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Zu den Perikopen
Predigtvorschläge zu Reihe V - Röm 1, 13-17
Liebe Gemeinde!
Ein Schuldner der Griechen und der Nichtgriechen, der Weisen und der Nichtweisen... so
bezeichnet sich der Apostel Paulus. Man könnte auch kurz sagen: Ein Schuldner aller Menschen.
Paulus benutzt Worte, die damals geläufig waren, die auch so etwas wie eine Wertung
enthielten, etwa so wie wenn man heute sagen würde: Deutsche und Nichtdeutsche oder
Erwachsene und Nichterwachsene. Das vorgeschobene „Nicht“ drückt die Wertung im Grunde
schon aus: die Menschen, denen ein „Nicht“ vorangestellt wird, werden als weniger
bedeutend oder weniger wichtig angesehen, vielleicht meinte man sogar, sie seien
minderwertig.
Indem Paulus beide nebeneinander stellt, macht er aber erstmal deutlich: es spielt für
ihn keine Rolle, wer ihm zuhört. Er ist es allen Menschen schuldig, auch denen, die
innerhalb der Gesellschaft vielleicht nur eine untergeordnete oder sogar eine Außenseiterrolle
spielen.
Sicher schließt er ganz bewusst auch die mit ein, die man sonst schnell zu Sündenböcken
macht. Ich bin es euch schuldig, sagt er, euch das Evangelium zu predigen.
Da mag man fragen: wieso schuldig?
Nun, für Paulus ist die Verkündigung des Evangeliums nicht nur eine Nebenbeschäftigung.
Im Gegenteil: weil er dazu berufen wurde, ist es sein Lebenszweck.
Aber es ist nicht nur oder vielleicht sogar gar nicht die Berufung, die ihn gewissermaßen
dazu verpflichtet, das Evangelium weiterzusagen, denn er verweist ja nicht auf diese
Berufung.
Der Grund liegt vielmehr im Evangelium selbst. Denn wer die Botschaft des Evangeliums
empfangen und für sich im Glauben angenommen hat, der kann doch eigentlich nicht anders
als davon reden. Also darum ist er es allen Menschen schuldig, ihnen das Evangelium zu
predigen.
Und wenn das so ist, dann gilt das natürlich nicht nur für Paulus, sondern für alle
Menschen! Schon deswegen, weil unser Herr Jesus Christus denen, die ihm nachfolgen,
und damit auch uns, aufgetragen hat, alle Völker zu seinen Jüngern zu machen! (Mt 28, 19)
Um des Evangeliums willen sind wir Schuldner aller Menschen geworden.
Gewiss, es ist nicht jedermanns Sache, Prediger oder Predigerin zu werden, aber das
ist auch nicht unbedingt gemeint. Denn schon in unseren Familien und unter unseren
Freunden und Bekannten gäbe es genug Möglichkeiten, das Evangelium weiter zu sagen.
Und ja, wir sind es schuldig.
Mir fällt dazu eine Geschichte ein, die immer wieder mal erzählt wird:
Ein Mann, nennen wir ihn Klaus, war eng mit seinem Nachbarn, ich nenne ihn mal Walter,
befreundet. Sie trafen sich oft und sprachen miteinander über alles Mögliche.
Klaus war ein gläubiger Mensch. Jeden Sonntag ging er zum Gottesdienst, er betete
jeden Morgen und las dazu einen Abschnitt aus der Bibel.
Er empfand eine tiefe Trauer darüber, dass Walter kein Christ war. Aber nie sprachen
sie darüber, denn Klaus hatte Angst, dass die Freundschaft zwischen den beiden darüber
zerbrechen könnte.
Viele Jahre waren sie so miteinander befreundet, begleiteten einander durch manche
Lebenskrise, als schließlich Walter schwer krank wurde.
Fast täglich besuchte Klaus ihn im Krankenhaus. Als sich der Zustand verschlechterte
und die Ärzte sagten, dass Walter nur noch wenige Tage zu leben hätte, fasste sich
Klaus ein Herz und erzählte seinem Freund von seinem Glauben. Er erzählte ihm, wie
oft ihm dieser Glaube durch schwere Zeiten geholfen hatte, und dass er sich auch im
Leid in ihm geborgen wusste. Er sprach von der Liebe und der Gnade Gottes, von der
Freude, die ihm durch den Glauben geschenkt wurde.
Als er endlich eine Pause machte, blickte er seinen Freund an. Er erschrak, denn in
Walters Gesicht war eine deutliche Erregung zu erkennen. Klaus wollte schon um
Verzeihung bitten, dass er ihn mit diesem Thema belästigt hatte, da sagte Walter:
„Ich danke dir, dass Du mir das alles erzählt hast. Aber sag mir: Warum hast Du in
all den Jahren unserer Freundschaft nie davon gesprochen? Ich hätte wohl manches
leichter ertragen können.“
Wie oft scheuen wir uns, von unserem Glauben zu reden, weil wir fürchten, dass unser
Gegenüber dies als Verletzung seiner Privatsphäre ansehen könnte? Oder dass die
Freundschaft darüber zerbrechen könnte? Oder dass wir vielleicht wegen unseres
Glaubens belächelt oder gar verachtet werden?
Doch Paulus sagt dazu: Ich schäme mich des Evangeliums nicht, denn es ist eine Kraft
Gottes, die selig macht alle, die daran glauben. (Röm 1, 16)
Da gibt es also keinen Grund, sich zurückzuhalten. Da gibt es auch keinen Grund zur
Furcht. Im Gegenteil! Es ist eine Kraft Gottes, von der wir da reden, eine Kraft,
die allen Menschen helfen kann, wenn sie nur daran glauben. Und wenn wir von solch
einer Kraft reden, weil wir an sie glauben, dann dürfen wir ja auch auf diese Kraft
für unser Leben vertrauen. Warum sollten wir uns dann vor Menschen fürchten? ...
Wir sind Schuldner aller Menschen. Der Glaube, der uns trägt und hält, ist eine Kraft,
von der wir nicht schweigen können. Ja, noch mehr: Wir dürfen das Wissen um diese
Kraft niemandem vorenthalten!
Sicher kann man einwenden: Es gibt doch Menschen, die nichts von Gott wissen wollen.
Ja, gewiss, solche Menschen gibt es. Aber das darf nicht dazu führen, dass wir
aufhören, von unserem Glauben zu reden.
Sicher kann man auch einwenden: Es gibt doch auch Menschen, die in einem anderen
Glauben ihren Halt gefunden haben.
Ja, gewiss, solche Menschen gibt es. Aber deswegen müssen wir doch nicht von unserem
Glauben schweigen. Es kann unheimlich erfüllend sein, über seinen Glauben ins Gespräch
zu kommen, gerade auch mit Menschen, die anders glauben. Solche Gespräche helfen uns
ja oft, unseren eigenen Glauben besser kennen zu lernen.
Es geht allerdings um viel mehr als nur um ein Erzählen oder um einen Austausch von
Glaubenserfahrungen. Es geht um Leben und Tod!
Das hört sich vielleicht etwas dramatisch an, aber so ist es doch: wer vor Gott nicht
gerecht werden kann, der wird sterben. Oft genug lesen wir in der Bibel davon, dass die
verloren gehen, die nicht an die vergebende Liebe Gottes, die in Jesus Christus offenbart
wurde, glauben. Ihr Leben vergeht. Das schönste Denkmal auf dem Friedhof wird nichts
daran ändern können.
Der Tod ist also nichts anderes als dieses „Verlorenwerden“, denn solche Menschen haben
keine Hoffnung über den Tod hinaus. Sie stecken gewissermaßen fest in der Welt, weil
sie die Welt Gottes nicht kennen.
Es gibt nach den Worten Jesu nur einen Weg, das zu verhindern: der Glaube an ihn,
unseren Herrn Jesus Christus. Denn durch sein Leiden und durch sein Kreuz sind wir
wieder mit Gott versöhnt, durch ihn haben wir die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt.
Und damit gilt dann für uns das, was Jesus über sich und alle, die an ihn glauben,
sagt:
Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn
er stirbt, und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. (Joh 11, 25-26)
Was für eine Verheißung! Aus dieser Verheißung heraus hat Paulus sein Leben geführt.
Sie ist ihm Kraftquelle und Hilfe gewesen. Paulus wusste, dass er leben würde, auch
wenn er stirbt.
Andererseits müssen wir zugeben: Ja, es gibt den Tod. Und das wusste Paulus auch.
Aber welche Bedeutung der Tod für einen Menschen hat, das entscheidet sich eben
daran, ob er sich an Christus klammert oder ob er in seinem Leben nur sich selbst
zum Maßstab aller Dinge machte.
Denn wer sich selbst zum Maßstab macht, dessen Leben findet mit dem Tod ein Ende.
Was sonst sollte dann noch sein? Alles war ja von dem abhängig, was er in seinem
Leben getan hat. Und das findet mit dem Tod sein Ende.
Wer sich aber an Christus klammert, der wird aufgenommen in die Gemeinschaft derer,
die ihn in Ewigkeit anbeten. Denn Christus reißt uns aus dem Tod, er schenkt unserem
Leben einen tiefen Sinn, der sich ausdehnt über unser irdisches Leben hinaus, hinein
in das Reich Gottes.
Die Frage, wie das aussehen wird, kann niemand beantworten. Es bleibt ein Geheimnis.
Jesus konnte davon auch nur in Gleichnissen reden, z.B. dem vom Schatz im Acker oder
dem vom königlichen Hochzeitsmahl.
Wir dürfen jedenfalls darauf vertrauen, dass die Kraft Gottes, die dem Evangelium
innewohnt, weit hinausreicht über all das, was wir uns vorstellen können.
Nicht umsonst reden wir von einem Geheimnis, wenn wir versuchen, von Gott und seinem
Reich zu reden, denn es gibt Grenzen, die zu überschreiten wir schlicht nicht in der
Lage sind, weil uns dazu das nötige Handwerkszeug fehlt. Wir können nicht in die Welt
Gottes hineinschauen, außer eben durch das, was Jesus Christus getan und gepredigt hat.
Wir dürfen aber darauf vertrauen, dass diese Welt Gottes unsere Heimat ist, die wir
hier, um mit dem Verfasser des Hebräerbriefes zu sprechen, noch suchen (Hebr 13, 14).
Diese „zukünftige Stadt“ wird unsere Heimat sein und ist es schon jetzt, nur dass wir
uns jetzt erst noch auf dem Weg zu ihr befinden.
Der Tod kann uns also nichts anhaben. Vielmehr, wenn wir sterben, dann ist Christus
die Brücke, die uns hinüberführt, über den Tod hinweg hin zum Leben in der zukünftigen
Stadt.
Dass wir dazu selbst nichts tun können, wissen wir. Allein indem wir glaubend das
Opfer Jesu Christi annehmen, eröffnet sich dieser Weg für uns.
Und nun erinnert uns der Apostel Paulus daran, dass wir auf diesen Weg alle Menschen,
die uns begegnen, einladen sollen. Das kann uns nicht allzu schwer fallen, denn es
ist ja der Weg der Liebe, den wir gehen. Auf diesem Weg ist Platz für viele Menschen.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Es ist das Heil uns kommen her (EG 342)
Such, wer da will, ein ander Ziel (EG 346)
Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich (EG 351)
Ich weiß, woran ich glaube (EG 357)
O Durchbrecher aller Bande (EG 388)
Freude, die überfließt (KHW-EG 626)
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Predigtvorschläge zu Reihe M - 4. Mose 13-14 i.A. (=Num 13-14 i.A.)
Jes 45, 18-25
Joh 4, 46-54
zu Jes 45, 18-25:
Liebe Gemeinde!
Es sind starke Worte, sie wirken bedrohlich, aber sie sind zugleich auch werbend, einladend.
Diese Worte Gottes, sie drängen alle, die sie hören, dazu, sich ganz Gott zuzuwenden.
Denn wenn nicht zu ihm, wohin dann?
Gott ist offensichtlich. Die ganze Schöpfung verkündet sein Tun, und auch wenn man
manches so oder anders erklären und der Vernunft unterordnen kann: das Eigentliche,
die Frage nach dem Ursprung all dessen, was auf unserer Welt und im ganzen Universum
ist, kann trotz aller Theorien eigentlich nur so beantwortet werden: Da ist Gott, der Herrn,
der dies alles geschaffen hat.
„Ein gerechter Gott und Heiland”. (Jes 45, 21c)
Gerechtigkeit, das ist ein Wort, das in diesem Abschnitt öfter vorkommt und schließlich
zentrale Bedeutung erlangt, wenn Gott sagt: „Mir sollen sich alle Knie
beugen und alle Zungen schwören 24 und sagen: Im Herrn habe ich
Gerechtigkeit und Stärke.”
Gott schafft Gerechtigkeit, er schenkt Gerechtigkeit, er ist Gerechtigkeit.
All das hören wir aus diesen Worten, die uns der Prophet Jesaja weitersagt.
Aber mit der Gerechtigkeit ist das so eine Sache. Was ist das eigentlich,
und worum geht es, wenn wir von Gerechtigkeit reden?
Geht es um die Gerechtigkeit, die eintritt, wenn alle Menschen für den gleichen Lohn arbeiten?
Oder geht es um die Gerechtigkeit, die eintritt, wenn alle Menschen freien Zugang zu sauberem Trinkwasser haben?
Oder geht es um die Gerechtigkeit, die eintritt, wenn alle Menschen Arbeit haben?
Oder geht es um die Gerechtigkeit, die eintritt, wenn Lebensmittel so verteilt werden, dass niemand mehr verhungern muss?
Oder geht es um die Gerechtigkeit, die eintritt, wenn jeder Mensch seine Meinung frei äußern darf und dafür nicht
bestraft wird?
Oder geht es um die Gerechtigkeit, die eintritt, wenn ein Richter dem einen Recht zuspricht und den anderen verurteilt?
Oder geht es um die Gerechtigkeit, die eintritt, wenn ein Mensch mit Gott versöhnt wird?
Oder geht es um die Gerechtigkeit, die eintritt, wenn überall Frieden ist und alle Konflikte auf friedliche Weise gelöst werden?
Ich glaube, das alles spielt eine Rolle in dem, was Jesaja uns da vermittelt. Wir
erinnern uns an die Worte, die wir einige Kapitel weiter hören: „Brich dem
Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus!
Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem
Fleisch und Blut.” (Jes 58, 7)
Gerechtigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch des
Propheten, und immer wieder hören wir dieses Wort „Gerechtigkeit” aus
dem Mund Gottes.
Martin Luther sann viele Jahre über diesen Begriff nach und mühte sich,
endlich die Gerechtigkeit Gottes zu erlangen, bis er begriff, dass uns
durch Jesus Christus Gerechtigkeit geschenkt wird.
Aber man darf dann nicht auf der anderen Seite vom Pferd fallen, wenn man
einmal meint, obenauf zu sitzen und es begriffen zu haben. Denn auch
wenn es stimmt: gerecht werden wir nicht aus eigener Kraft, sondern
durch das Handeln Gottes an uns in Jesus Christus, so liegt doch in
diesem Gerechtwerden auch eine Verantwortung, die weit über unser
eigenes Leben hinaus geht.
Denn wenn wir angenommen haben, dass Gott uns gerecht spricht, dann
treibt uns die Erkenntnis der Liebe Gottes doch dazu, anderen Menschen davon zu
erzählen und sie teilhaben zu lassen an diesem Geschenk der Gnade Gottes.
Und dann wird auch der andere Aspekt der Gerechtigkeit, das ganz irdische,
menschliche, bodenverhaftete offenbar: es geht eben auch darum, dass keinem
Menschen die Möglichkeiten vorenthalten werden dürfen, die uns hier in diesem
Land gegeben sind.
Freilich wird das schwierig werden, angesichts der knapper werdenden Ressourcen
unserer Erde. Irgendjemand hat mal ausgerechnet, man bräuchte 6 Planeten wie die
Erde, um allen Menschen den gleichen Lebensstandard zu ermöglichen, den wir genießen.
Dann bedeutet es eben, dass wir unsere eigenen Ansprüche auf das
Wesentliche reduzieren müssen – denn unser Lebensstandard wäre
nicht haltbar ohne den in der Regel ja unbewussten Verzicht der Milliarden
anderen.
Wenn wir verzichten würden, würden wir allerdings auch ein erhebliches Maß
an Freiheit gewinnen, denn wir müssten nicht immer das Neueste, Schönste,
Beste haben, und wir würden erleben, wie immer mehr Menschen teilhaben
an der Gerechtigkeit.
Gerechtigkeit übervorteilt niemanden, sie sieht nicht auf das Äußere, sondern
geradewegs ins Herz. Gott hat davon gesprochen, wieder und wieder.
Er hat die Menschheit mit diesem Wort immer aufs Neue herausgefordert, und
doch war die Antwort meist nur halbherzig.
Gerechtigkeit vor Gott sehen viele völlig losgelöst von der Gerechtigkeit
vor den Menschen. Aber genau darum geht es hier.
Denn es ist ein prophetischer Text, den wir vor uns haben. Ein Text aus
der alten Zeit, der Zeit vor Christus. Es ist ein Text, der uns sagt: es geht
allein um die Gerechtigkeit zwischen den Menschen; zugleich ist es aber
eine Gerechtigkeit, die von Gott ausgeht, weil er sie gegründet hat, und
darum auch von ihm eingefordert werden kann.
Damals sollte zuerst die Gerechtigkeit zwischen den Menschen errichtet
werden, damit Gott uns wieder anzunehmen bereit sein konnte. Er wartete
aber vergeblich darauf.
Und so kam der Punkt, an dem er es selbst nicht mehr aushalten konnte
und seinen Sohn sandte, um ein Beispiel zu setzen und um den Spieß
umzudrehen: jetzt schaffte er Gerechtigkeit, damit wir seinem Beispiel
nachfolgen.
Und: wir haben versagt. Das lässt sich anders kaum sagen. In der Zeit der
Globalisierung sind uns zwar auch die Menschen in Afrika, in Lateinamerika,
in Indien, in China usw. unheimlich nahe gekommen, denn sie stellen für uns
alle möglichen Waren her, angefangen von Blumen über Lebensmittel bis
hin zu hochwertigen elektronischen Geräten. Aber wir kümmern uns nur
sehr wenig darum, ob es dort wirklich gerecht zugeht, und es wäre wohl
kaum auszudenken, was passieren würde, wenn jene Menschen die
gleichen Löhne bekämen wie die Arbeiter in unserem Land.
Für uns wäre es bedrohlich, aber für all die anderen?
Vielleicht ist es nur ein Traum – der Traum von einer Welt, in der Gerechtigkeit
und Freiheit und Frieden regieren. Aber Gott führt uns auf diesen Weg. Wir
haben die ersten Schritte ja längst getan, und nun heißt es weitergehen auf
diesem Weg der Gerechtigkeit. Indem wir tun, was uns aufgetragen ist, tragen
wir auch dazu bei, dass das Reich Gottes gebaut wird. Gott „will ein Neues
schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr's denn nicht?” (Jes 43, 19)
So wird uns nur zwei Kapitel vorher zugerufen. Ja, wir sehen es, auch wenn
es nur schwer zu erkennen ist.
Dies ist der Weg, den Gott mit uns gehen will: dass wir seine Gerechtigkeit in
diese Welt hinein tragen, an alle Enden der Erde, zu allen Menschen.
Denn unser Gott ist der Gott, der von sich selbst sagt: „ich bin der Herrn,
der von Gerechtigkeit redet und verkündigt, was recht ist.”
So lasst uns mitbauen an seinem Reich.
Amen
Zu Joh 4, 46-54:
Liebe Gemeinde!
Da ist einer, der wandert umher und tut Wunder. Immer wieder tauchen Berichte auf, wie jemand von einer
unheilbaren Krankheit geheilt wurde. Nicht durch die Kunst der Ärzte, sondern durch eine Handauflegung,
oder gar nur durch ein simples Wort.
Irgendwo, relativ weit weg von uns, geschieht das.
Nehmen wir mal an, es würde uns berichtet dass jemand in Nordhausen so ein Wunder vollbracht hätte.
Wie würden wir reagieren? Ich würde jedenfalls nicht viel darauf geben. Ich würde erst einmal
vermuten, dass der sogenannte Wundertäter ein Scharlatan ist – vermutlich war der Geheilte gar
nicht wirklich krank, sondern nur ein Hypochonder, und die Nähe dieses Menschen hat ihm geholfen,
über seine Ängste hinweg zu kommen. Vielleicht war es auch ein Komplize, der nur so tat, als ob er
krank wäre.
Und die Medien neigen sowieso dazu, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen – vielleicht war
die Krankheit gar nicht so gefährlich, wie es dargestellt wurde. Vielleicht war ja auch die
Diagnose der Ärzte schon falsch gewesen – das hat es schon öfter gegeben und wäre nichts
Außergewöhnliches.
Soll ich deswegen etwa nach Nordhausen fahren und den Wunderheiler bitten, hierher zu kommen, um
auch hier ein Wunder zu vollbringen? Ich würde es nicht tun. Wie würde ich dastehen, wenn sich
der Mensch als Scharlatan erweisen würde? Da vertraue ich doch lieber auf die Kunst unserer Ärzte,
auch wenn diese eine schlechte Prognose für den Verlauf einer Krankheit gestellt haben.
So muss man sich in etwa die Situation vorstellen, der sich der Mann im Dienste des Königs ausgesetzt
sah. Er hatte ein krankes Kind, um dessen Wohl er sich sorgte. Die Krankheit würde zum Tod führen – so
viel wusste man, das war ihm von den Heilkundigen gesagt worden, und man sah es dem Kind wohl auch an.
Bestimmte Krankheiten erkannte man auch mit weniger Diagnosemöglichkeiten als heute, und ihren Verlauf
kannte man nur zu gut.
Der Arzt hatte also gesagt, dass seinem Sohn nicht mehr zu helfen sei. Linderung konnte man dem armen
Kind wohl verschaffen mit Hilfe bestimmter Medikamente, aber den Tod konnte man dadurch nicht aufhalten.
In seiner Verzweiflung zog dieser „Mann im Dienst des Königs” – ich gebe ihm mal den Namen Levi -
los, um den Wunderheiler, von dem er gehört hatte, aufzusuchen.
Und so geht es ja auch heute noch manchen Menschen, für die die Ärzte keine Hoffnung mehr haben, dass sie
oder ihre Angehörigen sich aufmachen und nach anderen Wegen suchen, weil man die Unabwendbarkeit des Todes
nicht ertragen kann und darum nach Wegen sucht, ihn doch noch abzuwenden, selbst dann, wenn alles dagegen
spricht. Es schadet ja nichts, es wenigstens zu versuchen!
Levi macht sich also auf – der Weg ist nicht weit von Kapernaum nach Kana, es sind vielleicht
40 Kilometer, das kann man zu Fuß an einem Tag schaffen, wenn man zügig geht. Aber es sind 700 Meter
Höhenunterschied, das ist dann doch ganz schön beschwerlich, da man nach Kana den Berg hinauf muss.
Vermutlich hatte Levi ein Reittier, mit dem ginge es noch schneller. Aber es ist von „gehen” die Rede.
Und das ist schon etwas Besonderes. Denn Levi ist sicher nicht nur ein Diener. Er hat selbst Diener,
wie wir im Laufe der Erzählung erfahren, muss also schon einen gehobenen Status haben. Und so einer
macht sich zu Fuß auf, einen so langen Weg zu gehen?
Was hindert ihn, das Reittier, das ihm sicher zur Verfügung steht, zu nehmen?
Vielleicht will er sich alles in Ruhe durch den Kopf gehen lassen. Ob er wohl das richtige tut, wenn
er sich jetzt diesem Jesus zuwendet, diesem Menschen, von dem so viele schon erzählt haben.
Levi braucht Zeit und nimmt sie sich.
Das ist ein erster Impuls, den wir aus dieser Erzählung mitnehmen können: sich Zeit nehmen. Trotz der
drängenden Nähe des Todes. Der Weg zu Gott braucht seine Zeit, denn auf ihm setzen wir uns auch mit
uns selbst auseinander, werfen alles Unnötige ab und besinnen uns immer stärker auf das Wesentliche:
die Begegnung mit dem Allmächtigen.
Vielleicht ist es bei Levi schlicht Gottvertrauen: ich begebe mich jetzt auf den Weg, um meinen Sohn
zu retten. Führe du, Gott, mich auf den rechten Weg.
Schrecklich muss der Gedanke für ihn sein, dass das Kind sterben könnte, während er noch auf dem
Weg ist. Dass er nicht an der Seite seines Sohnes sein kann, wenn dessen letzte Stunde geschlagen hat.
Oder ob er gerade deswegen auf jede Abkürzung, jede Beschleunigung, verzichtet? Weil er es nicht
ertragen kann, seinen Sohn sterben zu sehen? Aber dann würde er wohl doch bald umkehren.
Wenige unter uns können ermessen, was es bedeutet, ein eigenes Kind zu verlieren. Kinder begraben
ihre Eltern, nicht umgekehrt. So soll es sein. Schon der Gedanke daran, dass das eigene Kind
sterben könnte, kann tiefen Schmerz verursachen, selbst wenn das Kind völlig gesund ist.
Solch ein Schmerz kann eine Starre verursachen. So wie die Maus wie versteinert vor der Schlange
verharrt, bevor diese zupackt und ihr Opfer verschlingt, so erstarren wir manchmal vor dem Angesicht
des Todes.
Doch Levi macht sich auf. Er gerät in Bewegung. Er will dem Tod nicht das letzte Wort lassen,
sondern will Gott begegnen, indem er Jesus begegnet.
Wenn wir diese Begegnung wollen, müssen wir uns auch auf den Weg machen, so wie Levi. Wir müssen
manches, was uns lieb und wert ist, hinter uns lassen, damit wir die Fülle der Güte und Gnade Gottes
erleben können.
Schließlich gelangt Levi zu seinem Ziel. Erschöpft ist er sicher, aber er erreicht den Mann, von dem
ihm schon so viel gesagt wurde. „Herr, komm, hilf meinem Sohn, er ist todkrank.”
Jesu Antwort ist verletzend und enttäuschend: „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so
glaubt ihr nicht.” (Joh 4, 48)
Verallgemeinerungen sind immer verletzend. Levi will kein Wunder, er will nur, dass sein Sohn nicht
stirbt. Das ist alles. Und natürlich wäre das ein Wunder, aber es geht Levi doch nicht darum. Er glaubt
längst, sonst hätte er sich doch nicht auf den Weg gemacht. Wenn der Tod überwunden werden kann,
dann nur durch diesen Mann, nur durch Jesus.
Und so bittet er noch einmal: Herr, komm herab, ehe mein Kind stirbt!
Und nun ist die Antwort Jesu eine ganz andere: „Geh hin, dein Sohn lebt!” (Joh 4, 50a)
Levi macht sich nicht sofort auf den Weg. Es wird schon dunkel, und er ist erschöpft. Morgen wird er
sich auf den Rückweg machen.
40 km, die zwischen Jesus und Kapernaum liegen. Da könnte man schon misstrauisch werden. Will Jesus
ihn nur los werden? Denn wenn er dann nach Hause kommt und sein Kind stirbt doch, müsste er sich
wohl noch einmal auf den Weg begeben, um Jesus zur Rechenschaft zu ziehen – aber wäre es das
wert? Der Scharlatan hätte seine Show gehabt, und Levi hätte alles verloren.
Der Rückweg wird ein Weg zwischen Zweifel und Hoffnung, ein qualvoller Weg. Vielleicht ist ihn Levi
noch langsamer gegangen als auf dem Weg nach Kana.
Und dann kommen ihm die Knechte entgegen: „Dein Kind lebt.”, sagen sie. (Joh 4, 51)
Drei Worte. Worte, die allen Zweifel wegwischen. Die Krankheit ist überwunden. Und wann? Gestern um
die siebte Stunde. Als er mit Jesus gesprochen hatte, als Jesus ihm sagte: „Dein Sohn lebt.”
Es wird ihm gesagt von denen, die Zeugen waren des Wunders, ohne dabei Jesus selbst zu sehen. Und dieses
Zeugnis bekräftigt seinen Glauben.
Dein Sohn lebt. Was levi da wohl gefühlt hat, als er diese Worte hörte? Jedenfalls empfand er
Bestätigung: Sein Weg war ein Weg mit Gott gewesen, ein gesegneter Weg.
Das zweite Zeichen – so heißt es am Ende der Erzählung. Das macht uns noch einmal stutzig.
Wie kommt Levi darauf, Jesus so viel Vertrauen entgegen zu bringen? Bisher hatte es, wenn wir dem
Evangelisten Johannes folgen, nur ein Wunder gegeben: die Verwandlung des Wassers in Wein.
Genügt das, um in Jesus die Macht über den Tod zu vermuten? Es gab offenbar doch keine Berichte über
Wunderheilungen, eigentlich gar nichts Spektakuläres. Nur einige philosophische oder theologische
Diskurse liegen zwischen dem Wunder bei der Hochzeit in Kana und dieser Begegnung, und dazu vielleicht
noch einige Wochen Zeit.
Levi hatte sich auf einen Weg begeben, der für ihn die Entscheidung zwischen Tod und Leben bedeutete.
Es war ein Weg der Begegnung mit Gott. Am Ende seines Weges stand Jesus, von dem Johannes der Täufer
gesagt hatte, dass er das Lamm Gottes sei, das die Sünde der Welt hinwegnimmt. In Jesus erwartete
Levi das Leben, das stärker ist als der Tod. Aber die Veranlassung, diesen Weg zu gehen, waren nicht
irgendwelche Berichte. Es war der Glaube an die Macht Gottes, die in Jesus wirksam werden kann.
Können wir so glauben?
Vielleicht ging Levi der 23. Psalm durch den Kopf, als er sich aufmachte: und ob ich schon wanderte im
finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir. Dein Stecken und Stab trösten mich. (Ps 23, 4)
Levi vertraute jedenfalls darauf, dass Gott ihm seine Herrlichkeit offenbaren würde. Und dieses Vertrauen
wurde nicht enttäuscht.
Wäre es nicht gut, wenn Jesus auch heute leibhaftig, so wie damals, unter uns wäre? Wenn er tatsächlich
in Nordhausen wäre? Oder in Cremlingen? Oder gar in Königslutter? Wenn er hier und da ein Wunder
vollbrächte, damit wir wüssten: das Reich Gottes ist mitten unter uns?
Aber hat Levi das gewusst? Er machte sich nur einfach auf den Weg, ohne irgendwelche Gewissheit. Nur mit
etwas Glauben.
Und so geht es uns doch auch heute. Was haben wir schon, das uns gewiss machen könnte? Es ist nicht
viel. Allein der Glaube schenkt uns diese Gewissheit.
Jesus ist da. Und es geschehen Wunder – hier und da. Auch im Sterben, auch im Tod. Ich erlebe es
immer wieder, an mir selbst, in den Begegnungen in unserer Gemeinde, aber auch aus Erzählungen anderer:
Jesus ist mitten unter uns, und mit ihm das Leben. Trotzdem der Tod um uns herum genauso sein Unwesen
treibt, wie er es damals tat, zur Zeit Levis. Jesus, das Leben, ist da.
Machen wir uns auf, gehen den Weg, der uns zum Leben führt. Es ist immer ein Weg der Unsicherheit.
Aber am Ende dieses Weges steht die Begegnung mit Gott selbst, die unser Leben verwandeln kann.
Dieser Gottesdienst ist ein Bild für diesen Weg: Wir haben uns auf den Weg gemacht, um hier Jesus im
Abendmahl zu begegnen: das Brot des Lebens, der Kelch des Heils, für dich – Kraft für den Weg,
Lebenskraft. Und der Weg zurück nach Hause mag ein Weg des Zweifels sein, bis wir endlich die Worte
hören: das Leben – es siegt, durch Jesus Christus. Der Tod ist nicht mehr. Aber es ist uns
schon gesagt, an Ostern hören wir den Ruf erneut: Er, der tot war, lebt!
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
zu Joh 4, 46-54:
Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude (EG 66)
Nun lob, mein Seel, den Herren (EG 289, 1.3.5)
Lobt Gott, den Herrn, ihr Heiden all (EG 293 - Wochenlied!)
Befiehl du deine Wege (EG 361)
Wer nur den lieben Gott lässt walten (EG 369)
Warum sollt ich mich denn grämen? (EG 370)
Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht (KHW-EG 572)
Alle Knospen springen auf (KHW-EG 637)
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