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Zu den Perikopen
Predigtvorschläge zu Reihe I - Mk 3, 31-35
Liebe Gemeinde!
Maria sorgt sich um ihren erstgeborenen Sohn, denn er begibt sich in große Gefahr.
Es war ihr zu Ohren gekommen, wie Jesus die Oberen provoziert hatte, denn natürlich
berichten Zeugen sofort den Eltern, was sich ereignet hat, auch dann, wenn das Kind
längst schon erwachsen ist. Die Eltern sollten wissen, wenn da etwas schief läuft,
und sich um ihn kümmern, zumal manche ja auch der Ansicht waren, dass Jesus psychisch
krank wäre und darum eher in die Obhut seiner Familie als in die Öffentlichkeit
gehörte.
Jesus hatte am Sabbat geheilt, er hatte seine Anhänger dazu ermutigt, am Sabbat Ähren
zu raufen, und er hatte sich dazu herab gelassen, mit Zöllnern an einem Tisch zu sitzen.
Provokativ hatte er die Pharisäer angesprochen und sie auf eine Art herausgefordert,
dass sie nichts erwidern konnten, sie aber vor allen, die dabei waren, bloß gestellt
wurden.
Er lud sich doch nur Ärger auf mit solchem Verhalten. Jemand hatte Maria gesagt, dass
das Gerücht umginge, die Pharisäer wollten ihn töten lassen. Ihn, ihren Erstgeboren!
Sie wusste zwar, dass Jesus ein besonderer Mensch war, aber was hatte er davon, und was
hatten die anderen Menschen davon, wenn er tot wäre? Dann konnte er ja nichts mehr für
sie tun.
Nein, das Ganze war schon zu weit gegangen, und sie fühlte sich nicht nur verantwortlich,
sondern ihr Mutterherz trieb sie, ihn in Schutz zu nehmen.
Doch wie konnte sie das tun? Die einzige Möglichkeit, die sie sah, war, ihn wieder zu
sich zu nehmen und auf ihn auf zu passen.
So rief sie seine Geschwister zusammen, denn sie ahnte, dass sie alleine nicht viel
ausrichten könne. Sie hoffte, dass die anderen Söhne ihr notfalls helfen würden, wenn
kräftige Hände gefragt waren. Und dass die ganze Familie nach ihm fragte und ihn nach
Hause bringen wollte, sollte dazu verhelfen, dass er sich angerührt fühlte und gerne,
ohne Widerstand, mit kam.
Wir können es kaum nachempfinden, wie sie gebangt haben muss um ihren Sohn, der sich
einem so tiefen Abgrund näherte und blind zu sein schien für die Tiefen, die sich da
vor ihm auftaten.
• Er ist ja ihr Erstgeborener, dem sie anfangs all ihre Liebe schenken konnte, bevor
er sie mit den anderen Geschwistern teilen musste.
• Er ist der Älteste, der ihr als erstes ihrer Kinder zur Hand ging und bei den
alltäglichen Aufgaben mit half.
• Er ist der Erste, auf dessen Erfolge und Errungenschaften sie besonders stolz
war, denn es war jedesmal das erste mal, dass sie das erlebte: wie er laufen lernte,
wie er sprechen lernte, wie er Lesen und Schreiben lernte.
• Und dann war da noch die Verheißung, die auf ihm ruhte und an die sie sich noch
gut erinnerte.
Auch wenn es in den Augen der Geschwister ungerecht erscheint - das erst geborene Kind
genießt mehr Aufmerksamkeit als die Geschwister, weil es eben eine Zeit lang auch das
einzige Kind ist. Es hat die Möglichkeit, eine besondere Beziehung zur Mutter aufzubauen,
ohne dass die Mutter Rücksicht nehmen muss auf ein anderes Kind. Dieses Privileg haben die
Geschwister niemals.
Und so geht sie hin, um dieses besonders geliebte Kind, das bereits ein erwachsener Mann
geworden ist, der eigentlich ja auf sich selbst aufpassen müsste, vor größerem Schaden zu
bewahren. Sie tut es, weil sie ihn nie ganz loslassen konnte - wie kann auch eine Mutter
ihr Kind vergessen und sich selbst überlassen...
Aber sie wagt nicht, hinein zu gehen in den Raum, in dem er sitzt und spricht von dem, was
ihm den Tod bringen wird. Sie will es nicht hören - oder sie hofft einfach darauf, dass sie
ihn ohne großes Aufsehen mitnehmen und so in Schutz nehmen kann.
So bittet sie jemanden, der am Eingang steht, ihn heraus zu rufen, und der Bote geht, um es
Jesus hinter vorgehaltener Hand zu sagen. Bange Minuten, vielleicht sogar nur Sekunden, aber
es muss eine Ewigkeit gewesen sein, bis Jesus seine Stimme erhebt und deutlich vernehmlich
sagt: „Wer ist meine Mutter und meine Brüder?” (Mk 3, 33) und dann, mit großer Geste auf
alle seine Zuhörer weisend: „Siehe, das ist meine Mutter und meine Brüder!” (Mk 3, 34)
Was muss Maria da empfunden haben. Wie ein Messer drangen diese Worte in ihr Herz ein, das
so voller Liebe war, das ihn nicht leiden sehen konnte und auch nicht leiden sehen wollte.
Er verleugnete sie. Er sagte sich von ihr los. Die Hergelaufenen, die, die ihn mit
hineinzogen in diesen Abgrund, der seinen Tod bedeutete, die ihn vielleicht sogar
dazu verführt hatten, diesen Weg zu gehen - die sollen jetzt an ihrer Statt stehen?
Es ist vielleicht ein Funke Zorn in ihre Gefühle hinein gemischt, aber die Liebe ist
größer. Sie empfindet nur den Schmerz, den der Sohn der Mutter zufügt, indem er
sich von ihr lossagt, so tut, als ob es sie nie gegeben hätte.
Ist es ein Trost, wenn er sagt: „wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und
meine Schwester und meine Mutter.” (Mk 3, 35)?
Wie kann das ein Trost sein? Vielleicht so, dass sie sich selbst darin wieder
findet: auch sie tut den Willen Gottes, hat sich zumindest immer darum bemüht.
Er selbst, Jesus, hat sie ja auch immer wieder dazu ermutigt, durch seine Art
und Weise, wie er mit der Frömmigkeit, dem Glauben, dem Weg umgegangen ist.
Er hatte all das, was mit Gott zu tun hatte, für sie aus der Routine heraus geholt.
Er hatte Gott für sie lebendig gemacht, und damit allerdings nicht nur Freude in
ihr Herz gebracht. Manches Mal hatte sie sich wohl gefragt, ob er so von Gott
reden, ob sie so von Gott denken darf. Sie hatte es anders gelernt in ihrer
Kindheit: sie kannte Gott als den Erhabenen und Allmächtigen, und nun hatte er
sie, als ihr Kind, aufs Neue gelehrt. Sie fühlte sich wohler dabei, Gott als
himmlischen Vater, der barmherzig und gnädig ist, zu erkennen und zu lieben,
und war doch voller Zweifel. War Gott nicht auch der, der Gerechtigkeit durch
seine Gebote einforderte und den strafte, der diese Gebote nicht einhielt?
Jesus, so mag sie gedacht haben, ich glaube an Gott und ich bemühe mich, nach
seinem Willen zu leben - aber ich will dich nicht mit all den anderen teilen,
und vor allem: ich will dich nicht an sie verlieren. Du bist mein geliebter
Sohn - du gehörst zu mir, auch wenn du schon lange erwachsen bist. Du bist und
bleibst mein Kind!
Welch großen Schmerz mutet Jesus seiner Mutter zu. Und wie wenig erfahren wir
von ihr im weiteren Verlauf des Evangeliums, obwohl sie doch später zur Schar
der Jünger hinzugezählt wird. Bei Markus aber steht sie nicht unter dem Kreuz,
und sie ist auch nicht Zeuge der Auferstehung. Insofern ist der Evangelist
konsequent: sie ist nicht mehr seine Mutter.
Jesus hat andere zu seiner Familie erkoren. Menschen wie Du und ich, Menschen,
die sich zu ihm gehörig fühlen, Menschen, die sich Christen nennen. Menschen,
die aus allen Bevölkerungsschichten stammen, Menschen, die bereit sind, Gottes
Willen zu tun - so wie seine Mutter, Maria – und damit auch in Kauf nehmen, dass
es eine schmerzhafte Erfahrung sein kann.
Die Reaktion Jesu auf die Bitte seiner Mutter und seiner Geschwister, heraus und
mit ihnen nach Hause zu kommen, zeugt nicht von Kaltblütigkeit oder Herzlosigkeit,
auch zeugt sie nicht von Verachtung gegenüber seiner Mutter, sondern sie zeugt
von der großen, unermesslichen Liebe, die er allen Menschen gegenüber hegt: diese
Liebe ist größer als selbst die Liebe zwischen dem Kind und seiner Mutter.
Wie danken wir ihm solche Liebe? Sind wir ein würdiger Geschwisterersatz, ja, sind
wir ein würdiger Mutterersatz? Es ist gut, wenn wir uns diese Frage ab und zu
stellen, vielleicht auch öfter und nicht nur ab und zu.
Viel zu selten erinnern wir uns an die Frau, von der sich Jesus so lossagte, wie
wir es nun gehört haben, deren Namen wir Sonntag für Sonntag im Glaubensbekenntnis
aussprechen. Deutlich erinnert uns dieser Name an die Liebe, die uns mit mit
unserem Herrn Jesus Christus verbindet.
Der Protestantismus will von Marienfrömmigkeit nichts wissen, denn sie hat bei
unseren katholischen Geschwistern schon seltsame Blüten getrieben. Es ist gut und
richtig, dass da eine Abgrenzung erfolgt ist.
Aber wir tun sicher gut daran, wenn wir uns immer wieder auch an sie erinnern lassen.
Denn durch sie gelingt es uns vielleicht, diese unermessliche Liebe, die Gott an
uns bewiesen hat, zu erfassen, oder einfach etwas deutlicher zu sehen.
Martin Luther schrieb in seiner Auslegung zum Magnifikat: „Maria will keine Abgöttin
sein. Sie tut nichts; Gott tut alle Dinge. Anrufen soll man sie, dass Gott um
ihretwillen gebe und tue, was wir bitten; im gleichen Sinn sind auch alle anderen
Heiligen anzurufen, damit ja gewiss das Werk immer ganz allein Gottes Sache bleibe.“
In diesem Sinn ist es gut, dass wir uns an Maria erinnern – als Werkzeug in der
Hand Gottes, als Mensch, der sich dem Willen Gottes ganz und gar ergibt, und
darin als Vorbild für uns und unser Leben.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Halleluja. Suchet zuerst Gottes Reich (EG 182)
Du hast mich, Herr, zu dir gerufen (EG 210)
Nun freut euch lieben Christen g'mein (EG 341)
Liebe, die du mich zum Bilde (EG 401)
Bei dir, Jesu, will ich bleiben (EG 406)
Auf der Spur des Hirten (KHW-EG 616)
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Predigtvorschläge zu Reihe II - Apg 6, 1-7
Liebe Gemeinde!
„Famous Last Words“ - diese Redewendung ging mir in den letzten Wochen immer wieder durch
den Kopf. Berühmte letzte Worte – damit werden die Worte von berühmten Persönlichkeiten
bezeichnet, die sie unmittelbar vor ihrem Tod aussprachen.
Aber daran dachte ich weniger, sondern an eine Schallplatte der Band „Supertramp“, die
diesen Titel trug. [Auf ihr gibt es ein Lied mit dem Titel „It's raining again“ -
Es regnet schon wieder – was ja auch zu diesem Tag passt.]
Und natürlich dachte ich auch an die heutige Predigt – meine letzte Predigt von dieser
Kanzel als Pfarrer des Quartiers hier in Wolfenbüttel, und ob Sie wohl solche „Famous
Last Words“ von mir erwarten.
Aber da muss ich Sie enttäuschen. Denn in unserem Predigttext steht nichts von Martin
Senftleben, sondern von Stephanus, einem Mann voll Glaubens und heiligen Geistes, und
Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, den Judengenossen
aus Antiochia.
Wenn ich Stephan oder Philipp heißen würde, könnte ich ja vielleicht noch etwas zurecht
biegen, aber das muss ja nicht sein.
Also hören Sie, was Lukas in der Apostelgeschichte im 6. Kapitel schreibt:
In diesen Tagen aber, als die Zahl der Jünger zunahm, erhob sich ein Murren unter den
griechischen Juden in der Gemeinde gegen die hebräischen, weil ihre Witwen übersehen
wurden bei der täglichen Versorgung. Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zusammen
und sprachen: Es ist nicht recht, dass wir für die Mahlzeiten sorgen und darüber das Wort
Gottes vernachlässigen. Darum, ihr lieben Brüder, seht euch um nach sieben Männern in
eurer Mitte, die einen guten Ruf haben und voll heiligen Geistes und Weisheit sind, die
wir bestellen wollen zu diesem Dienst. Wir aber wollen ganz beim Gebet und beim Dienst
des Wortes bleiben. Und die Rede gefiel der ganzen Menge gut; und sie wählten Stephanus,
einen Mann voll Glaubens und heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und
Timon und Parmenas und Nikolaus, den Judengenossen aus Antiochia. Diese Männer stellten
sie vor die Apostel; die beteten und legten die Hände auf sie. Und das Wort Gottes breitete
sich aus, und die Zahl der Jünger wurde sehr groß in Jerusalem. Es wurden auch viele Priester
dem Glauben gehorsam.
(Apg 6, 1-7)
Es ist eigentlich ja schon bemerkenswert, dass es damals wie heute um die Versorgung der
Gemeinden bzw. derer Gemeindeglieder geht. Da hat sich in 2000 Jahren wohl nicht viel
geändert.
Und natürlich findet man auch immer Gründe, warum es einem selbst so schlecht geht (und
den anderen besser). In dem von Lukas geschilderten Fall sind es die griechischen Juden,
die sich von ihrem Ursprung und ihrer Sprache her von den hebräischen Juden unterscheiden
und die meinen, Opfer von Diskriminierung zu sein. Ihre Witwen werden „übersehen bei der
täglichen Versorgung“, so heißt es.
Da können wir mal einen tiefen Blick in die Ursprünge der christlichen Gemeinde werfen.
Zunächst einmal stellen wir fest: Offenbar gab es neben den Gottesdiensten schon ein
durchdachtes System der sozialen Fürsorge.
Witwen gehörten zu dem Personenkreis, der durch die Gesetzgebung und die gesellschaftlichen
Strukturen benachteiligt war. Sie hatten kein Teil am Erbe ihres verstorbenen Mannes und
durften auch selbst nicht einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Wenn es keine Familie gab,
die für sie sorgte, dann trat allerdings die Gemeinde für die Versorgung ein. So war es
in der jüdischen Gesellschaft, und so übernahm es selbstverständlich auch die christliche
Gemeinde, die zu der Zeit ja noch tief in der jüdischen Gemeinde verwurzelt war.
Und nun gab es offenbar Probleme bei dieser Versorgung. Die Apostel waren dafür zuständig,
die Mittel der Gemeinde zu verwalten und dafür zu sorgen, dass die Witwen zu essen bekamen
und auch sonst versorgt waren.
Übrigens waren die Witwen nicht etwa alles alte Damen. Viele Männer starben früh, sei es
wegen einer Krankheit, die nicht geheilt werden konnte, oder wegen eines Unfalls oder
einer Verletzung, die sich entzündete und dadurch zum Tod führte. Und so hoffte man,
für die jungen Witwen wieder einen Mann zu finden, aber darüber hinaus bekamen sie
auch Aufgaben in der Gemeinde zugeteilt.
Auf jeden Fall gab es offenbar die gemeinschaftlichen diakonischen Mahlzeiten, so möchte
ich sie einmal nennen, und zu denen wurden wohl die Witwen, die aus den griechischen
Juden kamen, nicht eingeladen oder für sie wurde nichts vorbereitet.
Und anstatt zu sagen: 'selbstverständlich kümmern wir uns auch um sie, sie sollen nur
auch dazu kommen', sagen die Apostel: „Es ist nicht recht, dass wir für die Mahlzeiten
sorgen und darüber das Wort Gottes vernachlässigen.“
Also Arbeitsteilung, denn offenbar nimmt die Verwaltungsarbeit doch zu viel Zeit in Anspruch
und behindert die Apostel beim Dienst am Wort Gottes. Vielmehr sollten nun sieben Männer
für diesen Dienst (und die Verwaltungsarbeit) berufen werden.
Diese Männer wurden nicht etwa von den Aposteln bestimmt, sondern von der Gemeinde, und
das finde ich schon einmal bemerkenswert. Die Apostel waren nur bereit, sie dann auch in
den Dienst zu stellen und zu segnen.
Ja, und so kam es, dass Stephanus und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und
Parmenas und Nikolaus zu dieser Aufgabe berufen wurden. Diese sieben sind übrigens alle
griechische Judengenossen, und man hat schon ein bisschen den Eindruck, dass sich nicht
nur die 12 Apostel um diese Aufgabe drücken wollten, sondern auch die übrigen der
hebräischen Juden. Es gab wohl doch irgendwie schon Spannungen zwischen diesen beiden
Gruppen.
Aber offensichtlich war diese Lösung eine gute Lösung, denn die Apostel konnten sich
weiterhin dem Gebet widmen und dem „Dienst des Wortes“, was zu einer Ausbreitung desselben
führte und zu einem Wachstum der Gemeinde.
Wenn wir diese Schilderung der urchristlichen Situation auf unsere Zeit übertragen, was ja
zunächst recht einfach scheint, dann merken wir bei genauerem Hinsehen, dass das nun doch
nicht ganz so einfach ist.
Die Gemeindegliederzahl ist heute wohl doch deutlich größer als damals, und die Hilfsbedürftigen
sind uns keineswegs immer bekannt, so wie es damals der Fall war. Es kommen zwar immer wieder
Menschen an die Tür mit der Bitte um Unterstützung, aber da wir sie nicht kennen, fällt es
schwer, ihre Bedürftigkeit festzustellen.
Das war damals anders: die Menschen kannten sich untereinander, und vor allem: es war eine
Tischgemeinschaft, die da zur Hilfe der Bedürftigen geschaffen wurde und offensichtlich auch
weitgehend gut funktionierte. Eine Gemeinschaft, die vielleicht durch die Suppenküche noch am
ehesten abgebildet wird, wo Arme zusammenkommen, um miteinander zu essen, und dabei von denen
versorgt werden, denen es besser geht.
Aber außer denen, die in der Suppenküche Dienst tun, gibt es wohl kaum jemanden unter uns, der
die Menschen kennt, die dorthin zum Essen gehen. Sie bleiben Fremde und verschwinden den Sommer
über ja wieder.
Ich denke, dass das der größte Unterschied von uns zur damaligen Gemeinde ist, denn so richtig
Gemeinde sind wir selten, eigentlich nur zu den Zeiten der Gottesdienste, zu denen sich meist
weniger als 1% aller Gemeindeglieder versammelt.
Also ist es auch nicht wirklich Gemeinde, denn es bleiben die vielen Unbekannten, deren Namen
wir zwar im Melderegister haben und die ab dem 80. Geburtstag dann auch meist regelmäßig zum
Geburtstag besucht werden, die aber ansonsten nicht auftauchen.
Dennoch dürfen wir dankbar sein für diese Menschen, denn sie tragen immerhin mit einem guten
Teil zum Haushalt unserer Gemeinden mit bei. Aber sie bleiben Fremde, Unbekannte.
Ist das richtig?
Schickt uns mehr Pastoren, schickt uns mehr Diakone, möchte man ausrufen, damit es wieder so
zugehen kann wie damals, dass die Gemeindeglieder versorgt sind und regelmäßig besucht werden
können und wieder ein Band geflochten werden kann, das sie alle miteinander verbindet, das sie
uns zu Vertrauten macht, zu Menschen, die zu uns gehören nicht nur auf dem Papier, sondern auch
im Herzen.
Aber so viel Geld ist dann doch nicht da, um das zu ermöglichen, denn inzwischen haben sich
die Lebensbedingungen geändert. Es genügt nicht eine Tasche, die regelmäßig von Gemeindegliedern
mit Brot und anderen nötigen Nahrungsmitteln gefüllt wird, und ein Bett oder auch eine
Matratze irgendwo in der Ecke einer Wohnung eines Gemeindeglieds, um die Pastoren oder
Diakone vor Unwetter zu schützen; es muss schon etwas mehr sein.
Und da wird der Haken an der Sache bald deutlich: wer soll denn die Pastoren und die Diakone
schicken? Das Landeskirchenamt, über das man sich sicher ärgern kann, muss ja die zur Verfügung
stehenden Mittel so verwalten, dass unsere Landeskirche nicht durch wachsende Schulden
irgendwann zahlungsunfähig wird. Ob der eingeschlagene Kurs da wirklich der richtige ist,
mag dahingestellt sein, aber das werden wir auch nicht lösen können, dazu gibt es eine Synode,
die diese Dinge entscheidet und die ja auch zum größeren Teil aus Gemeindegliedern besteht.
Wichtiger für uns heute ist ein zweiter Aspekt, nämlich dass gar nicht mehr so viele Menschen
da sind, die bereit wären, sich in einen entsprechenden Dienst senden zu lassen.
Und da wird der Blick in unseren Predigttext noch einmal wichtig: wo kommen sie denn her, diese
sieben Armenpfleger, wie sie damals genannt wurden? Aus „eurer Mitte“, heißt es. Aus der Mitte
der Gemeinde. Seht euch um, riefen die Zwölf der Gemeinde zu, seht euch um nach Menschen in
eurer Mitte, die den Dienst tun können, den ihr von uns erwartet.
Es ist also Sache der Gemeinde, dafür zu sorgen, dass die Versorgung funktioniert. Und darum
kann man auch sicher sagen: wenn ich die Gemeinden im Quartier nun verlasse, um in einer anderen
Gemeinde Dienst zu tun, dann mag zwar ein Loch entstehen, aber keines, das nicht wieder gefüllt
werden könnte.
Gott findet immer Wege, auf denen sein Wort laufen kann. Er ruft Menschen in seinen Dienst, und
das müssen natürlich nicht immer Profis sein, die eine lange Ausbildung hinter sich haben, sondern
das können Menschen aus unserer Mitte sein, die es wagen wollen, diese oder jene Aufgabe zu
übernehmen und zu ihrer eigenen Aufgabe zu machen. So war es damals, vor zweitausend Jahren,
und so muss es auch heute sein – ob da viele Pastoren sind oder wenige, spielt da eigentlich
keine so große Rolle.
Da wird lebendige Gemeinde sichtbar, Gemeinde, die aus dem Geist Gottes lebt, wo Menschen aufstehen
und sagen: ich bin bereit, diesen oder jenen Dienst zu übernehmen.
Und dann wird sich auch das Wort Gottes ausbreiten, es wird Menschen erreichen, die bisher
unerreicht geblieben sind, und wir werden merken, dass wir doch reich beschenkt sind, trotz
aller Verluste, die wir vielleicht hinnehmen müssen.
So lasst uns Gott darum bitten, dass er seine Gemeinde auch weiterhin versorgt, und ein jeder
prüfe sich selbst, ob er nicht den einen oder anderen Beitrag leisten kann, damit der Dienst am
Wort und an der Gemeinde weiter getan werden kann, so wie es nötig ist.
Amen
oder
Liebe Gemeinde!
Damals war alles noch sehr einfach. Heiden waren ziemlich genau definiert. Es
waren alle die Menschen, die nicht zum jüdischen Volk gehörten. Und die konnte
man leicht erkennen, denn sie beteten viele Götter an, mitunter auch ihren
Herrscher, opferten nicht im Tempel in Jerusalem und bestanden darauf, dass
man Gott auf irgendeine Weise abbilden könnte. Sie hatten also immer ein
Bild ihres speziellen Gottes, dem sie besonders vertrauten, in ihrem Haus -
jeder Tempel war mit dem Bild eines Gottes oder mehrerer Götter geschmückt.
Christen gehörten zum jüdischen Volk. Sie beteten den einen, einzigen,
unsichtbaren Gott an, von dem man sich kein Bild machen darf. Dafür wurden
sie ausgelacht, aber auch gefürchtet; denn wenn die Heiden die Macht dieses
Gottes, wie er sie durch sein Volk sichtbar werden ließ, erlebten, dann konnte
man schon das Fürchten kriegen. Und wenn man dann nicht wusste, was eigentlich
hinter dieser Macht steckt, weil man kein Bild von ihr sehen konnte, dann wurde
es unheimlich. Darum waren die Juden immer Außenseiter, und mit ihnen die
Christen, die als jüdische Sekte angesehen wurden.
Die christliche Gemeinde des ersten Jahrhunderts verstand sich nicht als eine
neue Religion. Sie glaubte an die Prophezeiungen, die Gott dem jüdischen Volk
gemacht hatte. Die Geschichte dieses Volkes, der Auszug aus Ägypten, die Verheißung
des Landes, die Größe der Königsherrschaft Davids und seines Sohnes Salomo, das
Exil und dann die Rückkehr mit dem Wiederaufbau des Tempels und der Stadt Jerusalem:
das alles war ihre eigene Geschichte, mit der sie sehr eng verbunden waren.
Darum glaubten sie auch an Jesus Christus, denn für sie war er der Messias, den
die Propheten verheißen hatten. Er war der Erlöser, der Retter, der Befreier. Er
passte in diese Tradition hinein. Es störte sie dabei nicht, dass manche der
Prophezeiungen durch diesen Messias noch nicht in Erfüllung gegangen waren, denn
sie erwarteten, dass er bald, noch zu ihren Lebzeiten, wiederkommen und auch das
übrige erfüllen würde. Und dann würden auch die Juden, die jetzt noch nicht an ihn
glaubten, den Messias erkennen.
Das Zentrum der Gemeinde war Jerusalem, dort lebten auch die 12 Apostel, wenn sie
nicht unterwegs waren, um das Evangelium zu verkündigen. Diese Gemeinde in Jerusalem
war das Vorbild für alle anderen Gemeinden - was dort geschah, wurde in allen anderen
christlichen Gemeinden in Israel ebenfalls gemacht.
Ein wichtiges Anliegen der Gemeinden war die Versorgung der Witwen, denn sie konnten
nicht erben, und wenn Sie zum christlichen Glauben übergetreten waren, wurden sie oft
von ihren Familienangehörigen ausgestoßen. Arbeit bekamen sie oft keine, so dass sie
auf die Hilfe der anderen Christen angewiesen waren. Diese Hilfe organisierten die
zwölf Apostel. Sie sammelten bei den wohlhabenderen Mitgliedern der Gemeinde, kauften
Essen ein und brachten es zu diesen Witwen und anderen Bedürftigen.
Nun gab es auch Juden, die gar keine Juden waren: es waren Griechen, die der
jüdische Glaube so angesprochen hatte, dass sie sich zum jüdischen Volk hielten
und versuchten, von ihnen die Sitten und Bräuche zu lernen. Außerdem ließen sie
sich unterweisen in den Heiligen Schriften, der Thora und den Propheten.
Aber sie waren Außenseiter. Sie waren nicht von einer jüdischen Mutter geboren,
und die Geschichte des Volkes Israel war nicht ihre eigene. Ihre Geschichte war
heidnisch, sie hatten zuvor an eine Vielzahl von Göttern geglaubt, die alle sehr
menschliche Züge hatten. Sie waren zwar unter den Juden geduldet, weil sie sich
bemühten, aber so richtig dazu gehörten sie nicht.
Das Evangelium von Jesus Christus sprach diese griechischen Juden an, denn sie
erkannten, dass Jesus sich den Außenseitern zuwandte und ihnen die Liebe Gottes
nahebrachte. Dabei war für Jesus die Geschichte des Volkes Gottes nicht mehr so
wichtig, sondern der Mensch stand im Vordergrund. Das sprach die griechischen Juden
an, und darum wurden viele von ihnen Christen.
Aber so wie zuvor, waren und blieben die griechischen Juden auch unter den Christen,
wo man sie dann als Heidenchristen bezeichnete, Außenseiter. Nur eines hatten die
Juden- und Heidenchristen gemeinsam: ihre Witwen brauchten Hilfe. Denn auch bei den
Heiden hatten die Frauen kein Erbrecht, und wenn sie den Glauben ihrer Vorfahren
verließen, dann wurden sie oft von der Familie ausgestoßen und hatten nichts mehr
zum Leben.
Also wurden sie in die Verteilliste aufgenommen. Was dann geschah, bleibt im
Dunkeln. Fest steht nur: es gab Grund zur Klage. Die Witwen, die nicht aus dem
jüdischen Volk stammten, bekamen weniger als ihre Leidensgenossinnen, manchmal
sogar gar nichts.
Die 12 Apostel meinten nun, dass sie entlastet werden müssten. Offenbar wollten
sie nicht die Verantwortung übernehmen für diese Ungerechtigkeit. Sieben Armenpfleger
wurden ausgewählt, die von nun an verantwortlich sein sollten. Ob es seitdem besser
wurde, weiß niemand so genau; auf jeden Fall wird nicht mehr davon berichtet, dass
sich die heidenchristlichen Witwen vernachlässigt fühlten.
Es ist ein interessantes Bild, das da von der ganz frühen christlichen Gemeinde
dargestellt wird. In unserem Predigttext steht ein Satz im Mittelpunkt, den ich
nun etwas genauer untersuchen möchte. Es ist die Begründung der Apostel, warum
sie die Armenpfleger wählen lassen.
Hintergründig kann man zwar vermuten, dass sie den Vorwurf an sich abprallen
lassen wollen, indem sie die Verantwortung auf andere abwälzen. Die hier genannte
Begründung für die Wahl der Armenpfleger, der Diakone, ist aber eine ganz andere:
»Es ist nicht gut«, sagen die Apostel, »dass wir für die Mahlzeiten sorgen und
darüber das Wort Gottes vernachlässigen.« Es steht also, so scheint es, die
Verkündigung des Wortes Gottes in Konkurrenz zur Armenpflege.
Aber es geht hier nicht um Konkurrenz. Die Apostel wissen sehr wohl, dass zur
Verkündigung auch der Dienst am Nächsten gehört. Und weil sie erkannt haben -
oder weil es ihnen mitgeteilt wurde -, dass ein Teil der Verkündigung zu kurz
kommt, wenn sie der Aufgabe der Armenpflege nachgehen, darum wollen sie die
Aufgaben nun teilen.
Es geht also darum, beides zu erhalten, und zwar so, dass beides richtig gemacht
wird, und nicht das eine oder gar beides nur mit halbem Herzen.
Es geht darum, dass zum einen für die Bedürftigen gesorgt wird, zum anderen aber
auch das Wort Gottes verkündigt wird - beides im gleichen Maß. Denn beides ist
gleich wichtig - auf beide Weisen drückt Gott seine Liebe zu den Menschen aus.
In Indien gibt es ein Gesetz, das Menschen, die zu den Outcasts gehören, also den
Kastenlosen, bestimmte Vorteile und Hilfen zusichert. So gibt es für sie reservierte
Studienplätze, und auch im Parlament müssen Plätze für Kastenlose freigehalten werden.
Sobald aber solch ein Kastenloser den christlichen Glauben annimmt, verliert er diese
Privilegien. Die indische Regierung nimmt an, dass die Christen sich untereinander
ausreichend versorgen können, obwohl sich ihre soziale und wirtschaftliche Situation
durch die Annahme des Christentums nicht verändert.
Sie bleiben Kastenlose, ihre Chancen bleiben unverändert schlecht. Es bleibt nur die
Hoffnung auf Hilfe aus Übersee, also von den wohlhabenderen Christen, wie z.B. hier
in Deutschland.
Oft reicht die Hilfe nicht, viele bekommen gar nichts ab - es geht ihnen noch
schlechter, denn die Hilfen der Regierung können sie nun ja auch nicht mehr in
Anspruch nehmen. Und deswegen kehren auch manche wieder zum Hinduismus zurück.
Aber manche bleiben in der christlichen Gemeinde. Für sie ist etwas anderes ganz
wichtig geworden: das Wort des lebendigen Gottes. Sie sind nicht Christen geworden,
weil sie hofften, dass es ihnen besser gehen würde, sondern weil sie daran glaubten,
dass Jesus Christus ihr Heiland ist, der ihnen die Liebe Gottes offenbart. Aber weil
sie daran glauben, darum sind sie nun auf die Hilfe anderer Christen angewiesen.
Ich erzähle nicht deswegen von diesen indischen Christen, weil ich um Spenden für
sie bitten will, sondern weil ihre Situation der Situation der ersten Christen sehr
ähnlich ist. Außerdem wird an ihnen eines ganz deutlich: wenn es nur um etwas zu
essen ginge, wären sie keine Christen. Hätten die christlichen Missionare nur
Versorgungsgüter dorthin gebracht und auf diese Weise die Christen gewonnen, dann
wären jetzt, wo die Hilfe durch Christen aus den fernen Ländern nur noch spärlich
fließt, keine Christen mehr dort. Die Verkündigung des Wortes ist ebenso wichtig
wie der Dienst am Nächsten.
Jede Gemeinde engagiert sich auf beide Weisen: diakonisch und theologisch. Und in
jeder Gemeinde sind die Schwerpunkte anders gesetzt. Es ist wichtig, dass wir uns
klar darüber sind, dass beides wichtig ist und zusammengehört.
Darum sollten wir uns auch immer wieder die Frage stellen, ob die Aktivitäten, die
wir anbieten, etwas enthalten, was eben nur christliche Gemeinde anbieten kann, weil
in ihr auch die Verkündigung des Wortes Gottes eine wichtige Rolle spielt. Denn wenn
das eine verloren geht, dann wird auch das andere irgendwann einmal von anderen
Angeboten, die die gleichen Zielgruppen ansprechen, aber besser, weil professionell,
durchgeführt werden, verdrängt werden.
Im Gottesdienst hören wir auf das Wort Gottes, und heute wieder feiern wir die
Gemeinschaft des Heiligen Abendmahls. Nirgendwo sonst können wir Gott so nahe
kommen wie hier. Daraus schöpfen wir Kraft für die vielfältigen Aufgaben, denen
wir uns Woche für Woche stellen. Wir erfahren durch das Abendmahl die Liebe Gottes,
die uns immer wieder ermutigt und bekräftigt, den Dienst zu tun, den viele von uns
ehrenamtlich ausüben. Auf diese Weise verknüpfen sich Verkündigung und Diakonie
immer wieder aufs Neue. Auf diese Weise geben wir die Liebe Gottes weiter und lassen
andere Menschen erfahren, dass wir ohne diese große Liebe gar nicht leben könnten.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
O Gott, du höchster Gnadenhort (EG 194)
Preis, Lob und Dank sei Gott dem Herren (EG 245)
Herz und Herz vereint zusammen (EG 251)
Kommt her, des Königs Aufgebot (EG 259)
Lobt Gott, den Herrn der Herrlichkeit (EG 300)
Vertraut den neuen Wegen (EG 395)
Ein wahrer Glaube Gotts Zorn stillt (EG 413)
Lass mich, o Herr, in allen Dingen (EG 414)
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Predigtvorschläge zu Reihe V - 1. Joh 4, 7-12
Liebe Gemeinde!
Lasst uns einander lieben...
wie kann das aussehen? Man kann es es sich einfach machen: wenn wir uns einander
lieben, fällt das ja nicht schwer. Wir kennen uns einigermaßen, wir gehen
freundlich miteinander um, wir sind bereit, die kleineren Patzer, die mal
hier oder da geschehen, zu vergeben. Also, wir lieben uns. Genügt das nicht?
Doch der Predigttext fängt ja nur mit dieser Aufforderung an. Der nächste Satz
lautet dann: Die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren
und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht.
Denn Gott ist die Liebe.
Und da wird es schon schwieriger. Gott ist die Liebe. Er hat uns so sehr geliebt,
dass er seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden sandte. Wessen Sünden? Meine?
Ihre? Können wir da einen Unterschied machen? Können wir sagen, dass bestimmte
Menschen von dieser Liebe ausgeschlossen sind? Dass bestimmte Sünden nicht vergeben
werden?
Vielleicht die Sünden der Verbrecher, die andere Menschen töten – aus Spaß an
der Gewalt, oder weil sie sich bereichern wollen, oder aus was für anderen Motiven:
kann ihnen die Liebe Gottes denn gelten?
Oder vielleicht die Autofahrer, die andere Menschen durch ihre rücksichtslose
Fahrweise in Gefahr bringen? Kann ihnen die Liebe Gottes gelten?
Oder vielleicht die Manager, die sich ihre Konten auffüllen lassen, während hunderte
und tausende Arbeitnehmer aus ihrer Firma entlassen werden? Kann ihnen die Liebe
Gottes gelten?
Oder auch die Sportler, die sich ruhigen Gewissens Millionenbeträge für ihre
Werbeauftritte zahlen lassen und dabei doch nicht mehr leisten als der Arbeiter
am Fließband, der vergleichsweise einen Hungerlohn erhält? Kann ihnen die Liebe
Gottes gelten?
Oder die tausende von Menschen, die Tag für Tag verhungern, nur weil wir es nicht
fertig bringen, ihnen zu helfen? Müssen sie nicht glauben, dass ihnen die Liebe
Gottes nicht gilt?
Oder die Menschen, die Kindern auflauern, sie sexuell missbrauchen und dann
umbringen? Kann ihnen die Liebe Gottes gelten?
Oder uns, die wir wohl betroffen sind, aber ansonsten doch stille halten, nichts
tun, um das Elend und die Not in dieser Welt zu ändern? Die wir immer wieder
versuchen, uns mit der Frage raus zu reden, was wir denn hätten tun können?
Kann uns die Liebe Gottes gelten?
Oder die Terroristen, die Kinder als Geiseln nehmen und dann, als diese fliehen,
sie von hinten erschießen? Ihnen kann die Liebe Gottes doch nicht gelten!
Ja, da fällt es uns leicht, ein Urteil zu fällen. Wer Kinder, die vor Angst
außer sich sind und nichts anderes wissen als davon zu laufen, von hinten
erschießt, kann unmöglich von Gott geliebt sein. Was für ein Gott wäre das,
der diesen Menschen dann noch seine Liebe entgegen bringt?
Ja, was für ein Gott wäre das?
Lassen Sie mich die Frage anders herum stellen: Was für ein Gott wäre das, der
seine Liebe einschränken würde, von dem wir wüssten: er liebt nur diesen und
jene, z.B. nur gute und solche, die bereit sind, ihre Schuld zu erkennen und
zu bereuen?
Dann könnten wir von diesem Gott jedenfalls nicht mehr das sagen, was Johannes
hier in seinem Brief schreibt. Nein, ein solcher Gott wäre keine Liebe. Er wäre
ein liebender, einer, der die Menschen liebt, solange sie ihm folgen und seine
Gebote halten. Gott wäre berechenbar, benutzbar, denn man wäre in der Lage, zu
sagen, wen er liebt und wen nicht. Oder man könnte es zumindest versuchen, und
jeder, der mit genug Autorität aufzutreten versteht, könnte so Gott für sich und
seine eigenen Zwecke gebrauchen und auch missbrauchen.
Aber genau dieser Denkensweise ist es ja, mit der Jesus versuchte, Schluss zu
machen. Gott ist nicht berechenbar, und vor allem: er kann nicht für die Zwecke
der Priester und Schriftgelehrten vereinnahmt werden. Gott ist die Liebe. Gott
liebt, bedingungs- und vorbehaltlos. So schwer es uns fällt, das zu glauben: er
liebt auch jene Terroristen, die Kinder hinterrücks ermordet haben. Er liebt sie
so sehr, dass er vor Kummer weint. Ich kann es mir nicht anders vorstellen, als
dass Gott selbst zutiefst traurig ist angesichts so grenzenloser Brutalität und
Grausamkeit. Was mag diesen Menschen widerfahren sein, dass sie dazu fähig wurden?
Gott allein weiß es.
Ja, Gott ist die Liebe. Grenzenlos, bedingungslos. Nichts kann diese Liebe
schmälern, auch ein kaltes, gefühlloses Herz nicht. Wir haben diese Liebe am
eigenen Leib erfahren und erkannt. Wir haben uns in ihr gebadet, wir haben sie
für uns angenommen. Und nun erwartet Johannes, dass wir diese Liebe in uns und
durch uns wirken lassen.
Gottes Liebe soll in uns vollkommen sein, das heißt doch nichts anderes als dass
unsere Liebe genauso grenzenlos, genauso bedingungslos sein soll wie die Liebe
Gottes.
Doch das fällt schwer, das fällt außerordentlich schwer. Denn wir können dem Handeln
dieser Terroristen doch kein Verständnis entgegenbringen. Auch wenn sie Opfer
zahlreicher Einflüsse geworden sind, die sie zu Unmenschen gemacht haben, so
hätten sie doch diese Barriere niemals überschreiten dürfen. Und dennoch ist
die Liebe Gottes grenzenlos.
Wir stecken in einem Dilemma. Denn wenn wir die Grenzenlosigkeit der Liebe
Gottes nicht akzeptieren wollen, dann laufen wir Gefahr, unser eigenes Heil
in Frage zu stellen. Denn woher sollen wir dann wissen, dass Gott uns liebt,
dass er uns bevorzugt vor den anderen, dass er uns erwählt?
Jedenfalls: so unschuldig, wie wir vielleicht meinen, sind wir ja nicht. Zwar
läuft es mehr oder weniger gut mit unseren Nachbarn und Mitmenschen, wir raufen
uns nicht, wir sind freundlich miteinander... aber in unseren Gedanken haben
wir sicher schon den einen oder anderen zum Teufel geschickt, und das, so sagt
Jesus, reicht schon aus, um mit Haut und Haaren verdammt zu werden.
Wir alle sind Sünder vor den Augen Gottes, und da spielt es überhaupt keine
Rolle, wie groß die Sünde ist. Das haben uns die Worte Jesu in der Bergpredigt,
die sogenannten Antithesen, deutlich gemacht. Ob es sich nur in unseren Gedanken
abspielt, oder ob wir tatsächlich anderen Menschen schaden: es ist Sünde, die
mit der Höchststrafe geahndet werden muss.
Da sähen wir in der Tat ganz schön alt aus, wenn nicht diese grenzenlose Liebe
Gottes wäre, die, auf die wir uns verlassen, auf die wir uns einlassen können.
Diese Liebe, die uns mit offenen Armen empfängt, wenn wir sie nur anzunehmen bereit
sind.
Ja, Gott liebt uns, denn Gott ist die Liebe. Und diese Liebe ist es nun, die
uns erfüllt – wem könnten wir sie vorenthalten? Dürfen wir sie überhaupt irgend
jemandem vorenthalten? Wenn Gott so grenzenlos liebt, dann haben wir wohl kaum
das Recht dazu, uns dazwischen zu stellen und anderen diese Liebe zu verwehren.
Wenn wir es aber täten, dann würden wir Gott nicht kennen, wir würden seine wahre
Größe einfach nicht wahrnehmen und darum in Einsamkeit untergehen.
Noch einmal zurück zu den Terroristen: Es fällt schwer, sie zu lieben, sehr schwer.
Aber Liebe bedeutet ja auch nicht, gut zu heißen, was diese Menschen getan haben.
Wir werden damit nicht zu Sympathisanten. Das, was sie getan haben, ist und bleibt
verabscheuungswürdig.
Aber vielleicht hilft uns diese Vorstellung weiter:
Die grenzenlose Liebe Gottes ist zu vergleichen mit der Liebe eines Vaters oder
einer Mutter. Und auch diese Terroristen haben Eltern, die sie lieben, trotz
allem, was sie getan haben. Gewiss werden ihre Eltern verzweifeln und zutiefst
traurig sein, so wie ich glaube, dass Gott jetzt zutiefst traurig ist, aber es
ist kaum vorstellbar, dass die Liebe der Eltern ein Ende findet. Vielleicht ist
es möglich – doch Gottes Liebe wird niemals aufhören.
So soll also unsere Liebe sein: wie die eines Vaters oder einer Mutter. Es ist
die Liebe, die den Zurückkehrenden immer mit offenen Armen empfängt, immer Platz
findet für diesen Menschen, der Reue empfindet über das, was er getan hat.
Jesus hat im Sterben dem Verbrecher an seiner Seite das Paradies zugesagt – auch
hierin wird die grenzenlose Liebe Gottes offenbar. Nur wenn wir uns ganz auf diese
Liebe einlassen, können wir auch an ihr teilhaben, können wir auch an Gott teilhaben,
kann Gott in uns bleiben.
Es fällt nach wie vor schwer, diese Liebe konkret werden zu lassen. Doch das ist
notwendig. Denn solche grenzenlose Liebe sieht nicht nur zu und leidet, sie will
auch weitergegeben werden. Sie bietet sich jedem an, die offenen Arme müssen sichtbar
werden für alle Menschen.
Das bedeutet natürlich nicht, Verbrechern hinterher zu laufen und ihnen zu sagen,
dass das, was sie getan haben, gar nicht so schlimm ist. Denn es ist schlimm, ob
es nun die Ermordung von Kindern ist oder der Diebstahl einer Handtasche. Wir
lassen die grenzenlose Liebe Gottes nur dadurch sichtbar und wirksam werden, dass
wir denen, die das Gefühl haben, allein zu sein und von niemandem geliebt zu werden,
deutlich machen, dass sie nicht allein sind, dass sie eben doch geliebt werden,
dass sie nicht vergessen wurden.
Wenn wir das tun, dann helfen wir vielleicht, dass diese Welt ein kleines bisschen
erträglicher, freundlicher, liebevoller wird. Und dann bleibt Gott auch in uns.
Amen
oder
Liebe Gemeinde,
Von Rainer Maria Rilke wird erzählt, dass er in der Zeit seines Pariser Aufenthaltes regelmäßig über einen
Platz ging, an dem eine Bettlerin saß, die mit geneigtem Kopf ihre Hand hinhielt und so um Geld bettelte.
Sie sagte nichts, sie flehte nicht um Almosen, sie dankte aber auch nicht, wenn ihr eine Münze in die Hand
gelegt oder auch schlicht hingeworfen wurde, sondern saß nur gebeugt da.
Rilke gab nie etwas, seine französische Begleiterin warf ihr jedoch häufig ein Geldstück hin. Eines Tages
fragte die Französin, warum er nichts gebe. Rilke antwortete: „Wir müssten ihrem Herzen etwas schenken,
nicht ihrer Hand.”
Wenige Tage später brachte Rilke eine eben aufgeblühte weiße Rose mit, legte sie in die offene, abgezehrte
Hand der Bettlerin und wollte schon weitergehen. Doch da griff die Bettlerin nach seiner Hand, erhob sich
mühsam von der Erde, sprach ein leises „Danke” und ging mit der Rose davon.
Eine Woche lang war die Alte verschwunden; der Platz, an dem sie immer gebettelt hatte, blieb leer. Nach
acht Tagen saß sie plötzlich wieder wie früher an der gewohnten Stelle. Sie war stumm wie damals, wiederum
nur ihre Bedürftigkeit zeigend durch die ausgestreckte Hand.
Wovon hatte diese Frau die ganzen Tage gelebt? Hatte sie woanders gebettelt? War ihr etwa die Rose Nahrung
genug?
So schien es für Rainer Maria Rilke. Er hatte dem Herzen etwas geschenkt: ein Zeichen der Liebe. Das mag
ihr Kraft gegeben haben, die Woche mit weniger als sonst üblich durchzustehen. Vielleicht gab es auch andere,
die ihr auf ähnliche Weise ein Zeichen der Liebe zukommen ließen.
Rilke durchbrach mit dem Geschenk der Rose das notwendige, aber doch nur rein materielle Geben und Nehmen.
Er gab nichts Überflüssiges, sondern die Rose war ein Zeichen der Liebe, nach der wir uns doch alle sehnen.
Wenn wir etwas geben, dann unterscheiden wir meist zwischen Almosen und Geschenk in der Weise, dass ein
Almosen nur das Abgeben vom Überfluss ist, um Menschen in Not etwas zu helfen. Das geht dann auch in der
Regel anonym vonstatten. Man weiß nichts vom Empfänger, und manche sind auch dankbar dafür, denn dann berührt
einen das Schicksal des anderen nicht allzu sehr.
Wenn wir hingegen ein Geschenk geben, dann kommt es vom Herzen. Wir überlegen genau, was wir schenken, und
fragen auch nicht danach, wie viel es kostet.
In unserem Predigttext ist viel von Liebe die Rede. Der ganze 1. Johannesbrief ist voll davon. Manchmal könnte
man auch seufzend fragen: Gibt es denn nichts anderes, wovon er reden bzw. schreiben kann? Wir haben&s ja
schon begriffen.
Aber haben wir das wirklich?
Gott ist die Liebe! - das ist ein Satz, den sich auch Brautpaare immer wieder gerne als Trauspruch aussuchen.
So als wollten sie damit sagen: schaut her, unsere Liebe ist von Gott, sie hält ewig, denn Gott ist ewig. Aber
ist das die Liebe, die Johannes meint?
Am ehesten verstehen wir, welche Liebe gemeint ist, wenn wir uns Paulus zu Hilfe holen. Auch er schreibt im 1.
Brief an die Korinther von der Liebe, und kommt zu dem Schluss, dass die Liebe die größte ist von den dreien:
Glaube, Hoffnung und Liebe.
Er schreibt über die Liebe:
Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt
nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, 5 sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie
lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, 6 sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit,
sie freut sich aber an der Wahrheit; 7 sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.
8 Die Liebe hört niemals auf.
Hier erscheint die Liebe allerdings losgelöst von Gott – Paulus redet von der Liebe, die zwischen Menschen
besteht oder bestehen kann. Einzig in dem letzten Satz: „die Liebe hört niemals auf”, lässt sich eine
Verbindung zu Gott herstellen, denn man könnte ergänzen: genauso wie Gott selbst. Er ist ewig, wir sind
es nicht. So würde unsere Liebe wohl aufhören, wenn wir sterben. Die Liebe Gottes zu uns Menschen aber
hört niemals auf.
Johannes sagt es in seinem 1. Brief wesentlich direkter. Die Liebe ist von Gott, und noch deutlicher: Gott
ist die Liebe.
Warum nur gibt es dann auch das Gegenteil der Liebe, den Hass? Darauf hätte Gott doch verzichten können.
Unzählige Kriege, endloses Blutvergießen hätten vermieden werden können. Es gäbe keine Ländergrenzen, niemand
würde zu Schaden kommen. Niemand wäre auf den eigenen Vorteil bedacht, sondern auf den Vorteil des anderen.
Denn:
Die Liebe sucht nicht das Ihre. Sie sucht das des anderen.
Gott will den Hass nicht. Aber seine Liebe zu uns ist nun mal so groß, dass er uns nicht die Möglichkeit nehmen
will, selbst die Liebe zu entdecken und dann auch fest zu halten.
Und das können wir nur, wenn es das andere, den Hass, auch gibt. Denn wie sonst sollen wir das Wunderbare der
Liebe begreifen?
Schon als Kinder nehmen wir die Liebe unserer Eltern als etwas wahr, das wir von unserer Umwelt in der Regel
nicht erfahren. Wir lernen, dass man seinen Mitmenschen, wenigstens sofern sie uns unbekannt sind, erst einmal
misstrauen muss. Wir lernen, an der Liebe anderer zu zweifeln, und zwar gründlich zu zweifeln.
Und das wohl aus gutem Grund. Vor wenigen Tagen erst wurde in Delligsen der 5 Jahre alte Julian beerdigt. Das
Bedrückende, ja, Unerklärliche ist, dass es der Lebensgefährte der Mutter war, der das Kind ermordete – ein
Vertrauter, ein Mensch, von dem das Kind abhängig war.
Wenn wir solche Nachrichten hören, und wenn es dazu auch noch so nahe an uns herankommt, fragen wir uns natürlich,
was aus der Liebe geworden ist – auch aus der Liebe Gottes. Wie können wir noch auf die Liebe vertrauen, wenn der
Hass selbst vor 5-jährigen Kindern nicht Halt macht?
Das Misstrauen sitzt tief, denn die Liebe ist nun mal nicht automatisch ins Herz geschrieben. Sie findet ihren
Nährboden in der Liebe Gottes. Und wer sich von dieser Liebe abwendet, der kann auch von Misstrauen und Hass
ergriffen werden.
Wer sich aber auf diese Liebe einlässt, der erlebt, dass die Mitmenschen in einem anderen Licht erscheinen. Denn
allen gilt die Liebe Gottes – niemand kann sie für sich allein in Anspruch nehmen und damit anderen Menschen
verweigern.
Unser Bild vom Menschen ändert sich. Wir legen unser Misstrauen ab. Damit will ich nicht sagen, dass wir naiv
und blauäugig werden. Sondern: die Liebe Gottes färbt ab. Und diese Liebe ist, wenn man so will, naiv und blauäugig.
Denn sie geht vom Guten im Menschen aus. Sie sieht das Gute im Menschen, da, wo wir es nicht mehr erkennen können.
Wäre das nicht so, dann hätte Gott sicher nicht seinen Sohn in diese Welt gesandt, um uns von unserer Sünde zu
befreien. Er hätte uns uns selbst überlassen, und wer weiß, wie es dann um die Menschheit bestellt wäre.
Das ist der Beweis der Liebe Gottes, dass er seinen eingeborenen hingab, damit wir seine Kinder sein können –
obwohl eigentlich alles dagegen spricht.
Gott liebt uns, ohne Gegenliebe zu erwarten. Das macht auch Johannes ganz deutlich. Für ihn ist die Antwort auf
die Liebe Gottes nicht die Liebe zu Gott, sondern die Liebe zu unserem Nächsten. „Wenn wir uns untereinander
lieben, dann bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen”.
Damit meint er sicher in erster Linie die christliche Gemeinde, dass sich alle Gemeindeglieder untereinander
in gleicher Weise lieben. Aber er meint damit eben auch die Liebe zu den Mitmenschen, die sich nicht zur Gemeinde
Christi halten.
Und heute denken wir da vielleicht besonders an die Flüchtlinge, Menschen, die Heimat suchen und hoffen, sie bei
uns zu finden. Es gehört zum Christsein dazu, gastfreundlich zu sein, denn einige haben ohne ihr Wissen Engel
beherbergt. (Hebr 13, 2b)
Wenn wir lieben, dann wird die Frage wach, woher wir die Kraft dafür nehmen. Denn das ist schon ein Erfahrungswert:
immer nur zu lieben, braucht einen enormen Kraftaufwand und gelingt eigentlich nie vollkommen.
Die Kraft zur Liebe kommt nicht aus uns selbst, sondern von Gott. Und diese Kraft ist unerschöpflich. Darauf können
wir hinweisen: Gottes Liebe gibt uns die Kraft, unsere Mitmenschen zu lieben.
Das wirkt ansteckend. Auf diese Weise wirken wir mit am Bau des Reiches Gottes, wenn wir lieben – denn dann bleibt
Gott in uns, seine Liebe ist in uns vollkommen.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Heilger Geist, du Tröster mein (EG 128)
Herz und Herz vereint beisammen (EG 251)
Strahlen brechen viele (EG 268)
Herzlich lieb hab ich dich, o Herr (EG 397)
Ich will dich lieben, meine Stärke (EG 400)
Liebe, die du mich zum Bilde (EG 401)
Ein wahrer Glaube Gott's Zorn stillt (EG 413)
Liebe ist nicht nur ein Wort (NB-EG 613)
Schalom, Schalom! Wo die Liebe wohnt (HN-EG 627)
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Predigtvorschläge zu Reihe M - Am 5, 4-7.10-15
Apg 4, 32-35
Jak 2, 14-18.26
zu Am 5, 4-7.10-15:
Liebe Gemeinde!
Es ist böse Zeit. Böse Zeit, weil das Recht mit Füßen getreten wird.
Die Gerechtigkeit wurde zu Boden gestoßen. Es ist böse Zeit. Aber
nicht alle Menschen spüren etwas davon.
Da sind solche, die die Gerechtigkeit wie einen Teppich vor sich
ausgebreitet sehen und darauf einher stolzieren. Sie nehmen nicht
wahr, was sie da tun. Sie glauben vielmehr, dass es so sein soll.
Sie stehen über dem Recht, das die Armen schützt, ja, sie stehen auf
dem Recht.
Die Armen spüren es um so mehr: sie sind gewissermaßen eingewoben in
diesen Teppich der Gerechtigkeit, weil das Recht sie in Schutz nehmen
will – und doch wird auch auf ihnen herum getrampelt, wenn das Recht
mit Füßen getreten wird.
Der Prophet Amos, der diese Worte verkündigt, ist eine einzigartige
Gestalt. Er ist der erste Schriftprophet im sogenannten Alten Testament,
und er stammt aus dem Land Juda, also dem Südreich. Von dort wird er
gerufen, um dem Nordreich Israel das Gericht anzukündigen. Und so wird
ihm gleich zu Anfang von denen in Israel gesagt: geh wieder dahin, wo
du hergekommen bist. Uns hast du nichts zu sagen.
Aber was soll Amos machen? Er ist in diese Aufgabe hineingerufen, er,
der als Schafzüchter in Tekoa lebte, er hatte keine Wahl. Gott wollte
ihn gebrauchen, und dem Willen Gottes konnte und wollte er nicht
widerstreben.
Ganz ungeschoren kommt Juda, die Heimat des Amos, dabei übrigens auch
nicht weg, aber sein Aufgabenbereich liegt nicht in Juda, sondern in
Israel.
„Ihr habt das Recht in Wermut verkehrt und die Gerechtigkeit zu Boden
gestoßen“, wirft er ihnen vor und sagt dann, wo es lang geht:
Sucht nicht die Heiligtümer auf in Bethel oder Gilgal, und auch nicht
in Beerscheba. Davon habt ihr überhaupt nichts.
Sucht den Herrn, dann werdet ihr leben. Sonst aber ist euer Tod gewiss.
Dabei sind die Orte, die sie nicht aufsuchen sollen, gerade die Orte,
wo man den Herrn zu finden meinte. Es sind Heiligtümer, zu denen man
reiste, um Gott anzubeten. Orte, an denen sich etwas Besonderes ereignet
hatte, an denen Gott den Menschen ganz nahe kam.
Wo sollten sie denn suchen, wenn nicht dort?
In unserem Urlaub besuchten wir eine Kirche, die mich sehr an diese
Worte erinnerte. Viele Menschen kamen dorthin, weil sie dort Heilung
ihrer Leiden erhofften – so als offenbarte sich Gott nur an solch bestimmten
Orten, wo früher schon einmal etwas Besonderes geschehen war.
Wo also sollen sie denn den Herrn suchen, wenn nicht an solchen Orten?
Amos bleibt die Antwort schuldig. So scheint es zumindest.
Aber in Wahrheit ist die Antwort ganz offensichtlich in dem was Amos
sagt:
Tut Gutes. Hasst das Böse. Richtet das Recht auf, wenn ihr im Tor,
wie es damals ja üblich war, den Streit zwischen zwei Parteien schlichtet.
Entscheidet nicht nach Ansehen und Reichtum, sondern nach Recht. Lasst
euch nicht bestechen.
Dann findet ihr auch Gott. Denn dann wird Gott bei euch sein. Dann
müsst ihr ihn gar nicht erst suchen. Dann wird Gott euch gnädig sein.
Aber hier findet sich dann doch ein Vorbehalt. „Vielleicht“, sagt Amos.
Denn all zu schwer wiegt das Unrecht, das seit Jahrzehnten die
Schützlinge des Herrn unterdrückte. Vielleicht wird der Herr, der
Gott Zebaoth, doch gnädig sein.
Suchet mich, so werdet ihr leben – das waren die Worte des Herrn,
das er zum Hause Israel sprach. Sucht mich, indem ihr Recht sprecht
und indem ihr Gerechtigkeit walten lässt.
Es mag einem schon zum Hals raushängen, immer wieder daran erinnert zu
werden. Aber es ist nun mal so: Gott steht auf der Seite der Armen, der
Unterdrückten, der Außenseiter. Und auch, wenn wir das nicht und nirgends
wirklich sehen, weder in den Kriegsgebieten noch in den Hungerländern
noch in unserem eigenen Land, so ist es doch wahr.
Israel, das Nordreich, wurde wenig später nach dieser Verkündigung zerstört.
Für das Volk war es immer klar, dass Gott auf diese Weise sein Volk bestraft
hatte.
Aber immer blieb auch ein Rest, dem er gnädig war.
Vielleicht sind unsere Aussichten dann doch etwas anders. Denn wir
vertrauen darauf, dass durch Jesus Christus die Liebe Gottes alles
andere zu überdecken vermag.
Doch gilt auch für uns das Gebot der Nächstenliebe. Auch wir sind aufgerufen,
das Recht aufzurichten und Ungerechtigkeit nicht zu dulden. Der Wochenspruch
aus dem Gleichnis vom Weltgericht erinnert uns daran: Was ihr getan habt
einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.
Suchet mich, ruft auch uns der Herr Zebaoth zu. Suchet mich, so werdet ihr
leben.
Die Botschaft des Amos ist heute so aktuell wie damals, vor etwa 2700 Jahren:
in China, wo Menschenrechte auch zur Zeit der Olympischen Spiele mit Füßen
getreten werden; in Georgien, wo ein unsinniger Krieg Angst und Schrecken
verbreitet; in Afrika, wo täglich tausende Menschen verhungern; in Deutschland,
wo die Zahl der Sozialhilfeempfänger stetig wächst.
Suchet mich, spricht der Herr Zebaoth, so werdet ihr leben; sucht mich nicht
in den Heiligtümern, sondern dort, wo das Recht gebeugt und Gerechtigkeit in
den Staub getreten wird. Dann wird der Herr bei euch sein.
Amen
Zu Apg 4, 32-35:
Liebe Gemeinde!
Etwa ein halbes Jahrhundert ist verstrichen, als Lukas die Geschichte der
ersten Gemeinden aufschrieb. 50 Jahre – da kann man noch Menschen antreffen,
die damals gelebt hatten, und natürlich hatte Lukas auch über viele Jahre,
in denen er in den Gemeinden umhergereist war, sich erzählen lassen, wie es
gewesen war, damals, als es alles seinen Anfang nahm.
Der ursprünglichen Erschütterung über den Tod Jesu war bald die Unruhe
gefolgt, die der Geist Gottes mit sich bringt und ja eigentlich erst
verursacht: das Evangelium muss weiterlaufen, du kannst nicht ruhig an
deinem Ort bleiben und hoffen, dass andere an deiner Stelle davon reden.
Die Apostel und andere reisten umher, blieben nur wenige Wochen an einem
Ort und predigten das Evangelium, das schnell Wurzeln fasste und so neue
Gemeinden entstehen ließ. Immer ging es auch um den Geist Gottes, der in
diesen Gemeinden wirkte. Auf ihn war Verlass – es bedurfte keiner weiteren
Präsenz eines Apostels, wenn der Heilige Geist in einer Gemeinde gegenwärtig
war.
Diese vom Heiligen Geist verursachte Unruhe machte aber an dieser Stelle
nicht Halt, sondern sie bezog sich auch auf das baldige Kommen Jesu, das
man in den ersten Jahren und Jahrzehnten noch erwartete. Jesus hatte ja
verkündet, dass er wiederkommen würde – wie lange sollte es noch dauern,
bis das Reich Gottes offenbar würde?
Alles, was Jesus ihnen gesagt hatte, war wichtig geworden und wurde zum
Bestandteil ihres Lebens, zur Lebensaufgabe, um damit auch sein Kommen
gewissermaßen zu forcieren.
Und so hielten sie fest an der Lehre der Apostel – derer, die mit Jesus
gewandelt waren – und gingen in den Tempel oder in die Synagogen zum Gebet,
denn sie waren nach wie vor fromme Juden. Zugleich kam das Neue hinzu: das
gemeinsame Essen in den Häusern, was zwar auch dem jüdischen Volk bekannt
war, aber nur zum hohen Fest des Passah. Hier bekam es eine neue Bedeutung:
dieses Mahl war ein Fest der Gemeinschaft untereinander und mit dem
auferstandenen Herrn.
Die christliche Gemeinde versammelte sich in den Häusern, denn Kirchgebäude
oder andere Versammlungsräume hatten sie anfangs nicht zur Verfügung. Und
es war ganz selbstverständlich, dass sie miteinander teilten, was sie hatten.
Fünfzig Jahre ist es her, dass alles so begann, und nun schreibt Lukas es
auf, hält es fest für die Nachwelt. Manches ist schon Vergangenheit und
wird in der gewesenen Form nicht wiederkehren: etwa die Erwartung, dass
Jesus zu Lebzeiten der ersten Generation wiederkehren würde, aber auch,
dass man einmütig in der Lehre der Apostel blieb, denn inzwischen hatte
man sich mit dem Judentum zerstritten, es gab mehr heidnische Christen
als jüdische Christen, und auch unter den Christen war man sich nicht
mehr so einig wie damals in den Anfängen.
Der Tempel war zerstört, Jerusalem dem Erdboden gleich gemacht.
Und auch die Gütergemeinschaft, die sich ja in den klösterlichen Gemeinschaften
bis in unsere Tage hindurch trägt, war für die übrige Gemeinde kaum mehr
zu verwirklichen.
Und darum fügt Lukas eine Erzählung an von Hananias und Saphira, die zwar
ihren Acker verkaufen, dann aber das Geld nur zur Hälfte der Gemeinde
geben und dabei den Fehler machen, zu behaupten, das sei alles, was sie
bekommen hatten. Beide sterben eines plötzlichen Todes, ohne dass jemand
Hand an sie legte. Es ist ein grausames Gottesurteil, das Lukas da schildert,
ein Urteil, das die Menschen, die seine Aufzeichnungen lesen, daran erinnern
soll, dass Aufrichtigkeit eine wesentliche Notwendigkeit für das Miteinander
der Christen ist. Jesus Christus ist der Weg und die Wahrheit und das
Leben – niemand kommt zum Vater denn durch ihn, und das bedeutet eben
auch: nur dann, wenn man wahrhaftig bleibt.
Lukas will die, die es sich bequem gemacht haben, spüren lassen, wie unbequem
ihre Lage eigentlich ist, und so müssen auch wir uns herausfordern lassen
von diesen Worten, die vom Anfang der Christen erzählen.
Warum ist es so eigentlich nicht mehr möglich? Sind es zu viele? Sind die
gesellschaftlichen und kulturellen Hintergründe der verschiedenen Christen
zu unterschiedlich? Oder ist es schlicht der Starrsinn, der Egoismus oder
die Gleichgültigkeit der Menschen, die es unmöglich machen, dieses Ideal
christlicher Gemeinde weiter zu leben? Oder gibt es zu viele Menschen, die
die Liebe Gottes gar nicht annehmen wollen und darum auch die Gemeinde Jesu
Christi an der Verwirklichung des Ideals?
Für Lukas brachen diese Fragen zu seiner Zeit schon auf. Er sah, dass das,
was Jesus gepredigt hatte und in ihm schon sichtbar geworden war, nicht
durchgehalten werden konnte. Aber es war ihm wichtig, darauf hinzuweisen,
dass es doch möglich ist.
Und darum ist da erst ein Barnabas, der seinen Acker verkaufte und das Geld
– alles Geld – vor die Füße der Apostel legte.
Natürlich ist es möglich. Aber wir werden uns gleich die Frage stellen: wem
vertraue ich meinen Besitz an? Wenn ich wenigstens die Gewähr habe, dass es
nicht genutzt wird, damit sich einzelne daran bereichern, bin ich zufrieden
– und wenn ich selbst nicht am Hungertuch nagen muss, sondern in Frieden
und ohne Sorge leben kann, ist es um so besser.
So war es gedacht, so fing es an, das Christentum, mit der Freiheit von allem,
was uns in dieser Welt bindet, heute vielleicht mehr als damals, aber das
glaube ich eigentlich nicht. Denn auch damals ging es um die Existenz, nicht
nur um das eigene Leben, sondern auch um das der Familie, und darüber hinaus
natürlich auch um die gesellschaftliche Stellung, die man durch solches
Handeln verlieren konnte.
Was bindet uns? Diese Frage stellt uns Lukas mit diesem kurzen Schlaglicht
auf die ersten Christen: die Menge der Gläubigen waren ein Herz und eine
Seele.
Heute ist die Christenheit von Spaltungen und Trennungen geprägt. Unterschiedliche
Konfessionen sind nicht zur Versöhnung bereit, und wo Gespräche geführt werden,
merkt man doch auch, dass es über eine bestimmte Grenze nicht hinausgehen kann.
Und diese Grenze: sie ist fast immer da, wo es um Macht geht. Denn dann bedeutet
ihr Überschreiten Machtverlust. Und dazu sind Menschen wohl am wenigsten bereit.
Damals war es klar: die Macht gehört alleine Gott. Und so ist es auch heute.
Nur einem gebührt die Macht und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Und so war es auch gar nicht schwierig, das wirklich werden zu lassen, was
Lukas da beschreibt:
Es war keiner unter ihnen, der Mangel hatte.
Es liegt an uns, damit das wieder Wirklichkeit werden kann.
Amen
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