Der Name dieses Sonntags leitet sich ab von dem Beginn der lateinischen
Antiphon: Exaudi, Domine, vocem meam, qua clamavi ad te; miserere mei, et exaudi
me! (Ps 27,7; deutsch s. Antiphon). Der Sonntag ist schon deutlich auf Pfingsten
bezogen dadurch, dass er die wartende Haltung der Gemeinde und damit ihre Abhängigkeit
vom Heilswirken Gottes herausstreicht, und von daher eigentlich nicht mehr Bestandteil
des Osterfestkreises, der mit Christi Himmelfahrt abschloss. Allerdings hat man
sich im neuen Evangelischen Gottesdienstbuch nicht dazu durchringen können,
als liturgische Farbe violett zu wählen, obgleich diese Farbe sicherlich angemessen
wäre.
Der Sonntag Exaudi spiegelt die Spannung wider, in der die Jünger
sich befanden, nachdem ihr Herr gen Himmel aufgefahren war. Sie wissen um die Verheißung
des Geistes, haben ihn aber noch nicht erfahren. Sie leben in einer kaum erträglichen
Spannung, denn das Vergangene hat nun keine Bedeutung mehr, und das Zukünftige
hat keine Kraft. Die Gegenwart, in der sie machtlos sind, wird übermächtig
und scheint sie zu fesseln.
In diese Spannung hinein erklingt als Erinnerungsruf die Rede Jesu, in der er den
Tröster, seinen Geist, verheißt.
Klicken Sie hier für die Anregungen für alle Predigtreihen (soweit vorhanden)
V - 1. Sam 3, 1-10Und zu der Zeit, als der Knabe Samuel dem Herrn diente
unter Eli, war des Herrn Wort selten, und es gab kaum noch Offenbarung.
2Und es begab sich zur selben Zeit, dass Eli
lag an seinem Ort und seine Augen hatten angefangen, schwach zu werden, sodass er nicht mehr sehen konnte.
3Die Lampe Gottes war noch nicht verloschen. Und Samuel hatte sich
gelegt im Heiligtum des Herrn, wo die Lade Gottes war.
4Und der Herr rief Samuel.
Er aber antwortete: Siehe, hier bin ich!,
5und lief zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen.
Er aber sprach: Ich habe nicht gerufen; geh wieder hin und lege dich schlafen. Und er ging hin und legte sich schlafen.
6Der Herr rief abermals:
Samuel! Und Samuel stand auf und ging zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Er aber sprach: Ich habe
nicht gerufen, mein Sohn; geh wieder hin und lege dich schlafen.
7Aber Samuel hatte den Herrn
noch nicht erkannt, und des Herrn Wort war ihm noch nicht offenbart.
8Und der Herr rief Samuel
wieder, zum dritten Mal. Und er stand auf und ging zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Da merkte Eli,
dass der Herr den Knaben rief,
9und sprach zu ihm: Geh wieder hin und lege dich schlafen; und wenn du gerufen
wirst, so sprich: Rede, Herr, denn dein Knecht hört. Samuel ging hin und legte sich
an seinen Ort.
10Da kam der Herr und trat
herzu und rief wie vorher: Samuel, Samuel! Und Samuel sprach: Rede, denn dein Knecht hört.
Diese Erzählung enthält einige interessante Aspekte. Die Geschichte Samuels ist wohl bekannt: er ist ein
Gottesgeschenk, denn Hanna, seine Mutter, hatte um ihn gebetet, nachdem sie viele Jahre unfruchtbar geblieben war und von
der zweiten Frau ihres Mannes, die schon viele Kinder bekommen hatte, immer wieder verhöhnt wurde. Sie gelobte, das
Kind, das Gott ihr geben würde, dem Herrn zu weihen. Und so wurde der entwöhnte Knabe zu dem Priester Eli gebracht, um
dort zu bleiben und in das Amt des Priesters und Propheten eingeführt zu werden.
Die Erzählung beginnt mit dem Hinweis, dass das Wort des Herrn nur noch selten
war, es gab kaum noch Offenbarungen. Eli litt unter dem Machtmissbrauch seiner Söhne, die die Opfergaben für sich beanspruchten,
anstatt sie Gott zu lassen. Aber es fiel ihm schwer, sich gegen sie durchzusetzen, so dass er es offenbar aufgab. Samuel war
vielleicht ein Hoffnungsschimmer, an dem er sich nun festhielt.
In dieser schicksalsschweren Nacht nun liegt Samuel, der Knabe, im Raum, in dem die Lade stand, während Eli, wohl auch, weil
er blind geworden war, in seiner Kammer schlief. Vermutlich lag es an dieser Entfernung und wohl auch an den Wänden und Türen,
die zwischen Samuel und Eli waren, dass Samuel die ihn rufende Stimme Gottes ganz selbstverständlich als die Stimme seines
Ziehvaters Eli hörte. Der Klang der Stimme kann sich durch die Umwege verändern, und außer Eli gab es neben Samuel keine weitere
Person dort im Heiligtum. So geht Samuel gehorsam zu Eli und hört, dass der ihn nicht gerufen habe. Das wiederholt sich, bis
Eli sich beim dritten Mal erinnert: Es gab Offenbarungen, wenn sie auch in letzter Zeit selten geworden waren. Ist es so abwegig,
dass dieses von Gott erbetene Kind nun der Empfänger einer neuen Offenbarung sein sollte?
Nachdem Eli Samuel erneut zurückgeschickt hatte mit einer Anweisung, wie er sich verhalten solle, wenn er noch einmal gerufen
wurde, erklingt der Ruf tatsächlich zum vierten Mal, und Samuel antwortet: „Rede, denn dein Knecht hört.”
Man könnte die damalige Zeit mit der unseren vergleichen: Es gibt schon lange keine Offenbarungen mehr - zumindest hört sie
niemand (evangelikale Christen würden hier mit Recht widersprechen, denn natürlich offenbart sich Gott auch heute den Menschen
auf seine Weise, und besonders Christen mit dem sogenannten evangelikalen Hintergrund machen öfter solche Erfahrungen). Und
wenn sie jemand hört, würde diese Person es wagen, sie auch zu verkünden?
Die Christenheit blickt zurück auf eine Geschichte, in der zahlreiche falsche Propheten ihre Stimme erhoben haben und
behaupteten, Gott hätte ihnen eine Offenbarung zukommen lassen. Oft gewinnen solche falsche Propheten einige Menschen, die sich
um sie scharen und schnell von ihnen abhängig werden.
Falsche Propheten erkennt man wohl am ehesten daran, dass sie versuchen, ihren Mitmenschen die Freiheit zu nehmen - nicht
durch Mauern, sondern durch Worte, die einem das Gefühl vermitteln, dass „die anderen” ihre Feinde sind, denen
man nicht zu nahe kommen sollte. Nur beim „Propheten” ist man wirklich sicher, weil er die Wahrheit kennt (offenbart
bekommt). So etwas gibt es heutzutage auch unabhängig vom christlichen Glauben in politischen Bereichen.
Der kirchenjahreszeitliche Zusammenhang ist nicht so leicht zu erkennen. Der Aspekt des Wartens
wird höchstens darin sichtbar, dass man wohl auf eine Offenbarung des Herrn wartete - aber das ist nicht Thema dieser
Erzählung. Sie soll vielmehr die Berufung Samuels zum Nachfolger Elis direkt durch Gott einleiten (und eigentlich gehört der
Text 11-21, der diese Berufung umschreibt, unbedingt dazu). Man könnte natürlich annehmen, dass hier der Geist Gottes,
also der Heilige Geist, aktiv wird, doch dann greift man Pfingsten vor, was auch nicht richtig wäre. Für die Predigt gibt es,
wenn sie den kirchenjahreszeitlichen Zusammenhang berücksichtigen will, eigentlich nur die Möglichkeit, das Vage der Offenbarung,
die Unverfügbarkeit, in den Mittelpunkt zu stellen. Samuel rechnete ja überhaupt nicht damit, dass Gott mit ihm reden könnte -
für ihn war der hochbetagte, alte Eli der Prophet, mit dem Gott (wenn auch selten) redet. Er wartete nicht auf eine
direkte Offenbarung, und sie wurde ihm dennoch zuteil. Es ist durchaus möglich, dass so etwas auch heute Menschen aus der
Gemeinde widerfährt. Der plötzliche Anruf Gottes mag zunächst verwirrend sein und uns auf eine falsche Fährte locken. Wir
sollten aber immer damit rechnen, dass er geschehen kann. Insofern könnten wir, könnte sich die Gemeinde auch als Wartende
verstehen und in dieser Geschichte in der Gestalt des Samuel wiedererkennen. Während wir es für ausgeschlossen halten, dass
Gott mit uns direkt reden könnte, bleibt wahr, was Gott selbst, auch durch Jesus, gesagt hat: bei Gott ist nichts unmöglich.
Liebster Jesu, wir sind hier (EG 161)
Ach bleib mit deiner Gnade (Eg 347)
Gott rufet noch. Sollt ich nicht endlich hören? (EG 392)
Himmlischer Vater, deine Schöpfung wartet auf den Tag, da du sie zu ihrer Vollendung führst und
alles zum Guten wendest, was jetzt im Argen liegt. Darum bitten wir, deine Gemeinde, um Ausdauer und Geduld für uns,
dass wir nicht nachlassen in dem, was du uns auferlegt hast: einander zu lieben und füreinander zu beten.
So bitten wir für die Menschen, die keinen Weg mehr finden, dass dein Geist sie anrühre und dein gutes Wort auch
ihre Herzen erreiche und ihnen ein Licht wird;
für die Hungernden, dass sie nicht vergessen werden, sondern dass die Güter der Welt gerechter verteilt werden;
für die Politiker, dass sie ihre Kraft und ihren Ehrgeiz darauf richten, die Welt zu erhalten und den Frieden zu bewahren;
für die Verantwortlichen in den Medien, dass sie die Wahrheit suchen und dafür eintreten und nicht nur Schmutz aufwühlen;
für die Kranken, dass sie Heilung erfahren durch die Berührung deines heiligen Geistes;
für die Gefangenen, dass sie frei werden durch deinen Geist;
für die Sterbenden, dass sie den Tod nicht fürchten, sondern die Gewissheit haben: du bist Leben und schenkst uns das Leben;
für uns alle, dass wir unsere Aufgabe und unseren Platz in dieser Welt erkennen und wahrnehmen.
Nimm dich unser gnädig an. Erfülle uns mit deinem Geist. Rette und erhalte uns, denn dir allein gebührt Ruhm,
Ehre und Anbetung, dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Amen
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