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Zu den Perikopen
Predigtvorschläge zu Reihe II - Röm 12, 17-21
Die folgende Predigt wurde am Tag des Finales der Fußballweltmeisterschaft 2014 gehalten. Der Bezug
zum Finale kann evtl. leicht angepasst oder auf örtliche Ereignisse übertragen werden.
Liebe Gemeinde!
Heute Abend fällt die Entscheidung! Wird Deutschland Weltmeister? Es dürfte auf den Straßen recht
ruhig werden, denn viele werden wohl dieses Spiel am Fernseher mit verfolgen.
Und natürlich tut man das auch mit einer gewissen Erwartungshaltung. Denn selbstverständlich soll
Deutschland gewinnen. Dann wären wir endlich wieder einmal Weltmeister!
Während des Spiels fiebert man mit seiner Mannschaft mit, man ergreift Partei. Und wenn man das tut,
dann werden die anderen automatisch zu Gegnern.
So nennt man das im Sport, und das ist auch in Ordnung. Solange der Wettkampf andauert, spürt man das
Verlangen: Der andere soll verlieren! Dafür setzt man sich auch als Fan ein.
Meist ist es so, dass nach dem Wettkampf alles wieder ganz entspannt ist, auch wenn die eigene Mannschaft
verloren haben sollte. Natürlich ist man in dem Fall enttäuscht, aber man trägt die Niederlage mit
Fassung und bringt dem Sieger den gebührenden Respekt entgegen.
Doch ist es nicht immer so. Manchmal geraten Fans auch nach dem Spiel noch aneinander und prügeln sich.
Dann spricht man nicht mehr von Gegnern, sondern von Feinden, die aufeinander treffen und die wohl nie
zu einer Versöhnung finden werden.
Dabei sind die Fans ja noch nicht einmal diejenigen, die um den Sieg kämpfen mussten. Aber die Begeisterung
für die eigene Mannschaft hat sie derart mitgerissen, dass alle, die für die gegnerische Mannschaft Sympathie
zeigen, automatisch zu Feinden werden.
Und da ist es völlig unwichtig, ob die eigene Mannschaft gewonnen oder verloren hat. Man hat ein Feindbild
geschaffen, das sich nicht so leicht mehr abschütteln lässt – und das man vielleicht auch gar nicht
abschütteln will, weil man damit unter seinen Kollegen und Freunden eigentlich ganz gut ankommt. Eine
solche Feindschaft kann zu einem verbindenden Element werden.
Nun hat der Apostel Paulus in unserem Predigttext dazu etwas zu sagen.
Er schreibt im Brief an die Römer im 12. Kapitel:
Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. 18 Ist's möglich,
soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. 19 Rächt euch nicht selbst, meine Lieben,
sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5. Mose 32,35): "Die Rache ist mein;
ich will vergelten, spricht der Herr." 20 Vielmehr, "wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen;
dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln"
(Sprüche 25,21.22). 21 Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.
Zugegeben: von Fußballspielen oder anderen Sportwettkämpfen ist da nicht die Rede. Wohl aber vom Feind.
Nun kann ich mir vorstellen, dass wir das Wort „Feind“ nicht gerne gebrauchen wollen. Es hat etwas
Endgültiges, und es schmeckt nach Verbitterung. Da scheint keine Versöhnung möglich zu sein, wenn
wir von Feinden sprechen – da gibt es nur ein „entweder ich oder er“.
Anders ist es, wenn man wie beim Sport vom „Gegner“ redet. Dann ist die Auseinandersetzung nur
vorübergehend, man kann sich danach wieder die Hand geben, man kämpft nicht dauernd gegeneinander.
Das hat man auch deutlich nach dem Halbfinale gespürt. Viele hier in Deutschland haben die Brasilianer
aus ganzem Herzen bemitleidet. Zwar hatte man sich natürlich den Sieg der deutschen Mannschaft
gewünscht, aber so ein Sieg musste es doch eigentlich nicht sein. Jedenfalls gab es keine
Anfeindungen, im Gegenteil: es gab zahlreiche versöhnliche Gesten, wenn auch immer auf Seiten
der Brasilianer mit einem weinenden Auge.
Und ich denke mal, dass sich die meisten Deutschen trotz allen Mitleids doch sehr über den Sieg
unserer Nationalmannschaft gefreut haben.
Und wie wäre es wohl gewesen, wenn die deutsche Mannschaft verloren hätte?
Versöhnliche Gesten werden ganz anders wahrgenommen, wenn man der Verlierer ist. Dann sieht man
in der im Grunde von Herzen kommenden Geste nur ein Zeichen der Geringschätzung und Verachtung.
Und vielleicht hofft man insgeheim, es bei der nächsten Auseinandersetzung zurückzahlen zu
können – irgendwie.
Dies sind alles ganz menschliche Verhaltensmuster, die man nicht nur beim Fußball, sondern auch
im alltäglichen Leben beobachten kann – nicht nur an anderen, sondern auch an sich selbst.
Denn immer gibt es Erwartungen, die erfüllt werden wollen – Erwartungen, die wir an uns selbst,
aber auch an andere stellen. Aufgaben sollen erfüllt, Ziele sollen erreicht werden.
Da gibt es z.B. einen Putzplan für das Treppenhaus, wonach die Mietparteien im wöchentlichen Wechsel
dran sind. Alle gehen ihrer Pflicht nach, bis auf eine, die Frau in der Wohnung gegenüber. Wenn
sie dran ist, verlottert das Treppenhaus, und bestimmt sieht's bei ihr in der Wohnung auch
aus wie bei Hempels unterm Sofa.
Wenn sie auf den Putzplan angesprochen wird, verspricht sie vielleicht, am nächsten Tag die
Treppe zu putzen, tut es dann aber doch nicht. Der Ärger wächst, und irgendwann redet man nicht
mehr miteinander, weil die Erwartungen, die man durchaus berechtigterweise stellte, nicht
erfüllt wurden. Man lebt nicht mehr miteinander, sondern nebeneinander.
Kleinigkeiten wie diese können manchmal zu monströsen Biestern werden, wie Gerhard Zwerenz in
einer Kurzgeschichte karikiert darstellte.
Da beginnt es mit einer ausgeliehenen Bratpfanne, die nicht zurückgegeben wird. Beim Streit
darüber wird dann ein Kleid zerrissen, die Kinder fangen an, sich mit den Nachbarskindern zu
prügeln, schließlich schießt man mit Luft- und Kleinkalibergewehr die Fernrohre, mit denen
man sich gegenseitig beobachtete, kaputt.
Aber es geht noch weiter: Es werden Gerüchte über die jeweils anderen verbreitet, die zu Spaltungen
in der Nachbarschaft führen; eine Grube wird vor dem Haus des Nachbarn gegraben, nachdem das
eigene Auto in die Luft gesprengt worden war. In der Grube befindet sich Stacheldraht, in dem
sich der Nachbar, der sich beim Sturz in die Grube ein Bein gebrochen hatte, verheddert. Auch
das nachbarliche Auto wird durch einen Sprengsatz zerstört, und endlich, nachdem der Appell,
die Polizei einzuschalten, ungehört verhallt war, beschießt man sich mit Atombomben. Und am
Ende heißt es in der Geschichte:
„Natürlich sind wir nun alle tot, die Straße ist hin, und wo unsere Stadt früher stand, breitet
sich jetzt ein graubrauner Fleck aus. Aber eins muss man sagen, wir haben das Unsere getan,
schließlich kann man sich nicht alles gefallen lassen.
Die Nachbarn tanzen einem sonst auf der Nase herum.“
Klar, diese Geschichte ist übertrieben. Aber sie hat einen wahren Kern: wir neigen dazu, auf
unserem Recht zu beharren, und bemerken nicht, dass wir dabei das Recht des anderen völlig
aus den Augen verlieren und beginnen, selbst im Unrecht zu sein.
Paulus mahnt uns, nicht auf unser Recht zu pochen. Er fordert uns auf, in einer Weise zu handeln,
die jeder Form von Wettkampf widerspricht. Er ruft uns zu: Hört auf damit, Euch ständig in einem
Wettstreit zu sehen.
Für Euch gibt es nämlich nur eine einzige Aufgabe: Seid gut und tut das Gute. Denn das zeichnet
Euch als Christen aus, das macht euch besonders in einer Welt, die vom Wettstreit geprägt ist.
Auch wenn uns Paulus an anderer Stelle auffordert, so zu laufen, dass wir am Ende den Siegeskranz
erlangen, dann meint er einen Lauf, in dem man nicht im Wettkampf mit anderen steht, sondern mit
sich selber. Es geht ihm bei dieser Aufforderung darum, dass wir das Böse in uns überwinden und
das Gute tun.
Zugegeben: Das Leben ist nicht so. Wir befinden uns ja doch immer im Wettstreit, sei es bei der
Arbeit, bei Freunden oder auch zu Hause. Immer vergleichen wir uns, weil wir nicht schlechter
dastehen wollen als die anderen. Und immer sind Ansprüche da, die erfüllt werden müssen oder
wenigstens sollen.
Und immer gibt es Menschen, die sich nicht darum kümmern, denen es egal ist, wie viel Mühe wir
uns machen, und denen wir am liebsten mal richtig die Leviten lesen möchten.
Aber dazu kommt es nicht, und das hat auch mit diesen Worten des Paulus zu tun:
Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. 18 Ist's möglich,
soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.
Wir wollen diesen Frieden und merken dabei nicht, dass wir damit auf uns selbst und auch unsere
Mitmenschen einen zunehmenden Druck ausüben.
Dabei sind die Worte des Paulus ganz anders zu verstehen. Sie sind keine Aufforderung, das Beste
zu geben, sondern das Beste zu nehmen.
Und das ist vor allen anderen Dingen die Liebe Gottes, seine Zuwendung zu uns. Wenn wir diese Liebe
annehmen, wenn wir uns von Gott beschenken lassen, dann gibt es keinen Leistungsdruck mehr, kein
Kräftemessen, keinen Wettbewerb.
Denn wir wissen: Bei Gott sind wir immer Gewinner, er hat uns bei unseren Namen gerufen – wir sind
sein, wir gehören zu ihm. Was will man da noch mehr?
Auf jeden Fall dürfen wir gnädig mit uns selber und mit unseren Mitmenschen sein, denn Gott ist uns
gnädig. Er vergibt uns – das hat er uns in der Taufe zugesagt, und darauf dürfen wir vertrauen, denn
er steht zu seinem Wort.
Und wenn das so ist, dann können wir auch ganz getrost und ohne viel Mühe mit allen unseren
Mitmenschen in Frieden leben und stets Gutes tun, auch wenn man eigentlich glauben müsste, dass
es der oder die gar nicht verdient hat.
Und das würde, um noch einmal auf den Putzplan zurück zu kommen, auch bedeuten, dass man diese
Woche, in der die Nachbarin dran wäre, selbst übernimmt, wenn einen der Dreck im Treppenhaus zu
sehr stört.
Das mag nicht fair oder gerecht sein, aber Gott ist ja in diesem Sinne auch nicht fair oder gerecht – im
Gegenteil, er hat sich selbst hingegeben, damit wir endlich frei werden von aller Schuld, und das,
ohne dass wir auch nur einen Finger dafür gekrümmt hätten. Er hätte es nicht tun brauchen – er tat
es allein aus Liebe zu uns.
Das ist seine Gerechtigkeit – sie fordert nichts und gibt alles.
Lassen wir uns also beschenken, auch heute in der Feier des Heiligen Abendmahls, wenn sich uns unser
Herr in den Früchten des Feldes und des Weinstocks selbst hingibt, dass wir Gemeinschaft mit ihm und
untereinander haben.
Im Abendmahl wird die unendliche Liebe Gottes offenbar, dort werden wir in wunderbarer Weise beschenkt
und gestärkt für unseren Alltag.
Und dann können wir auch ganz entspannt dem Endspiel heute abend entgegen sehen. Denn ob die
deutsche Mannschaft gewinnt oder verliert, ist gar nicht so wichtig. Wir als Christen und als
Kinder Gottes bleiben immer die Gewinner.
Amen
Lied nach der Predigt: Lass mich, o Herr, in allen Dingen (EG 414)
oder
Liebe Gemeinde!
Da ist er wieder, der hohe christliche Anspruch, den wir schon zu Beginn durch den Wochenspruch
vernommen haben. „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“
Aber während es im Wochenspruch noch als gegenseitige Hilfe verstanden werden kann, weil nun mal
alle ihr Päckchen zu tragen haben, geht es in unserem Predigttext schon etwas mehr zur Sache.
Aus gutem Grund. Denn wenn wir nur gegenseitig unsere Päckchen tragen würden, könnten wir es
auch bleiben lassen.
Nein, es geht schon darum, Opfer zu bringen, damit es dem anderen besser geht. Und das können
wir, zumindest in Maßen, auch nachvollziehen.
Aber so richtig schwer wird es, wenn von uns gefordert wird, auch noch dem, der Böses tut,
freundlich zu begegnen. Hat ein Kinderschänder das verdient? Kann man einem Völkermörder
verzeihen? Müssen wir nicht bereit sein, die uns zur Verantwortung gegebenen Menschen zu
schützen, mit allen Mitteln?
Vergeltet niemand Böses mit Bösem, sagt Paulus. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.
Daran kann man nichts deuteln. Selbst wenn es sich um einen Bin Laden handelt, soll man ihm
gegenüber auf Gutes bedacht sein. Viel näher ist uns wohl der Kinderschänder, der unsere
eigenen Kinder oder Kindeskinder missbrauchen oder gar töten könnte. Dem gegenüber auf
Gutes bedacht sein? Das geht doch gar nicht.
Und das scheint auch Paulus zu wissen. Ist's möglich, sagt er, soviel an euch liegt, so
habt mit allen Menschen Frieden.
Aha! Es kann also auch unmöglich sein! Ein Segen, dann können wir ja weiter leben wie bisher.
Doch so einfach dürfen wir es uns nicht machen. Es mag zwar unmöglich sein, mit allen Menschen
Frieden zu haben. Da kenne ich auch den einen oder anderen, dem ich am liebsten gar nicht
begegnen möchte, weil es sonst unangenehm werden könnte.
Aber damit dürfen wir uns nicht zufrieden geben. Es muss unser Bestreben sein, dass wir mit
allen Menschen Frieden haben. Auch mit denen, die keinen Frieden wollen. Aber ob das klug
ist? Manchmal kann solch ein starker Friedenswille ja sogar zur Provokation werden und
einen anderen erst zur Anwendung von Gewalt treiben.
Gebt Raum dem Zorn Gottes, sagt Paulus dann, und hilft uns damit ein Stück weiter. Denn
Gott hat ein Wörtchen mitzureden in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen. Wenn wir
aggressiv werden, dann sind wir kein Deut besser als der, der sich uns gegenüber aggressiv
gezeigt hat. Dann hat die Liebe Christi sich noch nicht wirklich in uns entfalten können.
Christen zeichnen uns aus durch ihren Friedenswillen, der ohne Gewalt, ohne Aggression zum
Ausdruck kommt.
Gebt Raum dem Zorn Gottes: Lasst Gott den bestrafen, der es verdient hat. Tut es nicht selbst.
Im Gegenteil. Seid freundlich, freundlich und nochmals freundlich.
Doch auch dann heißt es noch aufpassen. Denn wer seine Freundlichkeit nur heuchelt, dann aber
hinter dem Rücken der betreffenden Person doch schlecht über sie redet, hat nichts Gutes getan,
der hat sich auch nicht um Frieden bemüht. Er lässt andere das tun, was er am liebsten selbst
tun würde.
Es ist also schon ein schweres Stück Arbeit. Aber das ist es, was christliche Gemeinde auszeichnet.
Paulus hat es zu Beginn des 12. Kapitels des Briefes an die Römer mit diesen Worten zum Ausdruck
gebracht: Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures
Sinnes. Mach nicht das, was die Welt tut. Gib vielmehr deinem Feind zu essen und zu trinken.
Zeige deinem Feind die Liebe, die auch dich auf den guten Weg des Friedens geführt hat.
Was dann kommt, kann einen aber auch verwundern: „so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt
sammeln.“ Paulus zitiert hier übrigens aus dem Buch der Sprüche Salomos – es sind also bekannte
Worte in der damaligen Welt, die ihre Wurzeln in der jüdischen Tradition haben. Zu dieser
Tradition gehört auch die Aufforderung, seinem Feind zu essen und zu trinken zu geben. Dieser
ganze Komplex gehört also zusammen, ist nicht etwa Errungenschaft christlicher Verkündigung,
sondern ist bereits über Jahrhunderte Gut des jüdischen Volkes.
Paulus knüpft an, er stellt eine Verbindung her. Gerade erst hatte er sehr ausführlich über
die Stellung des Volkes Gottes gegenüber der christlichen Gemeinde nachgedacht und Antworten
gegeben, die sicher nicht jedem gefallen haben. Das Volk Israel ist nicht verworfen. Gott
steht zu seiner Verheißung. Es gibt nur einen Aufschub, damit viele Heiden dazu kommen können.
Seid nicht überheblich, hatte er gesagt. Gott wird alles richten. Und das kann man im doppelten
Sinn verstehen: Gott richtet, er wird als Richter über jeden sein angemessenes Urteil sprechen.
Aber auch: Er wird es zurecht bringen, das, was jetzt noch im Argen liegt, er wird das Heil
aufrichten, wo wir es nicht mit unserer kleinen Kraft vermögen.
So können wir uns an unser Werk machen: Gutes tun, Liebe üben, Vertrauen schaffen. Gott wird
richten, wo wir nicht weiter kommen.
Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. Sei nicht passiv,
sondern aktiv. Das ist wichtig, denn wir vergessen es allzu oft.
Wenn wir nicht zurückschlagen können, dann weichen wir dem Bösen aus und lassen es gewähren.
So kann man aus dem Dilemma heraus kommen, mit allen Menschen Frieden haben zu sollen, aber
nicht wirklich zu wollen.
Doch das machen alle, die ihre Chancen abschätzen und feststellen, dass sie bei einer direkten
Konfrontation unterlegen wären. Da gilt dann für uns Christen: Stellt euch nicht dieser Welt
gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes.
Aktiv das Böse überwinden, indem wir Gutes tun: das ist möglich. Und es ist eine Herausforderung,
der wir uns nur darum stellen können, weil Jesus Christus diesen Weg voraus gegangen ist. In
ihm wurde die Liebe Gottes für uns sichtbar und spürbar; in ihm können auch wir lieben – sogar
und gerade die, die Böses tun.
Amen
Lied nach dieser Predigt: Herr, wir stehen Hand in Hand (NB-EG 602)
oder
Liebe Gemeinde!
Strafe muss sein! Eine altbewährte Weisheit, deren Auswirkungen man vor allem als Kind zu spüren
bekommen hat. Die Strafe soll einem deutlich machen, dass das eigene Tun auch Konsequenzen hat.
Also muss gestraft werden.
Der Gestrafte lernt dabei schnell das oberste Gebot: sich nur nicht erwischen lassen. Und wenn
man doch erwischt wird, sich eine gute Geschichte ausdenken, ein Alibi verschaffen, oder wenigstens
eine Ausrede. Auf die Idee, nie wieder etwas zu tun, was eine Strafe nach sich ziehen könnte,
kommen die wenigsten.
Seit es Strafen gibt, gibt es auch den Versuch, sie zu umgehen. Damit meine ich nun nicht, einfach
nicht das Falsche zu tun, sondern, wie schon gesagt, sich nicht erwischen zu lassen. Denn das
Verbotene ist doch immer noch das Beste.
Paulus stellt uns vor ein uraltes Problem der Menschheit, nämlich, dass der Mensch dazu neigt,
Böses zu tun.
Aber was ist "das Böse" überhaupt? Ist es Satan? Der Teufel? Ist es das Böse in uns? Wäre die
Antwort »Satan« oder »der Teufel«, bliebe man zuletzt die Antwort doch schuldig, denn kann
irgend jemand den Satan oder den Teufel beschreiben? Beides sind ja nur andere Begriffe für
»das Böse«.
Das Böse in uns - damit kann man dann vielleicht schon eher etwas anfangen. Das kann man
nachvollziehen. Denn jeder von uns hat schon ein Verlangen gespürt und diesem Verlangen, von
dem man wusste, dass es falsch ist, vielleicht auch nachgegeben. Das ist doch das Böse in uns,
das wir nicht tun sollten.
Das Verlangen aber gehört zu uns, wir werden damit geboren. Letztlich ist es ein Verlangen nach
Freiheit, die in letzter Konsequenz so weit geht, dass sie alles andere ignoriert, und damit
auch zerstört. Denn wenn ich z.B. Freiheit für mich einfordern würde, das absolute Bestimmungsrecht
für mich selbst, würde nichts und niemand mehr vor mir sicher sein. Wenn mir im Laden etwas zu
teuer wäre, würde ich einfach nicht oder wenigstens weniger dafür bezahlen. Ich bin doch frei,
zu zahlen oder auch nicht. Es ist allein meine Entscheidung.
Um es ganz brutal deutlich zu machen: ich würde als Autofahrer jeden über den Haufen fahren, der
mir in den Weg kommt und von dem ich weiß, dass ich das mit meinem Auto hinkriege - und da taucht
dann doch eine Grenze auf, die meiner Freiheit bei aller scheinbaren Grenzenlosigkeit gesetzt
ist: ich würde natürlich keinen LKW rammen, denn der ist ja stärker, womöglich käme ich selbst
dabei zu Schaden.
Das wäre also die absolute Freiheit, und doch keine Freiheit. Denn wenn ich solch uneingeschränkte
Freiheit für mich beanspruche, ist klar, dass auch jeder andere sie haben muss. Und wenn das so
wäre, dann wäre mein Leben nicht mehr viel wert. Irgendeiner wäre schon stärker als ich und würde
mich über den Haufen rennen, spätestens, wenn ich als Fußgänger einem anderen Autofahrer in die
Quere komme.
So weit kann das mit der Freiheit also nicht gehen, denn dann gäbe es bald keine Menschen mehr in
unserer schönen Welt. Absolute Freiheit führt immer dazu, dass das Gesetz des Stärkeren angewandt
werden muss, d.h. der Stärkere hat die Macht, der Stärkere bestimmt, wo es lang geht, der Stärkere
schränkt unsere Freiheit dann doch ein. Nur der Stärkste ist frei genug, zu tun und zu lassen,
was er will.
Trotz allem: dieses Streben nach Freiheit ist uns in die Wiege gelegt, es gehört zu unserem Wesen
dazu. Gott hat uns mit diesem Verlangen, frei zu sein, geschaffen.
Zugleich hat er uns auch die Freiheit gegeben, uns selbst zu entscheiden, was wir wollen, wie wir
unser Leben gestalten. Er hat uns diese Freiheit mit auf den Weg gegeben, als er uns schuf, und
dazu die Fähigkeit, zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können. Wir können in unserer Freiheit
beides tun, das Gute und das Böse. Und wenn wir es so betrachten, ist es klar: Das Böse, das ist
nicht Satan oder der Teufel oder sonst irgendeine Macht, die von uns Besitz ergreift. Das Böse,
das ist das, wozu wir uns entscheiden, es zu tun. Mit anderen Worten: wir selbst sind das Böse,
sobald wir bestimmte Dinge tun.
Mit dieser Aussage sind wir jetzt wieder zurück bei der Ausgangsfrage: was ist das Böse? Es ist
das, was wir tun. Aber natürlich nicht alles, sondern nur ein Teil dessen, was wir tun. Denn
natürlich ist es nicht böse, wenn ich einem anderen Menschen helfe. Aber wer bestimmt, was
böse und was gut ist? Tun das die Gesetze unseres Landes? Tut es die Bibel? Tun das die
Vereinten Nationen? Wer sagt uns, welches Handeln falsch ist, und welches richtig?
Gott hat uns die Fähigkeit gegeben, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Also lautet
die Antwort: ich selber sage, was gut und was böse ist. Natürlich muss ich mich auch an
die Gesetze des Landes halten, aber diese Gesetze können u.U. Selbst böse sein - denken
wir an die per Gesetz verordnete Missachtung und Diskriminierung der Juden im Dritten
Reich. Also letztlich liegt es ganz alleine bei mir, zu entscheiden, was gut und was
böse ist. Und da ist für mich eines ganz klar: alles, was ich tue, ist böse, wenn ich
dadurch anderen Menschen Schaden zufüge.
Das macht das Ganze natürlich nicht einfacher. Denn dass ich selbst beim Einkaufen
anderen Menschen Schaden zufügen kann, das wissen wir alle inzwischen auch - die
sogenannte Globalisierung macht es möglich.
Das Böse, d.h. Anderen Menschen Schaden zufügen: wir tun es tagaus tagein, oft ohne es
zu wissen - wir können es aber noch nicht einmal immer verhindern, selbst wenn wir
davon wissen. Wir sind eingeschlossen in ein System, das uns Dinge aufzwingt, die wir
so gar nicht tun wollen. Im Grunde ist also das System selbst ein böses System.
Was können wir dagegen tun? Überwinde das Böse mit Gutem, sagt Paulus. Setze du selbst
den Maßstab, indem du Gutes tust dort, wo dir das System das Böse nahelegt. Lass dich
nicht vom Bösen überwinden. Erkenne es, und dann tue das Gute!
Tue das Gute, das fängt damit an, sich zu informieren, was das Böse ist, also wo wir
anderen Menschen Schaden zufügen, wo wir auf Kosten anderer Menschen leben. Dann
versuche, es zu ändern, indem du andere Menschen darauf aufmerksam machst, und indem
du selbst nach anderen Möglichkeiten suchst, so dass du das Böse nicht mehr tun musst.
Es kann schwer werden, andere Menschen davon zu überzeugen, dass sie Böses tun, wenn
diese das Gefühl haben, nur ihr gutes Recht zu beanspruchen. Ja, es kann sogar dazu
führen, dass es zu Auseinandersetzungen kommt.
Und dann bringt sich ein anderer Satz aus unserem Predigttext in Erinnerung: »Ist's
möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.« Paulus weiß, dass
es nicht immer möglich ist, mit allen Menschen in Frieden zu leben. Das wird dann der
Fall sein, wenn unser Gegenüber unsere Bemühung, das Gute zu tun, als Angriff auf
seine Person interpretiert. Wir können uns bemühen, darauf einzugehen, aber es wird
nicht immer möglich sein, denn Gutes Tun heißt nicht: den Frieden zu bewahren,
sondern sich aktiv für die Menschen einzusetzen, denen Schaden zugefügt wird.
All unseren Bemühungen, das Gute zu tun, ist die große Verheißung mitgegeben, dass das
Gute am Ende das Böse besiegen wird. Den Anfang hat Gott gemacht, indem er in seiner
unendlichen Liebe zu uns, die wir es ja gar nicht verdient hätten, seinen einzigen
Sohn geopfert hat, damit unsere Schuld vergeben wird.
Gott hat uns beschämt, indem er das getan hat. Er hat auf unsere Häupter glühende
Kohlen gesammelt, wie Paulus ein Sprichwort zitiert. Es liegt nun an uns, genauso
zu handeln.
Amen
Lied nach dieser Predigt: O Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens (EG 416)
Liedvorschläge zur Predigt:
Herr, du hast darum gebetet (EG 267)
Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ (EG 343)
Jesu, hilf siegen, du Fürste des Lebens (EG 373)
So jemand spricht: "Ich liebe Gott" (EG 412)
Ein wahrer Glaube Gott's Zorn stillt (EG 413)
Liebe, du ans Kreuz für uns erhöhte (EG 415)
O Herr, mach mich zu einem Werkzeug (EG 416)
Im Frieden mach uns eins (KHW/HN-EG 564)
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Predigtvorschläge zu Reihe III - Gen 50, 15-21
Liebe Gemeinde!
Josefs Geschichte ist beeindruckend. Sie erzählt davon, wie Gott aus Bösem Gutes
werden lässt, in so eindrucksvoller Weise, dass man schon staunen kann. Da reiht
sich ein sogenannter Zufall an den anderen, und immer ist klar: Gott ist am Werk
in diesem Leben, um die Väter des Volkes Israel zu bewahren.
Aber nicht nur Josefs Geschichte ist beeindruckend, sondern auch die Geschichte
seiner Brüder. Als Josef noch klein und der Jüngste war, von seinem Vater besonders
geliebt, da hassten sie ihn aus Eifersucht so sehr, dass sie ihn in die Sklaverei
verkauften - ihren eigenen Bruder - und seinen Tod vortäuschten, um so die Liebe
des Vaters wieder zu gewinnen.
Mit dieser Schuld mussten sie nun leben, und sie lebten damit, viele Jahre lang,
stets die Trauer im Gesicht ihres Vaters vor Augen und damit natürlich auch die
eigene Schuld, die sie so sehr belastete.
Sie wussten ja nicht, was aus ihm geworden war. Sie mussten fürchten, dass er
tatsächlich tot war, denn Sklaven wurden in der Regel nicht gut behandelt, viele
starben früh. Sie hätten es nicht wagen können, ihrem Vater von ihrer Tat zu
erzählen. Er wäre los gezogen, auf eine sicher vergebliche Suche, und hätte sie
alleine gelassen. So war nicht nur die Schuld ihr ständiger Begleiter, sondern
auch die Angst, ihr Vater könnte sie so sehr hassen, dass er sie verlassen würde.
Für Josef aber erwies sich das Unglück, das über ihn gekommen war, am Ende als Segen.
Er wird die rechte Hand des Pharao, erhält enorme Machtbefugnisse.
Für seine Brüder jedoch wurde die Tat, die sie damals an ihm begangen hatten, zu
einer schweren Last, die sie nicht wieder ablegen konnten.
Und dann kommt die Wende. Da ist zuerst das Erschrecken, als er sich ihnen zu
erkennen gibt, nach vielen Jahren. Schon waren sie schwer geängstigt worden, und
nun mussten sie um ihr Leben fürchten, denn Josef hatte ja die Macht, über ihr
Leben zu entscheiden. Mit einer Handbewegung hätte er ihr Todesurteil sprechen
können, der mächtigste Mann in Ägypten nach dem Pharao. Verdient hätten sie es,
hatten sie doch damals sein Leben für nichts erachtet.
Josef hatte sie erkannt, lange bevor sie ihn erkannt hatten, und die Angst saß
ihnen tief im Herzen. Was würde er mit ihnen tun?
Aber Josef hatte ja längst die Güte Gottes, die durch das bös gemeinte Handeln
seiner Brüder zu Tage trat, erfahren und darum keinen Groll gegen seine Brüder
gehegt. Es war ihm klar geworden, dass ohne die Tat seiner Brüder er nicht in
der Lage gewesen wäre, seiner Familie Rettung an zu bieten. Und so freute er
sich, sie wieder zu sehen, und holte auch seinen Vater zu sich, so dass sie
in Ägypten leben konnten.
17 Jahre lebte dann sein alter Vater Jakob bei ihm im Land, und seine Brüder
mit ihm. 17 lange Jahre, bis Jakob stirbt. In all dieser Zeit hatten die Brüder
offenbar in unsäglicher Angst gelebt. Sie hatten immer die Macht ihres Bruders
Josef gefürchtet und erklärten sich seine Freundlichkeit scheinbar nur dadurch,
dass er seinem Vater keinen Schmerz zufügen wollte, indem er seine Brüder für
die damalige Tat angemessen bestrafte. Nun war Jakob tot, und die Angst wurde
übermächtig.
Meist ist es so, dass man sich zurückzieht und verkriecht, wenn einen Angst plagt.
Man versucht, der Gefahr zu entrinnen, indem man sich vor ihr versteckt. Doch ist
das, was die Brüder Josefs getan hatten, die Ursache ihrer Angst. Sie wissen, dass
eine Strafe nur berechtigt ist, und dass sie ihrem Bruder niemals entrinnen
könnten. Immerhin war er die Rechte Hand des Pharaos. Und so treibt sie ihre
Angst nach vorn. "Vergib uns", so bitten sie ihn. Als ob Josef ihnen nicht schon
vergeben hätte. "Vergib uns, vergib, was wir so Übles an dir getan haben. Vergib uns."
Josef weint, aus gutem Grund. So wenig kannten sie ihn, dass sie nicht glauben
konnten, dass er ihnen kein Leid zufügen wollte. Ihn hatte die Macht nicht korrumpiert.
Er liebte seine Brüder und war dankbar dafür, dass Gott alles so gewendet hatte, dass
sie nun wieder zusammen leben konnten, und nicht nur das: Josef konnte jetzt für sie
sorgen, und das wollte er auch tun.
Aber es ist interessant und beachtenswert: er vergibt nicht. Josef spricht nicht
diese erlösenden Worte: ich vergebe euch. Anstelle dessen sagt er: „Stehe ich denn
an Gottes Statt?”
Gott ist der Richter. Es ist wahr, sie hatten abgrundtief Böses getan, und das
kann kein Mensch einfach vergeben. Doch war das nicht Josefs Problem. Er wollte
Gott nicht vorgreifen. Noch einmal ruft er in Erinnerung, dass Gott ja gerade
aus der bösen Tat seiner Brüder so viel Segen bereitet hat, nur damit er sie am
Leben erhalten kann. Aber vergeben? Das muss Gott tun.
Angst - das ist für uns nichts Fremdes. Aber Angst, wie sie die Brüder Josefs
empfunden haben müssen, kennen wir wohl kaum. Denn ihre Angst war gut begründet:
sie hatten ein Verbrechen begangen, als sie noch jung waren, und diese Schuld
nie sühnen können. Ihr ganzes Leben war von Angst bestimmt, es war im Grunde
ruiniert. Frieden hatten sie keinen.
Ich glaube, dass es uns ähnlich geht. Wir leben mit Schuldgefühlen und den daraus
resultierenden Ängsten, die uns den Frieden rauben.
Schuld ist immer da, aber sie ist oft nicht deutlich zu erkennen. Darum empfinden
manche Menschen gar keine Schuld, sie meinen, perfekt zu sein. Doch mit jeder
Entscheidung, die wir fällen, treffen wir auch eine Entscheidung gegen jemanden.
Selbst dann, wenn das, was wir unternehmen wollen, einem guten Zweck dient. War
die Entscheidung richtig oder falsch? Sind wir dadurch schuldig geworden?
Oft ist einem Schuld gar nicht bewusst, und da geht es uns anders als den Brüdern
Josefs, die ständig ihre Schuld vor Augen hatten.
Die Bibel kennt die Erbsünde, die in unserer Überheblichkeit und dem Verlangen
nach Selbstbestimmung zum Ausdruck kommt. Wir haben Gott ins Handwerk gepfuscht,
auf vielfache Weise. Nicht nur in der Geschichte des deutschen Volkes gibt es Berge
von Schuld, die nicht abgetragen werden können. Schuld ist da, wenn auch nicht immer
so leicht greifbar, und manches Mal könnte man versucht sein zu sagen: ich habe
damit nichts zu tun. Vielleicht hatten sich das die Brüder Josefs auch jahrzehntelang
gesagt: „Er ist doch selbst schuld gewesen. Hätte er nicht so angegeben damit, dass
unser Vater ihn mehr liebte als uns, dann wäre das alles auch nicht passiert.” Doch
Schuld holt einen ein, früher oder später steht sie undurchdringlich vor uns.
Wie gehen wir damit um? Machen wir es wie die Brüder Josefs, die hoffen, nie mit
ihrer Schuld konfrontiert zu werden?
Oder bekennen wir unsere Schuld, bevor sie sich unüberwindbar vor uns auftürmt, und
bitten um Vergebung? Wenn wir uns dazu entscheiden, wen sollen wir dann bitten?
„Stehe ich denn an Gottes Statt?” fragt Josef und zeigt damit an, wer uns vergeben
kann: es ist Gott allein. Er ist der Richter, er kann vergeben. Er hat für uns das
Zeichen der Versöhnung aufgerichtet, das Kreuz, an dem er seinen Sohn Jesus Christus
opferte. Zur Vergebung unserer Sünden.
Wir glauben an die Vergebung der Sünden: das ist Teil unseres Glaubensbekenntnisses,
vielleicht der wichtigste Teil überhaupt. Vergebung der Sünden durch die Liebe Gottes,
das ist der Weg, auf dem wir Frieden erlangen für unsere Seele. Gott vergibt. Gott
vergibt.
Das ist unser Weg: Auf Gottes Liebe zu vertrauen. Dann kann es auch keine Angst mehr
geben, nichts, was unser Leben ruinieren n könnte. Denn Gott spricht zu uns: dir sind
deine Sünden vergeben.
Dies anzunehmen, fällt nicht immer leicht. Es wäre uns lieber, wenn wir eine
Gegenleistung erbringen könnten, irgend etwas, wodurch wir wissen: der Vertrag
ist perfekt, wir haben bezahlt und dafür die Ware bekommen. Aber Gott will keine
Gegenleistung. Seine Liebe ist bedingungslos.
Amen
Lied nach dieser Predigt: Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr (EG 382)
Liedvorschläge zur Predigt:
Heilger Geist, du Tröster mein (EG 128)
Lehr uns, einander zu vergeben (EG 240, 3)
All unsre Schuld vergib uns, Herr (EG 344, 6-9)
Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr (EG 382)
O Durchbrecher aller Bande (EG 388)
Ein wahrer Glaube Gott's Zorn stillt (EG 413)
Fürchte dich nicht (NB-EG 595)
Herr, gib mir Mut zum Brückenbauen (NB-EG 612;KHW-EG 628)
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Predigtvorschläge zu Reihe IV - Joh 8, 3-11
Diese Predigt ist mit einer Aktion verbunden (s. weiter unten), für die jede
Person einen Stein bereits am Eingang erhalten haben muss. Er sollte nicht zu klein sein, sondern gut in eine
Hand passen.
Liebe Gemeinde!
»Wer von euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein.« Also packt die Steine weg, denn ohne
Schuld ist ja wohl keiner unter uns. Das Gefährliche ist: wenn wir andere verurteilen, laden
wir uns ja unter Umständen noch mehr Schuld auf, weil unser Urteil falsch sein könnte.
Also bloß nicht verurteilen, das tut man als guter Christ nicht. Aber das ist ja schon
problematisch. Was ist mit denen, die wirklich etwas falsch machen? Denen man es wenigstens
sagen müsste? Soll man schweigen?
Ich erinnere mich da an eine Sendung kürzlich im Fernsehen, in der zwei Kinder losgeschickt
wurden, sich in der Öffentlichkeit zu betrinken. Natürlich war in den Schnapsflaschen Tee
und Wasser, die zwar täuschend echt aussahen, aber harmlos waren. Die Kinder spielten ihre
Rolle jedenfalls so gut, dass man unweigerlich glauben musste, sie würden sich gerade
betrinken. Jeder Passant, der das sah, hätte die Kinder zur Rede stellen müssen, denn
Alkoholkonsum ist Kindern unter 16 Jahren gesetzlich verboten. Darüber hinaus weiß
jeder vernünftige Mensch, dass es für Kinder noch schädlicher ist als für Erwachsene,
Alkohol zu trinken.
Die Passanten würdigten die beiden höchstens eines Lächelns, meist
wendeten sie sich ab. Selbst ein Polizist, vor dessen Nase sich die beiden dann zuletzt
postierten, rührte sich nicht. Dabei wäre sein Eingreifen nicht nur seine berufliche
Pflicht, sondern ohne Zweifel auch eine gute Sache gewesen. Man hätte die Kinder vor
den verhehrenden Folgen des Alkoholkonsums, wenn sie nun wirklich Alkohol getrunken
hätten, bewahren können.
Ist dieses Verhalten der Passanten und des Polizisten eine Folge des »Wer von euch ohne
Schuld ist, der werfe den ersten Stein?« Es könnte so sein. Da merken wir schnell:
irgendwo muss eine Grenze sein, die wir erhalten müssen, für deren Einhaltung wir
eintreten müssen. Denn als Christen haben wir doch eine Verantwortung für das Wohl
anderer Menschen. Da können wir doch nicht einfach wegsehen. Also doch Steine werfen,
auch wenn wir mit Schuld sind?
Nein, das wohl nicht. Denn das Steinewerfen ist, zumindest in unserem Predigttext, ja
die letzte Konsequenz dessen, was zuvor beobachtet worden war. Die Frau war beim Ehebruch
ertappt worden, es gab Zeugen, sie war angeklagt und zum Tod durch Steinigung verurteilt
worden, nicht von Richtern, sondern von der Bevölkerung, die alle das Gesetz des Mose gut
kannten. Jesus stellt dieses Handeln in Frage, denn es gibt offenbar noch einen anderen
Weg, nicht den der Bestrafung, sondern den der Vergebung und Heilung. Sicher hatte die Ehebrecherin,
von der im Evangelium die Rede ist, selbst Schuldgefühle. Deswegen geht sie
nicht weg, als sich alle ihre Ankläger verzogen hatten, sondern unterwirft sich dem
Urteil Jesu - der sie freispricht. Aber unter einer Bedingung: Sündige hinfort nicht
mehr. Lade keine neue Schuld auf dich.
Wer von euch ohne Schuld ist... Keiner von uns ist ohne Schuld. Das beginnt schon mit
dem bösen Gedanken, den wir gegen irgendeinen Menschen hegen, und geht weiter - wie
weit, das weiß jede und jeder unter uns selbst. Wenn diese Schuld offenbar würde -
vielleicht wäre das Urteil harmlos. Vielleicht aber wäre es auch ähnlich verheerend
wie das Urteil, das über die Ehebrecherin erging. Weil wir aber selbst mit dieser
Schuld nicht fertig werden können, ist es gut, dass wir einen Ort haben, wo wir mit
unserer Schuld hingehen können: Jesus Christus. Er kennt ohnehin unsere Schuld. Er
kann sie uns vergeben, wenn wir uns, so wie die Frau, unter seinen Schutz stellen.
Das wollen wir jetzt tun.
Alle haben vermutlich einen Stein in der Hand. Mit diesem Stein könnte jede von uns
drauflos werfen, jemanden verletzen, aber auf diesem Stein haftet auch schon die
Schuld, die uns verbietet, anderen Menschen Schaden zuzufügen, auch wenn sie es verdient
hätten. Ich möchte Sie jetzt bitten, während die Orgel spielt, diesen Stein zu nehmen
und auf dem Altar in den Korb, der dort bereit steht, abzulegen. Während sie das tun,
legen Sie die Schuld mit ab, die Sie belastet und die an diesem Stein haftet. Benennen
Sie für sich, in ihrem Herzen, womit sie schuldig geworden sind, an anderen Menschen,
an sich selber, vielleicht vor langer Zeit, vielleicht gerade erst. Wenn Sie jetzt
noch einen Moment darüber nachdenken, spüren Sie vielleicht auch, wie der Stein immer
schwerer wird durch ihre Schuld. ... Es ist Zeit, ihn niederzulegen.
....
[Nachdem alle ihren Stein abgelegt haben - Zum Altar gewandt:]
Lasst uns beten:
Unser Bruder Jesus Christus, du hast gesagt: Wer von euch ohne Schuld ist, der werfe den
ersten Stein. Wir sind nicht ohne Schuld. Und darum legen wir diese Steine nieder. Wir
haben sie nicht geworfen. Du schenkst uns die Chance eines Neuanfangs durch deinen
Sohn Jesus Christus. Wir wollen nicht mehr schuldig werden, und doch fehlt uns dazu
die Kraft. Darum danken wir dir, dass du uns durch deinen Sohn Jesus Christus
vergibst, wenn wir schuldig werden, auch jetzt, heute, in diesem Abendmahl, das
wir gleich feiern werden. Wir bitten dich, erhalte uns in dem Vertrauen, dass
du uns frei machen willst, anderen Menschen so zu begegnen, wie du es tust:
liebend und vergebend.
Amen
Das Lied nach dieser Predigt: Jesus nimmt die Sünder an (EG 353, 1-3.8)
Liedvorschläge zur Predigt:
Heilger Geist, du Tröster mein (EG 128)
Allein zu dir, Herr Jesu Christ (EG 232)
O gläubig Herz, gebenedei (EG 318)
Jesus nimmt die Sünder an (EG 353)
Ich habe nun den Grund gefunden (EG 354)
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Predigtvorschläge zu Reihe V - 1. Petr 3, 8-17
Liebe Gemeinde!
Liebe Gemeinde. Warum fange ich eigentlich die Predigt mit diesen Worten an? Vielleicht,
weil es so üblich ist? Nun, es müsste ja nicht sein. Doch wie sollte ich sonst beginnen?
Liebe Gemeinde. Das könnte auch der Bürgermeister in einer Versammlung sagen. Immerhin
nennt man es eine Gemeinde, der er vorsteht. Aber, wenn ich es richtig weiß, wird er es
nicht tun.
Er redet vielmehr die Versammelten mit „Verehrte Damen und Herren“ oder so ähnlich an.
Warum tueich das nicht auch hier?
Nun, wenn ich es täte, dann würde ich damit vor allem zum Ausdruck bringen, dass die
einzelne Person wichtiger ist als die Gemeinschaft. Denn jeder und jede würde sich je
einzeln angesprochen fühlen – was ja eigentlich auch dazu passen würde, das viele
vereinzelt in den Bänken sitzen.
Aber das wäre nicht richtig. Wir sind eine Gemeinde, eine Gemeinschaft. Jesus hat uns
zur Gemeinschaft berufen, und das soll auch in der Anrede zum Ausdruck kommen. Auch
wenn wir, die wir hier versammelt sind, nur einen Bruchteil dieser Gemeinde darstellen.
Aber wir sind Gemeinde, auch im Kleinen.
Das wissen wir durch das Wort Jesu, das er sagte: wo zwei oder drei in meinem Namen
versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.
Gemeinde, das ist nicht nur ein bunt zusammen gewürfelter Haufen, sondern eine Gruppe
von Menschen, die sich durch gemeinsame Interessen und Ziele verbunden wissen. Das ist
auch in der politischen Gemeinde so. Da ist das gemeinsame Interesse der Ort, zu dem
man gehört. Freilich ein kleiner gemeinsamer Nenner, aber er existiert.
Christliche Gemeinde hingegen, das ist noch ein bisschen mehr.
Petrus beschreibt das in seinem ersten Brief:
„Seid allesamt gleich gesinnt, mitleidig, brüderlich, barmherzig, demütig. Vergeltet
nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern segnet vielmehr, weil
ihr dazu berufen seid, dass ihr den Segen ererbt.“
Seid allesamt gleich gesinnt – ja, wie soll man das verstehen? Es gibt, glaube ich,
kaum etwas langweiligeres – und wohl auch kaum etwas heuchlerischeres – als wenn alle
Mitglieder einer Gruppe einer Meinung sind. Es mag zwar solche Fälle geben, aber sie
sind eher selten.
Viel wahrscheinlicher ist es, dass man nach Kompromissen sucht und sie dann in manchmal
mühsamen Auseinandersetzungen auch findet. So geht es jedenfalls in den meisten
Kirchenvorstandssitzungen. Es ist gut, wenn wir uns bemühen, zu Entscheidungen zu kommen,
die alle mittragen können. Aber es ist klar, dass das nicht deswegen geschieht, weil alle
meinen, dass dies die beste Lösung ist.
Seid allesamt gleich gesinnt, aber nicht so, dass ihr ja und Amen zu allem sagt, was euch
aufgetischt wird. Prüft die Geister, das gilt gerade für die christliche Gemeinde. Und
wovon ihr meint, dass es gut und richtig ist, das behaltet.
Füreinander da zu sein, das versteht sich eigentlich von selbst innerhalb der christlichen
Gemeinde, und dennoch ist es überhaupt nicht selbstverständlich. Manchmal bekommt ja gar
nicht mit, dass die Nachbarin, die alleine lebt, krank im Bett liegt und sich nicht mehr
helfen kann.
Der Pastor erfährt nicht, dass ein Gemeindeglied, das sich immer treu zur Gemeinde gehalten hat,
gestorben ist – erst Wochen, nachdem sie anonym beerdigt wurde, erfährt er es durch den
freundlichen Bestattungsunternehmer, der das Interesse des Sohnes, der aus der Kirche
ausgetreten ist, höher stellt als die Gemeinde Gottes, zu der die Verstorbene gehörte.
Wie oft erinnern wir unsere Kinder daran, dass es nichts austrägt, wenn man sich gegenseitig
immer unangenehmere Schimpfwörter an den Kopf wirft. Sie machen es immer wieder, der Zorn
wächst, manchmal wird es sogar handgreiflich. Das ist, so denke ich, nicht unüblich.
Und wie oft ertappen wir uns selbst dabei, dass wir uns über unser Gegenüber derart ärgern,
dass wir im Zorn auseinandergehen?
„Segnet vielmehr, weil ihr dazu berufen seid, dass ihr den Segen ererbt.“
Ist uns das überhaupt bewusst?
Segen. Ich glaube, wir können uns alle etwas darunter vorstellen. Aber beschreiben lässt er
sich nur schwer. Da sind die sogenannten „irischen“ Segenssprüche hilfreich, aber dadurch,
dass sie Segen konkret machen, verkürzen sie ihn auch.
Von Segen können wir auf jeden Fall wohl dies sagen: es ist eine Kraft, die uns begleitet,
die mit uns geht auf unseren Wegen, die spürbar wird auf vielfältige Weise. Aber wie
genau – ja, wer kann das sagen? Auf jeden Fall erwarten wir vom Segen Gutes, Schutz,
Hilfe, auch Kraft – doch glaube ich, dass Segen auch dort sein kann, wo man verloren
und hilflos ist.
Wenn man Segen festhalten könnte...
Nun, wir tun es. Allerdings ohne dass wir etwas dazu tun könnten. Man kann es sich vielleicht
so vorstellen, dass der Segen an einem klebt. Ein Erbe wird man nicht los, es sei denn, man
will es nicht. Aber wer wollte schon Segen ausschlagen?
Doch macht Petrus darauf aufmerksam, dass wir den Segen ererben, damit wir daraus unsere
Konsequenzen ziehen:
Segnet.
Es ist wichtig, dass wir uns immer wieder dies deutlich machen: wir ererben den Segen. Wir sind
gewissermaßen Kinder des Segens. Und da Segen etwas ist, das man austeilt, darum sollen wir
das auch tun.
Dbei brauchen wir keine Angst zu haben, dass der Segen irgendwann nicht mehr da ist, dass er
weniger oder schwächer wird. Im Gegenteil. Segen wird mehr, je mehr man davon austeilt. Das
ist eine grundlegende Eigenart des Segens, dass er zunimmt, auch bei dem, der ihn austeilt.
Segnet also viel lieber als dass ihr Böses mit Bösem vergeltet, weil ihr dazu berufen seid,
den Segen zu ererben.
Doch wissen wir, dass diese Verhaltensregeln nicht unbedingt etwas mit dem Christsein zu tun
haben. Auch für Menschen, die sich nicht zu Christus bekennen, ist es natürlich sinnvoll und
gut, nicht Böses mit Bösem zu vergelten. Es hat sich immer ausgezahlt, wenn man zur Versöhnung
bereit war, und wird das auch in Zukunft tun.
Auf diese recht einfache Schlussfolgerung weist Petrus gegen Ende unseres Predigttextes hin:
„Wer ist's, der euch schaden könnte, wenn ihr dem Guten nacheifert? Und wenn ihr auch leidet
um der Gerechtigkeit willen, so seid ihr doch selig. Fürchtet euch nicht vor ihrem Drohen und
erschreckt nicht; heiligt aber den Herrn Christus in euren Herzen.“
Doch so sehr es wohl richtig ist, dass denen, die Gutes tun, kein Schaden zugefügt werden müsste,
es widerspricht ja doch der Realität. Auch dies hat Jesus gesagt, dass Gott die Sonne aufgehen
lässt über Gute und Böse, es ist nicht automatisch so, dass es nur dem Guten gut und dem nur
dem Bösen schlecht geht. Eher im Gegenteil:
die, die Gutes tun, sehen sich selbst oft in der Situation, dass sie leiden müssen, während es
denen, die Böses tun, immer besser zu gehen scheint.
Ob es reicht, so einfach diesen Satz hin zu werfen: „Und wenn ihr auch leidet um der
Gerechtigkeit willen, so seid ihr doch selig.“?
Manche verbittern jedenfalls darüber, dass sie in ihrem Bemühen um Gerechtigkeit nichts
erreichen, dass sie vielmehr dadurch noch Nachteile haben in ihrem Leben. Es genügt,
einen Blick zurück in die Zeit zu werfen, wo es die DDR noch gab: die Menschen, die
sich konsequent zur christlichen Gemeinde hielten, konnten ihre Berufswünsche nicht
verwirklichen und mussten auch sonst viele Benachteiligungen erdulden. Wie viele dann
doch am Ende klein bei gegeben haben, wissen wir nicht, wohl aber ist deutlich, was
für eine Konsequenz dies für die christliche Gemeinde hatte.
Aber nein, ich meine nicht die Tatsache, dass sie immer kleiner geworden ist, sondern die
Tatsache, dass sie das wahr gemacht hat, wozu Petrus uns am Ende unseres Predigttextes
auffordert: „heiligt aber den Herrn Christus in euren Herzen.“
Ist es nötig, dass Christen erst in einer Situation sein müssen, in der sie ihren Glauben
nicht mehr frei leben können, damit dies geschieht? Geht es uns vielleicht zu gut? Fehlt
uns die Herausforderung?
Nun, ich denke, dass es genug Herausforderungen gibt. Angefangen bei dem Versuch, die
Einigkeit, von der Petrus zu Beginn sprach, herzustellen, über das Bemühen, Gutes zu
tun und dem Frieden nachzujagen, bis hin zum Segnen: das sind Aufgaben, die uns als
Christen gestellt sind und die uns leicht fallen sollten, weil wir doch Christus in
unseren Herzen tragen.
Er gibt uns Kraft und Mut dazu, und er ist es auch, der uns wieder auf hilft, wenn
wir versagt haben. Wenn wir uns darauf verlassen, dann wird durch unser Leben und
Handeln auch in dieser Welt erkennbar, dass wir Gemeinde Jesu Christi sind.
Amen
Lied nach dieser Predigt: Wir glauben all an einen Gott (EG 183)
oder
Liebe Gemeinde!
Seid allesamt gleichgesinnt, mitleidig, brüderlich, barmherzig, demütig.
So fordert Petrus die Christen, also auch uns, auf. Er stellt uns damit ein Ideal
vor Augen, das wir so - zumindest in unserer Welt - wohl kaum wiederfinden werden.
Wer ist heute schon gleichgesinnt, mitleidig, brüderlich, barmherzig und demütig.
Aber damals war ein solches Ideal vielleicht nicht nur ein erstrebenswertes Ziel,
so wie es uns heute erscheint. Aus dem Text, den wir vorhin in seiner ganzen Länge
gehört haben, haben wir vielleicht schon erkannt, dass hier Menschen angesprochen
sind, die um ihres Glaubens willen verfolgt und vielleicht sogar getötet werden.
Da waren die Gleichgesinntheit, das Mitleid, die Brüderlichkeit (oder Geschwisterlichkeit),
Barmherzigkeit und Demut notwendig, um sich gegenseitig zu stärken und »bei der
Stange zu halten«. Es ist denkbar, dass dieser Aufruf des Petrus damals im Grunde
nur eine Erinnerung an das war, was ohnehin schon praktiziert wurde. Sonst wäre es
kaum denkbar, dass die massive Verfolgung, die die Christen damals erlitten, nicht
zu ihrer Vernichtung geführt hat.
Heute leiden wir nicht unter Verfolgung, im Gegenteil. Es geht uns gut, es fehlt
uns nichts, Christsein ist zwar nicht in, aber allgemein anerkannt und respektiert.
Man kann allerdings nicht sagen, dass die Ruhe und der Frieden, die wir nun genießen,
der christlichen Gemeinde geholfen hätte. Es hat sich ja immer wieder in der
Geschichte gezeigt, dass die Verfolgungssituation den Glauben festigt und die
Christen zusammenschweißt. Ihr Zeugnis gegenüber anderen wird durch ihr Ausharren
und ihre Beständigkeit um vieles glaubwürdiger. Solch ein Zeugnis findet man heute
kaum noch unter uns. Man hat oft das Gefühl, dass sich die Christen heute ihres
Christseins gar nicht mehr bewusst sind, weil sie sich niemandem gegenüber als Christen
ausweisen müssen. Es ist - noch - selbstverständlich, Christ zu sein. Darum bemüht
man sich nicht weiter. Wären da die Worte des Petrus nicht gerade angebracht? Wäre
dann nicht das, wozu Petrus uns auffordert, ein wirklich erstrebenswertes Ziel?
Ich möchte einmal diesen verschiedenen Begriffen, die Petrus da anführt, etwas nachgehen,
damit wir besser verstehen, was er eigentlich von uns will. Zunächst, so sagt er,
sollen wir alle »gleichgesinnt« sein, d.h. also gleichen Sinnes, man könnte auch sagen:
seid alle gleicher Meinung. Da merken wir schon, wie schwierig das ist, ja praktisch
unmöglich! Ich will nur ein Beispiel anführen: Da ist jemand gegen die Abtreibung, weil
er das ungeborene Leben schützen will. Da ist jemand anderes für die Abtreibung, weil er
die werdende Mutter vor der überwältigenden Last bewahren will, die die Geburt des Kindes
mit sich bringen würde. Beide sind sie Christen, beide erkennen sie die Verantwortung
füreinander, aber in dieser Sache sind sie durchaus nicht gleichgesinnt. Ein Urteil
darüber zu fällen, wer nun Recht hat, wagt kaum einer. Aber das ist in diesem Zusammenhang
auch nicht so wichtig. Es stellt sich uns vielmehr die Frage, ob es richtig ist,
gleichgesinnt, also einer Meinung zu sein. Es würde uns zwar manches erleichtern.
Aber, um bei dem Beispiel zu bleiben: Gäbe es nur Gegner der Abtreibung, würde dies
fast unweigerlich zur Unterdrückung grundlegender Rechte der Frauen führen. Und das
kann wohl kaum gemeint sein.
Vielleicht bezieht sich Petrus ja nur auf den Glauben, also auf die Art und Weise,
wie wir von Christus reden: die Menge der verschiedenen Konfessionen, die alle darauf
bestehen, den »richtigen« Glauben zu haben, zeigt uns, dass es da durchaus nicht
gleichgesinnt zugeht, im Gegenteil. Da setzt der Aufruf des Petrus zur Gleichgesinntheit
an. Wohl gibt es immer wieder Probleme bei der Interpretation, aber wenn wir Außenstehenden
eine überzeugende Botschaft vermitteln wollen, dann sollen wir uns einig sein: Jesus
Christus starb für uns am Kreuz, durch seinen Tod sind wir von unseren Sünden befreit
und haben freien Zugang zu Gott. Das ist der Kern christlichen Glaubens, in dem wir
gleichgesinnt sein sollen. Es ist ein Herr, es ist ein Glaube, es ist eine Taufe
(Eph 4,5). Darin sollen wir gleichgesinnt sein.
Weiter ruft Petrus uns auf, »mitleidig« zu sein. Das hört sich etwas merkwürdig an,
denn das Wort Mitleid geht davon aus, dass der Person, die »bemitleidet« wird, etwas
Schlimmes zugestoßen ist. Im Originaltext steht da ein anderes Wort: sympathisch. Der
Aufruf des Petrus würde also mit diesem Wort lauten: Habt Sympathie für einander.
»Sympathie« heißt übersetzt nichts anderes als »Mitleid«, aber der Begriff »Leid«,
der in diesem Wort steckt, schließt dann auch das Gute ein, das einem widerfährt,
und nicht nur das Schlechte. Dann verstehe ich diesen Aufruf so: geht nicht an euren
Mitmenschen vorbei. Nehmt teil an ihrem Leben, zeigt, dass ihr da seid, wenn ihr
gebraucht werdet, freut euch mit den Fröhlichen, trauert mit den Traurigen. Seid
bereit zuzuhören. Bietet eure Hilfe an. Lasst nicht zu, dass Nachbarn sich nicht
mehr kennen.
Dann will Petrus, dass wir »brüderlich« sind. Dass im biblischen Sprachgebrauch
bei solchen Worten auch die Schwestern mitgemeint sind, muss man sich vielleicht
immer wieder neu vor Augen halten. Für uns wäre es also zeitgemäßer, zu sagen:
seid wie Geschwister zueinander. Geschwister verbindet mehr als nur die Bande der
Freundschaft. Geschwister sind bereit, bedingungslos füreinander einzutreten.
Sie sind aber auch bereit, dem anderen die Meinung zu sagen und sie oder ihn auf
Fehler hinzuweisen. Seid aufrichtig zueinander.
Weiter sagt Petrus: Seid barmherzig. Zeigt Erbarmen. Habt ein Herz voller Erbarmen.
Barmherzigkeit ist etwas, was in unserer Gesellschaft oft fehlt. Für jede Situation
gibt es klare Regeln und Gesetze, für deren Einhaltung Beamte und Richter sorgen.
Aber wenn jemand in Not gerät, sei es durch sein eigenes Verschulden oder das eines
anderen, ist es die Barmherzigkeit, die diesen Menschen vielleicht verwandelt und
zu einem anderen Menschen macht, und nicht das, was er erleiden muss. Wendet euch
darum von den Menschen in Not nicht ab, verweigert ihnen eure Hilfe nicht. Ich weiß
wohl: wenn jemand an die Tür klopft und um Hilfe bittet, wissen wir oft nicht, ob
die Geschichte, die uns da erzählt wird, wahr ist. Zu oft wurde unsere Gutmütigkeit
schon missbraucht. Wir wissen nicht, ob von der Person eine Bedrohung ausgeht und
er sich mit der herzerweichenden Geschichte, die uns da erzählt wird, nur Einlass
in die Wohnung verschaffen will. Die richtige Entscheidung zu treffen, ist in solcher
Situation eine Gratwanderung. Es wird aber nie nötig sein, unbarmherzig zu sein und
sich ganz abzuwenden. Es gibt auch dann Wege, zu helfen, und sei es durch ein belegtes
Brot, einen Hinweis auf das Angebot des Kleinen Tisches, oder ähnliches.
Schließlich fordert Petrus uns auf, demütig zu sein. Wem gegenüber, möchte ich
sogleich fragen. Demut bedeutet ja, sich zu unterwerfen, jemandem unterzuordnen.
Als Christen sind wir aber selbstbewusst, denn wir wissen, dass Jesus Christus uns
erlöst hat und uns alle mit Namen kennt. Wir sind etwas Besonderes. Darum scheint
Demut eigentlich nicht angebracht, sondern eher Stolz. Aber Stolz macht überheblich,
man überschätzt sich und beginnt dann, Fehler zu machen. Darum sagt Petrus wohl:
seid demütig. Erinnert euch daran, dass ihr nicht aus eigenen Stücken so besonders
seid. Gott ist es, der euch herausgeholt hat aus dem Elend der Sünde, in dem ihr
lebtet. Und wenn ihr jetzt mit anderen Menschen umgeht, dann macht deutlich, wer
hinter euch steht, wer euch Mut und Kraft gibt.
Wenn ich so die Dinge, zu denen Petrus uns aufruft, bedenke, dann wird mir schon klar:
dies sind wichtige Ziele. Wenn wir diesem Ideal nachstreben, tragen wir dazu bei, dass
in unsere Welt Frieden kommt. Wir werden zu Boten der unendlichen Liebe Gottes, die
uns erlöst hat von unseren Sünden durch seinen lieben Sohn, und darum frei gemacht hat,
mit Liebe den Menschen zu begegnen, die er zu uns schickt. Gott erhalte uns in dieser
Liebe.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Jesu, meine Freude (EG 396)
Herzlich lieb hab ich dich, o Herr (EG 397)
Lass die Wurzel unsers Handelns (EG 417)
Licht, das in die Welt gekommen (EG 593)
Schalom, Schalom! Wo die Liebe wohnt (KHW-/HN-EG 627)
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