerfung des Aufstandes. Dieser unterwarf im Jahr 67 ganz Galiläa. Gleichzeitig gab es in Jerusalem Auseinandersetzungen zwischen denen, die noch Einigung mit den Römern suchten, und denen, die davon nichts wissen wollten. Die gemäßigtere Seite unterlag, da die andere unter der Führung des Johannes von Gischala an Brutalität kaum zu übertreffen war. Die urchristliche Gemeinde in Jerusalem hat sich wohl in dieser Zeit der inneren Auseinandersetzungen nach Pella östlich des Jordans abgesetzt.
Durch die politischen Schwankungen im römischen Reich (Tod Neros, Ermordung zweier Nachfolger) wurde das Fortschreiten Vespasians gehindert. Endlich ging er selbst nach Rom und übergab seinem Sohn Titus den Auftrag Neros, den Aufstand niederzuwerfen.
Titus belagerte die Stadt zu Beginn des Jahres 70 und suchte sie erst zu erstürmen; im Juli wurde denn auch die Burg Antonia eingenommen. Nchdem Titus die Aufständischen mehrmals zur Aufgabe aufgefordert hatte, ließ er den Tempel in Brand stecken. Im Spetember des Jahres 70 war Jerusalem gänzlich in der Hand des Römers und wurde ungehindert durch die Soldaten geplündert. Das Bild, das sich den Soldaten bot, war freilich grausig. Neben den Hungerleichen lagen die von den Führern des Aufstandes Ermordeten, und nach dem Bericht des Josephus hatten manche sogar begonnen, das Fleisch ihrer Mitmenschen zu essen.
60 Jahre später (132-135) entstand unter der Führung Simeons Bar Kochba (Sternensohn) noch einmal ein Aufstand, und kurze Zeit war Jerusalem wieder in jüdischer Herrschaft. Die Stadt wurde erneut durch die Römer ausgehungert und für die Juden jeglicher Zugang zur Stadt verwehrt, nachdem auf den dem Erbeben gleichgemachten Mauern eine römische Kolonie errichtet worden war. Die Römer nannten nun Judäa mit dem Namen „Palästina” (von „Philister”), um die Erinnerung an das jüdische Volk und an ein jüdisches Land möglichst nicht wieder aufflammen zu lassen.
Heute ist Jerusalem wieder die Hauptstadt des jüdischen Staates Israel, was uns deutlich vor Augen führt, dass die Geschichte Gottes mit seinem Volk nicht, wie damals die Römer meinten, zu Ende ist.

Die liturgische Farbe dieses Tages ist Rot, die Farbe des Blutes der Märtyrer, die in diesem Kampf gestorben sind.

Zu den Perikopen

  • I: Lk 19,41-48

    Zu Lk 19, 41-48: Es ist schon bedrückend, dass es die Perikopenkommission nicht geschafft hat, darauf zu verzichten, den Israelsonntag dazu benutzen, dem Volk Israel einen Seitenhieb zu versetzen. Sonst wäre wohl allein das Mk-Evangelium geblieben. So aber steht der Prediger vor der Qual der Wahl und kann, ganz nach der politischen Lage, das Passende aussuchen. Aber genau das birgt die Gefahr, dass nicht der Predigttext ausgelegt wird, sondern die persönlichen Gedanken und Gefühle des Predigers. Nirgendwo mehr als hier muss man in dem Handeln Jesu auf den Kontext achten, der dieses Handeln herausfordert, und den Text entsprechend auslegen.
    Es ist schon ein merkwürdiges Bild, dass Jesus über die Stadt Jerusalem weint und sie dazu noch wie eine Person anspricht. Dadurch wird die Stadt personifiziert, und in dieser Form soll sie sicher eine bestimmte Gruppe von Menschen vertreten. Doch welche? Die Leitung, die Oberen, die Geschäftsleute, die Lehrer usw.? Oder die Menschen in den Gassen, die Kranken und Armen, die spielenden Kinder? Wer ist gemeint? Wen vertritt die Stadt in diesem merkwürdigen Monolog?
    Jesus weint vielleicht in prophetischer Weitsicht, wissend, dass einst der Aufstand die römischen Legionen dazu veranlassen wird, die Stadt dem Erdboden gleich zu machen. Auf jeden Fall nimmt der Evangelist auf dieses Ereignis Bezug. Und er begründet es damit, dass sie „die Zeit nicht erkannt” hat, in der sie heimgesucht wurde. Damit ist sicher die Zeit der Gegenwart Jesu gemeint. Doch es bleibt die Frage: wem ist es nun nicht bewusst geworden? Gibt es auch nur einen winzigen Anhaltspunkt, daraus zu folgern, dass das gesamte Volk Israel von Jesus betrauert wird? Kann es überhaupt geschehen, dass eine Stadt - die Represäntantin einer Gruppe von Menschen - für diese Gott begegnen kann?
    Anschließend an diesen Monolog treibt Jesus die Händler aus dem Tempel aus. Hier werden Menschengruppen genannt, aber diese Menschengruppen werden wohl kaum von Jerusalem repräsentiert. Jesus predigt, er verkündigt das Wort Gottes, und macht sich damit hier wie schon zuvor anderswo Feinde. Zugleich aber hat er auch unzählige Freunde, die sein Wort hören und ihm anhängen. Warum also weint Jesus über Jerusalem?
    Der kirchenjahreszeitliche Zusammenhang ist geschichtlicher Natur. Israel galt in früherer Theologie als das verworfene Gottesvolk, und in diesem Text scheint etwas davon deutlich zu werden. Doch der Text, vor allem aber der Monolog Jesu, lässt zu viele Fragen offen, als dass er herangezogen werden könnte, um die Verwerfung Israels zu rechtfertigen.
    Will man diesen Text dennoch am Israelsonntag predigen, dann sollte es mit Vorsicht geschehen. Jesus verurteilt nicht das Volk Israel. Er verleiht nur seiner Trauer Ausdruch, und tut dies aufgrund der Zukunft der Stadt, die ihm schon bekannt ist. Dass es zu dieser Zukunft kommt, liegt an dem Verlangen des Volkes Israel, frei zu sein - ein durchaus legitimes Verlangen. Vielleicht hätte es diese Freiheit auch durch Jesus Christus erfahren können, ohne dafür eine Revolution anzetteln zu müssen. Und vielleicht ist das die verpasste Chance. Aber daraus kann nicht gefolgert werden, dass das Volk Israel verdammt ist. Im Gegenteil. Das legitime Verlangen nach Freiheit, das dieses Volk auch heute in sich trägt, muss sich nur nicht in Gewalt Ausdruck verleihen. Es kann auch seinen Ausdruck darin finden, dass man sich, so wie Jesus selbst, hingibt. Nur: wir sind die letzten, die das dem Volk Israel unter die Nase reiben dürfen. Denn 1. hat Israel jahrhundertelang um des Friedens willen auf seine Freiheit verzichtet, und dies im besonders extremen Maß zur Zeit des Nationalsozialismus, und 2. sind wir es bzw. unsere Vorfahren, die ihm diese Freiheit beständig genommen haben.
    Dennoch soll die Predigt nicht kritikfrei sein. Der Weg aufeinander zu kann aber nur gelingen, wenn beide Seiten mitmachen, und daran scheint es bis heute zu scheitern.

  • II: Röm 9, 1-5

    folgt später

  • III: Jes 27,2-9

    folgt später

  • IV: Klgl 5

    folgt später

  • V: Röm 11, 17-24

    folgt später

  • VI: Dtn 30,1-6(7-10)

    folgt später

  • Marginaltexte: Sir 36, 13-19
    Jes 62, 6-12
    Dan 9, 15-19
    Jer 7, 1-15
    Röm 15, 7-13

    folgt später



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