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Zu den Perikopen
Predigtvorschläge zu Reihe I - Gen 28, 10-19a(19b-22)
Liebe Gemeinde!
Wenn man darüber nachdenkt, dann stellt sich heraus, dass das schon ein sehr merkwürdiges
Bild ist. Man weiß doch: eine Leiter muss gegen eine Wand oder einen ähnlichen festen
Gegenstand gelehnt sein, damit sie überhaupt stehen kann.
Der Himmel bietet solch einen Widerstand nicht. Es sei denn, man geht davon aus, dass
da eben doch etwas Festes ist, dass das Blaue am Himmel nicht durch die Brechung der
Sonnenstrahlen, sondern durch dieses Feste verursacht wird.
Aber das damalige Weltbild war genau so eins. „Und Gott sprach: es werde eine Feste
zwischen den Wassern, die da scheide zwischen den Wassern. Da machte Gott die Feste
und schied das Wasser unter der Feste von dem Wasser über der Feste. Und es geschah
so. Und Gott nannte die Feste Himmel.“ (Gen 1, 6-8)
Die Feste trennt das Wasser, das manchmal auf uns herabregnet, vom Wasser, das in den
Flüssen und Ozeanen ist.
Nun müsste, damit die Leiter standfest ist, noch eine kleine Luke in der Feste sein,
und dann würde es schon passen. Irgendwie.
Für die Menschen, die sich damals vor dreitausend oder mehr Jahren diese Geschichte
erzählten, war es klar, dass sich hinter der Feste die Welt der Engel, die Welt Gottes
verbarg. Und so ist die Leiter tatsächlich ein Symbol der Verbindung zwischen Himmel
und Erde, zwischen Gott und Mensch. Darum steigen die Engel an ihr auf und nieder.
Den Menschen damals war natürlich auch bewusst, dass es eine solche Leiter in Wirklichkeit
nicht geben kann. Sie anzufertigen, wäre genauso unmöglich, wie die unzähligen Sprossen
zu erklimmen.
Und so bildet die Leiter eigentlich nur die Kulisse für etwas ganz Anderes, Bedeutungs-
und Folgenschweres. Sie symbolisiert die Verbindung Gottes zum Menschen, aber im Kern
geht es um die Verheißung des Landes an Jakob, der später Israel genannt wird.
Jakob, der Listige, war ein Flüchtling. Er hatte seinem älteren Bruder das Erstgeburtsrecht
abgeluchst, und nun fürchtete er, dass sein Bruder ihn umbringen könnte. Er musste das
Haus der Eltern verlassen, um bei den fernen Verwandten in Haran Unterschlupf zu suchen.
Seine Mutter Rebekka half ihm dabei, ebenfalls mit viel List, so dass Jakob sogar erneut
den Segen seines Vaters Isaak erhielt – diesmal zu der Reise nach Haran, wo er sich eine
Frau unter den Verwandten suchen sollte.
Für den Bruder Esau muss das doppelt schlimm gewesen sein, und es verwundert einen schon,
dass er nicht gleich hinter seinem Bruder herstürmte, um ihn zu töten.
Jakob begibt sich auf eine Reise ins Ungewisse. Und so sehr dieses Geschehen auch
idealisiert wird: all das hat mit Betrug und Lüge begonnen. Und das gibt schon zu
denken.
Umso mehr, als Gott nun diese Situation auch noch abzusegnen scheint. Die Worte Gottes
lassen nicht erkennen, dass an dem Betrug irgend etwas Schändliches wäre, im Gegenteil:
Jakob ist der Liebling Gottes – eine völlig willkürliche Wahl.
Aber wer sind wir, dass wir mit Gott rechten wollen? Was haben wir schon vorzubringen?
Und könnten wir seinen Plan durchschauen? Wir können den Grund nicht wissen, warum Jakob
der Liebling Gottes ist und nicht Esau. Gott sieht das Herz des Menschen an. Und da sieht
er sicher mehr, als wir je sehen könnten.
Heute ist uns dieser Text gegeben, in dem sich wenigstens ein beliebter Taufspruch findet:
„Ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst.“ (Gen 28, 15)
Natürlich geht dieser Spruch weiter und gewinnt besonders für Jakob an Bedeutung: „ich
will dich wieder herbringen in dies Land.“
Das ist eigentlich die entscheidende und wichtigste Aussage für Jakob. Die Rückkehr in
die Heimat, dorthin, wo seine Familie ist, wo er geboren wurde, wo der Betrug geschehen
ist.
Jakob will wieder dorthin zurückkehren. Das erfahren wir aus dem Abschnitt, der unserem
Predigttext folgt. Er ist also kein eingefleischter Bösewicht, dem es egal ist, wo er
sich befindet, Hauptsache, er ist reich. Er will wieder gut machen, was geschah, aber
weiß auch, dass es jetzt nicht möglich ist.
Wir erfahren aus dem weiterem Verlauf der Jakobsgeschichte, dass er nach vielen Jahren
bei seiner Rückkehr seinem Bruder Esau einen großen Teil seines Besitzes schenken will,
um wiedergutzumachen, was er verbrochen hatte.
Nun wird Jakob im Traum heimgesucht von dem Gott Abrahams und Isaaks, seiner Vorfahren.
Gott schimpft nicht mit ihm, wie man erwarten könnte, sondern er verspricht ihm, dass er
das Land, auf dem er sich gerade befindet, zum Eigentum haben wird und dass seine
Nachkommen ein gesegnetes und ein segnendes Geschlecht auf Erden sein sollen.
Wenn wir uns heute das Volk Israel und sein Land anschauen, dann fragen wir uns schon,
wo dieser Segen sichtbar wird. In der ständigen Auseinandersetzung mit den Palästinensern
wird eher das Gegenteil erkennbar.
Genauso, wenn wir uns das jüdische Volk in Deutschland anschauen, wie es vor etwa 70
Jahren systematisch verfolgt und vernichtet wurde.
Es ist, als wollte Gott nicht zu seiner Verheißung stehen. Aber kann das sein?
Paulus hat zu dieser Frage gesagt: „Wenn aber nun einige von den Zweigen ausgebrochen
wurden und du, der du ein wilder Ölzweig warst, in den Ölbaum eingepfropft worden bist
und teilbekommen hast an der Wurzel und dem Saft des Ölbaums, so rühme dich nicht gegenüber
den Zweigen. Rühmst du dich aber, so sollst du wissen, dass nicht du die Wurzel trägst,
sondern die Wurzel trägt dich.“ (Röm 11, 17-18)
Die Wurzel, das ist das, was wir gerade gehört haben, die Geschichte von Jakob, die
Verheißung des Landes und des Segens. Wir sind Erben und bleiben immer ein Teil dieses
Ganzen, dessen Erfüllung noch nicht absehbar ist, um dessen Erfüllung wir aber immer
auf's Neue bitten sollen.
Als Erben haben wir auch Teil an diesem Segen, den Gott damals dem Jakob verheißen hat,
aber nicht so, dass wir ihn von Jakob wegnehmen und an seine Stelle treten. Vielmehr
können wir uns als Hinweis auf das verstehen, was noch kommen wird, wenn Gott das Volk
Israel zu seiner Vollendung führt.
Und so können und dürfen wir uns auch von Jakob inspirieren lassen – nicht in dem Betrug,
den er begangen hat, wohl aber in der Art und Weise, wie er sich zu Gott stellt.
Und da sehen wir zunächst einmal das Ausgeliefertsein. Denn Jakob hat nichts, das ihn in
irgendeiner Weise absichern könnte. Er legte seinen Kopf auf einen Stein, um zu schlafen.
Kein weiches Kissen, kein Dach über dem Kopf, noch nicht einmal ein Zelt.
Für Jakob war diese Situation eine Notwendigkeit. Er war auf der Flucht. Diese
Verwundbarkeit macht ihn empfänglich für Gottes Anrede.
Vielleicht würde es uns helfen, Gott näher zu kommen, wenn wir ab und zu wenigstens
auf die zahlreichen Absicherungen, mit denen wir unser Leben gestalten, verzichten
würden – oder sie wenigstens vergäßen.
Mal einfach auf's Geratewohl losziehen, nicht wissend, was uns erwarten wird. Einmal
nicht die Sachzwänge unser Planen bestimmen lassen, sondern das, was uns vor allem anderen
wichtig erscheint, auch wenn es eigentlich unerreichbar zu sein scheint.
Weiter bekommt Jakob diese große Verheißung, ohne irgend etwas dafür getan zu haben. Jakob
ist alles andere als das, was wir einen Heiligen nennen würden. Er hat seinen Bruder und
seinen Vater betrogen und seine Mutter in diesen Betrug mit hinein gezogen. Man könnte
ihn als einen üblen Erbschleicher bezeichnen. Jakob hat nichts getan, um sich den Segen
Gottes zu verdienen, im Gegenteil: er tat alles, um den Fluch Gottes auf sich zu ziehen.
Dennoch wendet sich Gott ihm zu und macht eine Verheißung, die Jakob überhaupt nicht verdient
hat.
Darum können und dürfen auch wir darauf hoffen, dass Gott sich uns in gleicher Weise
zuwendet, ohne, dass wir irgend etwas dafür tun könnten oder müssten. Wir müssen nicht
erst besonders gute Menschen sein, um die Liebe Gottes zu erfahren. Gott will uns nahe
sein, ganz gleich, wie viel oder wie wenig wir dem Ideal eines frommen Menschen
entsprechen.
Gott kommt zu uns. Das wird auch in dieser Erzählung von der Himmelsleiter erkennbar:
es ist nicht so, dass Jakob die Leiter hinaufsteigt, um Gott zu begegnen, sondern die
Leiter eröfnet nur die Möglichkeit, dass Gott sich ihm zuwendet. Eigentlich ist es nur
die Pforte zum Himmel, wie Jakob selbst feststellt. Und er blieb davor stehen, hörte
nur, was Gott ihm zu sagen hatte.
Eigentlich müsste dieser Gottesdienst in der Trinitatiskirche [ihn Wolfenbüttel] gefeiert werden, denn der
Text auf dem Giebel der Kirche nimmt Bezug auf diese Erzählung: aus der Pforte zur Welt
ist eine Himmelspforte geworden.
Aber ist nicht jede Kirche eine solche Himmelspforte? Wie oft schon haben mir Menschen
davon erzählt, dass ihnen ein Kirchenraum diese Begegnung mit Gott ermöglichte, wie eine
Himmelspforte war, ein Bethel – ein Haus Gottes.
Auch heute ist es so: Gott begegnet uns, er kommt uns nahe, er ruft uns zu: Ich will dich
segnen, und du sollst ein Segen sein.
Im Abendmahl haben wir Teil am Leib und Blut Jesu Christi. Gott ist uns unglaublich nahe!
Dort erfahren wir den Segen, dort sind wir hineingenommen in die Gemeinschaft der Heiligen,
die nicht heilig sind aus sich selbst heraus, sondern von Gott her, der in das Herz schaut.
So lasst uns diese Nähe Gottes feiern und dankbar sein dafür, dass Gott uns nicht aufgibt,
was auch immer geschehen mag.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Jauchzet, ihr Himmel (EG 41)
Gott, aller Schöpfung heilger Herr (EG 142)
Gott ist gegenwärtig (EG 165)
Ich heb mein Augen sehnlich auf (EG 296)
Von Gott will ich nicht lassen (EG 365)
In allen meinen Taten (EG 368)
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Predigtvorschläge zu Reihe II - Lk 19, 1-10
Liebe Gemeinde!
Zachäus – das ist eine leicht einprägsame Geschichte, die man auch gerne Kindern
erzählt. Denn so wie sie ist Zachäus klein, was ihn in seinem Anliegen, Jesus zu
sehen, behindert.
Es fällt auf, dass Zachäus von einem Begehren getrieben wird. Er will wissen,
was es mit Jesus auf sich hat. Er ist gewissermaßen ein Fan von ihm, ohne ihn
wirklich zu kennen – so wie die meisten Fans von Pop- oder Fußballstars eben.
Alles, was er weiß, hat er aus dem Mund anderer erfahren – die Zeitung der
damaligen Zeit, die auch heute häufig noch genutzt wird: „Hast du das schon
gehört?“...
Diesen Mann, von dem alle erzählen und der so einzigartig zu sein scheint, muss
Zachäus einfach mal sehen. Und vielleicht will er sogar mit ihm reden, aber das
scheint er sich dann doch nicht zu erhoffen, denn wer auf einem Baum sitzt, kann
wohl kaum einen vorübergehenden in ein Gespräch verwickeln.
Es ist also nur dieses Begehren, Jesus zu sehen, das ihn treibt.
Und so sitzt er auf dem Baum, schaut über die Köpfe der Menschen hinweg, die den
Weg säumen, und sieht Jesus vorübergehen.
Und nun geschieht das merkwürdige: Jesus blickt auf, sieht ihn an. Jesus bemerkt
den Mann im Baum, ausgerechnet ihn. Vielleicht ist es das Begehren, das in
Zachäus wie eine lodernde Flamme ist, das diesen ersten Kontakt verursacht.
Aber kann das sein?
Fans, die von ihrem Idol etwa ein Autogramm wollen, werden kaum eines Blickes
gewürdigt. Das Autogramm wird automatisch geschrieben, im besten Fall bekommt
man noch einen Händedruck, ohne dass wirklich wahrgenommen wird, wer diesen
Menschen nun so sehr verehrt.
Obwohl es in den Grundzügen ähnlich ist, läuft hier doch etwas anderes ab. Der
Fan, wenn ich diesen Begriff noch einmal verwenden darf, sitzt oben auf dem
Baum und ist wohl damit zufrieden, wenn er nur Jesus einmal sehen kann. Er
drängelt sich nicht vor, versucht nicht, ihm ein Haar auszureißen oder sonst
irgend etwas.
Es ist vielmehr Jesus, der aufschaut, ihm in die Augen sieht. Jesus nimmt ihn
wahr. Das ist ganz anders als bei einer Begegnung zwischen Fan und Idol.
Das muss ein besonderer Moment gewesen. Was Zachäus nicht zu hoffen gewagt hatte,
tritt ein. Jesus spricht nicht nur mit ihm, er lädt sich sogar zu ihm nach Hause
ein! Kein Star würde so etwas tun. Dazu sagt er dann noch – zu allem Überfluss:
ich „muss“ heute bei dir einkehren.
Was zwingt ihn denn? Ist er nicht frei, zu entscheiden, wo er zu Abend isst und
mit wem?
Es ist ganz klar, dass Jesus auf diese Weise den Neid all der anderen auf sich
zieht, die ebenso gerne mit ihm Gemeinschaft gehabt hätten an diesem Abend.
Menschen, die ihn so wie Zachäus erwarteten und sich darüber freuten, dass er
nun da war. Sie hätten viele Fragen an ihn gehabt und auf Antwort gewartet.
Doch Jesus begibt sich zu diesem Winzling, der zu allem Übel auch noch ein
anerkannter Sünder ist – daran besteht kein Zweifel. Es bleibt nichts anderes
übrig, als über diesen Zachäus herzufallen, freilich nicht mit Waffen oder
Fäusten, sondern mit Worten und natürlich hinter seinem Rücken – darin sind
wir gut.
Ja, ein Sünder ist er, ein Kollaborateur, der gemeinsame Sache macht mit den
Heiden, der sich selbst und sein Volk verkauft hat. Jesus sinkt in der Achtung
der Menschen, und doch können sie nicht von ihm lassen. Sie reiben sich an
ihm, an seiner Entscheidung, an der Unbekümmertheit, mit der er all die
Vorbehalte, die sie selbst haben, beiseite wischt.
Dabei sind es gerade diese Vorbehalte, die das „muss“ in Jesu Worten auslösen.
Du brauchst mich, darum muss ich heute bei dir sein und mit dir sprechen. Ich
muss Zeit mit dir verbringen, weil deine Seele nach Hilfe schreit.
Das ist der Sohn Gottes. Die Vorbehalte, die wir empfinden, sind für ihn
gerade Anlass, sich dem zu nähern, von dem andere sich fernhalten würden.
Und das verfehlt seine Wirkung nicht. Zachäus ist nicht nur dankbar für so
viel Aufmerksamkeit, wie sie ihm hier geschenkt wird. Jesu Zuwendung krempelt
ihn um, sie lässt ihn zu einem neuen Menschen werden. Er tut Buße, indem er
umkehrt zu Gott.
„Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich
jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück.“
Ich habe mich oft gefragt, wie er das wohl finanzieren wird, der Zachäus.
Waren die Zinsen damals so hoch, dass sich das Geld auf der hohen Kante so
schnell verdoppelt? Wohl eher nicht. Die Geldverleiher damals waren genauso
knauserig wie unsere Banken heute. Also konnte er gar nicht so viel Geld
haben, wie er jetzt verspricht, herauszugeben.
Immerhin will er ja schon die Hälfte seines Besitzes den Armen geben, und
dann will er vierfach dem zurückzahlen, den er betrogen hat. Ist das nicht
sein Tagewerk gewesen, seine Mitmenschen zu betrügen? Hat er nicht immer
zu viel Zoll genommen? Hat er nicht seine Lieblinge gehabt, und andere,
von denen er absichtlich mehr nahm?
Wie kann er nun das Vierfache zurückgeben? Hat er wirklich so viel ehrlich
verdientes Hab und Gut übrig? Oder spekuliert er darauf, dass sich die
meisten der Betrogenen nicht melden werden?
Nun, ich glaube, dass Zachäus es vollkommen ernst meint und tatsächlich
bereit ist, sein gesamtes Hab und Gut aufzugeben, selbst arm zu werden
als ein Nachfolger Jesu.
Denn nur, wenn seine Absichten aufrichtig sind, kann Jesus doch auch diese
Worte sagen: „Heute ist diesem Hause Heil widerfahren.“ Wenn er von Haus
redet, meint er natürlich nicht das Gebäude, sondern die Menschen, die zu
Zachäus gehören, und Zachäus selbst. Also Zachäus und seinen Angehörigen
ist heute Heil widerfahren, indem er seine Schuld erkennt und wiedergutmacht,
was er wiedergutmachen kann.
Wohlgemerkt, indem, und nicht weil. Es ist nicht so, dass Zachäus dafür
belohnt wird, dass er so großmütig sein Hab und Gut weggeben will. Das
Heil liegt vielmehr darin, dass er es tut. Wenn es also bei der Willensbekundung
bleibt, dann gibt es auch kein Heil.
Deswegen sagt Jesus: heute ist diesem Hause Heil widerfahren. Sonst müsste
es wohl heißen: heute „wird“ diesem Hause Heil widerfahren.
Auslöser für diese Heilserfahrung sind die einladenden Worte, die Jesus am
Anfang der Geschichte spricht: Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss
heute in deinem Haus einkehren.
Diese persönliche Anrede erfordert eine Reaktion. Und Zachäus reagiert,
ohne auch nur einen Moment zu zögern. Es ist für ihn das höchste Glück,
mehr, als er erwartet hatte.
Solche Anreden gibt es auch heute. Nicht mehr ganz so offensichtlich wie
damals, aber sie erklingen immer wieder: „Heute muss ich in deinem Haus
einkehren.“
Diese Worte sind Zeichen des Erkennens und der Annahme. Da bist du ja!
Dich habe ich gesucht! Ich will dir ganz nahe sein!
Gott wendet sich uns zu in Jesus Christus. Er sieht uns in der Menge, so
unscheinbar wir auch sein mögen. Er kennt uns mit Namen. Unser Begehren,
ihn zu sehen, genügt, damit wir sie hören können, diese einladenden und
eigentlich auch fordernden Worte.
Steig herab! Bereite alles vor, damit ich bei dir einkehren kann!
Das galt nicht nur damals dem Zöllner Zachäus, das gilt jedem von uns
auch heute. Und am deutlichsten spürbar und erfahrbar wird das wohl in
der Feier des Heiligen Abendmahls. Denn da kehrt er bei uns ein, genauso
wie damals bei Zachäus.
Heute ist diesem Hause Heil widerfahren – das erleben wir, wenn wir seine
Aufforderung annehmen, alles in uns vorbereiten, und wenn wir das Wunder
seiner Nähe beantworten mit der Liebe, zu der er uns berufen hat.
Das ist Heil – Heilung, die uns dahin führt, Liebe zu unserem Nächsten
zu empfinden und dann auch in die Tat umzusetzen.
Steig herab! Heute muss ich in deinem Haus einkehren!
Das ruft Jesus uns zu.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Allein zu dir, Herr Jesu Christ (EG 232)
Such, wer da will, ein ander Ziel (EG 346)
Jesus nimmt die Sünder an (EG 353)
Jesu, meine Freude (EG 396)
Bei dir, Jesu, will ich bleiben (EG 406)
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Predigtvorschläge zu Reihe III - 1. Thess 5, 14-24
Liebe Gemeinde!
„Wir ermahnen euch“, so beginnt dieser Abschnitt aus dem Brief des Paulus an die
Thessalonicher. „Wir“ ist natürlich schon etwas merkwürdig, wenn wir annehmen,
dass Paulus der Schreiber dieses Briefes ist. Aber mit „Wir“ meint er die, die
mit ihm unterwegs sind, um das Evangelium zu verkünden. Sie werden zu Beginn des
Briefes sogar namentlich genannt. Außer Paulus sind es Silvanus und Timotheus.
Das „wir“ zieht sich dann durch den Brief hindurch, als ob er gemeinsam von diesen
Dreien geschrieben worden ist.
Da sind also drei, von denen zumindest zwei bei der Gründung der Gemeinde in
Thessalonich eine wichtige Rolle gespielt haben, nämlich Paulus und Silvanus.
Immer noch nicht gerade viel, die aber eine große Autorität zu haben scheinen.
Zumindest nehmen sie sie für sich in Anspruch.
„Wir ermahnen euch“, das sind Worte, die man nicht leichtfertig spricht. Niemand
ermahnt den anderen, denn das wird einem selbst dann doch allzu schnell als
Besserwisserei oder Überheblichkeit ausgelegt. Nur Kinder werden hin und wieder
ermahnt, aber das ist etwas anderes.
Hier geht es um erwachsene Menschen, wobei die Gemeinde in Thessalonich noch nicht
ganz so alt ist. Sie steckt noch in den Kinderschuhen. Vielleicht darf man da auch
mal ein ermahnendes Wort sagen. Dennoch sind es erwachsene Menschen, die hier
angesprochen werden.
Es ist gut, noch einen kurzen Blick auf die Verse davor zu werfen. Denn dort wird
die Gemeinde dazu aufgefordert, dass man sich untereinander ermahne und erbaue,
zugleich aber auch festgestellt, dass sie das auch tut. Dann schließt sich ein
kurzer Abschnitt an, der mit den Worten beginnt: „Wir bitten euch aber“, und danach
dann unser Predigttext: „Wir ermahnen euch aber“. Da wird also unterschieden zwischen
Bitten und Ermahnen.
Das eine erwartet zwar eine Reaktion, sie ist aber nicht zwingend erforderlich.
Eine Bitte kann man auch ablehnen.
Das andere, das Ermahnen, sieht da schon etwas anders aus: wenn man das Gesagte nicht
tut, dann muss man mit Konsequenzen rechnen. Welcher Art diese Konsequenzen sind,
bleibt offen, wohl deswegen, weil die Thessalonicher so gut wie Paulus und seine
Gefährten wissen, dass diese Konsequenzen nicht von ihnen selbst kommen, sondern
von dem Herrn, dem sie im Glauben nachfolgen.
Bei den Ermahnungen scheint es ein Gefälle zu geben. Zunächst betrifft es die anderen,
dann um einen selbst, dann um die Gemeinde.
Die anderen:
Weist die Unordentlichen zurecht – warum gerade die Unordentlichen? Warum nicht die
Unehrlichen, oder die Faulen, oder die Hochmütigen?
Vielleicht geht es bei der Bezeichnung, die Paulus wählt, nicht um die Unordnung, die
sich auch immer wieder mangels Zeit zum Aufräumen auf meinem Schreibtisch einfindet,
sondern vielmehr um die Unordnung im Geist. Zum Beispiel:
nicht zu wissen, wo man hin gehört.
Mal hier und mal da zu probieren.
Dieses oder jenes gelten zu lassen und sich auf keinen Fall fest zu legen.
Das ist auch eine Form von Unordnung. Sie ist nicht gut, sondern schadet der Person,
und am Ende nicht nur ihr, sondern der ganzen Gemeinde. Sie sollen Ordnung in ihr Leben
bringen.
Was nun folgt, ist auf einer anderen Ebene angesiedelt. Es geht zwar immer noch um die
anderen, aber nun sind es Dinge, die unter dem Stichwort „Erbauen“ zusammengefasst
werden können.
Tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann.
Das sind die Eigenschaften, die in einer christlichen Gemeinde zum Tragen kommen, ja,
die christliche Gemeinde ausmachen. Eigenschaften, die das Gesicht dieser Welt etwas
freundlicher werden lassen. Und eigentlich ganz selbstverständlich sein sollten.
Aber Paulus hält es für nötig, dazu zu ermahnen; und es ist nicht nur damals nötig
gewesen. Wie oft bleiben auch heute Kleinmütige allein. Wie oft werden die Schwachen
beiseite geschubst, weil sie nur im Weg sind. Und wie oft werde ich ungeduldig.
Jagt allezeit dem Guten nach untereinander und gegen jedermann, so geht es weiter. Es
wäre ja zu einfach, wenn es nur „untereinander“ wäre. Dass man denen, die einem nahe
stehen, nur Gutes wünscht und tut, ist eigentlich selbstverständlich. Es geht um
jedermann, um alle, denen man Gutes tun soll. Da klingt diese unglaubliche Aufforderung
Jesu an: „Liebe deine Feinde.“
Das ist christliche Gemeinde. Nicht Böses mit Bösem vergeltend, sondern allezeit dem
Guten nachjagend, in jeder Situation.
Und dabei darf es nicht dazu kommen, dass wir denken: die anderen sind ja auch nicht
besser, also muss ich mich nicht darum bemühen. Nein, sondern wir sollen besser als
die anderen sein. Der Maßstab für unser Verhalten sind nicht unsere Mitmenschen,
sondern ist Christus. Er hat es uns vorgelebt, und ihm folgen wir nach – nicht
unseren Mitmenschen.
Nun geht es um den Einzelnen.
Seid allezeit fröhlich – naja, für Fröhlichkeit muss es doch auch einen Grund geben.
Ich kann nicht gut fröhlich sein, wenn mir Schaden zugefügt wird. Auf Befehl geht
das sowieso nicht.
Aber diese Ermahnung ist ja in den Zusammenhang des Evangeliums gestellt. Macht mich
die Botschaft des Evangeliums nicht fröhlich? Die Botschaft, dass Christus mich erlöst
hat von all meiner Schuld? Kann ich diese Fröhlichkeit nicht immer in mir tragen und
auch nach außen zeigen, ohne dabei zu heucheln?
Ich glaube schon.
Betet ohne Unterlass, das klappt nicht immer, aber das ist auch nicht schlimm, wenn man
mal nicht betet. Es kommt auf die Grundhaltung an. Immer daran zu denken, dass wir von
Jesus Christus her kommen. Dann ist auch das Gebet da, denn dann bringen wir alles vor
ihn, weil wir auch alles von ihm empfangen.
Seid dankbar in allen Dingen, denn alles hat einen Grund. Alles fügt sich irgendwann
ein in ein großes Mosaik, das nur Gott allein überschauen kann. Auch die Krankheit,
die einem Schmerzen zufügt. Der Unfall, der einen lieben Menschen aus dem Leben reißt.
Oder die Arbeitslosigkeit, die einen zur Untätigkeit verdammt. Alles, was uns widerfährt,
geschieht aus einem guten Grund, und so können wir auch für alles dankbar sein, selbst
dann, wenn uns die Trauer niederreißt. Denn was immer wir an Leid und Not erleben, es
ist aufgehoben in unserem himmlischen Vater, der für uns sorgt.
Nun folgen Ermahnungen, die die Gemeinde als Ganze betreffen und nicht so sehr den
Einzelnen in der Gemeinde.
Den Geist dämpft nicht. In der frühen Christenheit waren bestimmte Gaben des Geistes,
etwa die Zungenrede oder die Prophetie, üblich und wurden in den Versammlungen häufig
angewendet. Aber sie wurden mit der Zeit verdrängt. Sicher hatte es damit zu tun, dass
es schwer fiel, umzusetzen, wozu Paulus hier auffordert: Prüfet alles, und das Gute
behaltet.
Wer entscheidet, was von dem Gesagten gut ist? Der Anspruch, vom Geist Gottes angerührt
zu sein, wird damit ja auch gleich in Frage gestellt. Und das ist schwierig. Es hat zu
vielen Auseinandersetzungen in der frühen Christenheit geführt.
Die Prüfung können wir aber auch heute noch durchführen. Nicht alles, was von der Kanzel
gesagt wird, muss auch gut sein. Darum: prüft alles, und das Gute behaltet. Wichtig ist,
dass diese Prüfung nicht mit dem Verstand erfolgt, sondern durch das Gebet und den Geist
Gottes. Manchmal ist es gut, sich dann die Bibel hervor zu holen und selbst darin zu lesen.
Denn wenn mir etwas von dem Gesagten quer im Magen liegt, dann muss das nicht bedeuten,
dass es schlecht ist. Es kann ja sein, dass mir hier etwas gesagt wurde, was ich eigentlich
nicht hören und auch nicht tun will, wozu ich aber gerufen bin.
Mit dem letzten Abschnitt unseres Predigttextes endet auch der Brief – übrigens der älteste
Brief, der uns im Neuen Testament überliefert ist. Es folgen dann nur noch Grüße und die
Ermahnung, den Brief vor der Gemeinde lesen zu lassen.
Der Gott des Friedens heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und
Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus.
So viel Paulus nun ermahnt hat: am Ende steht es doch in Gottes Hand. Er, der Gott des Friedens,
heiligt uns, weswegen ja auch jeder Christ als Heiliger bezeichnet werden kann, auch wenn es
uns schwer fällt, das zu tun.
Er, der Gott des Friedens, bewahrt unseren Geist samt Seele und Leib.
Zwar formuliert Paulus dies als Wunsch oder Bitte, aber darin wird ja deutlich, von woher
er die Kraft erwartet, die wir brauchen, um das zu tun, was einem Christenmenschen aufgetragen
ist. Die Kraft kommt von Gott.
Das bedeutet nun nicht, dass wir uns wieder beruhigt zurücklehnen können, sondern nach wie
vor gilt: betet ohne Unterlass. Gerade darum, dass dies geschehe und der Gott des Friedens
uns heilige durch und durch und bewahre samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die
Ankunft unseres Herrn Jesus Christus.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Gleichwie mich mein Vater (EG 260)
In dem Herren freuet euch (EG 359)
Lasset uns mit Jesu ziehen (EG 384)
Eins ist not! (EG 386)
Mache dich, mein Geist, bereit (EG 387)
Erneure mich, o ewigs Licht (EG 390)
Wo zwei oder drei (KHW-EG 563; NB-EG 564)
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Predigtvorschläge zu Reihe IV - Jes 12, 1-6
Liebe Gemeinde,
Der Vater rief den 7-jährigen Sohn zu sich. Der ahnte, was ihm blühte. Denn er
hatte gerade erst seiner kleinen Schwester einen bösen Streich gespielt. Sie
war natürlich gleich zur Mutter gelaufen, und sie hatte es wohl dem Vater gesagt.
Der Vater packte den Jungen mit festem Griff, ohne ein weiteres Wort zu sagen,
legte ihn über das Knie und versohlte ihm den Hosenboden, dass dem Jungen
die Tränen kamen.
Als der Vater endlich fertig war, stellte sich der Junge vor ihn und neigte
seinen Blick zu Boden. Der Vater fragte: „Du weißt, warum ich das getan
habe?“ Der Junge nickte.
„Dann“, so sagte der Vater, „weißt Du auch, was Du jetzt zu tun hast.“
Der Junge sagte mit weinerlicher Stimme: „Danke, Vater.“ und ging, um sich
bei seiner Schwester zu entschuldigen.
In seinem Inneren aber war alles aufgewühlt. Er fühlte sich ungerecht
behandelt – so schlimm war der Streich nun auch wieder nicht gewesen,
und er liebte seinen Vater doch, und seine Mutter – warum war sein Vater
so grausam?
Eine Szene, die vermutlich einige von Ihnen in ähnlicher Weise noch
erlebt haben könnten.
Was ich bemerkenswert finde: das Kind bedankt sich für die Strafe.
Vermutlich ist es ihm in früheren Situationen gewissermaßen eingebläut
worden, dass es sich für die Strafe bedanken solle, denn sie diente ja,
so meinte man, dem Zweck, den Charakter des Kindes zu stärken und einer
Neigung zu boshaftem Verhalten entgegen zu wirken. Und das ist ja ein
edles Ziel.
Inzwischen wissen wir, dass körperliche Züchtigung nicht zur Stärkung
des Charakters dient, und seit dem Jahr 2000 wird in Deutschland jede
Form von körperlicher Züchtigung an Kindern als Kindesmisshandlung
gewertet und darum auch strafrechtlich verfolgt.
Unser Predigttext knüpft an eine Erfahrung an, die das Volk Israel gerade
durchmachte: die Heimat war zerstört, wichtige Persönlichkeiten waren in
das Exil nach Babylonien verschleppt und viele Menschen getötet worden.
Sie empfanden dies als schwere Bestrafung Gottes, nachdem sie lange Zeit
Gott den Rücken gekehrt hatten.
Und nun heißt es: Es wird die Zeit kommen, da wirst du sagen: Ich danke
dir, HERR, dass du bist zornig gewesen über mich.
Da muss man erstmal stocken. Danken dafür, dass Gott zornig gewesen ist?
Nun gut, es ist mehr als 2500 Jahre her, dass diese Worte aufgeschrieben
wurden. Man kann wohl davon ausgehen, dass auch damals eine Bestrafung
als Mittel zur Besserung angesehen wurde. Und darum kann man wohl auch
für eine Bestrafung dankbar sein – wenn sie denn zur Besserung geführt
hat.
Aber so ganz behaglich ist einem dann doch nicht dabei. Nur: welche
Alternative gäbe es?
Vielleicht könnte man sagen: ich danke dir, Herr, dass du bei mir gewesen
bist in schwerer Zeit?
Aber genau das geht ja nicht. Denn die Strafe Gottes bestand doch darin,
dass er sich zurückgezogen hatte, dass er nicht da war.
Das Volk musste die Gottesferne erleben, damit es wieder zu Gott
zurückfinden würde. Gott entzog sich, damit die Menschen merkten, wie es
ist, ohne Gott zu sein. Der Weg zurück zur Gottesnähe kann nur aus der
Hinwendung zu Gott bestehen, auch und gerade dann, wenn er so fern ist.
Der Dank für den Zorn Gottes, für seine Strafe ist wohl deswegen richtig,
weil das Volk durch die Gottesferne etwas gelernt hat. Es hat gelernt,
Gottes Gegenwart zu schätzen als ein Gut, das man pflegen muss durch
tägliche Zuwendung. Aber so richtig wohl fühlt man sich dabei dennoch
nicht.
Und darum sind wir froh, dass es bei dem Dank für den Zorn Gottes nicht
bleibt. Es wird vielmehr auch gedankt dafür, dass sich der Zorn Gottes
gewendet hat und er tröstet.
Da kann man dann doch schnell den Zorn vergessen, und es passt auch
viel besser zu unserem Gottesbild. Denn Gottesferne – das ist seit
Jesus Christus gar nicht mehr möglich. Er hat uns ja selbst zugesagt,
dass er bei uns ist alle Tage bis an der Welt Ende.
Und das Gleichnis vom Verlorenen Sohn lehrt uns, dass sich Gott seinen
Kindern nicht entziehen wird – er wird immer die Arme offenhalten, auch
für den, dem Gott jahrzehntelang völlig gleichgültig war, der Gott vielleicht
sogar verachtet und verspottet hat.
Als Jesus am Kreuz hing, sagte er zu dem Verbrecher, der Reue für seine
Schuld empfand, dass er heute noch mit ihm im Paradies sein würde. Ein
verpfuschtes Leben findet am Ende doch noch den Weg zur Liebe Gottes,
die niemals aufhört. Da wird nichts aufgerechnet, da wird kein Strafmaß
bemessen, nichts. Alles Böse ist getilgt auf einen Streich. Das kann
nur durch Liebe geschehen.
Der Zorn Gottes – auch das war ein Beweis der Liebe Gottes. Es war ein
Versuch, die Menschen wieder zu Gott zurück zu bringen. Und es hat ja
auch durchaus das Band zwischen Gott und seinem Volk Israel gefestigt.
Aus dieser Erziehungsmaßnahme erkennen wir aber noch etwas anderes: Gott
hatte offenbar noch nicht vollends Ernst gemacht mit dem, was im
Schöpfungsbericht ausgesagt wird: dass der Mensch zum Ebenbild Gottes
geschaffen ist und volle Verantwortung trägt für das, was er tut.
Manchmal könnte man meinen, dass es ganz gut wäre, wenn er auch heute
genauso handeln würde wie damals: dass er über die, die sich von ihm
abwenden, seinen Zorn verhängt, damit sie nicht mehr froh werden können.
Krankheit, Unfall, Misserfolg – er hat es ja alles in der Hand, und er
könnte das gut nutzen, um den Menschen klar zu machen, dass es einen Gott
gibt, den Allmächtigen und Ewigen.
Aber jetzt scheint die Gottesferne größer denn je zu sein, denn er greift
nicht ein. Es gibt weder Strafe noch Belohnung, mit den Erziehungsmaßnahmen
hat es ein Ende. Und wenn etwas fehlt, dann nehmen es die Menschen auch
nicht wahr.
Gott ist unbedeutend geworden. Aber Gott spielt dennoch eine Rolle, nur
häufig nicht so, wie es eigentlich sein sollte. Denn für viele Menschen
spielt es keine Rolle, was oder wer ihr Gott ist – der Erfolg, der
Besitz, die Gesundheit oder auch die eigene Person, um nur einige
Möglichkeiten zu nennen. Irgend etwas steht immer an erster Stelle
und wird vergöttert, auch wenn es nicht so genannt wird. Wichtig ist
nur, dass man selbst die Kontrolle darüber hat.
Andererseits gibt es Menschen, die Gottes Nähe suchen und auch ganz
deutlich erfahren. Wir haben uns ja auch heute hier zum Gottesdienst
versammelt, weil wir es in unserem Leben immer wieder spüren, dass Gott
da ist, dass er uns nicht allein lässt.
Und sicher hat es auch damals, zur Zeit Jesajas, einige gegeben, die
genauso fest an Gott glaubten. Doch es hat nicht gereicht, um Gottes
Erziehungsmaßnahme abzuwenden.
Wäre es also heute nicht auch an der Zeit, dass Gott erstmal so richtig
zornig wird?
Aber wie schon gesagt: irgendwann musste Gott ja Ernst machen damit,
was er im Grunde seit der Schöpfung schon beabsichtigt hatte: dass der
Mensch Verantwortung übernimmt, dass er die Folgen seiner Entscheidungen
trägt, und dass er selbst in Freiheit entscheidet, ob er seinen Weg mit
Gott gehen will, oder ohne ihn.
Gott machte damit Ernst durch Jesus Christus. Durch ihn begann ein
neues Zeitalter, das Zeitalter der Volljährigkeit der Menschheit,
wenn man so will.
Seitdem wendet sich Gott uns Menschen nur noch in Liebe zu – und
scheint damit zu scheitern, zumindest in unseren Breiten. Denn
weltweit nimmt die Zahl der Christen nicht ab, im Gegenteil, sie
nimmt stetig zu. Nur in den sogenannten Industrieländern in Europa
und in den USA ist die Zahl der Christen rückläufig. Vermutlich gibt es in diesen
Ländern genug Götter, die die Aufmerksamkeit der Menschen fordern.
Es wird die Zeit kommen – Jesaja blickt in die Zukunft. Für das Volk
Israel war es klar, dass die Zeit, von der da die Rede ist, die Zeit
nach dem babylonischen Exil war. Das Volk durfte wieder aufbauen,
was zerstört war, und seine Identität als Gottesvolk wieder neu
entdecken. Es ist eine Zeit der Freude, des Gesangs, des Gotteslobs.
Aber diese Zeit währte nicht lange. Die Griechen und danach die
Römer schränkten die Freiheit des jüdischen Volkes wieder ein, und
am Ende stand die erneute Zerstörung Jerusalems und die Vertreibung
der Israeliten aus ihrer Heimat.
Es war nur eine relativ kurze Zeit der Freude, der eine wesentlich
längere Zeit des Leids, der Zerstreuung und der Heimatlosigkeit
folgte.
Ich kann mir gut vorstellen, dass die Gründung des Staates Israel
im Jahre 1948 auch als Erfüllung der Prophezeiung Jesajas angesehen
wird, auch wenn darauf nicht unbedingt eine Zeit der Freude folgte,
denn die palästinensischen Bürger des Landes wollten ihre Heimat nicht
aufgeben. Und so begann der Konflikt, der bis heute andauert.
Für uns mag die Zeit, von der Jesaja redet, an einer anderen Stelle
beginnen, nämlich mit der Geburt Jesu Christi. Es ist eine neue Zeit,
denn seither ist das Verhältnis zwischen Gott und Mensch verwandelt.
Es steht nichts mehr zwischen ihm und uns.
Und das ist Grund zu anhaltender Freude. Siehe, Gott ist mein Heil,
ich bin sicher und fürchte mich nicht – das können wir doch eigentlich
erst sagen, seit Jesus Christus für uns am Kreuz gestorben ist und
alle Schuld auf sich genommen hat. Gott der Herr ist meine Stärke
und mein Psalm und ist mein Heil!
Gott ist mein Lied – denn nichts anderes bedeutet das Wort „Psalm“.
Darum wurde uns dieser Text heute vorgelegt, und
wegen der Aufforderung am Ende: „Lobsinget dem Herrn, denn er hat
sich herrlich bewiesen. Solches sei kund in allen Landen!“
Gott ist mein Lied. Wer dieses Lied auf den Lippen hat, wird keine
Gottesferne erfahren, sondern im Gegenteil die Nähe und Liebe Gottes
spüren.
Gott ist mein Heil – er macht mich heil, er macht mich gesund. Das
Lob Gottes – es soll in aller Welt, unter allen Völkern gesungen
werden. Ich denke daran, wie sich heute in den Ländern der Welt
die Christen zu den Gottesdiensten versammeln – in Botswana, in
Israel, in Russland, in Indien, in Korea, in Japan, in den USA,
in Brasilien usw. Überall wird Gott gedankt für seine Gnade und
Güte, für das Heil, das er uns bewiesen hat durch Jesus Christus.
Überall wird sein Lob gesungen, so dass die Welt es hören kann!
Er ist mitten unter uns. Dafür sind wir dankbar, und darum singen
wir sein Lob mit lauter Stimme!
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Allein zu dir, Herr Jesu Christ (EG 232)
Jauchzt, alle Lande, Gott zu Ehren (EG 279)
Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich (EG 351)
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Predigtvorschläge zu Reihe V - Lk 17, 11-19
Liebe Gemeinde!
Wie vertraut ist uns diese Erzählung von der Heilung der zehn Aussätzigen, und doch
so fremd.
Aussatz – darunter wurde damals wohl mehr als nur Lepra verstanden. Manche Hautkrankheit,
die andauerte, führte, auch wenn es nicht Lepra war, zu dem Urteil: Aussatz!
Denn ein Urteil war es: es bedeutete die Entfremdung, das Ausgestoßensein. Das Urteil
wurde vom Priester gefällt, weil man Aussatz als eine Strafe Gottes ansah.
Der Ausschluss aus der Gemeinde war notwendig, niemand zweifelte daran. Man sah die
Krankheit wie aus dem Nichts auftauchen und musste vermuten, dass sie ansteckend ist.
So sorgte man dafür, dass es keinen Kontakt zwischen den Kranken und den Gesunden gab.
In den Stadtarchiven von Assisi fand man ein Dokument, das beschreibt, wie zur Zeit
des Franziskus mit den Aussätzigen umgegangen wurde. Auch zu jener Zeit, vor rd. 800
Jahren, schien die Absonderung der Erkrankten der einzige gangbare Weg. Dort wird
beschrieben:
Der Priester kommt aus der Sakristei und begibt sich zu dem Ort, wo - abgesondert
vom Volk - der aussätzig gewordene Mensch niederkniet. Er besprengt ihn mit Weihwasser
und spricht:
„Teurer Armer Gottes, durch Kummer und Qual, durch Krankheit, Aussatz und anderem,
kann der Mensch das himmlische Gottesreich verdienen, wo kein Schmerz und kein
Verdruss mehr sein wird und alles rein ist, ohne Flecken und Falten, leuchtender
als die Sonne. Dorthin wirst du gehen, wenn es Gott gefällt. Mein Bruder, die
Trennung trifft nur deinen Körper. Wichtiger ist, dass wie ehedem dein Geist Teil
hat an den Gebeten unserer Mutter, der heiligen Kirche, als wohntest du täglich
dem gött1ichen Offizium bei. Mildtätige Menschen werden für deine täglichen Bedürfnisse
sorgen und Gott wird dich nicht verlassen. Amen.“
Der Priester streut Erde vom nahe gelegenen Friedhof aufs Haupt des Kranken und
spricht: „Stirb an der Welt, um aus Gott neu geboren zu werden. Oh Jesus, mein
Erlöser, der du mich aus Erde formtest und mich mit einem Körper bekleidetest,
lass mich am jüngsten Tag wieder auferstehen.“
Das Volk antwortet: „Meine Gebeine beben und meine Seele fließt aus meinem Inneren.
Halleluja, sei uns gnädig Gott, erlöse uns von dem Bösen.“
Der Priester liest dann die Geschichte von den zehn Aussätzigen aus dem Evangelium
vor. Dann folgen die Anweisungen:
„Mein Bruder, nimm diesen Mantel als ein Symbol der Demut; geh nie hinaus, ohne ihn
zu tragen. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.“
„Nimm diesen Becher, empfange hierin, was dir zu trinken gegeben wird. Unter
Gehorsam verbiete ich dir, aus Bächen, Brunnen und Quellen zu Trinken.“
„Solltest du unterwegs jemandem begegnen, der mit dir sprechen möchte, dann verbiete
ich dir, ihm zu antworten, ehe du mit deinem Gesicht gegen den Wind stehst.“
„Es ist dir verboten, mit einer Frau zu sprechen, außer mit deiner eigenen. Es ist
dir verboten, Kirchen oder Kapellen zu besuchen oder zu einer Mühle oder dem Markt
zu gehen. Nie darfst du auf schmalen Straßen wandeln, auf denen man dir nicht
entweichen kann. Trage diese Rassel mit dir; hiermit kannst du die Menschen vor
deinem Kommen warnen.“
Der Zug stellt sich dann auf, um den Aussätzigen zu seinem neuen Haus zu begleiten.
An der Tür ist ein hölzernes Kreuz befestigt. Der Aussätzige sagt:
„Hier ist mein ewiger Ruheort, hier werde ich leben, das gelobe ich.“
Vor der Tür steht ein Opferblock, der Priester gibt als erster seine Gaben, dann
folgen die GIäubigen. Danach gehen sie zur Kirche zurück, der Aussätzige bleibt in
seiner neuen Behausung.
„Allmächtiger Gott“ , betet der Priester, „der du durch das Leiden deines Sohnes
den Hochmut des alten Feindes überwindest, gib deinem Diener Kraft, um ergeben und
geduldig das Böse, das ihn traf, zu tragen.“
„Amen“, antwortet das Volk. (nach Nico ter Linden, es wird erzählt, Band 6, S. 64f)
Der scheinbar nötige Abstand wurde auf diese Weise gewahrt, zugleich aber war der
Aussätzige kein Ausgestoßener mehr. Für ihn wurde weiterhin gebetet, und er konnte
Teil haben an den Gebeten der Gemeinde, wenn auch nicht in den Kirchen. Es bestand
eine geistliche Verbindung mit der Kirche. Er blieb Teil der Gemeinde, was auch
darin deutlich wird, dass die Gemeinde die Pflicht für die Versorgung des von Ihr
getrennten Gemeindeglieds sich selbst auferlegte.
Das funktionierte ganz gut. Heute, da wir wissen, wie Lepra übertragen wird, ist es
längst nicht mehr so dramatisch, aber auch in Indien erlebten wir, dass die an Lepra
erkrankten Menschen immer noch abgesondert wurden und man ihnen möglichst nicht zu
nahe kam.
Und auch wir holen unsere Kranken grundsätzlich erst einmal aus der Gemeinde heraus – zu
ihrem Besten, versteht sich. Sie werden, zumindest bei ernsteren Erkrankungen, in
Krankenhäuser gebracht. Die Angst vor der Schweinegrippe hatte, vermutlich
notwendigerweise, erstaunliche Blüten getrieben, bis dahin, dass Patienten,
die evtl. damit infiziert waren, außerhalb der Praxis des Arztes behandelt wurden.
Auch hier wird abgesondert, ausgegrenzt.
Der Spruch „Aus den Augen, aus dem Sinn“ erweist sich da oft als wahr: nur wer den
Erkrankten wirklich gut kennt und mit ihm häufig Umgang hatte, erinnert sich auch
an ihn und besucht ihn. Wir denken an unsere Kranken in unseren Gottesdiensten in
der Fürbitte, meist allgemein, weil wir die Namen aller gar nicht kennen, aber das
war's dann auch schon.
Der Besuch kranker Gemeindeglieder wird durch das Datenschutzgesetz erschwert: wir
bekommen keine Mitteilung, wenn ein Gemeindeglied ins Krankenhaus eingeliefert wurde,
und meist denken auch Angehörige nicht daran, es uns mitzuteilen.
Unser Krankenkassensystem sorgt für die Kranken mehr oder weniger gut, immerhin
werden da jährlich rund 240 Milliarden Euro bewegt, das sind etwa 2800 Euro für jeden
Bundesbürger. Man ist versorgt, aber im Grunde wird man als Kranker abgesondert, ja
ausgesondert.
In Indien haben wir es anders erlebt: Dort werden die Kranken von ihrer Familie
versorgt. Da gibt es in den Krankenhäusern keine Küche, die für die Patienten kocht –
dafür sorgen vielmehr die Angehörigen.
So bleibt Krankheit im Bewusstsein der Menschen. Sie fühlen sich mit verantwortlich,
und sie sind es ja auch.
Zur Zeit Jesu sah das Ganze etwas anders aus. Es gab keine Krankenhäuser. Lepra konnte
man sich nicht wirklich erklären. Schon zu Moses Zeiten waren Gesetze entstanden, die
Aussätzige von der Gemeinde trennten, um Ansteckung zu vermeiden. Also untersuchte man
die Krankheit auch nicht weiter. Sie galt als von Gott gesandt, als Strafe.
Man sah ohnehin grundsätzlich einen Zusammenhang zwischen Lebenswandel und Krankheit.
Und diese Krankheit, der Aussatz, war gleich der Todesstrafe, weswegen man sie auch
„der erstgeborene Sohn des Todes“ nannte.
Denn wer an Lepra erkrankte, lebte meist nicht besonders lange, was, wie wir heute
wissen, ja nicht an der Krankheit selbst lag, sondern an den Folgeerkrankungen, die
dadurch ausgelöst wurden. Aber damals bedeutete der baldige Tod nach dem Ausbruch der
Krankheit nur, dass, wer aussätzig geworden war, große Sünde begangen haben musste.
Auf der anderen Seite wurde aber Heilung nicht ausgeschlossen. Auch sie konnte nur von
Gott her kommen. Das ergab sich ja schon daraus, dass sich niemand mehr den Aussätzigen
nahen durfte.
Die Heilung eines Aussätzigen kam einer Totenerweckung gleich. Denn wer einmal am
Aussatz erkrankt war, kam ja normalerweise nicht mehr zurück.
Und nun sehen 10 Aussätzige Jesus. Sie halten den gebührenden Abstand, aber sie
verkriechen sich nicht. Sie bitten nicht um Almosen, wie es sonst üblich wäre. Die
Vorübergehenden würden Essen auf Steine abseits des Weges legen, und die Aussätzigen
würden sich das Essen holen, wenn die Reisenden weit genug weiter gezogen waren.
Doch aus irgendeinem Grunde wussten sie, wer Jesus ist. Sie hatten von ihm gehört,
und so erkannten sie ihn und erwarteten von ihm große Dinge.
„Erbarme dich unser“, rufen sie ihm zu. Denn sie wissen, dass sie gegen den Ratschluss
Gottes nichts anderes ausrichten können als allein sich auf die Gnade Gottes und sein
Erbarmen zu berufen. Darum: Herr, erbarme dich! Kyrie eleison!
Jesus zieht nun keine Show ab. Er legt noch nicht einmal seine Hände auf sie, er benetzt
nichts mit Speichel, er macht auch keine große Geste. Er sagt nur ganz schlicht: „Zeigt
euch den Priestern.“
Das war es nämlich, was geheilte Aussätzige zu tun hatten. Die Priester entschieden, wer
Aussatz hat und wer nicht.
Und als sich nun diese 10 auf den Weg machten, wurden sie rein. So, als ob es das
Selbstverständlichste und Einfachste der Welt wäre: sie wurden von den Toten auferweckt.
Gleich zehn auf einmal!
Einer von ihnen kehrt zurück. Um dem ganzen die Krone aufzusetzen: er ist Samariter. Also
einer von denen, die mit den Juden nicht gerade grün sind, die sich über Glaubensfragen
mit ihnen zerstritten hatten. Heiden – aus den Augen des jüdischen Volkes zumindest.
Man könnte vielleicht sagen, dass der Unterschied zwischen Samaritern und Juden ähnlich ist
wie bei uns der Unterschied zwischen Zeugen Jehovas und Protestanten. Man kann zwar ganz
gut miteinander, aber bei bestimmten Dingen eben doch nicht.
Interessant ist, dass angesichts des Todes diese Unterschiede verschwinden: der Samariter
lebte mit den anderen Aussätzigen zusammen, da gab es keine Trennung. Nun, da er geheilt
ist, entsteht diese Trennung wieder, aber genau entgegengesetzt zu dem, was man eigentlich
erwarten sollte. Er findet den Weg zu Gott.
Der Samariter kehrt als einziger von denen, die so lange miteinander gelebt hatten, zurück,
fällt nieder und dankt Jesus für die Heilung.
„Dein Glaube hat dir geholfen“, ist die Antwort Jesu nach der rhetorischen Frage, ob sich
sonst niemand gefunden habe, Gott die Ehre zu geben.
Natürlich sind die neun anderen auf dem Weg zum Tempel, und natürlich werden sie dort
ihr rituelles Sündopfer darbringen, wie es vorgeschrieben ist, nachdem der Priester sie
für geheilt erklärt hat. Sie geben also Gott auch die Ehre. Aber was sie tun, das ist
Pflicht.
Der Samariter bräuchte das gar nicht zu tun, denn sein Heiligtum ist nicht in Jerusalem.
Was er tut, das ist Kür. Vielleicht findet er deshalb den Weg zurück zu Jesus, um ihm zu
danken, weil Jerusalem nicht wirklich sein Ziel ist.
Vielleicht ist es aber auch tatsächlich nur dies: er erkennt, wem er seine Heilung zu
verdanken hat, und will es auch zeigen. Es spielt keine Rolle, wohin er gehört, ob er
Heide oder Gläubiger ist: er ist einfach nur dankbar. Und so spricht Jesus ihm auch den
Glauben zu: Dein Glaube hat dir geholfen.
Hat er den anderen nicht geholfen?
Wir werden mit dieser Frage allein gelassen.
Die übrigen neun Geheilten interessieren nicht mehr. Sie leben ihr Leben weiter, so wie
sie es vor der Erkrankung taten. Ihnen fehlt die Gottesbegegnung.
Der Samariter aber wird sein Leben nie mehr so leben, wie es vor der Erkrankung gewesen
ist. Er hat durch die Heilung etwas gewonnen: er hat die Kraft und die Liebe Gottes, er
hat Gottes Barmherzigkeit erfahren. Sie ist ihm in Jesus Christus begegnet. Das will er
nun nicht mehr vergessen. Er will es nicht loslassen. Er will daran festhalten. Darum ist
er zurückgekehrt, und mit dieser Rückkehr hat er sich abgekehrt von den alten Wegen und
hat einen neuen Weg betreten.
Wenn er geht, so wie Jesus es ihm mit den Worten „steh auf, geh hin“ aufträgt, dann wird
er davon erzählen, von den Wundern, die Gott an ihm getan hat. Und er wird wissen: er
kann ganz auf die Güte und Barmherzigkeit Gottes vertrauen. In seiner Liebe ist er
geborgen.
Auf den Zetteln, die in der Gebetsnische zum Aufschreiben von Gebetsanliegen bereit liegen,
ist manches Mal eine Bitte um Heilung zu finden, die ich dann auch in meine Fürbitte aufnehme.
Ganz selten findet sich dann auch einmal ein Dank für die Heilung. Ob es für die anderen
keine Heilung gab? Oder ob man es dann doch eher vergaß, zu danken?
In der Not denken wir gerne an Gott und erwarten von ihm alles; aber wenn es uns gut geht,
dann vergessen wir ihn doch recht schnell.
Aber unser ganzes Leben liegt in Gottes Hand. Vom ersten bis zum letzten Atemzug sind wir
sein. Daran will uns diese Geschichte von den 10 Aussätzigen erinnern.
Möge dies zur Gewissheit in uns werden.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Nun lob, mein Seel, den Herren (EG 289)
Lobe den Herren, den mächtigen König... (EG 316/317)
Nun lasst uns Gott dem Herren (EG 320)
Nun danket all und bringet Ehr (EG 322)
Man lobt dich in der Stille (EG 323)
O dass ich tausend Zungen hätte (EG 330)
Von Gott will ich nicht lassen (EG 365)
Lass die Wurzel unsers Handelns Liebe sein (EG 417)
Lasst uns miteinander (KHW-EG 607)
Ich lobe meinen Gott (KHW-EG 638)
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Predigtvorschläge zu Reihe VI - Röm 8, 14-17
Nachfolgende Predigt wurde in einem Gottesdienst mit einer Taufe gehalten:
Liebe Gemeinde!
Heute haben wir getauft. Durch die Taufe wird ein Mensch in die Gemeinde Jesu Christi
aufgenommen. Aber wie geht es dann weiter mit dem Gemeindeglied-Sein?
Es trifft sich gut, dass unser Predigttext, der vorhin als Epistel gelesen wurde,
genau diese Frage aufnimmt. Wie ist das, was bedeutet das, zur Gemeinde Jesu
Christi dazu zu gehören?
Zunächst mal sagt Paulus schlicht: Welche der Geist Gottes treibt, die sind
Gottes Kinder. Nur, woher wissen wir, ob es der Geist Gottes ist, der einen
treibt?
Denn Geister gibt es in diesem Sinne wohl eine ganze Menge. Mir fällt sofort
der „Zeitgeist“ ein, von dem wir gerne reden und von dem wir uns allzu gerne
treiben lassen.
Zeitgeist, das ist der Geist, der uns sagen will, was jetzt dran ist. Das
erstreckt sich auf das ganze Leben, angefangen bei dem, was man anzieht,
über das, wie man sich wo zu verhalten hat, bis hin zu der Art und Weise,
wie man sich frisieren lässt. In der Regel bestimmen wir diese Dinge nicht
selbst. Sie werden bestimmt von denen, die uns versorgen, also z.B. den
Kleidungsgeschäften oder dem Friseur.
Natürlich muss man sich nicht in allen Dingen dem Zeitgeist anschließen, aber
wenn man genau hinschaut, merken wir, dass sich das Äußerliche an uns durchaus
gewandelt hat über die Jahre, und ob wir es gewollt haben oder nicht: wir
folgen dem Zeitgeist, wir lassen uns von ihm treiben.
Auch an unseren Kindern sehen wir es, dass sie heute ganz anders mit ihren
Freundinnen und Freunden umgehen, als wir das in unserer Kindheit getan haben.
Auch das Verhalten Lehrern und anderen sogenannten Respektspersonen gegenüber
hat sich gewandelt.
Es gibt auch andere Geister, die einen treiben können. Mir fällt zum Beispiel
der Geist der Angst ein. Er bringt uns dazu, Dinge zu tun, von denen wir
selbst hinterher oft sagen: wie konnte das nur geschehen. Am gefährlichsten
ist es wohl, wenn wir Angst vor unseren Mitmenschen haben. Wenn wir das Gefühl
haben, durch sie bedroht zu werden – ohne je mit ihnen gesprochen zu haben. Wir
vermuten, dass sie böse Absichten gegen uns hegen, und fürchten uns darum vor
ihnen. Wozu Menschen aus solcher Angst heraus fähig sind, erkennt man z.B. an
den Übergriffen gegen Ausländer, die in unserer Mitte wohnen.
Nicht ganz so schlimm, aber sehr häufig anzutreffen, ist die Angst vor dem
Verlust des Wohlstandes. Indirekte Rentenkürzungen durch sogenannte Nullrunden,
der Verlust des eigenen Besitzes, wenn man auf die Pflege und Fürsorge anderer
angewiesen ist, die Angst vor der Arbeitslosigkeit können aber auch zu merkwürdigen,
ja, beängstigenden Reaktionen führen.
Es gibt auch den Ich-Geist, von dem man sich treiben lassen kann. Er sorgt dafür,
dass man immer nur auf sich selbst schaut, alle Dinge von sich selbst aus beurteilt
und auf diese Weise sein Leben führt. „Ich bin das Maß aller Dinge“ – so klingt
der Ich-Geist. Wie ich denke und fühle, so hat die Welt um mich herum auch zu
denken und zu fühlen. Und wenn sie es nicht tut, dann ist das nicht meine Welt.
Paulus schreibt von einem anderen Geist, dem Geist Gottes. Dieser Geist lässt uns
Gottes Kinder sein. Paulus führt das konsequent weiter: wir sind Kinder. Und
das hat Konsequenzen. Denn Kindern sind unbefangen. Der Zeitgeist hat auf sie
keinen Einfluss, und auch der Angstgeist zumindest anfänglich nicht, denn Kinder
sind schlicht neugierig. Angst lernen sie erst im Laufe der Zeit, wenn sie älter
werden und Beängstigendes in ihrem Leben erfahren oder davon hören.
Beim Ich-Geist könnte das anders aussehen, aber nicht wirklich, denn Kinder sind
ja ganz stark auf ihre Eltern bezogen, was für die Eltern wiederum nicht immer
einfach ist. Denn die Kinder erwarten alles von ihnen. Alles, was sie brauchen,
bekommen sie ja auch von ihnen. Nahrung, Kleidung, Liebe – das sind die
wesentlichen Dinge, die das Leben ermöglichen und die Eltern ganz
selbstverständlich ihren Kindern zukommen lassen – meist jedenfalls.
Die Kinder wiederum danken es ihren Eltern mit Vertrauen. Es ist in den
ersten Jahren ein uneingeschränktes Vertrauen, das durch nichts erschüttert
werden kann.
Genau so sieht Paulus auch uns, wenn wir vom Geist Gottes getrieben werden.
„Abba“ rufen wir zu Gott, „lieber Vater“. Wir tun dies im kindlichen Vertrauen,
das durch nichts erschüttert wird.
Dabei schenkt uns dieser Geist Gottes alle Freiheit, die wir uns nur denken
können. Wir dürfen uns frei bewegen – und wir brauchen keine Angst zu haben,
denn wir können uns ganz und gar auf Gott verlassen. Er ist da, was immer
auch geschieht.
Woher wissen wir nun, ob uns der Geist Gottes treibt? Es offenbart sich in
unserem Handeln, in unserem Reden, in unserem Denken. Darüber hinaus bezeugt
es der Geist Gottes selbst. „Der Geist selbst gibt Zeugnis unserem Geist,
dass wir Gottes Kinder sind.“, sagt Paulus.
Wie sehen wir uns selbst?
Sind wir Einzelkämpfer, die mit aller Kraft versuchen, die Herausforderungen
des Lebens zu bewältigen und dabei möglichst als Sieger oder wenigstens nicht
als letzter daraus hervor zu gehen?
Oder sind wir Kinder Gottes, die sich in kindlicher Unbeschwertheit trotz
all der Sachzwänge, denen sich unsere Gesellschaft so gerne unterwirft, frei
bewegen und nicht um alles in der Welt oben auf dem Siegertreppchen stehen
wollen? Sind wir erfüllt von dem Vertrauen, dass Gott unser Leben in der
Hand hat, und das viel mehr wert ist als alle Güter dieser Erde?
Mit anderen Worten: Vertrauen wir darauf, dass wir „Erben Gottes und
Miterben Christi“ sind und damit teilhaben werden an seiner Herrlichkeit?
Eins ist gewiss: die Kinder Gottes sind in dieser Welt, um sie zu verwandeln.
Alles Beängstigende verliert seine Bedeutung. Der Zeitgeist ist unbedeutend.
Egoismus und Egozentrik gehören der Vergangenheit an. Denn Kinder Gottes sind
miteinander verwandt, sie sind Geschwister. Wir sind Familie Gottes. Wir
sind geborgen in Gott, und aus dieser Geborgenheit heraus sind wir auch
füreinander da.
Das ist Gemeinde Christi, zu der wir gehören – durch die Taufe. Möge das
erkennbar werden für alle Menschen.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Gott hat das erste Wort (EG 199)
Ich bin getauft auf deinen Namen (EG 200)
Gedenk an uns, o Herr (EG 307)
Dir, dir, o Höchster, will ich singen (EG 328)
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Predigtvorschläge zu Reihe M - Sir 50, 22-24
Mk 1, 40-45
1. Thess 1, 2-10
Zu Mk 1, 40-45:
Liebe Gemeinde!
Wenn wir Sorgen haben, wenn uns etwas auf der Seele liegt, wenn wir Schmerzen
leiden oder wenn nur schlicht etwas schief läuft, wenden wir uns gerne mal
spontan Gott zu. Manchmal ist es ein „Gott, muss das jetzt sein?“ oder ein
„Gott, hilf, dass es schnell besser wird“, oder noch kürzer „O Gott!“.
Manchmal ganz unbewusst sprechen wir diese Gebete in unserem Innern, weil wir
darauf hoffen, dass es da doch noch eine Instanz gibt, die über dem steht, was
sonst unser Leben bestimmt.
Aber es bleibt nur eine Hoffnung, mehr nicht. Und oft ist es dann ja auch so,
dass wir schnell wieder vergessen haben, dass wir dieses Stoßgebet aussandten,
auch dann, wenn es tatsächlich besser wird, wenn sich unsere Lebenssituation
zum Guten wendet oder wenn wir erkennen, dass das, was uns eine Zeit lang das
Leben schwer machte, eigentlich nur dazu diente, uns neue Möglichkeiten zu
eröffnen.
Dass da Gott tatsächlich gewirkt haben könnte, kommt uns kaum in den Sinn. Denn
Gott bleibt für uns ungreifbar, uns fehlt die körperliche Erfahrung Gottes. Wir
können ihm nicht gegenüberstehen, so wie der Aussätzige damals Jesus gegenüber
stand.
Aber ist seine Situation so viel anders als unsere, nur weil er dem leibhaftigen
Jesus begegnen konnte? Woher wusste er denn, dass Jesus ihn heilen könne? Er hatte
davon gehört, aber da kann ja jeder kommen und einem was erzählen.
Wenn mir einer sagen würde: in Wolfsburg ist einer, der kann Krebskranke heilen,
indem er ihnen die Hand auflegt, würde ich doch nie im Leben einen krebskranken
Menschen dorthin schicken. Ja, noch mehr: ich würde jeden versuchen davon abzuhalten,
denn ich weiß doch, dass das nur falsche Hoffnungen weckt. Oder ich würde wenigstens
sagen, dass man sich keine falschen Hoffnungen machen soll.
Genauso muss es dem Aussätzigen damals doch auch gegangen sein. Er hatte davon
gehört, dass Jesus Kranke – auch Aussätzige – heilen kann. Mehr nicht. Aussatz,
das war damals eine unheilbare Krankheit, die den Menschen extrem belastete auch
dadurch, dass man vom Rest der Gesellschaft für den Rest seines Lebens komplett
abgesondert wurde.
Der Aussätzige konnte also wirklich nur ganz wenig von Jesus wissen, noch weniger,
als wir heute von Jesus wissen.
Und dennoch ist sein Glaube größer als der der meisten Menschen heute.
Muss uns das nicht beschämen? Oder haben wir gleich eine Antwort parat auf diese
Frage, nämlich dass damals die Menschen ja überhaupt noch viel weniger wussten und
viel mehr von Gott her dachten? Dass sie auch in den einfachsten Naturphänomenen
die Hand Gottes vermuteten und es ihnen deswegen auch viel leichter fiel, zu glauben,
wenn man von Menschen erzählte, die über die Kraft der Heilung verfügten?
Aber wie viele solcher Menschen gab es damals wohl? Diejenigen, die Krankheiten
heilen konnten, waren Menschen, die sich Kenntnisse über Kräuter und andere Hilfsmittel
erworben hatten. Das wussten auch die Menschen, die sich von ihnen behandeln ließen.
Solche Heilungswunder, wie uns Markus da erzählt, gab es nicht wie Sand am Meer, sie
waren auch damals höchst selten, ja, man wusste, dass es im Grunde unmöglich ist.
Menschen, die sich als Wunderheiler ausgegeben hatten, erwiesen sich irgendwann doch
als Scharlatane.
Dazu kommt ja, dass man eigentlich glaubte, dass jede Krankheit Ausdruck des Zornes
Gottes ist. Sie ist eine Strafe für die Sünde eines Menschen, vielleicht auch die
Sünde seiner Vorfahren. Wie konnte man da von Gott Heilung erwarten? War es nicht
sein Ratschluss, dass man krank war?
Und dennoch hoffte man, so wie wir heute hin und wieder hoffen, dass Gott die eigene
Lebenssituation oder die anderer Menschen verändern könne und auch würde.
Ja, die Menschen glaubten damals anders, denn sie glaubten vorbehaltloser. Aber das
war nicht darin begründet, dass Gott für sie zugänglicher war als für uns heute. Es
lag einzig daran, dass sie Gott mehr zutrauten als wir es heute tun.
Denn auch wenn wir solche Stoßgebete von uns geben, so rechnen wir doch oft gar nicht
damit, dass sie erfüllt werden könnten.
Der Aussätzige nun muss nicht nur den Weg auf Jesus zu gehen, er muss auch das, was
ihm vom Gesetz Gottes her verboten ist, tun: er muss sich Jesus und seinen Jüngern
nähern, er muss ihm näher kommen, als er es nach dem Gesetz darf.
Der Mensch ist nicht um des Gesetzes willen gemacht. Das Gesetz dient dem Schutz des
Menschen, nicht der Mensch dem Schutz des Gesetzes.
Der Aussätzige weiß, dass er, um die heilende Kraft Gottes zu erfahren, das Gesetz
Gottes übertreten muss. Jesus als frommer Jude hätte ihn auch von sich weisen und
sagen können: ‚Wie kannst du es wagen, mich und meine Jünger mit deiner Krankheit
in Gefahr zu bringen?‘ Ich kann mir vorstellen, dass die Jünger ängstlich zurückgewichen
waren, als sich der Aussätzige näherte, denn sie wussten ja wie alle Menschen um die
Ansteckungsgefahr.
Jesus aber weicht nicht. Und der Aussätzige lässt sich von dieser Angst auch nicht
einschüchtern.
Seine Worte können uns nachdenklich machen: „Willst du, so kannst du mich reinigen.“
Vielleicht steckt in der Bedingung schon die Furcht, dass Jesus ihn abweisen könnte.
„Willst du“ - ja, warum sollte Jesus es wollen? Schließlich ist die Krankheit eine
Strafe, schließlich bringt er mit seiner Krankheit Jesus in Gefahr.
Aber der Aussätzige vertraut felsenfest auf die heilende Kraft Jesu, ohne jemals einen
Beweis dieser Kraft gesehen zu haben.
‚Willst du, so kannst du mich reinigen.‘ Du kannst es. Das ust das Erste und Wichtigste.
So sollen wir uns Gott nähern.
Dein Wille geschehe. Das ist das andere. Diese Bitte des Vaterunser ist keine Einschränkung
unserer Bitten, kein: ich würde mich zwar freuen, wenn Du mir hilfst, aber dein Wille
geschehe, sondern so wie die Anrede des Aussätzigen ein: Ich erbitte von dir dies und
das, und ich weiß, dass, wenn du es willst, du es auch tun kannst.
Dass Gott nicht immer das will, was wir wollen, ist schon klar. Aber das heißt nicht,
dass unser Bitten vergeblich oder unnötig ist. Im Gegenteil: Gott will, dass wir ihn
bitten.
„Betet ohne Unterlass!“ (1. Thess 5, 17), so fordert uns der Apostel Paulus in seinem
1. Brief an die Thessalonicher, dem ältesten Schriftstück unseres Neuen Testaments, auf.
Und im Lukas-Evangelium wird das Gleichnis von der bittenden Witwe geschildert, dem Jesus
in seiner Deutung hinzufügt, dass Gott seinen Auserwählten, die ihn Tag und Nacht anrufen,
doch ohne langes Zögern Recht schaffen wird. (Lk 18, 7-8)
Das Gebet ist also nicht unnütz oder überflüssig. Es wirkt, wenn es aus dem Herzen heraus
gesprochen wird, sicher nicht in magischer Weise, aber Gott hört es und wird darauf reagieren
nach seinem Willen. Denn, und das ist die Grundvoraussetzung für jedes Gebot: ihm ist alles
möglich. Wenn wir darauf nicht vertrauen, wenn wir das nicht glauben wollen, dann brauchen
wir auch nicht zu beten.
Aber das ist nicht alles, was wir in der Erzählung von der Heilung des Aussätzigen gehört
haben. Nachdem er geheilt worden war, gebietet ihm Jesus, davon zu schweigen. Nur sollte
er das Gesetz des Mose einhalten und sich den Priestern zeigen, die die Heilung bestätigen
würden.
Aber der Geheilte denkt gar nicht daran, dem Befehl zu schweigen Folge zu leisten. Er erzählt
es herum, so wie es ihm erzählt worden war, dass dieser Jesus von Nazareth mehr ist als nur
ein Mensch, dass er sogar Aussätzige heilen kann.
Das hörten viele Menschen, und sie wollten ihn sehen. Pure Neugier mag es gewesen sein, aber
sicher war es auch die eigene, persönliche Not, die viele dieser Menschen trieb, und sicher
machten sich viele kranke Menschen auf den Weg, um an dieser heilenden Kraft teil zu haben,
nachdem ihnen die Ärzte nicht hatten helfen können. Sie vertrauten dem, was ihnen gesagt
worden war von den Menschen, die es erlebt hatten.
Und wir? Wir haben es doch auch gehört. Machen wir uns auf, um die heilende Kraft Gottes
zu erleben? Oder erzählen wir davon, wie wir selbst die heilende Kraft Gottes erfahren
haben?
Natürlich werden uns viele Menschen nicht glauben. Aber einige werden es tun und sich
selbst auf den Weg machen.
Vielleicht mag man sich fragen, wie dieser Weg aussieht, wo er hin führt.
Das Ziel ist klar: es ist die Begegnung mit Gott. Die geschieht nicht erst nach dem Tod,
sondern soll natürlich schon jetzt in unserem Leben sich ereignen. Der Weg mag mühsam sein,
aber er lohnt sich allemal, denn er führt uns ja zur Fülle Gottes. Ist es nicht das, wonach
wir uns sehnen, dass wir diese Fülle wahrnehmen können, den unendlichen Frieden, die
unendliche Liebe?
Also machen wir uns auf, so wie der Aussätzige damals, brechen dabei durchaus auch die
gesellschaftlichen Konventionen, die uns eigentlich daran hindern wollen, die Nähe Gottes
zu erleben, und treten ein in diese Nähe, die ungeheuer kostbar für unser Leben werden
kann.
Und dann, aus dieser Nähe heraus, beginnen wir, es weiter zu sagen, welch große Taten Gott
an uns getan hat.
Amen
Zu 1. Thess 1, 2-10:
Liebe Gemeinde!
Gerade haben Sie den Anfang des ältesten Schriftstückes aus dem Neuen Testament
gehört, also im Grunde den ältesten Text aus dem Buch des zweiten Bundes.
Der 1. Brief an die Thessalonicher ist deutlich früher als die Evangelien geschrieben
worden und darum ein besonders wichtiges Zeugnis von der Entwicklung der ersten
christlichen Gemeinden.
Es ist vermutlich noch nicht lange her, dass Paulus die christliche Gemeinde in
Thessalonich gegründet hat. Die Apostelgeschichte berichtet davon zwar nur kurz,
aber es ist eine äußerst aufregende Geschichte, die ich kurz wiedergeben will,
damit wir eine Vorstellung davon haben, an wen dieser Brief gerichtet ist.
Paulus war mit Silas auf seiner zweiten Missionsreise. In Thessalonich gab es eine
Synagoge. Lukas schreibt weiter:
„Wie nun Paulus gewohnt war, ging er zu ihnen hinein und redete mit ihnen an
drei Sabbaten von der Schrift, 3 tat sie ihnen auf und legte ihnen dar, dass
Christus leiden musste und von den Toten auferstehen und dass dieser Jesus,
den ich – so sprach er – euch verkündige, der Christus ist. 4 Einige von ihnen
ließen sich überzeugen und schlossen sich Paulus und Silas an, auch eine große
Menge von gottesfürchtigen Griechen, dazu nicht wenige von den angesehensten
Frauen.
5 Aber die Juden ereiferten sich und holten sich einige üble Männer aus dem Pöbel,
rotteten sich zusammen und richteten einen Aufruhr in der Stadt an und zogen vor
das Haus Jasons und suchten sie, um sie vor das Volk zu führen. 6 Sie fanden sie
aber nicht. Da schleiften sie Jason und einige Brüder vor die Oberen der Stadt
und schrien: Diese, die den ganzen Weltkreis erregen, sind jetzt auch hierher
gekommen; 7 die beherbergt Jason. Und diese alle handeln gegen des Kaisers Gebote
und sagen, ein anderer sei König, nämlich Jesus. 8 So brachten sie das Volk auf
und die Oberen der Stadt, die das hörten. 9 Und erst nachdem ihnen von Jason und
den andern Bürgschaft geleistet war, ließen sie sie frei.“ (Apg 17, 2-9)
In der gleichen Nacht wurden Paulus und Silas dann von den Angehörigen der noch so
jungen Gemeinde nach Beröa geschickt, damit sie in Sicherheit wären.
Sie waren mal gerade drei, vielleicht vier Wochen dort gewesen, und schon bildete
sich eine lebendige Gemeinde, trotz der heftigen Widerstände. Es gab kein Neues
Testament, nichts, worin diese frisch gebackenen Christen hätten nachlesen können,
was ihnen verkündigt worden war. Es gab nur das Zeugnis des Paulus – und des Heiligen
Geistes.
Und der wirkte offensichtlich mit großer Kraft in dieser Gemeinde.
Es ist übrigens eine Beobachtung, die man immer wieder machen kann: dort, wo Christen
in der Minderheit sind und bedroht werden, ist die Gemeinde besonders lebendig, weil
sie durch die Anfeindungen immer wieder zurückgeworfen wird auf den Grund ihres
Glaubens: Jesus Christus.
Wenn wir diesen Hintergrund bedenken, merken wir, dass der Predigttext eigentlich
meilenweit von uns entfernt ist.
So will ich versuchen, ihn näher an uns heran zu holen.
„Wir danken Gott allezeit für euch alle“, so fängt Paulus an. Das hört sich ziemlich
pauschalisierend an. Aber das stört nicht weiter, denn es ist ja nicht: „ihr seid
alle Lügner und Betrüger“, sondern eben: „Wir danken Gott allezeit für euch alle“;
es wird also ein Lob ausgesprochen, und das lässt man sich gerne auch pauschal
gefallen.
Ich kann mir schon denken, dass Paulus in seinen Gebeten regelmäßig an die Thessalonicher
gedacht hat und Gott für sie dankte.
Aber für alle? Gibt es nicht auch dort Querköpfe, unbequeme Zeitgenossen, die einem die
Freude verderben können, weil sie immer „ja, aber“ sagen und jede geplante Aktion erstmal
in Frage stellen?
Vielleicht war das so. Inwieweit Paulus die Verhältnisse in der Gemeinde tatsächlich
vertraut sind, wird nicht wirklich deutlich, außer dass ihm von anderen über die Gemeinde
berichtet wurde. Aber ob er die Verhältnisse bis ins Detail kennt, ist auch nicht wichtig.
Dieser Einstieg in den Brief an die Thessalonicher ist, so glaube ich, ganz bewusst so
pauschal gehalten. Denn er will die Gemeinde ermutigen, indem er ihr das Bild, das er
von ihr hat, vor Augen stellt. Und das sieht ganz schlicht so aus: 'Ihr seid alle
wunderbare Menschen!'
Ja, das kann Paulus sagen, auch wenn da Querköpfe in der Gemeinde sind. Denn diese Aussage
gründet nicht auf dem Charakter der einzelnen Gemeindeglieder, und es ist auch nicht ein
Versuch, der Gemeinde zu schmeicheln – das hätte er sicher nicht nötig – sonder es gründet
darauf, dass sie alle die Kraft des Heiligen Geistes empfangen haben. Das ist der Grund zu
solch pauschalem Dank: das Wirken Gottes ist in dieser Gemeinde deutlich zu erkennen.
Und auch wenn es Querköpfe gibt, dann wird das seinen Grund haben, weil es der Geist Gottes
ist, der diese Querköpfe treibt genauso wie die, die sich ohne Weiteres in das Gefüge der
Gemeinde eingliedern.
Und so kann ich mich auch Paulus anschließen und sagen: Ich danke Gott allezeit für euch
alle! Denn ihr alle habt in eurer Taufe den Heiligen Geist empfangen, und darum seid ihr
alle Kinder Gottes, wunderbare Menschen, von Gott auserwählt!
Natürlich lässt es Paulus nicht bei dieser pauschalen Danksagung bewenden. Der Dank
verbindet sich mit dem Erinnern an das, was christliche Gemeinde auszeichnet und was
sich auch dort in Thessalonich finden lässt. Es sind drei Dinge:
1. Das Werk im Glauben
2. die Arbeit in der Liebe
3. die Geduld in der Hoffnung auf unseren Herrn Jesus Christus
Dieser Dreiklang begegnet uns wieder im 1. Korintherbrief an prominenter Stelle: „Nun
aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die Größte unter
ihnen.“ (1. Kor 13, 13)
Das sind die wichtigsten Gaben christlicher Gemeinde, auf die ich nun noch etwas näher
eingehen will.
Das Werk im Glauben kann man unterschiedlich verstehen. Zum einen geht es hierbei sicher
darum, wie wir unser Leben gestalten. Alles geschieht im Glauben – es richtet sich
gewissermaßen auf Christus aus. Wir erkennen, dass das, was wir tun, nicht unser eigenes
Werk ist, sondern Gottes Werk durch und an uns. Sind wir erfolgreich in unserem Handeln,
macht uns das nicht zu besseren Menschen, sondern es macht uns dankbarer gegen Gott, weil
er uns diesen Erfolg geschenkt hat. Erfahren wir eine Niederlage, dann macht uns das
nicht unglücklich, weil wir wissen, dass Gott auch aus diesen Niederlagen noch etwas
Gutes machen kann.
Zum andern ist das Werk im Glauben das Zeugnis von Jesus Christus. Weitergeben, was wir
empfangen haben, ist Bestandteil christlicher Existenz. Wir können es nicht für uns behalten –
die Liebe Gottes, die sich uns offenbart hat, wollen wir teilen mit allen Menschen, die uns
begegnen.
Die Arbeit in der Liebe ist das, was wir heute meist Diakonie nennen. Das bezieht sich auf
das Bemühen um die, die am Rande stehen, deren Existenz auf unterschiedliche Weise bedroht
ist, die Hilfe brauchen. Es ist die Nächstenliebe, zu der wir schon im Buch des ersten Bundes
aufgefordert werden. Zwar hat das Diakonische Werk viele dieser Aufgaben in großen Institutionen,
z.B. im Amalie-Sieveking-Haus, im Lukas-Werk, in den Neuerkeröder Anstalten usw. übernommen,
aber Manches geschieht auch in den Häusern unserer Gemeinden, z.B. der regelmäßige Besuch bei
der kranken Nachbarin, das Über-die-Straße-Helfen, der Einkauf für die alt gewordenen Eltern,
das freundliche Miteinander mit denen, die ihre Heimat verlassen mussten und nun versuchen,
hier Heimat zu finden, usw.
Und die Geduld in der Hoffnung auf unseren Herrn Jesus Christus ist das, was unser Leben
festmacht, auch wenn es sich nicht so entwickelt, wie wir es gerne hätten. Geduld kann man
im Grunde auf zweierlei Weise verstehen: als geduldiges Ertragen eines schlimmen Zustandes,
oder als geduldiges Warten auf etwas, das kommen wird. Das zweite ist hier gemeint, was ja
auch in den Worten „Hoffnung auf unseren Herrn Jesus Christus“ zum Ausdruck kommt. Wir
erwarten sein Kommen; so bekennen wir es auch im Glaubensbekenntnis.
An dieser Stelle wird ein Problem der Thessalonicher angesprochen, denn sie hatten Paulus
eine Frage zukommen lassen, die sie offenbar beunruhigte. So früh war die Gemeinde entstanden,
dass sie davon ausgingen, die Wiederkunft Jesu noch zu ihren Lebzeiten erleben zu dürfen.
Jesus hatte es ja selbst gesagt, dass er bald kommen würde, und so hatten es die Apostel
weitergegeben. Es war schwer, sich hier das Zeitmaß Gottes, des Ewigen, zu vergegenwärtigen.
Und so gab es einen großen Schreck, als das erste Gemeindeglied starb, ohne dass Jesus
wiedergekommen war. Was würde aus diesem Menschen werden? Wie sollte er das Kommen Jesu
erleben können? War seine Hoffnung etwa vergeblich gewesen?
Paulus wird die Gemeinde gegen Ende seines Briefes beruhigen und ihr sagen, dass die Toten
genauso wie die Lebenden Jesu Kommen erleben werden, denn die in dem Herrn sterben, werden
wieder auferweckt und mit den Lebenden aufgenommen werden in das Reich Gottes.
So gibt uns die Hoffnung auf unseren Herrn Jesus Christus die Kraft, geduldig zu sein, nicht
aufzugeben in unserem Glauben und Vertrauen auf die Liebe Gottes.
Das sind also die fundamentalen Eigenschaften christlicher Gemeinde, und alle drei finde ich
auch bei uns, in den Gemeinden des Quartiers: das Werk im Glauben, die Arbeit in der Liebe
und die Geduld in der Hoffnung auf unseren Herrn Jesus Christus. So ist der Predigttext
also doch nicht meilenweit weg, im Gegenteil: er ist uns ganz nahe.
So lasst uns nicht die Geduld verlieren, sondern voll Freude dem lebendigen und wahren Gott
dienen und auf seinen Sohn Jesus warten, den er auferweckt hat von den Toten.
Amen
Liedvorschläge zur Predigt:
Zu Mk 1, 40-45:
Sollt ich meinem Gott nicht singen (EG 325)
Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut (EG 326)
Danket, danket dem Herrn (EG 336)
Mein Herz ist bereit (EG 339)
Auf meinen lieben Gott (EG 345)
Von Gott will ich nicht lassen (EG 365 - Wochenlied!)
Dass ich springen darf und mich freuen (KHW-EG 606)
Zu 1. Thess 1, 2-10:
Es ist gewisslich an der Zeit (EG 149)
Wir warten dein, o Gottes Sohn (EG 152)
Herr, mach uns stark im Mut, der dich bekennt (EG 154)
Lob Gott getrost mit Singen (EG 243)
Ich lobe dich von ganzer Seelen (EG 250)
Von Gott will ich nicht lassen (EG 365 - Wochenlied!)
Jesu, meine Freude (EG 396)
Ich will dich lieben, meine Stärke (EG 400)
Gott liebt diese Welt (EG 409)
Ich möchte Glauben haben (NB-EG 596)
Magnificat anima mea (EG 600)
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